Urteil des VG Gießen vom 07.03.2003

VG Gießen: kosovo, serbien und montenegro, aufschiebende wirkung, örtliche polizei, unhcr, provinz, bundesamt, bewegungsfreiheit, gemeinde, abschiebung

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Gericht:
VG Gießen 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 G 503/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 51 Abs 1 AuslG 1990, § 80
Abs 5 VwGO, § 75 AsylbLG
(Kosovo - Istok - relativ gute Sicherheitslage für Bosniaken
und Slawen)
Tatbestand
Der Antragsteller wurde am ...1983 in dem Ort Dobrusa in der Gemeinde Istok in
der damals jugoslawischen Provinz Kosovo geboren. Am 22.11.2002 beantragte er
ebenso wie seine Eltern und Geschwister in Deutschland Asyl. Als
Staatsangehörigkeit gab er Jugoslawien an, als Volkszugehörigkeit und als Religion
Moslem, als Sprache Serbokroatisch und als letzten Wohnort im Heimatland
seinen Geburtsort Dobrusa. Bei seiner Anhörung im Dezember 2002 sagte er,
seine Familie sei mit ihm im Februar 1999 nach Rozaje in Montenegro gegangen.
Im Juni 1999 seien sie mit einem Kombi-Bus nach Deutschland eingereist. Er sei
Bosniake und könne kein Albanisch sprechen.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge traf mit Bescheid
vom 10.02.2003 in dem Asylverfahren des Antragstellers folgende Entscheidung:
Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter wird als offensichtlich
unbegründet abgelehnt.
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes liegen
offensichtlich nicht vor.
Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes liegen nicht vor.
Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb
einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der
Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, wird er in die Bundesrepublik
Jugoslawien (Kosovo) abgeschoben. Der Antragsteller kann auch in einen anderen
Staat abgeschoben werden, in den er einreisen darf oder der zu seiner
Rückübernahme verpflichtet ist.
In den Gründen des Bescheides heißt es unter anderem, muslimisch slawische
Volkszugehörige unterlägen weder in der Provinz Kosovo noch in
Serbien/Montenegro einer staatlichen Verfolgung. Soweit der Antragsteller geltend
mache, als Angehöriger der slawischen Muslime im Kosovo Übergriffen der
albanischen Bevölkerung ausgesetzt zu sein, berufe er sich auf eine Gefährdung
einer gesamten Bevölkerungsgruppe. Die allgemeine Situation der slawischen
Muslime im Kosovo stelle keine extreme konkrete Gefährdung für jeden einzelnen
dar, wie dies für die Annahme eines Abschiebungshindernisses im Sinne der § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG erforderlich sei. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 34
Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG erlassen.
Der Bescheid wurde an die bevollmächtigten Anwälte des Antragstellers am
17.02.2003 zur Post gegeben. Am 21.02.2003 hat der anwaltlich vertretene
Antragsteller mit Schriftsatz vom 20.20.2003 Klage erhoben (9 E 504/03.A) und
den vorliegenden Antrag gestellt. Seine Anwälte bringen vor, gegenüber der
bosniakischen Volksgruppe sei der Grad an Bedrohung und Einschüchterung
weiterhin relativ hoch. Die Situation könne nicht einheitlich für den Kosovo erfasst
werden, sondern könne nur von Ort zu Ort und in Abhängigkeit von den jeweiligen
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werden, sondern könne nur von Ort zu Ort und in Abhängigkeit von den jeweiligen
Gegebenheit beurteilt werden. Angehörige der bosnischen Minderheit würden
unter der fragilen Sicherheitslage leiden sowie unter Einschränkungen der
Bewegungsfreiheit und unter der Furcht, durch die Verwendung eines
bosniakischen Dialekts als Serben angesehen zu werden.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20.02.2003 gegen den Bescheid
der Antragsgegnerin vom 10.02.2003 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag abzulehnen.
Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die
vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes und auf die den Beteiligten
mitgeteilten Erkenntnisquellen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergeht
gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG durch den Einzelrichter.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, §
75 AsylVfG zulässig als Antrag auf Antrag der aufschiebenden Wirkung der Klage
gegen die verfügte Abschiebungsandrohung.
Der Antrag ist unbegründet. Das Bundesamt hat mit dem angefochtenen
Bescheid vom 10.02.2003 zu Recht die Asylanträge als offensichtlich unbegründet
abgelehnt, das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verneint
und dem Antragsteller mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung in
die Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) angedroht.
Auf die zutreffenden Gründe des Bescheides wird verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).
Im vorliegenden Eilverfahren und im Klageverfahren sind keine Umstände
vorgebracht worden oder sonst wie ersichtlich, welche die Rechtmäßigkeit des
Bescheides ernsthaft in Frage stellen könnten.
Dem Antragsteller droht in seiner engeren Heimat im Kosovo keine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. In dem Bericht von UNHCR und
OSZE zur Situation ethnischer Minderheiten im Kosovo vom 06.09.1999 (Nr. 50
des Berichts) heißt es, als Folge verstärkter KFOR- Patrouillen habe sich die
Situation der 500 bis 600 moslemischen Slawen im Dorf Dobrusa in der
Stadtgemeinde Istok, das sie nahezu allein bewohnen, verbessert. Gegen sie
gerichtete Plünderungen würden in letzter Zeit abnehmen, aber sie würden noch
immer von den Albanern im südlich von ihnen gelegenen Dorf misstrauisch
beobachtet. Im Herbst des Jahres 1999 waren moslemische Slawen oder
Bosniaken im Heimatgebiet der Antragsteller erheblichen Gefährdungen seitens
der albanischen Bevölkerung ausgesetzt, da sie nicht albanisch sprachen (vgl.
Schweizerische Flüchtlingshilfe Lageübersicht Kosova vom 20.11.1999). In der
Stellungnahme des UNHCR zur Situation der muslimischen Slawen im Kosovo vom
Juli 2000 heißt es, in der Gemeinde Istok/Istog würden noch schätzungsweise 1.100
bis 1.200 moslemische Slawen in acht ethnisch gemischten Dörfern wohnen. Es
gebe Berichte, wonach die örtliche Polizei von einigen verlangt habe, ihre
Ausweispapiere vorzuzeigen, als man sie in der Öffentlichkeit bosniakisch oder
serbokroatisch habe sprechen hören. Eine Gruppe von Bosniaken in Dobrusa (700
Personen) habe angegeben, sehr gute Beziehungen mit ihren kosovo-albanischen
Nachbarn zu haben. Dennoch sei es zu einem Granatanschlag auf ein
bosniakisches Haus gekommen, der glücklicherweise nicht zu Opfern geführt habe.
In dem Bericht von UNHCR und OSZE zur Situation ethnischer Minderheiten im
Kosovo von Oktober 2001 heißt es, dass sich die allgemeine Sicherheitslage für
Minderheitengruppen im Kosovo während des Berichtszeitraums März 2001 bis
August 2001 merklich stabilisiert habe. Im UNHCR-Bericht zur Schutzwürdigkeit
von Personen aus dem Kosovo vom April 2002 heißt es (Nr. 20 und 21 des
Berichts), im Vergleich mit der Situation anderer Minderheitengruppen sei die
Sicherheitssituation für Kosovo-Bosniaken relativ stabil. Doch sei diese
Gemeinschaft mit verschiedenen Formen von Misshandlungen konfrontiert,
einschließlich Einschüchterung, Belästigung und Diskriminierung, sowie
vereinzelten gewaltsamen Zwischenfällen. Die Unmöglichkeit, außerhalb ihrer
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vereinzelten gewaltsamen Zwischenfällen. Die Unmöglichkeit, außerhalb ihrer
Enklaven und benachbarten Gebieten ihre eigene Sprache zu benutzen, ohne
Gefahr zu laufen, für ethnische Serben gehalten zu werden, sei eine Quelle
ständigen Drucks und anhaltender Not. Kosovo-Bosniaken hätten noch keine volle
Bewegungsfreiheit unter sicheren Bedingungen. Diese in dem Positionspapier des
UNHCR vertretene Auffassung wird von dem Auswärtigen Amt in dem ad-hoc
Lagebericht zum Kosovo vom 27.11.2002 geteilt. Dort heißt es, dass sich für die
kosovarischen Bosniaken die Sicherheitslage wesentlich gebessert habe, auch
durch das Engagement von UNMIK und KFOR.
Im Hinblick auf diese relativ gute Sicherheitslage von muslimischen Slawen im
Gemeindegebiet Istok und insbesondere in dem Heimatort des Antragstellers hat
das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.02.2003 zu Recht
entschieden, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes
nicht vorliegen.
Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig aufgrund der §§ 34 und 50 AuslG.
Dass an die Stelle der Bundesrepublik Jugoslawien der Bundesstaat Serbien und
Montenegro getreten ist und dass dem Antragsteller auch die Abschiebung in die
früher jugoslawische Provinz Kosovo angedroht ist, macht die
Abschiebungsandrohung nicht unbestimmt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da er unterliegt (§ 154
Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden in Streitigkeiten nach dem
Asylverfahrensgesetz nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.