Urteil des VG Gießen vom 19.03.2007

VG Gießen: ablauf der frist, gemeinde, raumordnung, klagebefugnis, nachteilige veränderung, bestehende anlage, landschaftsplan, anfechtungsklage, firma, eingriff

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Gericht:
VG Gießen 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 1785/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 28 Abs 2 S 1 GG , § 4
NatSchG HE, § 12 Abs 3 PlanG
HE 2002, § 12 Abs 5 S 2 PlanG
HE 2002, § 35 S 2 VwVfG HE
(Abweichung vom Regionalplan; Abwehrrecht der
betroffenen Gemeinde)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Abweichungsentscheidung der
Regionalversammlung (Beschluss vom 04.05.2006) in der Gestalt des Bescheides
des Regierungspräsidiums D. vom 09.07.2006.
Das Staatliche Umweltamt E. - Bergaufsicht - beantragte beim
Regierungspräsidium D. die Abweichung vom Regionalplan Mittelhessen 2001 für
die Ausweisung eines Bereiches für den Abbau oberflächennaher Lagerstätten für
die geplante Erweiterungsfläche des Diabastagebaus "F." durch die Beigeladene in
der Gemarkung G.
Nach einem entsprechenden Beschluss des Ausschusses für Landwirtschaft und
Umwelt der Regionalversammlung Mittelhessen vom 04.05.2006 ließ das
Regierungspräsidium D. mit Bescheid vom 09.06.2006 die beantragte Abweichung
vom Regionalplan Mittelhessen 2001 gemäß beiliegender Karte Nr. 2 innerhalb der
Abweichungsfläche mit der Maßgabe zu, dass nach dem Ende des Abbaus die
Verfüllung zeitnah abzuschließen und die Rekultivierung durchzuführen ist. Weiter
wurden folgende Hinweise erteilt: 1. In dem nachfolgenden Verfahren sind die
forst- und naturschutzrechtlich erforderlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen
sowie die limnologische Begutachtung verbindlich zu ermitteln und zu regeln.
Dabei ist auch die Zufahrt mit einzubeziehen. 2. Für die Ersatzaufforstungen sind
vorrangig Flächen vorzusehen, die im neuen Regionalplan Mittelhessen, Entwurf
2006, als Vorbehaltsgebiete für Forstwirtschaft ausgewiesen wurden. Diese
Flächen sind in Abstimmung mit Landwirtschaftsverwaltung und Forst festgelegt
worden.
Zur Begründung wurde ausgeführt:
"Der Regionalplan Mittelhessen 2001 weist für die Antragsfläche Folgendes aus:
- Bereich oberflächennaher Lagerstätten
- Waldbereich
- Regionaler Grünzug.
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Die Absicht, die Antragsfläche als Bereich für den Abbau oberflächennaher
Lagerstätten auszuweisen, stellt insoweit eine Abweichung vom Regionalplan
Mittelhessen 2001 dar.
Eine Abweichung, d. h. eine Befreiung von den Zielen des Planes kann gem. § 12
Abs. 3 HLPG zugelassen werden, wenn sie unter raumordnerischen
Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge des Planes nicht berührt
werden.
Das Staatliche Umweltamt E. - Dezernat 44. Bergaufsicht - begründet seinen
Antrag wie folgt:
Die Firma B. betreibt in der Gemarkung G. einen Diabas-Tagebau. Die
Gewinnungsstelle ist seit Anfang der 70er Jahre in Betrieb. Die Größe der
derzeitigen Betriebsfläche beträgt ca. 20 ha. Die durchschnittliche jährliche
Fördermenge liegt bei ca. 200.000-250.000 t. Für das noch verwertbare
Vorkommen in den genehmigten Abbaugrenzen wurde eine Restlaufzeit von ca.
11-18 Jahren ermittelt. Die Erweiterungsfläche ist notwendig, da die geforderten
Edelsplitt-Qualitäten mit dem Gestein innerhalb des genehmigten Abbaus nicht
mehr erfüllt werden können.
Aufgrund von geologischen Untersuchungen ist etwa 1 km nördlich des
vorhandenen Tagebaus die Erweiterungsfläche geplant Die Vorräte in der
Erweiterungsfläche werden auf ca. 4,6 Mio. m
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geschätzt, sodass sich eine
Betriebsdauer von ca. 25-30 Jahren ergibt. Die Möglichkeit der Gewinnung
spezieller Grundstoffe für die Bauindustrie der Region ist aufgrund von
geologischen Erkundungen auf den Antragsbereich beschränkt. Da die
Rohstoffgewinnung räumlich an das Vorkommen der Rohstoffe gebunden ist, kann
nicht auf eine Alternativfläche ausgewichen werden. Dies gilt insbesondere für die
in Deutschland ohnehin seltenen Diabasgesteine. Ein Ausweichen auf einen
anderen Rohstoff ist nicht möglich, da Diabas ein wichtiger Grundstoff für die
Bauindustrie ist.
Durch die beantragte Erweiterungsfläche kann die regionale sowie die
überregionale Bauindustrie (Straßen-, Hoch- und Tiefbau) weiterhin mit dem
wichtigen und vielseitig einsetzbaren Grundstoff versorgt werden Um den
Fortbestand des Steinbruchs und die Rohstoffversorgung im mittelhessischen
Raum zu sichern, ist die geplante Erweiterung dringend notwendig. Nur dadurch
können langfristig Arbeitsplätze im Steinbruch und in der von den Diabasgesteinen
abhängenden Industrie gesichert werden.
Die räumliche Nähe des geplanten Abbaus zu dem bestehenden Abbaubetrieb
bringt ökonomische und ökologische Vorteile. Die vorhandene Infrastruktur und die
Aufbereitungsanlagen können weiter verwendet werden. Die
Flächeninanspruchnahme ist daher geringer. Als Aufbereitungsanlage wird eine
stationäre Brech- und Siebanlage eingesetzt. Eine Änderung der
Aufbereitungsanlage ist nicht erforderlich, sie verbleibt am jetzigen Standort auf
dem bestehenden Abbaugelände.
Der Transport der in der Antragsfläche gewonnenen Rohstoffe soll über einen
Waldweg erfolgen. Dieser würde für die Transportfahrzeuge hergerichtet und
ausgebaut. Eine Optimierung mit anderen alternativen Wegeführungen wird
zwischenzeitlich vom Planungsbüro geprüft. Um den Eingriff zu minimieren, erfolgt
der Abbau und damit auch die Rodung des Waldes abschnittsweise. Für den Sicht-
und Windschutz bleibt ein ausreichend breiter Waldsaum erhalten, da sich das
Betriebsgelände in einem ausgedehnten Waldgebiet befindet. Bannwald ist in
diesem Bereich nicht ausgewiesen. Schutzgebiete sind innerhalb der
Abweichungsfläche nicht vorhanden.
Durch die größere Entfernung zur nächsten Wohnbebauung werden
Beeinträchtigungen der Bevölkerung (Sprengerschütterungen, Lärm, Staub) weiter
gemindert. Die Jahresfördermenge und damit die Abbau- und Transporttätigkeit
bleiben gleich, so dass keine zusätzlichen Auswirkungen durch das Vorhaben zu
erwarten sind.
Im Anhörungsverfahren wurden seitens der Träger öffentlicher Belange folgende
Bedenken und Anregungen zu der Planfläche vorgebracht:
Aus Sicht der Stadt A. wird die Erweiterung nicht befürwortet. Der
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Aus Sicht der Stadt A. wird die Erweiterung nicht befürwortet. Der
Abweichungsantrag stehe in verschiedenen Punkten den Aussagen und
Zielsetzungen des Landschaftsplanes der Stadt A. entgegen. Auch sprechen sich
die Stadtwerke A. gegen die Erweiterung aus, da u. a. die Erfahrung mit dem
Tiefbrunnen H. gezeigt habe, dass sich durch Sprengarbeiten das
Grundwasserdargebot stark absenke und danach nur noch geringe Wassermengen
zur Verfügung stünden. Es werde eine Beeinträchtigung des
Grundwasserdargebots und der Grundwasserqualität befürchtet.
Die Stadt I. erhebt keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Abweichung. Sie
geht allerdings davon aus, dass die Abfuhr des Abraumes über die dargestellte
Zuwegung des Planbereiches und nicht über Gemarkungsflächen I. bzw. der
Stadtteile erfolge. Weiter sei mit einer nachteiligen Veränderung des
Landschaftsbildes zu rechnen, da durch den Abbau die Kuppe des F. zerschnitten
werde. Die Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sollen minimiert werden.
Die Untere Naturschutzbehörde des J.-Kreises ist der Auffassung, dass dem
Aspekt Naturschutz der Vorrang eingeräumt werden solle. Der Abbaubereich
erscheine in seiner Eingriffswirkung besonders stark. Eine massive Störung eines
bisher noch relativ ruhigen Landschaftsbereiches werde befürchtet; ebenso eine
extreme Absenkung des Grundwassers. Durch den beabsichtigten breiten Ausbau
der Betriebsstraße werden massive Beeinträchtigungen der Umgebung erwartet.
Da die Eingriffsfläche einschließlich Betriebsstraße über 10 ha liege, erscheine eine
Umweltverträglichkeitsprüfung unumgänglich.
Die Abteilung Wasser- und Bodenschutz des J.-Kreises hält eine hydrogeologische
Stellungnahme des Hess. Landesamtes für Umwelt und Geologie (HLUG) wegen
einer möglichen Beeinflussung des Tiefbrunnens "H." für erforderlich.
Im H.-Tal und in weiteren Seitentälern sind einige Teichanlagen vorhanden, die aus
oberirdischen Gewässern gespeist werden. Eventuelle Beeinträchtigungen des
Wasserabflusses in diesen Fließgewässern sowie Auswirkungen, die durch den
geplanten Abbau entstehen können, seien im weiteren Verfahren noch zu prüfen.
Von dem Amt für den ländlichen Raum des J.-Kreises wird zu bedenken gegeben,
dass das Hess. Forstgesetz bei Waldrodungen in waldreichen Gebieten eine
Ersatzaufforstung nicht zwingend vorsieht. Es handele sich um eine Kann-
Bestimmung. Sollten trotzdem Ersatzaufforstungsflächen gesucht werden, seien
geeignete Standorte zu suchen, auf denen die landwirtschaftliche Nutzung
aufgegeben wurde. Zu den möglichen Ersatzaufforstungsflächen in den
benachbarten Gemeinden: Die Flächen (insbesondere die in K.) seien nach der
"Richtscheid-Verschneidungskarte" nach ihrer Bodengüte als Bereich für
Landwirtschaft darzustellen.
Das Staatliche Umweltamt E. - Dezernat 41.1, Wasserschutz - stimmt dem
Vorhaben nur zu, wenn durch das HLUG bestätigt wird, dass eine Verunreinigung
des Grundwassers oder eine sonstige nachteilige Veränderung seiner
Eigenschaften nicht zu besorgen ist.
Auch das Dezernat 41.2, Abflussverhältnisse vertritt die Auffassung, dass eine
Verschlechterung des H. und dessen Abflussverhältnisse auszuschließen ist. Die
Antragsunterlagen sollen um entsprechende hydrogeologische und hydrologische
Angaben ergänzt werden und dem HLUG nochmals zur Stellungnahme vorgelegt
werden. Es wird eine limnologische Bestandsaufnahme des H. empfohlen.
Aus Sicht der Oberen Forstbehörde - Dezernat 53.3-F - sind die Antragsunterlagen
überarbeitungs- und ergänzungsbedürftig. Sollte dennoch die Abweichung
zugelassen werden, sollen folgende Nebenbestimmungen aufgenommen werden:
"Über die Genehmigungsfähigkeit des Abbaues wird in den
Fachgenehmigungsverfahren unter Berücksichtigung einer eventuell
durchzuführenden UVP entschieden. Für die Waldrodung ist eine flächengleiche
Ersatzaufforstung zu leisten".
Das Dezernat 51.1 Landwirtschaft fordert, dass eine flächengleiche Kompensation
sowie eine frühzeitige Abstimmung mit der örtlichen Landwirtschaft anzustreben
sei.
Die Obere Naturschutzbehörde - Dezernat 53.3-N - hat keine grundsätzlichen
Bedenken, hält jedoch eine FFH-Verträglichkeitsprognose für sinnvoll.
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Das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG) teilt mit, dass den
hydrogeologischen Aussagen der Planunterlagen in weiten Teilen nicht gefolgt
werden kann. Allerdings sei aufgrund der Lage des geplanten Diabas-Tagebaus an
der Grenze außerhalb des Wasserschutzgebietes für den Tiefbrunnen II H. keine
erheblichen nachteiligen Beeinträchtigungen der betreffenden
Trinkwassergewinnungsanlage zu erwarten. Es seien allerdings gewisse
quantitative Auswirkungen auf den Brunnen nicht mit Sicherheit auszuschließen.
Aus rohstoffgeologischer Sicht reichen die Lagerstättenkenntnisse für den
Nachweis einer abbauwürdigen Diabas-Lagerstätte, insbesondere der
erforderlichen Rohstoffqualitäten nicht aus. Ein Nachweis des Rohstoffvorkommens
bis in die vorgesehene Abbautiefe von bis zu 120m (300 m ü. NN) ist nicht
erbracht. Die bisher durchgeführten Erkundungsarbeiten lassen keine Aussage
hinsichtlich der Rohstoffqualität zu. Eine Massenbilanzierung ist mit den
vorliegenden Daten nicht möglich. Folglich sei die Erkundung der Lagerstätte nicht
ausreichend.
Weiterer Verfahrensablauf:
Nachdem die Frist für die Stellungnahme der Träger öffentlicher Belange am 3.
Januar 2005 endete, fand am 10. Januar 2005 eine Besprechung mit Vertretern
meines Hauses (Regionalplanung und Bergaufsicht), des HLUG, des
Planungsbüros und des Betreibers (Firma B.) statt. In dieser Besprechung wurde
festgestellt, dass der Nachweis der Lagerstätte eine unabdingbare
Zulassungsvoraussetzung ist. Weiter wurde die Durchführung von Kernbohrungen
dringend empfohlen. Grund war, dass der eindeutige und nachvollziehbare
Nachweis der Existenz einer wirtschaftlich gewinnbaren und qualitativ hochwertigen
Gesteinslage bis zur beabsichtigten Abbautiefe nicht durch die bisherigen
Erkundungen vorlag. Auch sollten die Kernbohrungen Aussagen zu den
hydrologischen Verhältnissen innerhalb des Kluftgrundwasserleiters ermöglichen.
Vertreter des HLUG sollten bei der Aufnahme der Bohrkerne anwesend sein bzw.
diese begleiten.
Daraufhin wurde am 16. Februar 2005 das Ruhen des Verfahrens bekannt
gegeben, bis die Ergebnisse der beiden Kernbohrungen vorliegen.
Am 7. Dezember 2005 teilte das HLUG in einer vorläufigen Stellungnahme u.a.
mit: ... "Der Lagerstättennachweis ist mit den durchgeführten Erkundungsarbeiten
erbracht. Im überwiegenden Teil des Planungsgebietes eignet sich der Rohstoff als
Edelsplitt. Weiterhin wurden durch die Kernbohrungen keine schwebenden
Grundwasserstockwerke angetroffen. Quantitative Benachteiligungen aufgrund
eines abbaubedingten Grundwasserabstroms aus dem Einzugsgebiet des
Tiefbrunnens H. sind daher sehr unwahrscheinlich. Durch den geplanten Diabas-
Tagebau sind nach heutigem Kenntnisstand keine Abflussminderungen des
Vorfluters H. zu besorgen. Die Lage des geplanten Abbaus ist viel weiter von dem
Tiefbrunnen entfernt als der bisherige Tagebau. Auswirkungen der Sprengarbeiten
sind daher ebenfalls nicht zu erwarten." ...
In einer weiteren Stellungnahme vom 27. März 2006 schlägt das HLUG aufgrund
der im nordwestlichen Planbereich vorgefundenen schlechteren
Materialeigenschaften des Rohstoffes und der abbautechnisch schwierigeren
Bedingungen eine Verschiebung der Antragsfläche in östliche Richtung vor. Damit
würde ein 80-100m breiter Streifen am Nordwestrand der ursprünglichen
Antragsfläche entfallen und ein ungefähr gleich großer Streifen am Nordost- bzw.
Ostrand angefügt (2-2,6 ha Größe). Dieser Vorschlag, mit dem die Betreiber/Firma
auch zuerst einverstanden war, wurde allen Trägern öffentlicher Belange (TÖB's)
zur kurzfristigen Stellungnahme bis zum 4. April 2006 übersandt. Nach Ablauf der
Frist wurden von den TÖB's keine neuen Bedenken gegen die Verschiebung der
Antragsfläche vorgetragen. Allerdings teilte die Firma des Betreibers (Fa. B.) am 6.
April schriftlich mit, dass sie mit einer Verschiebung der Antragsfläche nicht
einverstanden ist. Nachverhandlungen mit HESSEN-FORST ergäben für die Firma
ungünstigere Konditionen. Sie möchte daher die Antragsfläche in ihrer Lage
belassen.
Raumordnerische Bewertung und Abwägung:
Aufgrund der im Rahmen des Anhörungsverfahrens vorgebrachten Hinweise und
Anregungen stehen bei der raumordnerischen Bewertung der vom Staatlichen
Umweltamt B-Stadt beantragten Abweichung vom Regionalplan Mittelhessen die
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Umweltamt B-Stadt beantragten Abweichung vom Regionalplan Mittelhessen die
Gesichtspunkte Grundwasser und Qualität des Rohstoffes im Vordergrund.
Erforderlichkeit:
In unmittelbarer Umgebung der geplanten Erweiterungsfläche befinden sich zwei
weitere aktive Steinbrüche, in denen ebenfalls Diabas bzw. Dolerit / Pikrit abgebaut
wird. Es ist dies südlich der bestehende Steinbruch der Firma B., die auch diese
Erweiterung betreiben möchte, sowie weiter nördlich bei L. der eines anderen
Betreibers. In beiden Steinbrüchen bestehen Probleme, die
Qualitätsanforderungen für Edelsplitt mit dem zurzeit abgebauten Material erfüllen
zu können.
Durch zwei Kernbohrungen wurde nachgewiesen, dass der anstehende Diabas im
überwiegenden Teil des Planungsgebietes F. diese Qualitätsanforderungen erfüllt.
Gerade unter dem Gesichtspunkt der Standortsicherung der bestehenden
Abbaubetriebe ist die geplante Erweiterung in unmittelbarer räumlicher Nähe zu
diesen zwei bestehenden Abbaubetrieben raumordnerisch vertretbar.
Wasser:
Hinsichtlich des in der Nähe gelegenen Tiefbrunnens H. wurden von Seiten der
Stadtwerke erhebliche Bedenken hinsichtlich Beeinträchtigung von Qualität und
Quantität geäußert. Auch hier konnte im Rahmen der durchgeführten
Kernbohrungen sicher nachgewiesen werden, dass eine Beeinträchtigung nicht zu
befürchten ist. Hierzu gibt es entsprechende Aussagen des Hess. Landesamtes
für Umwelt und Geologie. Außerdem wurde die Fläche so gewählt, dass sie
außerhalb der Wasserschutzzone III des Tiefbrunnens liegt.
Die Forderung des Umweltamtes nach einer limnologischen Begutachtung zur
Beweissicherung des Ursprungszustandes des Monzenbachs auch im Hinblick auf
die Fischteiche wird im Rahmenbetriebsplanverfahren geregelt.
Immissionen:
Insbesondere von Seiten der Bevölkerung des Ortsteils Herbornseelbach wurden
Bedenken geäußert, dass der neue Steinbruch zunehmende
Immissionsbelastungen für den Ortsteil bedingen würde. Objektiv gesehen ist
jedoch die neue Abbaufläche deutlich weiter entfernt von der Ortslage als die
bestehende Anlage, so dass diese Befürchtungen nicht geteilt werden können.
Dies gilt auch deshalb, weil sich, gemäß Antrag, die Fördermenge und der
Transportverkehr auf den öffentlichen Straßen gegenüber dem Ist-Zustand nicht
wesentlich ändern wird.
Naturschutz und Forst:
Unbestritten ist, dass es in diesem relativ wenig beeinträchtigten Waldgebiet durch
den geplanten Neuaufschluss und durch dessen Zufahrt zu Beunruhigungen und
Beeinträchtigungen kommen wird. Bei diesem Bereich handelt es sich jedoch nicht
um die einzigen Waldflächen oder ungestörten Naturräume der umliegenden
Ortschaften. Es grenzen unmittelbar keine Naherholungseinrichtungen oder
sonstige schutzbedürftige Anlagen an. Ein Ausweichen auf andere Naturräume ist
für die örtliche Bevölkerung unproblematisch möglich. Hinzu kommt, dass sich die
Arbeiten und die Materialtransporte auf die Werkszeiten beschränken werden, so
dass insbesondere abends und am Wochenende die Flächen außerhalb des
Abbaugeländes durchaus unbeeinträchtigt für die Naherholung genutzt werden
können.
Mit Beendigung des Abbaus wird auch zeitnah die Rekultivierung stattfinden. Damit
kann sich in absehbarer Zeit ein neuer Lebensraum entwickeln, mit hohem
landschaftsästhetischem und ökologischem Wert.
Die Forderung der Oberen Forstbehörde nach flächengleicher Ersatzaufforstung
wird im nachfolgenden bergrechtlichen Rahmenbetriebsplanverfahren geregelt.
Eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist nicht
gegeben, da seit dem 10. August 2005 nach der UVP-V-Bergbau eine solche nur
für bergbauliche Vorhaben ab 25 ha gilt. Diese Vorschrift und das
Bundesberggesetz sehen vor, dass nur die Größe der Abbaufläche zählt und nicht
die Zuwegung.
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Landschaftsbild:
Eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ist nur geringfügig zu erwarten, da
sich der gesamte Eingriff innerhalb eines Waldgebietes befindet, das keine direkten
Blickbeziehungen von den Ortslagen in die Abbaufläche zulässt.
Dies gilt auch im Hinblick auf die vorgetragenen Bedenken bezüglich der Aussagen
des Landschaftsplans.
FFH-Vorprüfung:
Im Rahmen der Neuaufstellung des Regionalplans Mittelhessen, Entwurf 2006,
wurde für das geplante Abbauvorhaben eine FFH-Vorprüfung in Abstimmung mit
der Oberen Naturschutzbehörde durchgeführt. Das geplante Abbaugebiet
überlagert mit seiner Wirkzone von ca. 2 ha den östlichen Rand des FFH-Gebietes
5215-309 "M.". Es handelt sich dabei um ein reich gegliedertes Vegetationsmosaik
aus Trockenrasen, Felsfluren und Gehölzgruppen sowie naturnahem
Buchenbestand. Die Vorprüfung ergab, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des
maßgeblichen Schutzzweckes nicht zu erwarten ist.
Im Rahmen des bergrechtlichen Rahmenbetriebsplanverfahrens erfolgt eine
vertiefende Prüfung sowohl für die Abbaufläche als auch für die geplante Zufahrt.
In Abstimmung mit der Oberen Naturschutzbehörde können die entsprechenden
Detailprüfungen und die Ermittlung von Ausgleichsmaßnahmen auf das
nachfolgende bergrechtliche Rahmenbetriebsplanverfahren verwiesen werden.
Der Sicherung einer dezentralen Baustoffversorgung sowie dem Erhalt der
bestehenden Arbeitsplätze in der Region N. wird aus Sicht der Raumordnung und
Landesplanung besonderes Gewicht beigemessen. Da nach intensiver Erkundung
der Lagerstätte deren Qualität nachgewiesen wurde und erhebliche nachhaltige
Beeinträchtigungen des Naturraumes ausgeschlossen werden können, stehen der
Abweichung vom Regionalplan - auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von
Natur und Landschaft - keine grundsätzlichen Bedenken entgegen."
Mit Schriftsatz vom 11.07.2006 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, die Genehmigungsvoraussetzungen nach §
12 Abs. 3 HLPG i.V.m. § 11 Abs. 3 HLPG seien nicht erfüllt. Darauf, dass die
Zielabweichung den Leitvorstellungen nach § 1 Abs. 2 ROG und den Grundsätzen
der Raumordnung nach § 2 Abs. 2 ROG gerecht werden müsse, sei nicht
eingegangen worden. Wegen dieses Begründungsmangels nach § 12 Abs. 3 i.V.m.
11 Abs. 3 Nr. 2 b HLPG müsse die Abweichungsentscheidung aufgehoben werden.
Das Abwägungsergebnis sei auch nicht angemessen, denn der Landschaftsplan
der Klägerin (landschaftspflegerisches Leitbild Punkt 4.2) stelle auf den
streitgegenständlichen Flächen "Laubwald trocken" und "Laubwald feucht bis nass"
dar. Ausweislich der Begründung des Regionalplans Mittelhessen 2001 (Punkt B
6.1 bis 6.4, S. 47) erfolge im Zuständigkeitsbereich der kommunalen
Planungsaufgaben die Umsetzung bzw. Konkretisierung der mit dem "regionalen
Grünzug" verbundenen Sicherungs- und Entwicklungsvorstellungen primär über die
Bauleitplanung und die Landschaftsplanung. Die Verknüpfung mit den Freiflächen
im Siedlungsbereich und deren Gestaltung bedeute eine besondere
grünplanerische Aufgabe im Zusammenhang mit der städtebaulichen
Konzipierung und Gestaltung (Bauleitplanung und Landschaftsplanung). Hierauf
gehe die Abweichungsentscheidung unzutreffend ein, wenn darin ausgeführt
werde, dass eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes nur geringfügig zu
erwarten sei, da sich der gesamte Eingriff innerhalb eines Waldgebietes befinde,
das keine direkten Blickbeziehungen von den Ortslagen in die Abbaufläche
zulasse, was auch im Hinblick auf die vorgebrachten Bedenken bezüglich der
Aussagen des Landschaftsplanes gelte. Im Übrigen hätte im Sinne des
Gegenstromprinzips nach § 1 Abs. 3 ROG eine Berücksichtigung der Darstellungen
des Landschaftsplanes der Klägerin stattfinden müssen.
Durch die Abweichungsentscheidung würden auch die Grundzüge des
Regionalplans i.S.d. §§ 11 Abs. 1 ROG, 12 Abs. 3 HLPG berührt. Der Regionalplan
Mittelhessen 2001 bestimme in Punkt B 6.3 - (Z), dass in den Bereichen für den
Waldzuwachs die Vermehrung des Waldbestandes durch Waldneuanlagen und
Gehölzsukzessionen vorzusehen sei. Die Waldfunktionen, insbesondere die
Schutz- und Erholungsfunktion und die Entwicklung schutzwürdiger Waldbiotope
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Schutz- und Erholungsfunktion und die Entwicklung schutzwürdiger Waldbiotope
seien besonders zu fördern. Der Waldbestand sei aufgrund seines hohen Beitrages
zu den Umwelt-, Lebens- und Wirtschaftsverhältnissen besonders zu sichern. Hier
werde in die Grundzüge der Planung aufgrund der Größe des beabsichtigten
Tagebaus so tiefgreifend in das Interessengeflecht der Planung eingegriffen, dass
die Grundzüge der Planung berührt werden. Dazu fänden sich keine
Abwägungsgründe in der Abweichungsentscheidung.
Somit liege eine Verletzung der kommunalen Planungshoheit vor, die neben der
Bauleitplanung auch die Landschaftsplanung umfasse.
Die Klägerin beantragt,
die Abweichungsentscheidung der Regionalversammlung (Beschluss vom
04.05.2006) in der Gestalt des Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom
09.06.2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte führt unter näherer Darlegung aus, dass die
Abweichungsentscheidung unter raumordnerischen Gesichtspunkten nach § 12
Abs. 3 HLPG vertretbar sei und die Grundzüge des Regionalplans nicht berühre.
Die Sicherung und Entwicklung der Freiraumfunktion habe im "Regionalen
Grünzug" Vorrang vor anderen Nutzungsansprüchen, Wesen einer
Abweichungsentscheidung sei aber, wie hier Ausnahmen mit Vertretbarkeit und
Nichtberühren der Grundzüge des Regionalplans zuzulassen. Inzwischen sei der
Abbau als ein in Aufstellung befindliches Ziel im offengelegten Regionalplan-
Entwurf 2006 enthalten und als ein sonstiges Erfordernis der Raumordnung i.S.d. §
3 Ziff. 4 ROG zu berücksichtigen. Der Landschaftsplan der Klägerin könne
planerische Möglichkeiten der Regionalplanung, zu denen auch die Zulassung von
Abweichungen gehöre, nicht verhindern; dies verstieße gegen § 4 Abs. 1 Satz 1
ROG. Vielmehr sei der städtische Landschaftsplan aus dem Regionalplan zu
entwickeln. Im Übrigen habe der Landschaftsplan der Klägerin noch nicht einmal
Gutachtencharakter zur Vorbereitung der Bauleitplanung, sondern stelle lediglich
einen Bericht über den Status quo dar. Entscheidend sei hier, dass die Aussagen
des Landschaftsplans der geplanten Gewinnung der mineralischen Rohstoffe nicht
entgegenstehe.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene hält die Klage unter näherer Darlegung mangels Vorliegens der
Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO für unzulässig. Die Klägerin reklamiere für
sich die Ausweisungen in dem Regionalplan Mittelhessen 2001 "Waldbereich" und
"regionaler Grünzug" sowie Rechte aus ihrem Landschaftsplan und damit keine
öffentlich-rechtlichen Belange gegen die Abweichungsentscheidung, die ihren
Status als Selbstverwaltungskörperschaft und damit ihr in Art. 28 Abs. 2 GG
garantiertes Recht auf kommunale Selbstverwaltung beträfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der von dem Beklagten vorgelegten Unterlagen über das
Raumordnungsverfahren (1 Ordner und 3 Hefter), den Regionalplan Mittelhessen
2001 samt Karten sowie den Landschaftsplan der Klägerin samt Karten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die erhobene Klage richtet sich gegen die Entscheidung über die Abweichung vom
Regionalplan Mittelhessen 2001 (StAnz 2001, S. 2190) - RPM -. Richtige Klageart
für die Klage gegen die Abweichungsentscheidung der Regionalversammlung
(Beschluss vom 04.05.2006) von dem RPM in der Gestalt des Bescheides des
Regierungspräsidiums Gießen vom 09.06.2006 ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -). Auf das Verfahren findet das Hessische
Landesplanungsgesetz vom 06.09.2002 (GVBl. I S. 548), geändert durch Gesetz
vom 24.10.2005 (GVBl. I S. 694) - HLPG - nach § 25 Abs. 2 HLPG Anwendung. Der
Durchführung eines Widerspruchsverfahrens (§§ 68 ff. VwGO) bedurfte es nach §
12 Abs. 5 Satz 2 HLPG nicht.
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Die Anfechtungsklage scheitert nicht etwa daran, dass der Regionalplan förmlichen
Normcharakter hat mit der Folge, dass er nur im Wege der Normenkontrolle nach
§ 47 VwGO angegriffen werden kann. Der Regionalplan hat nach hessischem Recht
keinen Normcharakter (vgl. grdl. Hess. VGH, Urteil vom 15.08.2002 - 4 N 3272/01 -
). Das HLPG enthält keine Qualifizierung der Regionalpläne als Rechtsverordnung
oder als Satzung; auch werden sie nicht durch Rechtsverordnung für verbindlich
erklärt. In Hessen werden die Regionalpläne in einem gesetzlich geordneten,
förmlichen Verfahren nach Maßgabe der §§ 9 bis 11 HLPG erstellt und treten nach
§ 11 Abs. 7 HLPG mit der Bekanntmachung im Staatsanzeiger in Kraft. Nach § 10
Abs. 7 Satz 5 HLPG bleiben sie bis zur Rechtskraft eines neuen Regionalplans in
Kraft. Es handelt sich der Sache nach auch nicht um eine abstrakt generelle
Regelung mit Anspruch auf Verbindlichkeit, die der Normenkontrolle zugänglich ist
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.07.1990 - 4 N 3.88 -, NVwZ 1991, 262). Denn es
fehlt dazu bei den Regionalplänen - wie bei den Flächennutzungsplänen (vgl. z.B.
BVerwG, Urteil vom 20.01.1984 - 4 C 43.81 -, BVerwGE 68, 311;
Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 5 Rn. 45) und anders als bei den
Bebauungsplänen (vgl. die §§ 8 Abs. 1, 30 Baugesetzbuch - BauGB -) - an dem
Erfordernis, dass sie aus sich selbst heraus rechtliche Wirkung entfalten. Daran
ändert auch die Beachtenspflicht für Raumordnungspläne nach § 4 Abs. 1
Raumordnungsgesetz - ROG - und nach § 4 Abs. 1 HLPG nichts. Sie besteht nur
hinsichtlich der festgelegten Ziele der Raumordnung. Nach § 3 Nr. 2 ROG sind
Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich
bestimmten oder bestimmbaren vom Träger der Landes- oder Regionalplanung
abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in
Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes.
Somit fehlt es trotz der Verbindlichkeit dieser Ziele in Landesentwicklungsplan und
Regionalplan nach den §§ 4 Abs. 1 ROG, 4 Abs. 1 HLPG der raumordnerischen
Zielsetzung an der für die Bejahung der Rechtsnormqualität erforderlichen
Abstraktheit.
Bei den der Beachtenspflicht unterliegenden Zielen der Raumordnung handelt es
sich somit um Einzelfallregelungen gegenüber den öffentlichen Stellen
(Verwaltungsträgern) i.S.d. §§ 4 Abs. 1 ROG, 4 Abs. 1 Satz 1 HLPG, nämlich
Behörden des Bundes und des Landes, Gemeinden und Gemeindeverbänden,
Regionalversammlung und sonstigen Planungsträgern, d.h. einem bestimmbaren
Adressatenkreis. Dies spricht dafür, sie als Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 Satz 2
Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz - HVwVfG - zu qualifizieren.
Dementsprechend ist die Abweichungsentscheidung nach § 12 HLPG, die auf
Antrag einer solchen öffentlichen Stelle ergeht, ein diese begünstigender und die
übrigen öffentlichen Stellen belastender Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 HVwVfG
(vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 25.01.1995 - 2 E 1830/91(3) -, HSGZ 1996, 375;
VG Gießen, Urteil vom 15.11.1999 - 1 E 1994/97 -). Diese kann - wie hier - mit der
Anfechtungsklage angegriffen werden (§ 42 Abs. 1 VwGO). Gleiches gilt, wenn man
die Abweichungsentscheidung wie die Zielaussage des Regionalplans selbst als
Allgemeinverfügung i.S.v. § 35 Satz 2 HVwVfG qualifizierte. Richtiger Klageantrag
ist somit der Antrag, die Abweichungsentscheidung der Regionalversammlung
vom 04.05.2006 in der Gestalt des Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen
vom 09.06.2006 aufzuheben.
Die Anfechtungsklage ist mangels Klagebefugnis der Klägerin nach § 42 Abs. 2
VwGO unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist die Anfechtungsklage nur zulässig,
wenn die klagende Partei geltend macht, durch den Verwaltungsakt in ihren
Rechten verletzt zu sein. Durch die Zulässigkeitsvoraussetzung der subjektiven
Beschwer sollen Popularklagen und solche Klagen, mit denen die klagende Partei
außerrechtliche Interessen verfolgt, ausgeschlossen werden. Nach ständiger
Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 20.04.1994 - 11 C 17.93 -, BVerwGE
95, 333 = NVwZ 1995, 165; BVerfG, Beschluss vom 09.01.1991 - 1 BvR 207/87 -,
BVerfGE 83, 182 = NJW 1991, 1878) ist die Klagebefugnis bei einer
Anfechtungsklage dann zu bejahen, wenn nach dem Vorbringen der klagenden
Partei die Verletzung ihrer Rechte möglich erscheint. Dies ist dann nicht der Fall,
wenn die von der klagenden Partei behaupteten Rechte offensichtlich und
eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihr zustehen können. So
verhält es sich hier.
Dazu ist zunächst die Systematik des HLPG in den Blick zu nehmen: Nach § 12
Abs. 3 Satz 1 HLPG kann eine Abweichung vom Regionalplan zugelassen werden,
wenn sie unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die
Grundzüge des Regionalplans - hier des RPM - nicht berührt werden. Nach § 12
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Grundzüge des Regionalplans - hier des RPM - nicht berührt werden. Nach § 12
Abs. 3 Satz 2 HLPG dürfen Abweichungen nicht zugelassen werden, wenn eine
entsprechende Festsetzung im Regionalplan nach § 11 Abs. 3 HLPG nicht
genehmigt werden könnte. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 HLPG legen
Regionalpläne unter Orientierung an den Entwicklungstendenzen, wie sie für die
nächsten zehn Jahre erwartet werden, die Ziele der Raumordnung für die
Entwicklung der Planungsregion unter Beachtung der Vorgaben des
Landesentwicklungsplans fest. Zulässige Festlegungen nennt § 9 Abs. 4 HLPG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 HLPG sind die im Regionalplan festgelegten Ziele der
Raumordnung von öffentlichen Stellen bei allen raumbedeutsamen Planungen und
Maßnahmen zu beachten. Gleiches gilt hinsichtlich der Abweichungsentscheidung,
denn mit ihr wird der Regionalplan modifiziert.
Die Beachtenspflicht von Regionalplan und Abweichungsentscheidung kann somit
nur in die Planungshoheit der Klägerin (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG -)
eingreifen; d.h. wenn nach dem Vorbringen der klagenden Partei die Verletzung
dieser Planungshoheit möglich erscheint, wäre die Klagebefugnis zu bejahen. Dies
ist nicht der Fall.
Planungshoheit meint hier die Bauleitplanungskompetenz, d.h. die
eigenverantwortliche gemeindliche Entscheidung über die Art und Weise der
Bodennutzung in der Gemeinde, die den Gemeinden nach § 1 Abs. 1 und 3
Baugesetzbuch - BauGB - nach Maßgabe des Baugesetzbuches dergestalt
zugewiesen ist, dass sie Bauleitpläne aufstellen können und ggfs. müssen.
Die gemeindliche Bauleitplanung zählt zum Umkreis der Angelegenheiten des
örtlichen Wirkungskreises der Gemeinden. Offen ist, ob die
Bauleitplanungskompetenz zum Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie
gehört (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.1987 - 2 BvR 826/83 -, BVerfGE 76, 107
= DÖV 1988, 122). Die gemeindliche Bauleitplanung ist jedenfalls die in das
mehrstufige System räumlicher Gesamtplanung als der Bundesraumordnung
sowie der Landes- und Regionalplanung nachgeordnete unterste Ebene der
Planungshierarchie (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.12.1987 - 2 BvL 16/84 -,
BVerfGE 77, 288; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.02.1993 - VerfGH
18/91, 2/92 -, DVBl. 1993, 428). Dies kommt insbesondere in § 1 Abs. 4 BauGB
zum Ausdruck, wonach die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen
sind, d.h. dass diese Ziele je nach ihrem Konkretisierungsgrad in die Bauleitpläne
zwingend zu übernehmen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.08.1992 - 4 NB
20.91 -, DÖV 1993, 118; Hess. VGH, Urteil vom 31.05.2001 - 3 N 4010/97 -). Ein
Bauleitplan, der der Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB nicht entspricht, ist
nichtig (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 06.04.1979 - IV N 7/77 -, ESVGH 29, 132). Ein
unzulässiger Eingriff in die Bauleitplanungskompetenz der Gemeinde kann daher
nur dann in Betracht kommen, wenn der Gemeinde durch die höherstufige
Planung eine Sonderbelastung auferlegt wird, die nicht durch überörtliche
Interessen von höherem Gewicht als der gemeindlichen
Bauleitplanungskompetenz erfordert wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.1987
- 2 BvR 826/83 -, BVerfGE 76, 107 = DÖV 1988, 122; VG Gießen, Urteil vom
15.11.1999 - 1 E 1994/97 -, HessVGRspr. 2000, 20 = UPR 2000, 400
Leitsatz>; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 05/2001, § 1 Rn. 59).
Dies bedeutet, dass die gemeindliche Planungshoheit in Gestalt der
Bauleitplanungskompetenz ein Abwehrrecht der Gemeinde gegenüber der
überörtlichen Planung - hier der Abweichungsentscheidung von dem Regionalplan -
allenfalls dann gewährt, wenn eine nachhaltige Störung einer bereits hinreichend
konkreten Planung möglich erscheint. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn
eine bereits hinreichend, z.B. in Bauleitplänen zum Ausdruck gekommene
gemeindliche Planung nicht mehr verwirklicht werden könnte oder infolge
unterlassener Schutzvorkehrungen oder -anlagen nachträglich geändert werden
müsste oder ein großer Teil der Gemarkung der Gemeinde von der Planung erfasst
wird (st. Rspr., vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 30.05.1984 - 4 C 58.81 -, BVerwGE 69,
256 = NVwZ 1984, 718; Urteil vom 16.12.1988 - 4 C 40.86 -, BVerwGE 81, 95 =
NVwZ 1989, 750; Urteil vom 15.03.1989 – 4 NB 10.88 -, BVerwGE 81, 307 = NVwZ
1989, 654; Urteil vom 15.12.1989 - 4 C 36.86 -, BVerwGE 84, 209 = NVwZ 1990,
464; Urteil vom 12.12.1996 - 4 C 14.95 -, NVwZ 1997, 904; Gerichtsbescheid vom
27.07.1998 - 11 A 10.98 -, UPR 1998, 459; Urteil vom 27.03.1992 - 7 C 18.91 -,
BVerwGE 90, 96 = NVwZ 1993, 364; Urteil vom 21.03.1996 - 4 C 26.94 -, BVerwGE
100, 388 = NVwZ 1997, 169). Beides ist hier offensichtlich nicht der Fall.
Ein nach dem Vorstehenden unzulässiger Eingriff in die Bauleitplanungskompetenz
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Ein nach dem Vorstehenden unzulässiger Eingriff in die Bauleitplanungskompetenz
der Klägerin ist weder dargetan noch feststellbar. Es existiert keine bereits
hinreichend konkretisierte Bauleitplanung der Klägerin für das Antragsgebiet. Auch
ist kein großer Teil der Gemarkung der Klägerin betroffen.
Das Interesse der Gemeinde an der uneingeschränkten Erhaltung ihrer
Planungshoheit (sog. Freihaltebelang) begründet noch keine Klagebefugnis der
Gemeinde aus Art. 28 Abs. 2 GG, da die Gemeinde nach § 1 Abs. 3 BauGB
Bauleitpläne aufzustellen hat, sobald und soweit es für die städtebauliche
Entwicklung und Ordnung erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.01.1993 - 4 B
206.92 -, NVwZ 1993, 884).
Das Berührtsein des Landschaftsplanes der Klägerin durch die
Abweichungsentscheidung begründet ebenfalls keine Klagebefugnis, da auch
insoweit konkretisierte Planungsvorstellungen oder fertig artikulierte rechtsgültige
Planungsentscheidungen nicht in verfassungswidriger Weise verhindert werden.
Dies ergibt sich aus den Bestimmungen des Hessisches Naturschutzgesetzes in
der Fassung vom 16.04.1996 (GVBl. I S. 145) - HENatG -, auf deren Grundlage
dieser Landschaftsplan aufgestellt wurde.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 HENatG sind in Landschaftsplänen die örtlichen
Erfordernisse und Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf
der Grundlage des Landschaftsprogramms in Landschaftsplänen aufzunehmen.
Diese Vorschrift beschränkt die Gestaltungsfreiheit der Gemeinden bei der
Aufstellung von Landschaftsplänen, berührt jedoch nicht den Wesensgehalt der
Planungshoheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.05.2001 - 2 BvK 1/00 -, BVerfGE
103, 332 = NVwZ-RR 2002, 81). Denn § 4 Abs. 1 Satz 1 HENatG ermöglicht es den
Gemeinden lediglich, die Inhalte der übergeordneten Planwerke, nämlich des
Landschaftsprogramms (vgl. § 3a HENatG) weiterzuentwickeln und zu
konkretisieren. Jedoch sind bereits in dem Landschaftsprogramm nach § 3a Abs. 1
Satz 2 HENatG die Ziele der Raumordnung zu beachten und die Gemeinden nach
§ 3a Abs. 1 Satz 4 HENatG bei der Aufstellung des Landschaftsprogramms
lediglich zu beteiligen. Durch diese Beteiligungspflicht und die inhaltlichen
Schranken für die überörtliche Planung wird sichergestellt, dass die zur Herstellung
der Kongruenz der Planwerke erforderliche Einschränkung der Gestaltungsfreiheit
angemessen ist. Die Situation ist vergleichbar der im Verhältnis Regionalplan zu
Flächennutzungsplan und Bebauungsplan (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.05.2001
- 2 BvK 1/00 -, BVerfGE 103, 332 = NVwZ-RR 2002, 81).
Denn nach § 4 Abs. 2 Satz 1 HENatG stellen die Landschaftspläne lediglich den
Zustand von Natur und Landschaft dar und bewerten ihn. Die Ziele und
Maßnahmen der Landschaftspläne sind nach § 4 Abs. 4 Satz 1 HENatG bei der
Aufstellung von Bauleitplänen und Satzungen nach § 34 Abs. 4 Nr. 3 und § 35 Abs.
6 BauGB zu berücksichtigen und soweit geeignet, in die Bauleitpläne oder
Satzungen zu übernehmen. Es handelt sich dabei, vergleichbar mit § 5 Abs. 4
BauGB (für Flächennutzungspläne) und § 9 Abs. 6 BauGB (für Bebauungsplane),
um eine Vorschrift, die ausschließlich der Sichtbarmachung in den Bauleitplänen
dient; die Beachtenspflicht folgt vielmehr aus § 10 Abs. 2 Satz 2 BauGB und aus §
6 Abs. 2 BauGB. Der Zweck des § 4 Abs. 2 Satz 1 HENatG erschöpft sich darin, die
bereits anderweitig verbindlich festgesetzten geschützten Bereiche - nämlich über
die nach § 4 Abs. 1 Satz 2 HENatG bei der Aufstellung des Landschaftsplans zu
beachtenden, in dem Regionalplan festgesetzten Ziele der Landesplanung - in den
Bauleitplänen sichtbar zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.05.2001 - 2 BvK
1/00 -, BVerfGE 103, 332 = NVwZ-RR 2002, 81). In Bezug auf die Antragsfläche
liefert im Übrigen der Landschaftsplan lediglich eine Bestandsaufnahme des
Waldes und keine Bewertung, so dass er noch nicht einmal Abwägungsmaterial für
eine Bauleitplanung enthält.
Eine Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich schließlich nicht aus dem Umstand,
dass durch die Abweichungsentscheidung in die Ziel-Festsetzungen "Regionaler
Grünzug" (vgl. Ziffer B.6.1 des RPM 2001) und "Walderhaltung" (vgl. Ziffer B.6.3.3)
für die Antragsfläche in dem RPM eingegriffen wird. Zwar können Kommunen durch
einzelne konkrete Ziele der Raumplanung geschützt werden mit der Folge, dass
derartige Zielsetzungen eines Raumordnungsplans im Einzelfall eine abwehrfähige
subjektive Rechtsposition begründen können (vgl. Hess. VGH, Urteil vom
28.06.2005 - 12 A 3/05 -, ESVGH 56, 58). Die Zielfestlegungen "Regionaler
Grünzug" und "Walderhaltung" im RPM betreffen wie auch sonstige Vorschriften
des Umweltrechts allein staatliche Aufgaben; sie sind nicht den kommunalen
Angelegenheiten zugeordnet. Die Erhaltung des Regionalen Grünzugs stellt zudem
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Angelegenheiten zugeordnet. Die Erhaltung des Regionalen Grünzugs stellt zudem
eine überörtliche Aufgabe dar, deren Wahrnehmung gerade wegen des
überörtlichen Charakters neben den staatlichen Behörden der
Regionalversammlung Mittelhessen übertragen ist. So wird in den Zielen B.6.1
("Sicherung siedlungsstruktureller Freiraumfunktionen") und in den Zielen B.6.3.3
i.V.m. C.9.1 ("Waldflächen bestimmen als Bestandteil der Mittelgebirgslandschaft
der Planungsregion …") des RPM die Region als ganzes in Bezug genommen, ohne
etwa einzelne Gemeinden zu benennen (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 28.06.2005 -
12 A 3/05 -, ESVGH 56, 58).
Überdies gelten diese beiden Zielfestlegungen für das Antragsgebiet nicht
uneingeschränkt, sondern werden durch die weitere Zielsetzung "Bereich
oberflächennaher Lagerstätten" (Ziffer B.6.3-4.) eingeschränkt, die zwar noch
keine abschließende raumordnerische Entscheidung über die Rohstoffgewinnung
darstellt, die erst bei einer Fortschreibung des RPM oder - wie hier - eines
Abweichungsverfahrens oder eines Raumordnungsverfahrens erfolgen (vgl. die
Begründung zu Ziffer B.6.3-4.).
Dementsprechend ist der streitbefangene Abbau in dem bereits offengelegten
Regionalplan-Entwurf 2006 enthalten und damit als ein sonstiges Erfordernis der
Raumordnung i.S.d. § 3 Nr. 4 ROG und des § 3 Nr. 4 HLPG zu berücksichtigen.
Für das klägerische Vorbringen in seiner Gesamtschau resultiert schließlich
ebenfalls keine Klagebefugnis. Denn dies setzt wiederum voraus, dass der
Kernbereich des Rechts aus dem aus Art. 28 Abs. 1 GG abgeleiteten Recht auf
kommunale Selbstgestaltung, wonach die Gemeinde das Gepräge und die
Struktur des Ortes selbst bestimmen kann, beeinträchtigt wird. Dies ist nicht
bereits dann der Fall, wenn die Umweltsituation nachteilig betroffen wird. Denn
dabei handelt es sich um einen generellen öffentlichen Belang, der nicht
ausschließlich der Gemeinde zugeordnet ist und daher auch nicht vom
Selbstgestaltungsrecht erfasst wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.12.1996 - 11 VR
8.96 -, NVwZ-RR 1997, 339; Urteil vom 08.01.1997 - 11 VR 30.95 -, NuR 1998, 221;
Urteil vom 12.12.1996 - 4 C 14.95 -, NVwZ 1997, 904; Hess. VGH, Beschluss vom
12.03.1996 - 14 TH 2775/94 -, NVwZ-RR 1997, 404).
Die allgemeine Kritik der Klägerin an der Abweichungsentscheidung begründet
nach dem Vorstehenden offensichtlich nicht ihre Klagebefugnis.
Zusammenfassend ergibt sich, dass aufgrund des klägerischen Vorbringens die
Klagebefugnis der Klägerin zu verneinen ist. Im Übrigen muss die Klage aus den
zutreffenden Gründen des Bescheides des Regierungspräsidiums Gießen vom
09.06.2006 ohne Erfolg bleiben (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.