Urteil des VG Gießen vom 23.02.2006

VG Gießen: minusstunden, ausnahme, dienstleistung, belastung, vollstreckung, dienstzeit, leiter, urlaub, verfügung, personalakte

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Gericht:
VG Gießen 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 E 5864/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 74 Abs 1 Nr 9 PersVG HE, §
69 Abs 2 S 4 PersVG HE, § 35a
Abs 1 GemO HE
(Nichtteilnahme am Betriebsausflug)
Leitsatz
Ein Dienstherr hält sich im Rahmen des ihm eingeräumten weiten
Organisationsermessens, wenn er am Tag des Betriebsausflugs die
Verwaltungsgebäude mit Ausnahme für bestimmte Bereiche eingerichtete Not- und
Bereitschaftsdienste geschlossen hält und den Bediensteten, die nicht an dem
Betriebsausflug teilnehmen wollen, anbietet, entweder Erholungsurlaub oder einen
Gleittag zu nehmen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung
abwenden, falls nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger steht als Beamter mit dem statusrechtlichen Amt eines
Magistratsoberrates (Besoldungsgruppe A 14 BBesO) im Dienst der Beklagten. Er
nimmt die Aufgaben des Sachgebietsleiters für Recht und Organarbeit in der
Haupt- und Personalabteilung der Beklagten wahr.
Mit an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung adressierter
Verfügung vom 10.05.2004 teilte das Haupt- und Personalamt der Beklagten mit,
die Dienststellen der Stadtverwaltung blieben am 19.05.2004 wegen des an
diesem Tag stattfindenden Betriebsausflugs geschlossen. Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die nicht an dem Betriebsausflug teilnehmen wollten, könnten an
diesem Tag entweder einen Tag Erholungsurlaub oder einen Gleittag nehmen. Eine
Arbeitsleistung sei an diesem Tag mit Ausnahme der Bereitschaftsdienste Bauhof,
Kläranlage und Stadtwerke sowie der Auffanggruppe Kindergarten und des
Freibades nicht möglich. Mit Schreiben an die Haupt- und Personalverwaltung vom
14.05.2004 beantragte der Kläger, am Tag des Betriebsausflugs „arbeiten zu
können“. Er führte aus, er sei an der Teilnahme am Betriebsausflug gehindert, weil
er sich als Stadtverordneter nicht bei der Aufsichtsratssitzung einer
Eigengesellschaft vertreten lassen könne.
Nachdem das Haupt- und Personalamt den Kläger mit Schreiben vom 02.06.2004
um Stellungnahme gebeten hatte, ob er den Tag des Betriebsausflugs als
Urlaubstag oder als Freizeitausgleich genehmigt haben möchte, führte der Kläger
mit Schreiben vom 14.06.2004 aus, er erwarte, dass ihm die an diesem Tag
regelmäßig anfallende Arbeitszeit von 8,84 Stunden gutgeschrieben werde. Er
habe zusammen mit mehreren anderen Kollegen seine Arbeitsleistung an diesem
Tag ausdrücklich angeboten. Dies habe ihm die Beklagte verwehrt, indem sie den
die Türöffnung und Zeiterfassung bedienenden Chip für diesen Tag ungültig
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die Türöffnung und Zeiterfassung bedienenden Chip für diesen Tag ungültig
geschaltet habe.
Mit bei Gericht am 06.12.2004 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage
erhoben.
Er trägt vor, die Zulässigkeit der Klage scheitere nicht an der Notwendigkeit eines
ordnungsgemäßen Vorverfahrens. Angesichts des eindeutigen Verhaltens der
Beklagten, die auf seine verschiedenen Eingaben nicht reagiert habe, wäre das
Verlangen nach einem weiteren, förmlichen Widerspruchsverfahren eher als eine
wirkungslose Formalität anzusehen. Für das Jahr 2004 habe es keine Zustimmung
des Personalrates zu einer Schließung der Verwaltung aus Anlass des
Betriebsausfluges gegeben. Die für die Schließung genannte Begründung des
Schutzes der Bediensteten vor eventuellen Schäden gehe an der Wirklichkeit
vorbei. Zum einen wäre er wegen der Arbeitsbereitschaft weiterer Bediensteter
nicht allein in der Verwaltung tätig gewesen. Zum anderen hätten am Tag des
Betriebsausfluges die Mitarbeiter der EDV-Abteilung ohnehin gearbeitet.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für den 19.05.2004 8,84 Stunden auf
seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Klage sei mangels Durchführung des vorgeschriebenen
Vorverfahrens unzulässig. Unabhängig davon sei eine Anspruchsgrundlage nicht
ersichtlich. Der Kläger habe die entsprechende Dienstzeit nicht geleistet. Es
bestehe auch kein „Annahmeverzug“. Die vom Kläger angebotene Dienstleistung
sei unmöglich gewesen. Im übrigen habe der Bürgermeister der Beklagten die
Teilnahme am Betriebsausflug angeordnet. Dieser dienstlichen Weisung sei der
Kläger pflichtwidrig nicht nachgekommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten (1 Hefter
Personalakte des Klägers, 1 Hefter Verwaltungsvorgang) Bezug genommen. Diese
Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Untätigkeitsklage in entsprechender Anwendung des § 75 VwGO
statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Das Rechtsschutzbegehren des Klägers zielt darauf ab, für den Tag des
Betriebsausflugs am 19.05.2004 eine Belastung seines Arbeitszeitkontos mit 8,84
Minusstunden zu verhindern. Einen diesbezüglichen Anspruch hat er erstmals mit
Schreiben an die Beklagte vom 14.06.2004 geltend gemacht. Bis zur
Durchführung des Betriebsausflugs war die rechtliche Zielsetzung des Klägers eine
andere. Wie aus seinem Schreiben an das Haupt- und Personalamt der Beklagten
vom 14.05.2004 hervorgeht, ging es ihm zunächst darum, am Tag des
Betriebsausflugs Dienst zu verrichten. Dieses Begehren hatte sich mit Ablauf des
19.05.2004 erledigt. Bei dem vom Kläger mit Schreiben vom 14.06.2004 für den
19.05.2004 begehrten Ausgleich seines Arbeitszeitkontos um 8,84 Stunden
handelt es sich der Sache nach um dem Widerspruch gegen die entsprechende
Belastung seines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden. Wenngleich diese
Maßnahme als schlichtes Verwaltungshandeln zu werten ist, bedurfte es gemäß §
126 Abs. 3 VwGO vor Klageerhebung eines entsprechenden Rechtsbehelfs. Bis zur
Klageerhebung hat die Beklagte ohne sachlichen Grund über den vom Kläger
eingelegten Widerspruch nicht entschieden.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu, ihm für den
19.05.2004 8,84 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Die
eingetretene Belastung seines Arbeitszeitkontos mit einer entsprechenden Anzahl
von Minusstunden beruht auf der Entscheidung der Beklagten, am 19.05.2004
wegen des Betriebsausflugs mit bestimmten Ausnahmen die Verwaltungsgebäude
geschlossen zu halten und die nicht am Betriebsausflug teilnehmende
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geschlossen zu halten und die nicht am Betriebsausflug teilnehmende
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzuhalten, an diesem Tag Urlaub oder einen
Gleittag zu nehmen. Diese Maßnahme ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die nach § 74 Abs. 1 Nr. 9 HPVG vorgeschriebene Beteiligung der
Personalvertretung hat stattgefunden. Ausweislich des mit Schriftsatz der
Beklagten vom 13.12.2005 vorgelegten Schreibens der Personalvertretung vom
12.12.2005 hat der Bürgermeister die geplante Arbeitszeitregelung für den
Betriebsausflug 2004 mit dem Personalrat in einem Monatsgespräch erörtert. Es
bedarf keiner Klärung, ob der Personalrat der Maßnahme, wie es in dem von der
Vorsitzenden unterschriebenen Schreiben vom 12.12.2005 heißt, zugestimmt hat.
Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre gemäß § 69 Abs. 2 Satz 4
HPVG von einer fingierten Zustimmung der Personalvertretung auszugehen. Nach
dieser Vorschrift gilt die Maßnahme als gebilligt, wenn nicht der Personalrat
innerhalb der (zuvor) genannten Frist die Zustimmung schriftlich begründet
verweigert. Eine schriftlich begründete Zustimmungsverweigerung des
Personalrats existiert nicht.
Die für den 19.05.2004 getroffene Arbeitszeitregelung hält sich im Rahmen des
der Beklagten insoweit zustehenden weiten Organisationsermessens.
Nach den Ausführungen des Leiters des Haupt- und Personalamtes der Beklagten
in der mündlichen Verhandlung am 05.12.2004 hatte sich die Beklagte erstmals
im Jahre 2003 dafür entschieden, am Tag des Betriebsausflugs die
Verwaltungsgebäude geschlossen zu halten und den Bediensteten, die nicht an
dem Betriebsausflug teilnehmen wollten, anzubieten, entweder Erholungsurlaub
oder einen Gleittag zu nehmen. Im Jahre 2002 habe der Betriebsausflug noch an
einem Samstag stattgefunden. Durch die Neuregelung im Jahre 2003 sei
beabsichtigt gewesen, mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem
Betriebsausflug zu gewinnen. Im Übrigen sei ein sinnvoller Service für die
Bürgerinnen und Bürger bei einer Öffnung der Verwaltungsgebäude am Tag des
Betriebsausflugs nicht gewährleistet gewesen. Diese Erwägungen erscheinen dem
Gericht sachgerecht und plausibel. Sie sind einerseits von dem Gedanken geleitet,
bei einem rückläufigen Interesse der Bediensteten an einer Teilnahme an der
genannten Gemeinschaftsveranstaltung Maßnahmen zu ergreifen, dieses
Interesse (erneut) zu wecken, um damit zur Förderung des Betriebsklimas
beizutragen. Andererseits tragen sie auch den Belangen der Bediensteten
Rechnung, die an einer Teilnahme an dem Betriebsausflug nicht interessiert oder
wegen sonstiger Verpflichtungen gehindert sind. Die Sachorientiertheit dieser
Organisationsentscheidung wird in dem Schreiben des Personalrats vom
12.12.2005 bestätigt. Darin heißt es, der Personalrat habe sich der Auffassung
angeschlossen, der Betriebsausflug trage zur Verbesserung des Betriebsklimas
bei und deshalb sollten möglichst viele Kollegen teilnehmen.
Die Organisationsmaßnahme der Beklagten verletzt den Kläger auch nicht in
seinem Recht auf freie Mandatsausübung (§ 35 a Abs. 1 Satz 1 HGO).
Es bedarf in diesem Verfahren keiner Klärung, ob eine vom Dienstherrn ohne
Ausweichmöglichkeit angeordnete verpflichtende Teilnahme an einem
Betriebsausflug einer rechtlichen Prüfung standhält (vgl. insoweit: Arbeitsgericht
Marburg, Urteil vom 27.11.1962 - Ca 651/62 -, Juris). Um eine solche
Fallkonstellation geht es hier nicht. Wie alle anderen von der Arbeitszeitregelung
am 19.05.2004 betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war auch der Kläger
nicht gezwungen, sich an dem Betriebsausflug zu beteiligen. Vielmehr stand es
ihm frei, den Betriebsausflug wahrzunehmen und sich für die an diesem Tag
außerhalb der normalen Arbeitszeit stattfindende Aufsichtsratsitzung der
Stadtmarketing und Tourismus GmbH in A-Stadt zu entschuldigen oder auf eine
Teilnahme am Betriebsausflug zu verzichten und von der angebotenen
Zeitausgleichsregelung Gebrauch zu machen, um der genannten ehrenamtlichen
Tätigkeit nachzugehen. Der Kläger hat auch keine Tatsachen vorgetragen, warum
es für ihn unzumutbar gewesen sein soll, die angebotene Ausgleichsregelung in
Anspruch zu nehmen. Sein Einwand, wegen sonstiger Unstimmigkeiten hinsichtlich
der Arbeitszeitregelung sei sein Arbeitszeitkonto ständig mit Minusstunden
belastet, reicht für die Annahme einer Unzumutbarkeit nicht aus. Der Leiter des
Haupt- und Personalamtes der Beklagten hat auf den diesbezüglichen Einwand
des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 05.12.2005 erwidert, die Beklagte
hätte dem Kläger eine Nacharbeitung der 8,84 Stunden auch genehmigt, wenn
dessen Arbeitszeitkonto zum damaligen Zeitpunkt mit einem Minus belastet
gewesen wäre. Diesen Ausführungen ist der Kläger nicht substantiiert
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gewesen wäre. Diesen Ausführungen ist der Kläger nicht substantiiert
entgegengetreten. Unabhängig davon hat er nicht erklärt, welche sachlichen
Gründe ihn gehindert haben, am 19.05.2004 gegebenenfalls Urlaub zu nehmen.
Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf einen Verstoß gegen den
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) berufen. Wie der Leiter des Haupt- und
Personalamtes der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 05.12.2005
erläutert hat, hat außer den in der Verfügung vom 10.05.2004 aufgeführten Not-
bzw. Bereitschaftsdiensten am 19.05.2005 auch ein Mitarbeiter EDV-Abteilung
Dienst geleistet. Dieser habe „Sachen“ aufgearbeitet, die ansonsten außerhalb
der Dienstzeit hätten erledigt werden müssen. Die dargestellten Ausnahmen
beruhen auf sachlichen Erwägungen. Es ist für das Gericht nachvollziehbar, in
diesen Fällen dem Interesse an einer Dienstleistung Vorrang gegenüber einer
Teilnahme der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an dem
Betriebsausflug einzuräumen. Auf einen gleichgelagerten Sachverhalt kann sich
der Kläger nicht berufen. Er hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich
ergeben könnte, sein Dienstleistung am 19.05.2004 sei entsprechend der
geleisteten Not- bzw. Bereitschaftsdienste oder der von dem EDV-Mitarbeiter
geleisteten Arbeiten aus dienstlichen Gründen geboten gewesen. Wie sich aus den
obigen Ausführungen ergibt, war die Beklagte auch nicht verpflichtet, eine
Ausnahme wegen der vom Kläger am 19.05.2004 außerhalb der normalen
Arbeitszeit wahrzunehmenden ehrenamtlichen Tätigkeit zuzulassen. Vielmehr
durfte sie, um den mit der Arbeitszeitregelung verbundenen Zweck nicht zu
gefährden, die Ausnahmen auf wenige Fälle begrenzen.
Als unterliegender Teil hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des
Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs.
1 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist nicht nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, da die Gründe
des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte für die Bemessung der Bedeutung der
Sache für den Kläger legt das Gericht gemäß § 52 Abs. 2 GKG den
Auffangstreitwert zu Grunde.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.