Urteil des VG Gießen vom 23.03.2007

VG Gießen: stadt, einspruch, eigenschaft, wahlkampf, bekanntmachung, veranstaltung, alter, einfluss, wiederholung, neutralität

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 E 4139/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 25 Abs 2 KomWG HE 1972
vom 01.04.2005
Wahlanfechtung einer Bürgermeisterwahl - substantiierte
Darlegung von Wahlfehlern
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit der am 02.10.2005 durchgeführten Wahl
des Bürgermeisters der Stadt A-Stadt. Der Kläger ist Bürger der Stadt A-Stadt. Er
ist der Ansicht, im Wahlkampf seien Unregelmäßigkeiten vorgekommen, infolge
deren die Beklagte verpflichtet sei, die Wiederholung der Wahl anzuordnen.
Bei der Direktwahl zum Bürgermeister der Stadt A-Stadt kandidierten zwei
Bewerber, nämlich Herr D. (CDU) und die Beigeladene (SPD). Der Wahlausschuss
der Stadt A-Stadt stellte in seiner öffentlichen Sitzung am 11.10.2005 als
endgültiges Wahlergebnis fest, dass die Beigeladene zur Bürgermeisterin gewählt
worden sei mit einer Stimmenmehrheit von 2.838 (52,9 %) gegenüber 2.522
Stimmen (47,1 %), die auf den Kadidaten D. entfielen. Dieses Ergebnis wurde vom
Wahlleiter im amtlichen Mitteilungsblatt, Ausgabe vom 15.10.2005, bekannt
gemacht. Unter II. heißt es:
„Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl kann jede wahlberechtigte Person
des Wahlgebietes und jede Bewerberin oder jeder Bewerber, die bzw. der an der
Wahl teilgenommen hat, binnen einer Ausschlussfrist von zwei Wochen von dem
Tag dieser Bekanntmachung ab schriftlich oder zur Niederschrift bei mir erheben.“
Mit Schreiben vom 28.10.2005 erhob der Kläger Einspruch gegen die Gültigkeit der
Bürgermeisterwahl. Diesem Schreiben fügte er eine von zahlreichen Bürgern der
Stadt A-Stadt unterzeichnete Einspruchsbegründung vom 24.10.2005 bei, die
folgenden Wortlaut hat:
„Herr E. hat die ihm als Wahlleiter und Bürgermeister der Stadt A-Stadt
obliegende Neutralitätspflicht im Bürgermeisterwahlkampf gröblich missachtet.
Im Wahlprospekt der Bürgermeisterkandidatin C. hat der Bürgermeister E.
eindeutig für diese Bewerberin in seiner Eigenschaft als Bürgermeister unzulässige
Wahlwerbung betrieben. Das gleiche gilt auch für entsprechende
Veröffentlichungen im Internet.
Darüber hinaus hat er an der Mehrzahl ihrer Wahlveranstaltungen aktiv
unterstützend teilgenommen.
Bei offiziellen Anlässen (z. B. Countryfest Einartshausen, Dorfbrunnenfest
Betzenrod) hat er als Bürgermeister die Grüße seiner Kandidatin überbracht.
Hierin ist eine eindeutige Verletzung seiner Neutralitätspflicht als
Bürgermeister und Wahlleiter zu sehen.“
Der Einspruch des Klägers ging am 28.10.2005 bei dem Magistrat der Stadt A-
Stadt ein.
Die beklagte Stadtverordnetenversammlung wies mit Beschluss vom 17.11.2005
den Einspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus,
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den Einspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus,
Unregelmäßigkeiten seien bei der Wahl nicht vorgekommen.
Mit Schreiben des Wahlleiters vom 30.11.2005 wurde der Kläger über die
Entscheidung der Beklagten informiert.
Am 13.12.2005 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor: Das
Gebot der freien Wahl untersage es staatlichen oder gemeindlichen Organen, sich
in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu
identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen. Die Grenzen für eine
zulässige Betätigung eines Bürgermeisters im kommunalen Wahlkampf seien
überschritten, wenn ein Bürgermeister das ihm aufgrund seiner amtlichen Tätigkeit
zufallende Gewicht und die ihm kraft seines Amtes gegebenen
Einflussmöglichkeiten in einer Weise nutze, die mit seiner der Allgemeinheit
verpflichtenden Aufgabe unvereinbar sei. Gegen diese Verpflichtung zur Neutralität
im Wahlkampf habe der frühere Bürgermeister, E., verstoßen. Dieser sei bei den
Wahlkampfveranstaltungen der Beigeladenen in Götzen, Einartshausen,
Eschenrod, Sichenhausen, Breungeshain, Rudingshain, Michelbach, Busenborn
und Wingershausen anwesend gewesen und habe als Bürgermeister die von
Besuchern gestellten Fragen beantwortet und die Beigeladene vor falschen oder
nichtsaussagenden Antworten bewahrt, die Beigeladene aufgewertet und ihr ein
positives Erscheinungsbild verschafft. Der Bürgermeister sei bei diesen
Veranstaltungen in amtlicher Funktion aufgetreten, weil er die gestellten Fragen
nur kraft seines Amtes habe beantworten können.
Beim „Countryfest“ vom 26. bis 28.08.2005 in Einartshausen sei er als
Bürgermeister eingeladen worden und habe geäußert „ich muss also die
Kandidatin von meiner Seite, die ich vorgeschlagen habe, Frau C., entschuldigen.“
Auch bei dem Brunnenfest in Betzenrod am 16.07.2005 sei er als Bürgermeister
aufgetreten. Er habe bei dieser Veranstaltung offiziell dem Ortsvorsteher den
Ehrenbrief des Landes Hessen überreicht.
Bei der Verschwisterungsfahrt nach Arco, in der Zeit vom 22. bis 26.06.2005, habe
er in seiner Funktion als Bürgermeister sinngemäß geäußert, der
Bürgermeisterkandidat solle auf seinem Platz verbleiben, dort mache er gute
Arbeit. Er solle der Bürgermeisterkandidatin, die für das Bürgermeisteramt
geeignet sei, nicht in die Quere kommen.
Bei der Seniorenfahrt in der Vorwahlzeit habe der Bürgermeister in einem Bus für
die Bürgermeisterkandidatin geworben.
In einem Wahlprospekt der Bürgermeisterkandidatin, das an alle Haushalte verteilt
worden sei, habe der Bürgermeister mit Bild und Wort für die
Bürgermeisterkandidatin mit den Worten geworben:
„E., Bürgermeister, Seitdem ich weiß, dass C. Bürgermeisterin werden will,
sehe ich Schottens Zukunft gelassen entgegen. Sie hat mit ihrem politischen
Engagement in den letzten Jahren bewiesen, dass sie unsere Stadt gut führen
wird.“
Insgesamt habe der frühere Bürgermeister in einer Vielzahl von Fällen Einfluss auf
den Wählerwillen genommen bei Veranstaltungen und durch Verteilung des
Wahlprospekts.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss der Beklagten vom 11.10.2005, mit dem die Gültigkeit der
Wahl zum Bürgermeister der Stadt A-Stadt vom 02.10.2005 festgestellt wird,
aufzuheben und die Wahl zum Bürgermeister der Stadt A-Stadt vom 02.10.2005
für ungültig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Kläger habe seine Einwendungen in seinem
Einspruchsschreiben vom 24.10.2005 nicht hinreichend substantiiert.
Darüber hinaus habe es sich bei allen vom Kläger angesprochenen
Veranstaltungen lediglich um Parteiveranstaltungen gehandelt, zu denen der
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Veranstaltungen lediglich um Parteiveranstaltungen gehandelt, zu denen der
frühere Bürgermeister als Parteimitglied eingeladen worden sei. Eine offizielle
Begrüßung habe an den vom Kläger bezeichneten neun Veranstaltungen nicht
stattgefunden. Unzutreffend sei auch, dass Fragen aus der Runde, die sich direkt
an die Kandidatin gerichtet hätten, vom Bürgermeister beantwortet worden seien.
Vielmehr sei Herr E. lediglich dann auf Fragen eingegangen, wenn er im Rahmen
der Fragestunde direkt angesprochen worden sei bzw. wenn im Anschluss an das
offizielle Ende der Wahlkampfveranstaltung im Rahmen des „gemütlichen
Beisammenseins“, über Themen der Kommunalpolitik gesprochen worden sei.
Zu Beginn seines Redebeitrags bei dem „Countryfest“ in Einartshausen am
27.08.2005 habe Herr E. die Fraktionsvorsitzende der SPD-
Stadtverordnetenfraktion und Bürgermeisterkandidatin der SPD, die Beigeladene,
entschuldigt, die urlaubsbedingt an diesem Tag nicht habe anwesend sein können.
Auch im Zusammenhang mit seinem Auftreten auf der Veranstaltung des
Betzenröder Verschwisterungsvereines habe Herr E. keine Wahlbeeinflussung
vorgenommen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf die Fertigung
eines „Pressefotos“ verweise, sei dieser Sachverhalt aufgrund des im
Wahlprüfungsverfahren geltenden Anfechtungsprinzips präkludiert. Im Übrigen
handele es sich um ein privates Foto, das Mitglieder der SPD im Ortsverband
aufgenommen hätten, um dieses dem geehrten Ortsvorsteher, Herrn F., als
privates Geschenk zu überreichen. Das Bild sei einzig und allein auf der privaten
Homepage der Bürgermeisterkandidatin, nämlich der Beigeladenen, eingestellt
worden. Ein offizieller Charakter dieses neuen Sachvortrags sei daher nicht zu
erkennen.
Im Rahmen des Grußwortes habe der frühere Bürgermeister allenfalls die Grüße
der „Fraktionsvorsitzenden Bürgermeisterkandidatin“ übermittelt.
Soweit der Kläger auf das Wahlprospekt der Beigeladenen verweise, sei hierin
ebenfalls keine unzulässige Wahlbeeinflussung zu sehen, da der frühere
Bürgermeister nach der Rechtsprechung seine Amtsbezeichnung habe verwenden
dürfen.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Statthafte Klageart ist eine Gestaltungsklage eigener Art, mit der begehrt werden
kann, die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung über die Gültigkeit der
Wahl aufzuheben (vgl. Hess.VGH, HSGZ 2005, 387, 390 f.; Thür.OVG, ThürVBl.
1997, 110, 111; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 1992, 255). Der Kläger ist als
wahlberechtigter Einwohner der Stadt A-Stadt i.S.d. §§ 27 S. 1, 25 Abs. 1, 26 Abs.
1 S. 2, 41 S. 1 Hessisches Kommunalwahlgesetz - KWG - i.d.F. vom 01.04.2005
(GVBl. I S. 197), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.03.2005 (GVBl. I S. 218) für
die Erhebung der Wahlanfechtungsklage klagebefugt, nachdem sein zuvor
erhobener Einspruch vom 28.10.2005 gegen die Gültigkeit der Wahl durch
Beschluss der Beklagen vom 17.11.2005 zurückgewiesen wurde. Die
Geltendmachung sonstiger subjektiver Rechtsverletzung durch den Kläger ist nicht
erforderlich, denn die Wahlanfechtungsklage ist einer Popularklage angenähert.
Die Klage wurde zudem innerhalb der Monatsfrist (§§ 27 S. 1, 41 S. 1 KWG) mit
Eingang am 13.12.2005 bei dem Verwaltungsgericht Gießen erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Beklagte durfte den Einspruch des Klägers zurückweisen und die Wahl gemäß §
50 Nr. 4 KWG für gültig erklären.
Soweit der Kläger geltend macht, der frühere Bürgermeister E. habe in amtlicher
Funktion die Beigeladene persönlich in neun Wahlkampfveranstaltungen der
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Funktion die Beigeladene persönlich in neun Wahlkampfveranstaltungen der
Beigeladenen unterstützt, ist der Kläger mit seinem Vorbringen ausgeschlossen.
Denn die diesem Vorbringen zu Grunde liegende Einspruchsbegründung, der
Bürgermeister habe an der Mehrzahl der Wahlveranstaltungen der Beigeladenen
„aktiv unterstützend“ teilgenommen, genügt nicht dem in § 41 KWG i.V.m. § 25
KWG statuierten Gebot ausreichender Substantiierung des Wahlfehlers. Nach § 25
Abs. 2 KWG ist der Einspruch gegen eine Wahl schriftlich oder zur Niederschrift
einzureichen und innerhalb der Einspruchsfrist von zwei Wochen im Einzelnen zu
begründen. Daraus folgt die Verpflichtung, eine substantiierte Darlegung der
Wahlfehler vorzunehmen, so dass sich anhand dessen feststellen lässt, ob einer
der Tatbestände des § 26 Abs. 1 KWG vorliegt (vgl. Hess.VGH, NVwZ-RR 1998,
127, 129; Thür.OVG, a.a.O., S. 112).
Der Kläger kann sich nicht darauf berufen - wie schriftlich vorgetragen und in der
mündlichen Verhandlung ausgeführt -, der Wahlleiter habe in der amtlichen
Bekanntmachung des Wahlergebnisses § 25 KWG alter Fassung zugrundegelegt,
weshalb die Einspruchsgründe nicht hätten näher dargelegt werden müssen. Denn
selbst wenn man davon ausgeht, der unter II. der amtlichen Bekanntmachung
gegebene Hinweis, wonach Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl eingelegt
werden könne, sei unzutreffend, weil die erfolgte Belehrung nicht dem Wortlaut des
§ 73 Kommunalwahlordnung entsprach, würde dies den Kläger nicht von seiner
Obliegenheit befreien, bereits seinen Einspruch substantiiert zu begründen, um bei
einer Wahlanfechtung Erfolg zu haben. Nach § 69 KWG trat die Neufassung des
KWG und damit auch § 25 KWG neue Fassung mit seiner gesetzlich angeordneten
Ausschlussfrist am Tag nach der Verkündung (08.04.2005) in Kraft und galt damit
für alle Beteiligten einschließlich den Kläger. Abgesehen davon enthielt bereits § 25
KWG alter Fassung ein Substantiierungsgebot, so dass die Neufassung des § 25
KWG lediglich eine gesetzgeberische Klarstellung bedeutet. In der Rechtsprechung
ist anerkannt, dass Wahlprüfungsverfahren dem sogenannten Anfechtungsprinzip
unterliegen. Wahlen werden nur soweit überprüft, wie der Einspruch reicht (vgl.
Hess.VGH, ESVGH 49, 167, 172). Das Wahlprüfungsverfahren ist darauf angelegt,
möglichst rasch eine Entscheidung über die Gültigkeit der Wahlen herbeizuführen
(Hess.VGH, a.a.O.). Über Einwendungen war deshalb auch vor der Novellierung
des § 25 KWG nur dann sachlich zu entscheiden, „wenn der Wahlberechtigte den
Sachverhalt, auf den er den geltend gemachten Wahlfehler stützt, innerhalb der
Einspruchsfrist des § 25 Abs. 1 KWG so substantiiert darlegt, dass das mit dem
Einspruch befasste Gremium - gegebenenfalls nach einer durch den Vortrag des
Einspruchsführers veranlassten Sachaufklärung oder Beweisaufnahme - feststellen
kann, ob einer der Tatbestände des § 26 Abs. 1 KWG vorliegt.“ (Hess. VGH, NVwZ-
RR 1998, 127, 129; ebenso schon Hess. VGH, HSGZ 1985, 377 (nur L) und U. v.
03.02.1987 - 2 UE 1330/86 -, juris, Rdnr. 50 m.w.N.). Diese Ansicht wird von den
Oberverwaltungsgerichten allgemein zu den unterschiedlichen
Kommunalwahlgesetzen der Länder vertreten, auch wenn die jeweiligen
Regelungen - § 25 KWG alter Fassung vergleichbar -, d. h. nach ihrem
ausdrücklichen Wortlaut keine Begründung des Einspruchs im Einzelnen verlangen
(vgl. z. B. Thür. OVG, ThürVBl.1997, 110, 112; OVG Rh-Pf., NVwZ-RR 1991, 659,
660).
Den Angaben des Klägers, der frühere Bürgermeister habe aktiv unterstützend an
Wahlveranstaltungen teilgenommen, gebricht es an hinreichender
Substantiierung. Der Kläger hat insoweit keine konkreten Tatsachen vorgetragen,
um welche einzelnen Veranstaltungen es sich handelt und worin die einzelnen
Unterstützungshandlungen liegen sollen. Zwar hat der Kläger in der Klageschrift
hierzu nähere Darlegungen gemacht. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind
jedoch nur solche Unregelmäßigkeiten zu prüfen, die während der Ausschlussfrist
des § 25 Abs. 1 KWG substantiiert gerügt wurden und die Gegenstand des
Einspruchsverfahrens gewesen sind (vgl. z.B. Hess. VGH, NVwZ-RR 1998, 127,
129; ESVGH 49, 167, 172 f.).
Aus diesem Grund ist der Kläger auch präkludiert mit seinen das Internet
betreffenden Ausführungen und mit seinem Vorbringen, es sei bei der
Verschwisterungsfahrt nach Arco, der Seniorenfahrt in der Vorwahlzeit und bei der
Veranstaltung in Betzenrod bei der Erstellung des Pressfotos zu
Unregelmäßigkeiten gekommen.
Soweit der Kläger dagegen ausführt, der ehemalige Bürgermeister habe im
Wahlprospekt der Beigeladenen unzulässige Wahlwerbung betrieben und bei
offiziellen Anlässen, z.B. dem „Countryfest“ in Einartshausen und dem
Dorfbrunnenfest Betzenrod die Grüße „seiner Kandidatin“ überbracht, sind die
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Dorfbrunnenfest Betzenrod die Grüße „seiner Kandidatin“ überbracht, sind die
Angaben des Klägers zureichend konkret. Dieses Vorbringen führt dennoch nicht
zum Erfolg der Klage, weil insoweit eine unzulässige Wahlbeeinflussung nicht
vorliegt, die auf das Ergebnis der Bürgermeisterwahl von Einfluss gewesen sein
kann.
Nach § 50 Nr. 2 KWG muss die Wiederholung der Wahl angeordnet werden, wenn
beim Wahlverfahren Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die auf das Ergebnis
von Einfluss gewesen sein können. Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren, zu
dem nicht nur der formaltechnische Ablauf der Wahl, sondern auch die
Wahlvorbereitung einschließlich der Wahlwerbung gehört (vgl. VG Gießen, HSGZ
2002, 75, 76), liegen vor, wenn gemeindliche Organe unter Verletzung der ihnen
im Kommunalwahlkampf auferlegten Neutralitätspflicht zu Gunsten bestimmter
Bewerber durch öffentliche Auftritte, Anzeigen, Wahlaufrufe, gemeindliche
Öffentlichkeitsarbeit oder sonstige amtliche Verhaltensweisen unzulässige
Wahlbeeinflussung begehen (BVerwGE 118, 101, 102; Hess. VGH, HSGZ 2005,
387, 391 m.w.N.).
Einem Bürgermeister als kommunaler Behörde ist während des gesamten
Wahlverfahrens jede Art von Wahlbeeinflussung untersagt; er muss insoweit strikte
Neutralität wahren (vgl. BVerwGE 104, 323, 326). Allerdings ist es auch einem
Bürgermeister gestattet, sich am Wahlkampf mit Auftritten, Anzeigen,
Wahlaufrufen oder sonstigen Aktivitäten zu beteiligen. Derartige
Meinungsäußerungen dürfen jedoch nicht in amtlicher Eigenschaft erfolgen. Denn
dann verletzen sie die einem Bürgermeister obliegenden Neutralitätspflicht und
sind deshalb unzulässig (BVerwGE 104, 323, 326; Hess. VGH, HSGZ 2005, 387,
391 f.; HSGZ 2003, 345). Die Grenzen zulässiger Betätigung werden dann
überschritten, wenn ein Bürgermeister in amtlicher Eigenschaft Wahlempfehlungen
ausspricht oder das ihm aufgrund seiner amtlichen Tätigkeit zufallende Gewicht
und die ihm kraft seines Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten in einer Weise
nutzt, die mit seiner, der Allgemeinheit verpflichtenden Aufgabe, unvereinbar ist
(vgl. BVerwGE 104, 323, 327; Hess. VGH, ESVGH 49, 167, 170). Die bloße
Verwendung der Bezeichnung „Bürgermeister“ bedeutet allerdings noch keinen
Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, denn kommunale Wahlbeamte dürfen auch
im Wahlkampf ihre Amtsbezeichnung verwenden (Hess. VGH, HSGZ 2005, 387,
392 m. w. N.).
Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe vermag die Kammer eine Verletzung der
dem früheren Bürgermeister im Kommunalwahlkampf auferlegten
Neutralitätspflicht nicht festzustellen. Die im Wahlprospekt der Beigeladenen
abgedruckte Äußerung des früheren Bürgermeisters enthält keinen Hinweis
darauf, dass der frühere Bürgermeister seinen Aufruf, die Beigeladene zu
unterstützen, in amtlicher Eigenschaft abgegeben hat. Weder ist die Rede von
amtlichen Tätigkeiten noch wird Bezug genommen auf die Aufgaben, die der
Bürgermeister wahrzunehmen hat. Dass dieser seine Amtsbezeichnung im
Wahlprospekt verwendete, ist nach den oben gemachten Ausführungen rechtlich
nicht zu beanstanden.
Die Äußerung des früheren Bürgermeisters beim „Countryfest“ in Einartshausen:
„Ich muss also die Kandidatin von meiner Seite, die ich vorgeschlagen habe, Frau
C., entschuldigen“, führt - unterstellt, die Äußerung sei so gefallen - ebenfalls nicht
zum Erfolg der Klage. Auch wenn die erkennende Kammer davon ausgeht, dass
der frühere Bürgermeister diesen Satz bei seiner Ansprache, folglich in amtlicher
Eigenschaft, ausgesprochen, und die ihm insoweit kraft Amtes gegebene
Einflussmöglichkeit genutzt hat, ist diese Äußerung bei objektivem Verständnis
nicht geeignet, unmittelbar auf die Wahlentscheidung der Wähler einzuwirken. Der
Wähler soll nämlich nur von solchen Beeinflussungen bewahrt sein, die seine
Entscheidungsfreiheit (manipulativ) beeinträchtigen könnten (BVerwGE 118, 101,
108). Das ist bei der vom Kläger beanstandeten Äußerung deswegen nicht der Fall,
weil für jedermann in der Stadt A-Stadt klar ersichtlich war, dass der Bürgermeister
als Mitglied der SPD die Beigeladene, die ebenfalls Mitglied der SPD ist, schon der
bloßen Parteizugehörigkeit wegen unterstützt und vorgeschlagen hatte. Darüber
hinaus war die Äußerung - anders als zum Beispiel eine schriftlich verlautbarte
Aussage - nur flüchtiger Natur, ohne dass ihr weiteres Gewicht durch den früheren
Bürgermeister beigemessen oder dass sie im Kontext einer das Amt des
Bürgermeisters hervorhebenden weiteren Formulierung gemacht wurde. Da die
Bemerkung ersichtlich beiläufig und auf einem Dorffest fiel, ist davon auszugehen,
dass sie von nur wenigen Besuchern bewusst wahrgenommen wurde.
47 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Erstattungspflicht
hinsichtlich der Kosten der Beigeladenen folgt aus § 162 Abs. 3 VwGO. Es
entspricht der Billigkeit, dem Kläger auch diese Kosten aufzuerlegen, da sich die
Beigeladene durch Stellung eines eigenen Antrages ebenfalls dem Kostenrisiko
ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs 3 VwGO). Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf
§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.