Urteil des VG Gießen vom 11.05.2000

VG Gießen: besondere härte, wichtiger grund, treu und glauben, vorzeitige entlassung, zusicherung, chefarzt, hessen, ausbildung, anscheinsvollmacht, fristbeginn

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 G 1511/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 46 Abs 3 SG, § 46 Abs 4 SG,
§ 46 Abs 5 SG, § 46 Abs 6 SG,
§ 38 Abs 1 VwVfG
(Zum Fristbeginn gem SG § 46 Abs 3; Anforderungen an
eine Zusicherung; zur besonderen Härte gem SG § 46 Abs
6)
Leitsatz
Die Frist des § 46 Abs. 3 SG, wonach ein Berufssoldat, dessen militärische Ausbildung
mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, seine Entlassung
längstens nach 10 Jahren verlangen kann, beginnt, sofern die Weiterbildungsmaßnahme
mit einer Prüfung abgeschlossen wird, mit dem Datum der
erfolgreich absolvierten Prüfung.
Eine Zusicherung im Sinne des VwVfG liegt nur vor, wenn eine entsprechende Erklärung
als hoheitliche Selbstverpflichtung mit Bindungswillen von einem Vorgesetzten
abgegeben wird, der zu dieser Erklärung aufgrund der Handlungszuständigkeit seiner
Dienststelle und nach seiner eigenen Stellung in dieser befugt ist (im Anschluss an
BVerwG, BVerwGE 63, 110, 113).
Zum Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 46 Abs. 6 SG und eines
wichtigen Grundes im Sinne des Sonderurlaubsrechts für Soldaten.
Gründe
Der am 13.04.2000 bei Gericht eingegangene Antrag, die Antragsgegnerin zu
verpflichten, den Antragsteller zum 31.05.2000 aus der Bundeswehr zu entlassen,
hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller für die Zeit vom
31.05.2000 bis 05.12.2000 unter Fortfall der Geld- und Sachbezüge vom Dienst
freizustellen, hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor
Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um
wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus
anderen Gründen nötig erscheint.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt demgemäß das Bestehen eines
Anordnungsgrundes als auch eines Anordnungsanspruchs voraus. Der
Antragsteller hat jedoch jedenfalls das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht
glaubhaft gemacht.
Gemäß § 46 Abs. 3 SG kann der Berufssoldat jederzeit seine Entlassung
verlangen; soweit seine militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer
Fachausbildung verbunden war, jedoch erst nach einer sich daran anschließenden
Dienstzeit, die der dreifachen Dauer des Studiums oder der Fachausbildung
entspricht, längstens nach 10 Jahren.
Vorliegend ist die in der genannten Vorschrift bezeichnete Höchstdauer von 10
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Vorliegend ist die in der genannten Vorschrift bezeichnete Höchstdauer von 10
Jahren maßgeblich, da die dreifache Dauer der Fachausbildung diesen Zeitraum
überschreitet. Die 10-Jahres-Frist des § 46 Abs. 3 Halbsatz 2 SG läuft im Falle des
Antragstellers erst am 05.12.2000 ab. Nach seiner Weiterbildung bzw.
Fachausbildung zum Gebietsarzt, die 4 Jahre und 10 Monate dauerte, erhielt der
Antragsteller am 05.12.1990 von der Landesärztekammer Hessen die
Anerkennung als Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Maßgeblich für den
Fristbeginn ist das Datum der erfolgreich absolvierten Prüfung. Nach § 1 Abs. 1
Satz 3 der Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen wird eine
Weiterbildung grundsätzlich mit einer Prüfung abgeschlossen. Dies war auch
vorliegend der Fall. Schon der Wortlaut dieser Norm legt nahe, dass erst die
erfolgreich absolvierte Prüfung den Abschluss der Weiterbildungsmaßnahme
bedeutet. Aber auch inhaltliche Überlegungen sprechen für diese Ansicht. Erst
durch den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung im entsprechenden Fachgebiet
werden spezielle Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten nachgewiesen (vgl. § 1
Abs. 1 Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen). Sinn und Zweck
der Regelung des § 46 Abs. 3 SG ist, dass der betreffende Soldat der
Antragsgegnerin als Facharzt zur Verfügung steht. Das ist nicht der Fall, wenn die
Facharztprüfung nicht bestanden wurde. Dem steht auch nicht der Umstand
entgegen, dass der Antragsteller möglicherweise bereits vor seiner erfolgreich
absolvierten Facharztprüfung entsprechend qualifizierte Tätigkeiten für die
Antragsgegnerin ausübte.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Entlassung zum 31.05.2000
wegen einer von der Antragsgegnerin abgegeben Zusicherung. Eine solche liegt
gemäß § 38 Abs. 1 VwVfG vor, wenn die zuständige Behörde schriftlich eine
Zusage erteilt hat, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu
unterlassen. Um eine solche Zusicherung handelt es sich insbesondere nicht bei
der Niederschrift über die Eröffnung der Folgen der Entlassung durch den Chefarzt
des Bundeswehrzentralkrankenhauses K. vom 24.02.2000 (Bl. 6 d.A.).
Zwar enthält dieses Schreiben den Satz: "Als Entlassungstag wurde im
Einvernehmen mit dem Soldaten, der 31.05.2000 festgelegt." Eine Zusicherung im
Sinne des VwVfG liegt aber nur dann vor, wenn eine entsprechende Erklärung als
hoheitliche Selbstverpflichtung mit Bindungswillen von einem Vorgesetzten
abgegeben wird, der zu dieser Erklärung aufgrund der Handlungszuständigkeit
seiner Dienststelle und nach seiner eigenen Stellung in dieser befugt ist (BVerwG,
BVerwGE 63, 110, 113). Das Bundeswehrzentralkrankenhaus in K. war nicht die
zuständige Dienststelle, die über die Entlassung verbindlich zu entscheiden hatte.
Diese Entscheidung fällt in die Kompetenz des Personalamtes der Bundeswehr.
Der Chefarzt des Bundeswehrzentralkrankenhauses in K. ist, obwohl er
Disziplinarvorgesetzter des Antragstellers war, auch nicht befugt, den
Entlassungszeitpunkt hinsichtlich des Antragstellers verbindlich festzusetzen.
Die Antragsgegnerin muss sich die Erklärung des Chefarztes des
Bundeswehrzentralkrankenhauses in K. vom 24.02.2000, als Entlassungstag wurde
im Einvernehmen mit dem Soldaten der 31.05.2000 festgelegt, auch nicht über
die Grundsätze der Anscheinsvollmacht als eigene Zusicherung zurechnen lassen.
Die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze über die Anscheinsvollmacht gelten auch im
öffentlichen Recht (Clausen, in Knack, VwVfG, Kommentar, 6. Auflage, 1998, § 14
Rdnr. 3.5, S. 249), es sei denn, es ergibt sich etwas anderes aus bestimmten
Vorschriften des öffentlichen Rechts (Hess. VGH, NVwZ 1987, 898). Die
Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht liegen im Hinblick auf die Niederschrift
über die Eröffnung der Folgen der Entlassung des Chefarztes des
Bundeswehrzentralkrankenhauses in K. vom 24.02.2000 jedoch nicht vor. Der
Tatbestand erfordert diesbezüglich insbesondere, dass der Geschäftsgegner nach
Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln
seines Vertreters. Dies ist in Bezug auf den Antragsteller jedoch nicht der Fall.
Selbst wenn man unterstellt, der Chefarzt des Zentralkrankenhauses in K. habe
sich auch insoweit als ein zuständiger Vertreter der Antragsgegnerin geriert, durfte
der Antragsteller nach Treu und Glauben jedenfalls nicht annehmen, die
Antragsgegnerin dulde und billige dessen Handeln. Davon ist der Antragsgegner
auch selbst nicht ausgegangen. Er hat nämlich unter dem 09.03.2000 - und somit
nach dem 24.02.2000, an dem die Niederschrift über die Eröffnung der Folgen der
Entlassung durch den Chefarzt des Bundeswehrzentralkrankenhauses gefertigt
wurde - ein Schreiben an das für die Entlassung zuständige Personalamt der
Bundeswehr gerichtet, wie sich aus den der Kammer erst seit dem 09.05.2000
vorliegenden Behördenakten ergibt (Bl. 16), indem er dieses Amt bittet, das
Entlassungsdatum, wie mit dem Chefarzt des Bundeswehrkrankenhauses
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Entlassungsdatum, wie mit dem Chefarzt des Bundeswehrkrankenhauses
vereinbart, auf den 31.05.2000 festzulegen. Daraus folgt zwingend, dass der
Antragsteller die Niederschrift vom 24.02.2000 weder als Zusicherung ansah noch
den Chefarzt des Bundeswehrzentralkrankenhauses für einen
Anscheinsbevollmächtigten hielt.
Der Antragsteller kann seine Entlassung aus der Bundeswehr auch nicht gemäß §
46 Abs. 6 SG verlangen. Nach dieser Norm ist der Berufssoldat auf seinen Antrag
vor Ablauf der in den Absätzen 3, 4 und 5 genannten Dienstzeiten zu entlassen,
wenn das Verbleiben im Dienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere
häuslicher, beruflicher oder wirtschaftlicher Gründe eine besondere Härte
bedeuten würde. Aus dem Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelung folgt, dass
das Verbleiben im Wehrdienst für den Berufssoldaten nur dann eine besondere
Härte darstellt, wenn in seinen persönlichen, d.h. außerdienstlichen, Verhältnissen
durch den Eintritt unvorhergesehener, außergewöhnlicher (schicksalhafter) und in
der Regel existenzgefährdender Veränderungen, denen er sich aus rechtlicher
oder sittlicher Pflicht nicht zu entziehen vermag, so hart betroffen wird, dass die
daraus folgenden Belastungen nur durch eine vorzeitige Entlassung aus dem
Wehrdienst beseitigt werden können (Scherer/Alff, Soldatengesetz, 6. Auflage,
1988, § 46 Rdnr. 45). Die besondere Härte verlangt eine in dem persönlichen
Lebensbereich des Soldaten liegende Belastung. Innerdienstliche Gründe oder
nicht in Erfüllung gegangene Laufbahnerwartungen reichen nicht aus. Es muss sich
um Veränderungen im persönlichen Lebensbereich handeln, die der Soldat nicht
selbst, und sei es auch nur mittelbar, veranlasst hat. In keinem Fall liegt ein
Entlassungsgrund vor, wenn der Entschluss zum Berufswechsel wesentlich von
materiellen Überlegungen bestimmt ist (Scherer/Alff, a.a.O.).
Vorliegend ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller in seinem persönlichen
Lebensbereich Veränderungen erlitten hat, die er nicht selbst veranlasste. Die
Übernahme einer zivilen Praxis durch den Antragsteller fällt jedenfalls nicht
hierunter. Auch der Umstand, dass der Antragsteller aufgrund seines
fortgeschrittenen Lebensalters nach dem 01.09.2000 wohl nicht mehr in die
Versorgungskasse der Landesärztekammer Hessen aufgenommen wird, ist nicht
als eine solche Veränderung im persönlichen Lebensbereich anzusehen. Dieser
Umstand ist vielmehr zwingende Folge der Entscheidung des Antragstellers, aus
dem Dienst der Antragsgegnerin auszuscheiden, um eine zivile Tätigkeit zu
übernehmen.
Auch der Hilfsantrag des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Dieser Antrag, der
dahingehend auszulegen ist, dass der Antragsteller Sonderurlaub nach § 9
Soldatenurlaubsverordnung (SUV) i.V.m. mit dem dazu ergangenen
Ausführungsbestimmungen begehrt, bleibt deshalb erfolglos, weil die
tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Nach § 9 SUV gelten für
den Sonderurlaub der Soldaten die Vorschriften für Bundesbeamte entsprechend,
sofern sich aus den folgenden Vorschriften nichts anderes ergibt.
Nach Nr. 83 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen (ZDv 14/5, F 511) kann
Berufssoldaten Urlaub unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge erteilt werden,
wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dienstliche Gründe nicht entgegen stehen.
Urlaub für mehr als drei Monate kann nur in besonders begründeten Fällen erteilt
werden. Die Antragsgegnerin hat hinreichend dargetan, dass der Gewährung von
Sonderurlaub für den Antragsteller dienstliche Gründe entgegenstehen. Der
Antragsteller wird im Bundeswehrzentralkrankenhaus in K. als Hals-Nasen-
Ohrenarzt in der betreffenden Abteilung benötigt. Ein entsprechend qualifizierter
Facharzt mit vergleichbaren medizinischen Kenntnissen und Erfahrungen steht bis
zu dem frühest möglichen Entlassungszeitpunkt des Antragstellers am 05.12.2000
nicht zur Verfügung.
Ferner liegt auch ein wichtiger Grund im Sinne des Abs. 1 dieser
Ausführungsvorschriften nicht vor. Nach Nr. 84 Abs. 3 dieser Vorschriften kann ein
wichtiger Grund im Sinne des Absatzes 1 in folgenden Fällen vorliegen:
Studienabschluss, Studienreise, Besuch von Tagungen, Erntehilfe im
Familienbetrieb, Vorbereitung eines Berufswechsels außerhalb der Berufsförderung
oder Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in einer Instanz.
Durch den dort beispielhaft aufgeführten Urlaubsgrund der Vorbereitung eines
Berufswechsels außerhalb der Berufsförderung ist zu schließen, dass die
Gewährung von Sonderurlaub zur Aufnahme eines Berufes nicht vorgesehen ist.
Die Ausübung einer zivilen ärztlichen Tätigkeit ist als eine solche Berufsaufnahme
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Die Ausübung einer zivilen ärztlichen Tätigkeit ist als eine solche Berufsaufnahme
zu betrachten, für die Sonderurlaub vor Ablauf der Dienstzeit grundsätzlich nicht
zu gewähren ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.