Urteil des VG Gießen vom 12.01.2011

VG Gießen: gemeinde, stadt, öffentlich, gewerbe, internet, vollstreckung, behörde, anfechtungsklage, abfall, unternehmen

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 K 1289/09.GI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 73 VwGO, § 155 Abs 1 VwGO
Erhebung von Abfallgebühren
Leitsatz
Ist eine Gemeinde durch eine mit dem Landkreis geschlossene
Verwaltungsvereinbarung berechtigt, die Gebühren für die von dem Landkreis
eingesammelten Abfälle nach den Bestimmungen des Satzungsrechts des Landkreises
mittels eigenen Bescheids zu erheben, ist auch für die Entscheidung über den
Widerspruch gegen einen Abfallgebührenbescheid die Gemeinde - und nicht der
Landkreis - zuständig.
Tenor
Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 04.05.2009 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte zu
tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der
Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung von Abfallgebühren hinsichtlich eines
Gewerbebetriebes.
Der Kläger hat ein Kleingewerbe (Ein-Mann-Betrieb) bei der Gemeinde B-Stadt
angemeldet. Bei dem Gewerbebetrieb handelt es sich um einen „Touristik-
Service“, der in B-Stadt nur am Wochenende betrieben wird, und zwar - nach
Angaben des Klägers - ausschließlich über einen Telefondienst und über das
Internet. Eigentümer des Grundstücks, auf dem das Gewerbe betrieben wird, ist
Herr D.
Mit Bescheid vom 03.09.2008 setzte die Gemeinde B-Stadt gegenüber Herrn D.
Gebühren betreffend das Jahr 2008 für „Gewerbemüll“ in einer Gesamthöhe von
123,55 EUR fest.
Durch Fax vom 26.09.2008, eingegangen am 29.09.2008, erhob der Kläger
sinngemäß hiergegen Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, sein Gewerbe
werde nur über einen Telefondienst und über das Internet betrieben. Hierbei falle
kein Gewerbemüll an.
Mit Bescheid des Beklagten, des C-Kreises, vom 04.05.2009 wurde der
Widerspruch des Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung gab der Beklagte an, für
alle angemeldeten Gewerbe seien Abfallgebühren zu veranlagen. Beschäftigte im
Sinne des Satzungsrechts seien auch die Inhaber der Unternehmen. Vorliegend
sei bereits die kleinste Berechnungseinheit hinsichtlich der Gebührenbemessung
zugrunde gelegt worden. Die Gemeinde B-Stadt habe im Auftrag des Beklagten
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zugrunde gelegt worden. Die Gemeinde B-Stadt habe im Auftrag des Beklagten
eine Gebühreneinheit veranlagt. Sofern der Kläger vortrage, in seinem Gewerbe,
das nur über einen Telefondienst und über das Internet betrieben werde, falle kein
Abfall an, genüge dies nicht, die Vermutung des Abfallanfalls zu widerlegen.
Grundsätzlich sei nämlich auch bei einem Kleingewerbe damit zu rechnen, dass
gewerbebezogener Abfall zur Beseitigung anfalle, der einen Anschluss an das
öffentliche Entsorgungssystem rechtfertige.
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 08.05.2009 zugestellt.
Am 05.06.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er seine
Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Gemeinde B-Stadt vom 03.09.2008 und den
Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 04.05.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, die Veranlagung des Klägers sei rechtmäßig erfolgt. Im Übrigen
vertieft er, der Beklagte, seine Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.
Ferner führt er aus, der Ausgangsbescheid der Gemeinde B-Stadt sei im Auftrag
des Beklagten auf der Grundlage der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen
ihm, dem Beklagten, und der Gemeinde B-Stadt vom 14.01.1991 ergangen. Unter
dem 26.11.2010 trägt der Beklagte weiter vor, der Kläger sei nicht klagebefugt.
Adressat des angefochtenen Bescheides vom 03.09.2008 sei nämlich der
Grundstückseigentümer, Herr D.
Unter dem 30.11.2010 hat das Gericht den Beteiligten den rechtlichen Hinweis
erteilt, dass zuständige Widerspruchsbehörde der Gemeindevorstand der
Gemeinde B-Stadt gewesen sein dürfte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und den der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen, die
sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang begründet. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 04.05.2009 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1
VwGO, im Folgenden: I.). Dagegen ist der Kläger nicht aktivlegitimiert, soweit die
Klage den Bescheid der Gemeinde B-Stadt vom 03.09.2008 betrifft (im Folgenden:
II.).
I. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 04.05.2009 ist rechtswidrig, da
der Kreisausschuss des Beklagten vorliegend nicht zuständige
Widerspruchsbehörde ist. Der Kreisausschuss des Beklagten ist hier nicht
nächsthöhere Behörde im Sinne von § 73 Abs. 1 VwGO.
Vorliegend ist die Gemeinde B-Stadt zu der Erhebung der auf der Grundlage der
Satzungen des Beklagten festzusetzenden Abfallgebühren berechtigt. Dies folgt
aus einem zwischen der Gemeinde B-Stadt und dem Beklagten am 14.01.1991
geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag (vgl. Bl. 40 d. A.). Nach § 4 dieses
Vertrages erhebt die Gemeinde B-Stadt mittels eigenen Bescheids die Gebühren
für die von dem Beklagten eingesammelten Abfälle nach den Bestimmungen der
Abfallsatzung und der Gebührenordnung des Beklagten. Die Gemeinde B-Stadt
zieht diese Gebühren durch die Gemeindekasse ein und führt sie an den Beklagten
ab. Rechtsgrundlage für diese Vereinbarung ist § 9 Abs. 1 S. 3 des Hessischen
Ausführungsgesetzes zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Hiernach können
die Entsorgungsträger die Erhebung der Gebühren untereinander durch
Vereinbarung gegen Kostenerstattung übertragen. Gemäß § 4 Abs. 1 dieses
Gesetzes sind öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger in diesem Sinne die
kreisangehörigen Gemeinden, die kreisfreien Städte und die Landkreise,
vorliegend also die Gemeinde B-Stadt und der Beklagte.
Rechtsfehlerhaft ist es deshalb, wenn der Kreisausschuss des Beklagten - wie hier -
als Widerspruchsbehörde tätig wird. Zuständige Widerspruchsbehörde wäre
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als Widerspruchsbehörde tätig wird. Zuständige Widerspruchsbehörde wäre
vorliegend vielmehr der Gemeindevorstand der Gemeinde B-Stadt gewesen. Die
Gebühren werden nämlich aufgrund der Verwaltungsvereinbarung von der
Gemeinde B-Stadt im eigenen Namen erhoben. Die Gemeinde ist eine
Gebietskörperschaft (vgl. § 1 Abs. 2 HGO) und wird als solche im Rahmen der ihr
durch die öffentlich-rechtliche Vereinbarung vom 14.01.1991 übertragenen
Aufgaben rechtlich selbständig tätig. Sie, die Gemeinde B-Stadt, und der Beklagte
wirken insoweit rechtlich auf der gleichen Ebene, so dass der Kreisausschuss des
Beklagten nicht nächsthöhere Behörde im Sinne des § 73 Abs. 1 VwGO sein kann.
II. Im Übrigen war die Klage dagegen abzuweisen. Der Kläger ist für eine
Anfechtungsklage hinsichtlich des Ausgangsbescheides der Gemeinde B-Stadt
vom 03.09.2008 nicht aktivlegitimiert. Kraft materiellen Rechts kann der Kläger die
vom Gericht begehrte Gestaltung nicht verlangen. Dieser Bescheid richtet sich
nämlich ausschließlich gegen den Grundstückseigentümer und Vermieter des
Klägers, Herrn D. (vgl. Bl. 31 d.A.). Der Kläger ist bereits nicht Adressat dieses
Bescheides und wird auch durch diesen nicht in seinen subjektiv-öffentlichen
Rechten verletzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO und berücksichtigt den
Umstand, dass die Beteiligten teils obsiegten und teils unterlegen sind.
Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 123,55 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 GKG. Das Gericht hat den Streitwert in
Höhe des im Bescheid vom 03.09.2008 festgesetzten Betrages (vgl. Bl. 31 d.A.).
bestimmt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.