Urteil des VG Gießen vom 09.01.1997

VG Gießen: wichtiger grund, ausbildung, universität, unverzüglich, erkenntnis, erlass, biologie, rechtswissenschaft, wohnung, jura

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Gericht:
VG Gießen 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 G 1783/96
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 7 Abs 3 BAföG
Leitsatz
Ein Studierender kann sich auf einen Eignungsmangel oder Neigungswandel als
wichtigen Grund für einen Fachrichtungswechsel nicht berufen, wenn er seiner
Obliegenheit nicht nachkommt, einen eventuellen Eignungsmangel oder
Neigungswandel rechtzeitig zu erkennen und die daraus sich ergebenden
Folgerungen unverzüglich zu ziehen.
Der Studierende muß sich vor und während der Ausbildung gewissenhaft daraufhin
prüfen, ob er den zu erwartenden Anforderungen voraussichtlich gewachsen sein wird,
um einen eventuellen Eignungsmangel zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen
und, sobald ernsthafte Zweifel an seiner Neigung für ein bestimmtes Studienfach
aufkommen, sich nachhaltig Gewißheit hierüber verschaffen und die
notwendigen Konsequenzen hieraus unverzüglich ziehen.
Die Anforderungen an den Studierenden sind dabei um so höher, je länger die
Ausbildung bereits betrieben worden ist.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der
einstweiligen Anordnung, ihm nach mehrfachem Fachrichtungwechsel weiterhin
Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu
gewähren.
Der Antragsteller nahm im Wintersemester 1993/94 an der Universität G. das
Studium der Biologie auf. Hierfür gewährte ihm der Antragsgegner durch Bescheid
vom 30.9.1993 Ausbildungsförderung für den Zeitraum 10/93 bis 9/94.
Zum Wintersemester 1994/95 wechselte der Antragsteller zur Fachrichtung
Sozialwissenschaften. Mit Bescheid vom 19.10.1994 gewährte der Antragsgegner
dem Grunde nach Ausbildungsförderung für dieses Studium mit der Begründung,
der Fachrichtungswechsel sei in der Anfangsphase des Studiums erfolgt und
bewilligte mit Bescheiden vom 30.9.1994 und 30.11.1995 Ausbildungsförderung für
die Zeiträume 10/94 bis 9/95 und 10/95 bis 9/96.
Zum Sommersemester 1996 wechselte der Antragsteller in die Fachrichtung
Rechtswissenschaft und beantragte mit Schreiben vom 20.5.1996 die
Genehmigung dieses Fachrichtungswechsels. Im Laufe des dritten Fachsemesters
habe er festgestellt, dass das Studium der Sozialwissenschaften nicht seinen
Neigungen entspreche. Im Anschluss an seinen Wechsel von der Biologie zur
Sozialwissenschaft sei er psychisch stark belastet und aufgrund selektiver
Wahrnehmung außerstande gewesen, eine objektive Einschätzung seiner Neigung
für dieses Studienfach zu gewinnen. Erst im Verlauf des dritten Semesters sei ihm
dies in Gesprächen klar geworden.
Mit Bescheiden vom 31.5.1996 bewilligte der Antragsgegner Ausbildungsförderung
in der ursprünglichen Höhe nur noch für den Zeitraum 10/95 bis 3/96, setzte die
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in der ursprünglichen Höhe nur noch für den Zeitraum 10/95 bis 3/96, setzte die
Höhe der Ausbildungsförderung für den Zeitraum 4/96 bis 10/96 nunmehr auf 0,00
DM fest und forderte die überzahlten Beträge zurück. Mit Bescheid vom 28.6.1996
lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Fachrichtungswechsel ab. Der
Antragsteller habe seine Ausbildung nach Erkenntnis seiner fehlenden Neigung für
das Studium der Sozialwissenschaften nicht sofort beendet. Dies ergebe sich
schon daraus, dass er sich für die Fachrichtung Jura spätestens Ende 1995 bei der
ZVS habe bewerben müssen, er diesen Fachrichtungswechsel aber erst am
22.4.1996 dem Antragsgegner mitgeteilt habe.
Der Antragsteller legte am 31.7.1996 Widerspruch ein. Im Zeitpunkt seiner
Bewerbung bei der ZVS sei er sich noch gar nicht sicher gewesen, ob er die
Fachrichtung wechseln wollte. Sein Erkenntnisgewinnungsprozess sei erst am
14.2.1996 abgeschlossen gewesen, als er sich im Studiengang
Rechtswissenschaften eingeschrieben habe. An der unverzüglichen Mitteilung des
Fachrichtungswechsels sei er aus persönlichen Gründen, u.a. wegen seines
Umzugs in eine andere Wohnung, gehindert gewesen.
Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Bescheid vom 5.11.1996 zurück. Der
Antragsteller habe in seinem 2. und 3. Studiensemester im Fach
Sozialwissenschaften keine Leistungsnachweise erworben. Diese Schwierigkeiten,
den Leistungsanforderungen gerecht zu werden, habe der Antragsteller zum
Anlass nehmen müssen, sich über seine beruflichen Ziele klar zu werden.
Am 5.12.1996 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung
beantragt. Er verfüge nicht über die finanziellen Mittel, um die Entscheidung in der
Hauptsache abzuwarten. Schon im ersten Semester seines
Sozialwissenschaftsstudiums habe er einige Proseminare nicht besuchen können,
da diese völlig überlaufen gewesen seien, im zweiten Fachsemester habe er aus
demselben Grund überhaupt keinen Seminarschein machen können. Er habe auf
der Suche nach einem Nebenfach die Fachbereiche Erziehungswissenschaften,
Rechtswissenschaft, Geografie besucht. Im zweiten Fachsemester habe er auf
diese Weise festgestellt, dass seine Neigung für dieses Fach sehr groß sei. Auf
Anraten von Freunden habe er sich Ende 1995 bei der ZVS beworben, zunächst in
der Absicht, ein Doppelstudium zu beginnen. Erst in der vorlesungsfreien Zeit im
März 1996 habe er soviel Objektivität erlangt um zu erkennen, dass er das völlig
Falsche studiere. Bis dahin habe er nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür
gehabt.
Er beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm
ab 5.12.1996 für sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität G.
vorläufig Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist er auf seinen Ausgangs- und Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach - und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der Behördenakte (1 Hefter) Bezug genommen, die zum
Gegenstand der Beratung und der Entscheidung gemacht wurden.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Der Antragsteller hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123
Abs. 1 S. 2 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch nicht gemäß § 123 Abs. 3
VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.
Nach der im Anordnungsverfahren nur gebotenen und möglichen summarischen
Prüfung steht ihm kein Anspruch auf Gewährung von Ausbildungsförderung für das
von ihm im Sommersemester 1996 an der Universität G. begonnene Studium der
Rechtswissenschaften zu, da er sich für den Fachrichtungswechsel vom
Studiengang Sozialwissenschaften zum Studiengang Rechtswissenschaften nicht
auf einen Neigungswandel oder einen Eignungsmangel berufen kann, der als
wichtiger Grund gem. § 7 Abs. 3 S. 1 BAföG in Betracht käme.
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Mit der Aufnahme des Studiums der Rechtswissenschaften zum Sommersemester
1996 hat der Antragsteller einen Fachrichtungswechsel i.S.v. § 7 Abs.3 S.3 BAföG
vorgenommen, da er nunmehr das Ziel des förderungsfähigen
Ausbildungsabschnittes in einer anderen als der zuletzt eingeschlagenen
Fachrichtung anstrebt.
Für diesen Fachrichtungswechsel kann sich der Antragsteller nicht auf einen
wichtigen Grund berufen. Ein wichtiger Grund für einen Fachrichtungswechsel gem.
§ 7 Abs.3 S.1 BAföG ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller im
Rahmen der Ausbildungsförderung erheblichen Umstände, die sowohl durch die
am Ziel und Zweck der Ausbildungsförderung orientierten öffentlichen Interessen
als auch durch die Interessen des Auszubildenden bestimmt werden, dem
Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nicht mehr zumutbar
ist (Vgl. BVerwG, Urteile v. 4.9.1980, -BVerwG 5 C 53.78-, Buchholz 436.36 § 7
BAföG Nr. 16; v. 9.6.1983, -BVerwG 5 C 122.81-, BVerwGE 67, 250, 253; v.
25.10.1989 -BVerwG 5 C 25.86-, Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 88, Urt. v.
23.2.1994 - 11 C 10/93 -).
Diese Unzumutbarkeit kann sich zum einen aus einem ernstzunehmenden
Neigungswandel ergeben, soweit der Auszubildende vor Aufnahme der Ausbildung
davon ausgegangen ist, das zunächst gewählte Fach entspreche seinen
Neigungen (BVerwG, Urteil vom 13.10.1983, Buchholz 436.36 § 7 Nr.41, Urteil vom
27.3.1980, Buchholz 3 436.36 § 7 Nr.15). Dabei wird jedoch dem Auszubildenden
entsprechend seinem Ausbildungsstand und Erkenntnisvermögen zugemutet,
Gründe, die der Fortsetzung seiner Ausbildung entgegenstehen, zum
frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und ihnen rechtzeitig zu begegnen
(BVerwG; Urt. v. 6.9.1979 -BVerwG 5 C 12.78 -, FamRZ 80, 292; Urt. v. 13.10.1983,
Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 41; Ramsauer/Stallbaum, BAföG , § 7 Rn. 52). Ihm
obliegt die Verpflichtung, sobald ernsthafte Zweifel an seiner Neigung aufkommen,
sich Gewissheit hierüber zu verschaffen und die notwendigen Konsequenzen
hieraus zu ziehen (Rothe/Blanke, BAföG, § 7 Anm. 36.7). Die Anforderungen an
das Vorliegen eines wesentlichen Grundes steigen mit der Dauer des
Ausbildungsverhältnisses (BVerwG, Urt. v. 12.2.1976 - BVerwG V C 86.74,
BVerwGE 50, 161, 165). Je länger die abgebrochene Ausbildung betrieben worden
ist, desto höhere Anforderungen sind an das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu
stellen (Vgl. Hess. VGH, NVwZ 1988, 856 u. Beschl. v. 10.9.1990, 9 TP 2068/89).
Soweit der Antragsteller vorträgt, zum Ende seines 3. Fachsemesters sei bei ihm
ein Neigungswandel vom Fach Sozialwissenschaften hin zum Fach
Rechtswissenschaften eingetreten bzw. ihm bewusst geworden, hat er schon
diesen Neigungswandel als Erkenntnisvorgang im einzelnen nicht inhaltlich
nachvollziehbar dargestellt. Die konkreten Gründe, die aus seiner Sicht dem
weiteren Studium der Sozialwissenschaften entgegenstanden und stattdessen für
ein Studium der Rechtswissenschaften sprachen, sind aus seinem Vortrag nicht
ersichtlich. Das tatsächliche Vorliegen eines solchen Neigungswandels ist somit
zumindest zweifelhaft, kann aber im Rahmen des vorliegenden Verfahrens letztlich
dahinstehen.
Denn der Antragsteller hat nach seiner eigenen Schilderung von seinem ersten
Fachsemester in Sozialwissenschaften an entgegen seiner diesbezüglichen
Verpflichtung keine erkennbaren Anstrengungen unternommen, sich seiner
Studien- und Berufsneigungen bewusst zu werden. Die Anforderungen an die
eigenen Aktivitäten des Antragstellers, mit dem Ziel, sich nunmehr nachhaltig und
eindeutig Klarheit über die für ihn richtige Studienfachwahl zu verschaffen, sind hier
um so strikter anzusetzen, als sich der Antragsteller im Zeitpunkt seines
neuerlichen Fachrichtungswechsels zu den Rechtswissenschaften - bezogen auf
sein gesamtes Studium und die damit von ihm für die Studienwahl insgesamt in
Anspruch genommenen Bedenkzeit - am Ende seines 5. Studiensemesters
befand.
Der Antragsteller hat sich stattdessen während seiner drei
Sozialwissenschaftssemester im wesentlichen mit Nebenfächern aus anderen
Fachrichtungen beschäftigt und die Sozialwissenschaften nicht oder nur am Rande
betrieben. Da der Antragsteller in dem fraglichen Zeitraum sich überwiegend nicht
den Inhalten der Sozialwissenschaften widmete, konnte er naturgemäß auch keine
begründete Einsicht in seine Neigung zum Fach Sozialwissenschaften gewinnen.
Soweit er seiner Lebensplanung infolgedessen ein Zerrbild des
Sozialwissenschaftsstudiums zugrundelegte, geht dies rechtlich allein zu seinen
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Sozialwissenschaftsstudiums zugrundelegte, geht dies rechtlich allein zu seinen
Lasten. Angesichts der ihm obliegenden Verpflichtungen kann ihm schlechterdings
kein - überwiegend aus öffentlichen Geldern finanzierter - Zeitraum von 5
Studiensemestern allein für die Wahl des für ihn richtigen und geeigneten
Studienfaches zugebilligt werden.
Erhebliche Umstände i.S.d. § 7 Abs.3 BAföG können im übrigen auch aus einem
Eignungsmangel, also aus fehlender intellektueller, psychischer oder körperlicher
Eignung für die ursprünglich aufgenommene Ausbildung herrühren (Rothe/Blanke,
BAföG § 7 Anm. 36.1; vgl. auch Tz. 7.3.9 BAföGVwV). Darunter sind Umstände zu
verstehen, die den Auszubildenden an der Durchführung der Ausbildung oder der
späteren Berufsausübung in wesentlichem Umfang hindern. Der Antragsteller hat
sich auf einen Eignungsmangel für das Studium der Sozialwissenschaften
ausdrücklich nicht berufen. Es mag dahinstehen, ob das Nichterbringen von
Studienleistungen und die nach Schilderung des Antragstellers hierzu führenden
Umstände eher für einen Eignungsmangel als für den geltend gemachten
Neigungswandel sprechen. Denn auch ein Eignungsmangel kommt als wichtiger
Grund nur in Betracht, wenn er nicht schon bei Aufnahme der Ausbildung oder
früher in deren Verlauf erkennbar gewesen ist. Der Auszubildende muss sich vor
und während der Ausbildung gewissenhaft daraufhin prüfen, ob er den zu
erwartenden Anforderungen voraussichtlich gewachsen sein wird, um einen
eventuellen Eignungsmangel zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen
(BVerwG, Urt. v. 6.9.1980 - 5 C 12.78 -, FamRz 1980, 292, 294). Auf Zweifel an
seiner Eignung muss der Auszubildende unverzüglich reagieren und bei Erkenntnis
seiner Ungeeignetheit die sich daraus ergebenden Konsequenzen ziehen (BVerwG,
Urt. v. 6.9.1979 - BVerwG 5 C 12.78-, FamRZ 80, 292, 294; Ramsauer Stallbaum,
BAföG § 7 Rd. 50). Dabei ist dem Erkennen der Nichteignung der Fall
gleichzusetzen, dass der Auszubildende seine Nichteignung hätte erkennen
müssen (Hess. VGH, Beschluss v. 3.11.1986 - 9 TG 529/84, FamRZ 88, 218). Der
Antragsteller hat indessen - wie oben dargestellt - keine feststellbaren
Anstrengungen unternommen, seine Eignung für das Studium der
Sozialwissenschaften schnellstmöglich zu ergründen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.