Urteil des VG Gießen vom 12.08.2004

VG Gießen: nicht störender gewerbebetrieb, offene bauweise, materielles recht, bebauungsplan, nachbar, upr, gemeinde, bauarbeiten, erlass, versorgung

1
2
3
4
5
Gericht:
VG Gießen 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 G 3087/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 56 BauO HE, § 71 Abs 1 S 1
BauO HE, § 212a BauGB, § 12
BauGB, § 30 Abs 2 BauGB
(Eilrechtsschutz gegen Bestattungsinstitut im allgemeinen
Wohngebiet)
Leitsatz
Zur Zulassung eines Bestattungsinstituts (Pietät) durch einen vorhabenbezogenen
Bebauungsplan nach § 12 BauGB.
Zum Eilrechtsschutz des Nachbarn nach § 123 VwGO gegen ein der
Genehmigungsfreistellung nach § 56 HBO unterfallenden Vorhaben.
Gründe
I. Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks G in der Gemarkung H, das
mit einem Wohnhaus und mit einer Garage bebaut ist; wegen der Einzelheiten wird
auf die Baugenehmigungen vom 27.02.1996 und vom 19.12.1996 Bezug
genommen.
Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks I in der Gemarkung H
(Baugrundstück).
Für das Baugrundstück besteht der am 27.05.2004 von der
Stadtverordnetenversammlung der Stadt H beschlossene und am 24.06.2004
ortsüblich bekannt gemachte Vorhaben- und Erschließungsplan nach § 12 BauGB.
Er setzt für das Baugrundstück Allgemeines Wohngebiet (WA), offene Bauweise,
zwei Vollgeschosse, Grundflächenzahl 0,4, Geschossflächenzahl 0,8 sowie eine
Baugrenze für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses "J" mit zwei
Wohnungen sowie mit Büro-, Lager- und Ausstellungsflächen für die von der
Familie der Beigeladenen betriebene Pietät fest. Im Rahmen der Aufstellung erhob
der Antragsteller keine Bedenken gegen diesen Bebauungsplan.
Mit der "Mitteilung baugenehmigungsfreier Vorhaben nach § 56 HBO" vom
21.06.2004 reichte die Beigeladene bei der Stadt H die erforderlichen Bauvorlagen
für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit Garagen (drei
Stellplätze), Carport (zwei Stellplätze) und zwei Stellplätzen mit jeweils einer
Wohnung im Erd- und im Dachgeschoss sowie mit einem Werkstattraum (für die
Fertigstellung der Särge), einem Vorbereitungsraum (für das Waschen und das
Ankleiden der Toten), Lagerräumen und einem Aufbewahrungsraum (Kühlraum für
die Aufbewahrung von Toten) und diversen kleinen Nebenräumen (Heizung pp.) für
die (seit etwa zwanzig Jahren durch die Familie der Beigeladenen betriebene)
Pietät mit einem Betriebspersonal von drei bis vier Personen im Untergeschoss
sowie mit einem Ausstellungsraum und einem Büroraum im Obergeschoss ein.
Zugleich leitete sie eine Zweitausfertigung an die Bauaufsichtsbehörde des
Antragsgegners. Mit den Bauarbeiten sollte Anfang August 2004 begonnen
werden.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.07.2004 legte der Antragsteller beim
Antragsgegner "Einspruch gegen die Erteilung der Baugenehmigung" ein; mit
weiterem anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2004 beantragte er beim
Antragsgegner Akteneinsicht. Am 30.07.2004 fand ein Gespräch des
Antragstellers und seines Bevollmächtigten mit der Unteren Bauaufsichtsbehörde
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Antragstellers und seines Bevollmächtigten mit der Unteren Bauaufsichtsbehörde
des Antragsgegners statt, bei dem diese die Sach- und Rechtslage erläuterte; zu
einem Einschreiten erklärte sie sich nicht bereit.
Mit anwaltlichem Telefax vom 03.08.2004, auf das Bezug genommen wird, hat der
Antragsteller um Eilrechtsschutz nachgesucht. Er ist der Auffassung, dass es sich
um einen im Allgemeinen Wohngebiet nicht zulässigen nicht nur der Versorgung
des Gebiets dienenden und störenden Handwerksbetrieb - es seien "unerträgliche
Geruchsbelästigungen" durch Verwesungsgerüche zu befürchten - handelt.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
gegenüber der Beigeladenen bezüglich deren vorgenannten Bauvorhaben "J" die
Baueinstellung anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt mit Schreiben vom 10.08.2004, auf das Bezug
genommen wird,
den Antrag abzulehnen.
Die Beigeladene äußert sich nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakten des Antragsgegners (vier
Hefter) sowie des vorgenannten vorhabenbezogenen Bebauungsplans samt
Aufstellungsunterlagen Bezug genommen.
II. Der Antrag auf Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.
1 Satz 2 VwGO auf Verpflichtung des Antragsgegners, gegenüber der
Beigeladenen bezüglich deren Bauvorhaben "J" die Baueinstellung anzuordnen, ist
zulässig, aber unbegründet.
Anders als bei den Fällen, in denen der Bauherrschaft eine Baugenehmigung
erteilt wurde (vgl. die §§ 54, 57, 58, 64 HBO), kann der Nachbar bei - hier nach § 56
HBO - baugenehmigungsfreien Vorhaben keinen Verwaltungsakt (§ 35 Satz 1
HVwVfG) mit Widerspruch (§ 68 VwGO) und Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO)
anfechten sowie die verwaltungsgerichtliche Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs (§ 80a Abs. 3 VwGO, § 212a BauGB) und ggfs. als
Sicherungsmaßnahme für diese Anordnung die Baueinstellung (§ 80a Abs. 3 i.V.m.
§ 80a Abs. 1 Nr. 2 a.E.) erreichen. Da es in den Fällen der
Genehmigungsfreistellung nach § 56 HBO keinen angreifbaren Verwaltungsakt
gibt, kann der Nachbar nur bei der Bauaufsichtsbehörde eine Baueinstellung nach
§ 71 HBO beantragen und bei Erfolglosigkeit die Verpflichtung der
Bauaufsichtsbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zum
Erlass einer solchen Baueinstellungsanordnung begehren (vgl. Hornmann,
Hessische Bauordnung, Kommentar, § 56 Rn. 120 ff.).
Durch die Einführung der Genehmigungsfreistellung nach § 56 HBO ist das bisher
für die ihm unterfallenden baulichen Anlagen weitestgehend bestehende
Baugenehmigungsverfahren nach den §§ 62 ff. HBO 1993 abgelöst worden. Durch
die Einführung dieser Genehmigungsfreistellung wurde jedoch nicht eine fehlende
bodenrechtliche bzw. nachbarrechtliche Relevanz der § 56 HBO unterfallenden
baulichen Anlagen zum Ausdruck gebracht, wie dies für die in Anlage 2 zu § 55
HBO aufgeführten Vorhaben typisch ist. Die bauplanungsrechtliche Relevanz
kommt vielmehr nachhaltig dadurch zum Ausdruck, dass es sich nach § 56 Abs. 2
Nr. 1 und Nr. 2 HBO um Vorhaben handeln muss, die im Geltungsbereich eines
qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans und in Übereinstimmung
mit den Festsetzungen desselben realisiert werden sollen. Deshalb muss die der
Bauaufsichtsbehörde in § 71 Satz 1 HBO eingeräumte Befugnis zur Verhinderung
des Baubeginns und zur Einstellung einer bereits begonnenen Bauausführung als
Ausgleich für das fehlende präventive Baugenehmigungsverfahren verstanden
werden. Im Fall der Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens hat es aber
der von dem Bauvorhaben betroffenen Nachbar in der Hand, im Wege des
Widerspruchs (§ 68 VwGO) und der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) die
Baugenehmigung zu beseitigen und nach § 80a Abs. 3 VwGO ihre Ausnutzbarkeit
zu verhindern, sofern diese nachbarschützende Vorschriften (Abwehrrechte)
verletzt, ohne dass weitere zusätzliche Bedingungen erfüllt sein müssen. Diese
kompensatorische Funktion kann § 71 Satz 1 HBO im Hinblick auf die Interessen
der Nachbarn nur dann erfüllen, wenn keine zu hohen Anforderungen an die
16
17
18
19
20
21
der Nachbarn nur dann erfüllen, wenn keine zu hohen Anforderungen an die
Ermessensreduzierung auf Null gestellt werden (grdl. VGH Baden-Württemberg,
NVwZ-RR 1995, 490; Hornmann, a.a.O., § 56 Rn. 142; vgl. auch Bayerischer VGH,
NVwZ 1997, 923). Dies wird dadurch bestätigt, dass es die Gemeinde mit einer
Erklärung nach § 56 Abs. 2 Nr. 5 HBO - hier wurde sie nicht abgegeben - in der
Hand hat, dass ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden muss (vgl.
VG München, NVwZ 1997, 928; Hornmann, a.a.O., § 56 Rn. 142).
Die Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO dient der Sicherung
eines gefährdeten Rechts, das dem Antragsteller (Nachbarn) zustehen muss, und
zu dessen Gunsten die Anordnung ergehen soll (Anordnungsanspruch).
Sicherungsfähig sind alle Ansprüche, die Gegenstand einer Verpflichtungsklage
sein können. Dazu zählt der Anspruch auf behördliches Einschreiten.
Befugnisnorm (Ermächtigungsgrundlage) für die geforderte bauaufsichtliche
Baueinstellung ist § 71 Abs. 1 Satz 1 HBO. Nach dieser (abschließenden) Vorschrift
kann die (nach § 52 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 HBO i.V.m. der
Aufgabenzuweisungsnorm des § 53 Abs. 2 Satz 1 HBO zuständige untere)
Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche Anlagen oder andere Anlagen oder
Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HBO im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen
Vorschriften errichtet, geändert, abgebrochen oder beseitigt werden, die
Einstellung der Arbeiten anordnen.
Ein streitiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl.
Hornmann, a.a.O., § 56 Rn. 123 m.w.N.) wurde mit dem Schreiben des
Antragstellers vom 22.07.2004 an den Antragsgegner, mit dem er sinngemäß ein
bauaufsichtsbehördliches Einschreiten des Antragsgegners begehrt hat, und
nachdem das diesbezügliche Gespräch mit der Unteren Bauaufsichtsbehörde des
Antragsgegners vom 30.07.2004 erfolglos geblieben ist, begründet.
Der Anordnungsgrund im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist aufgrund des
Beginns der Bauarbeiten gegeben, da die Gefahr besteht, dass die nachbarlichen
Abwehrrechte durchzusetzen ganz erheblich erschwert wird.
Ein Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO besteht jedoch
nicht.
Ein solcher Anspruch auf Tätigwerden der Behörde - hier nach § 71 Satz 1 (s.o.) -
besteht nur, wenn die Voraussetzung für eine Pflicht zum Einschreiten, nämlich
eine Ermessensreduzierung auf Null, gegeben ist, und wenn die jeweilige
Rechtsvorschrift des materiellen Rechts nach ihrem aus dem
Gesamtzusammenhang der Allgemeininteressen zu erschließenden Sinn und
Zweck nicht lediglich Allgemeininteressen, sondern auch solche des betroffenen
Einzelnen wahrt, d.h. ihm ein Abwehrrecht vermittelt und somit nachbarschützend
ist (vgl. Hess. VGH, BauR 2000, 873 u. 1162; Hornmann, a.a.O., § 56 Rn. 131 ff.).
Eine Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge des Anspruchs des Nachbarn
auf Baueinstellung ist gegeben, wenn er in formellen und/oder materiellen
Abwehrrechten verletzt ist. Dies ergibt sich aus den nachstehenden Überlegungen:
Nach § 40 HVwVfG hat die Bauaufsichtsbehörde das ihr solchermaßen
eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben
und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (vgl. § 114 Satz 1 VwGO)
einzuhalten. Folglich hat sich die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde
nach der in § 71 HBO niedergelegten übergeordneten Aufgabe zu richten, nicht
erst nach Abschluss der Bauarbeiten auf ein wegen Verstoßes gegen die
bauordnungsrechtlichen Bestimmungen über das einzuhaltende Verfahren
und/oder gegen materielles Recht illegales Bauvorhaben, sondern sogleich zu
reagieren. Dies bringt die Formulierung der tatbestandlichen Voraussetzung für die
Baueinstellungsanordnung ”werden bauliche Anlagen oder andere Anlagen oder
Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HBO im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen
Vorschriften errichtet, geändert, abgebrochen oder beseitigt” unmissverständlich
zum Ausdruck. Dem der Behörde für Baueinstellungsanordnungen in § 71 HBO
eingeräumten Ermessen ist somit die Tendenz eigen, die im öffentlichen Interesse
grundsätzlich gebotene Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen (sog. intendiertes
Ermessen oder Regelermessen). Es besteht kein Unterschied zur
Ermessensbetätigung beim Nutzungsverbot nach § 72 Abs. 1 Satz 2 HBO, denn es
geht wie dort regelmäßig um die Beachtung formellen Baurechts. Beim Vorliegen
der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 71 HBO ist die Bauaufsichtsbehörde
grundsätzlich zum Einschreiten verpflichtet. Das behördliche Ermessen wird durch
§ 71 Satz 1 HBO nur eröffnet, um in Ausnahmefällen zu ermöglichen, von dem an
22
23
24
25
26
27
28
§ 71 Satz 1 HBO nur eröffnet, um in Ausnahmefällen zu ermöglichen, von dem an
sich gebotenen Einschreiten abzusehen, wenn dies nach den konkreten
Umständen opportun ist. Ausnahmen können insbesondere für Bagatellfälle oder
unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (§§ 3 Abs. 1 Satz 3, 4 HSOG)
gelten. An die Ermessensausübung und deren Begründung sind regelmäßig nur
geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Hess. VGH, BauR 1991, 447 = BRS 50 Nr.
207; BRS 52 Nr. 159; , Beschluss vom 21.03.2000 - 4 ZU 224/00 -; BVerwG, BRS
36 Nr. 93; OVG Thüringen, ThürVBl. 1999, 19 = BauR 1999, 164 = BRS 60 Nr. 168;
NVwZ-RR 2000, 578 = BauR 2000, 719; Bayerischer VGH, BayVBl. 1982, 51 = BRS
38 Nr. 208; OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 1984, 1577; BVerwG, BRS 56 Nr. 203;
Hornmann, a.a.O., § 56 Rn. 136 ff.).
Hier fehlt es jedoch an der Verletzung eines Abwehrrechtes des Antragstellers.
Ein durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO schützbares Abwehrrecht
des Dritten besteht nur, wenn ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des
öffentlichen Rechts verstößt und die Voraussetzungen für eine Abweichung,
Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen und die verletzten Vorschriften auch
zum Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt, also nachbarschützend sind und
durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des
Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschriften geschützten nachbarlichen
Belange eintritt (st. Rspr. der hessischen Verwaltungsgerichte, vgl. z.B. Hess. VGH,
ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780; HSGZ 1993, 22 m.w.N.; vgl. auch Hornmann,
a.a.O., § 72 Rn. 197 f.)
Der Hinweis des Antragstellers, die Voraussetzungen für das
Genehmigungsfreistellungsverfahren nach § 56 HBO hätten nicht vorgelegen, ist
unzutreffend und greift nicht. Denn selbst aus dem Umstand, dass Gemeinde (und
Bauaufsichtsbehörde) unzutreffend von einer Genehmigungsfreistellung nach § 56
HBO ausgegangen sind, kann der Nachbar nichts für sich herleiten. Die
verfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Genehmigungsfreistellung nach §
56 HBO (und über die Baugenehmigungsfreiheit nach § 55 HBO sowie aufgrund
des § 80 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 HBO) begründen keinen Drittschutz (vgl. Hess. VGH,
NVwZ 1997, 89 ; OVG Nordrhein-Westfalen, NuR
2003, 51
BImSchG zu dem regulären Genehmigungsverfahren nach den § 10 ff. BImSchG>;
Hornmann, a.a.O., § 56 Rn. 135). Entgegen der Auffassung des Antragstellers
bedurfte das Vorhaben nach den §§ 4 ff. BImSchG i.V.m. der 4. BImSchV auch
keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.
Ein Abwehrrecht aus bauplanungsrechtlichen Bestimmungen besteht ebenfalls
nicht.
Das Vorhaben der Beigeladenen (§ 29 Abs. 1 BauGB) liegt im Geltungsbereich des
vorgenannten vorhabenbezogenen Bebauungsplans im Sinne des § 12 BauGB.
Das Vorhaben der Beigeladenen ist nach § 30 Abs. 2 BauGB zulässig, da es
diesem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
Insbesondere werden die vorgenannten Festsetzungen dieses
vorhabenbezogenen Bebauungsplans sämtlich eingehalten.
Durchgreifende Bedenken gegen die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit dieses
vorhabenbezogenen Bebauungsplans sind nicht ersichtlich und vorgetragen. Auch
im Rahmen der Aufstellung erhob der Antragsteller keine Bedenken gegen diesen
Bebauungsplan. Die als kleines Familienunternehmen betriebene Pietät
(Bestattungsbetrieb) der Beigeladenen wäre nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als
nicht störender Gewerbebetrieb im Allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise
zulässig und konnte somit mittels vorhabenbezogenen Bebauungsplans
zugelassen werden. Denn eine gebietsunverträgliche Störung des Allgemeinen
Wohngebiets ergibt sich nicht bereits aus der Konfrontation mit dem Tod, da im
Bauplanungsrecht allein insoweit ausschließlich bodenrechtliche relevante
Umstände, nicht subjektive Empfindungen des Einzelnen maßgeblich sind (vgl.
OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ-RR 1998, 621 = BRS 59 Nr. 65; Thüringer OVG,
UPR 2003, 451 = ThürVBl. 2003, 277 = BRS 65 Nr. 86). Zudem werden keine
eigentlichen Tischlerarbeiten verrichtet und werden keine Trauerfeiern abgehalten
(vgl. Thüringer OVG, UPR 2003, 451 = ThürVBl. 2003, 277 = BRS 65 Nr. 86). Auch
ist ein über das im Allgemeinen Wohngebiet zulässige Verkehrsaufkommen
hinausgehendes Verkehrsaufkommen nicht zu erwarten (vgl. Thüringer OVG, UPR
2003, 451 = ThürVBl. 2003, 277 = BRS 65 Nr. 86).
Der Hinweis des Antragstellers, das Vorhaben verstoße gegen § 4 Abs. 2 BauNVO,
28
29
30
31
32
33
Der Hinweis des Antragstellers, das Vorhaben verstoße gegen § 4 Abs. 2 BauNVO,
da es nicht der Versorgung des Gebietes diene und da es sicht nicht um einen
nicht störenden Handwerksbetrieb handele, greift nicht. Nach § 12 Abs. 3 Satz 2
BauGB ist die Gemeinde im Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans bei der
Bestimmung des Vorhabens nicht an die Festsetzungen nach der auf Grund des §
2 Abs. 5 BauGB erlassenen Baunutzungsverordnung gebunden. Sie konnte daher
in dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan einen nicht störenden
Gewerbebetrieb im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulassen.
Auch besteht kein Abwehrrecht aus bauordnungsrechtlichen Bestimmungen.
Insbesondere der nach § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 4 HBO erforderliche
Mindestabstand von drei Metern zum Grundstück des Antragstellers wird
eingehalten.
Anhaltspunkte dafür, dass beim Betrieb der Pietät insbesondere durch
mangelhafte Kühlung der Leichen Immissionen und Emissionen im Sinne der § 22
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 bis 3 BImSchG entstehen, sind nicht ersichtlich und
dargetan. Schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt erhebliche Belästigungen -
dies sind unzumutbare Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen
Wohlbefindens unterhalb der Schwelle der Gesundheitsbeeinträchtigung (vgl. VGH
Baden-Württemberg, VBlBW 1994, 239; Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4
TH 2064/94 -) - für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft durch Leichengeruch
sind nicht zu befürchten. Es ist nichts dafür ersichtlich und dargetan, dass die
Beigeladene auf Grund zwanzigjähriger Berufserfahrung nicht in der Lage sein wird,
dies zu vermeiden. Der Antragsgegner weist zutreffend unter Hinweis auf eine
Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (NVwZ 1988, 847) darauf
hin, dass von der Unzuverlässigkeit von Bestattungsunternehmern und ihres
Personals sowie eines Zurückbleibens hinter den Standards von Leichenhallen auf
Friedhöfen oder in Krankenhäusern grundsätzlich nicht ausgegangen werden kann.
Nach dem Vorstehenden sind keine Gründe für die Verletzung des
nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO)
gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO sowie auf den §§ 162 Abs.
3, 154 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.