Urteil des VG Gießen vom 10.01.2011

VG Gießen: hessen, plastische chirurgie, empfehlung, stadt, körperliche unversehrtheit, anbieter, firma, berufsausübung, geschäft, behandlung

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Gericht:
VG Gießen 21.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21 K 1584/10.GI.B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 34 Abs 5 ÄBerufsO HE, § 22
HeilBerG HE
Ärztliches Berufsrecht; Empfehlung eines bestimmten
Kosmetikinstituts durch Schönheits-Chirurgen
Leitsatz
1. Ein hinreichender Grund für das Verweisen an bestimmte Anbieter im Sinne von § 34
Abs. 5 BO muss sich - anders als bei einer Beurteilung auf der Grundlage von § 3 Abs. 2
BO - nicht unmittelbar aus dem Bereich der Medizin ergeben.
2. Einzelfall einer berufsrechtlich nicht zu beanstandenden Kooperation zwischen Arzt
und gewerblichem Anbieter (hier: Kosmetikinstitut).
Tenor
Die Beschuldigte wird vom Vorwurf des Berufsvergehens freigesprochen.
Die der Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen werden der
Landesärztekammer Hessen auferlegt.
Gründe
I.
Die Beschuldigte hat in E-Stadt Medizin studiert; ihre Approbationsurkunde datiert
aus dem Jahre 1979. Ihre Promotion schloss sie an der Universität E-Stadt im Jahre
1985 ab. Die Ärztekammer Nordrhein erteilte ihr am 12. August 1993 in
Verbindung mit der Gebietsbezeichnung Chirurgie die Anerkennung der
Teilgebietsbezeichnung Plastische Chirurgie. Die Landesärztekammer Hessen
beurkundete am 1. August 1997 ihre Anerkennung als Fachärztin für Plastisch-
Ästhetische Chirurgie.
In F-Stadt ist sie als einzige Fachärztin für Plastisch-Ästhetische Chirurgie
niedergelassen. Sie betreibt dort seit dem Jahre 1994 eine Privatpraxis.
II.
Aufgrund der Beschwerde des Facharztes für Plastisch-Ästhetische Medizin Dr.
med. G., welche sich nicht in den Ermittlungsunterlagen befindet, wandte sich die
Rechtsabteilung der Landesärztekammer Hessen erstmals mit Schreiben vom 16.
Juli 2009 an die Beschuldigte. Dr. med. G. ist Chefarzt der Klinik für Plastische,
Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie in H-Stadt. Er arbeitet
zeitweise zusammen mit der Neurochirurgin Dr. I., welche seit August 2008 in F-
Stadt das „Institut J.“ mit einem ganzheitlichen Anti-Aging-Konzept betreibt. Bei
einer medienöffentlichen Konzeptvorstellung legte die Neurochirurgin Wert auf
medizinisch-ästhetische, nichtoperative Behandlungsmethoden. Unter anderem
hat sie für das Personal-Coaching als Kooperationspartner den Besitzer des Body-
Vibration-Center, Herrn K.. Der Anzeigenerstatter Dr. med. G. hielt zur Einführung
des Instituts J. im Sommer 2008 einen medienöffentlichen Einführungsvortrag und
nahm sogenannte Live-Demonstrationen vor.
Mit dem erwähnten Schreiben vom 16. Juli 2009 übersandte die Rechtsabteilung
der Landesärztekammer Hessen der Beschuldigten den Auszug eines
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der Landesärztekammer Hessen der Beschuldigten den Auszug eines
Werbeprospekts des Mode- und Kosmetikgeschäfts „M…“, das auch
Kosmetikbehandlungen anbietet. Im Rahmen der Werbung für diese kosmetischen
Behandlungen heißt es dort unter anderem: „M… in F-Stadt bietet ab sofort in
Kooperation mit der Praxis für Plastische und Ästhetische Chirurgie von Dr. A.
spezielle, aufeinander abgestimmte Serviceangebote an, die eine professionelle
Rundumbehandlung garantieren. … das erste Service-Package ist „Eye Beauty.
Der Kunde erhält eine kostenlose Hyaluron-Vitallaser-Probebehandlung und hat
die Möglichkeit, sich ausführlich über individuelle Maßnahmen der Plastischen und
Ästhetischen Chirurgie beraten zu lassen. Ein typgerechtes Make-up und Make-up
Beratung runden das Paket ab. Weitere Service-Angebote sind bereits in Planung“.
Darauf erwiderte die Beschuldigte unter anderem mit Schreiben ihrer
Bevollmächtigten vom 10. August 2009, die Kooperation bestehe ausschließlich
darin, dass in Einzelfällen beispielsweise nach einem operativen Eingriff, falls die
Patientin dann mit der bisher geübten Schminktechnik oder den verwendeten
Produkten nicht mehr zurecht komme, dass Geschäft „M…“ empfohlen werde.
Umgekehrt werde seitens des „M…“ auf Nachfrage von Kundinnen, bei denen
allein kosmetische Behandlungen keine Wirkung mehr entfalteten, für die
Durchführung medizinischer Eingriffe eine Kontaktaufnahme mit der Beschuldigten
empfohlen. Mit Ausnahme dieser wechselseitigen Empfehlungen bestehe keinerlei
Kooperation.
Daraufhin beschloss der Vorstand der Landesärztekammer Hessen auf seiner
Sitzung vom 7. Oktober 2009 die Einleitung eines berufsrechtlichen
Ermittlungsverfahrens gegen die Beschuldigte wegen des Verdachts des
Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 2 sowie 34 Abs. 5 der Berufsordnung für die Ärztinnen
und Ärzte in Hessen (BO).
Nach Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen gemäß § 58 Abs. 3
HeilBG suchte die Landesärztekammer Hessen im Einverständnis mit der
Beschuldigten mit Schreiben vom 23. Februar 2010 um Zustimmung des
erkennenden Berufsgerichts zu einem Vorgehen auf der Grundlage des § 59 Abs.
6 HeilBG. Mit Schreiben vom 19. März 2010 lehnte das erkennende Gericht die
Erteilung der Zustimmung ab (Az.: 21 K 262/10.GI.B).
Mit der am 11. Mai 2010 beim erkennenden Gericht eingegangenen und mit
Beschluss vom 7. Dezember 2010 zur Hauptverhandlung zugelassenen
Anschuldigungsschrift vom 5. Mai 2010 wirft die Landesärztekammer Hessen der
Beschuldigten vor, im Januar 2010 ihren Beruf als Ärztin nicht gewissenhaft und
nicht gemäß dem Vertrauen, das dem Arztberuf entgegengebracht wird, ausgeübt
zu haben, indem sie in Absprache mit den Betreibern des Einzelhandelsgeschäfts
für Damen- und Herrenmode, Kosmetik, Parfümerie, Bücher, Musik und
Kosmetikbehandlungen mit der Firma M… in F-Stadt, ihren Patienten gelegentlich
die Dienstleistung des Visagisten der Firma M… empfahl, während im Gegenzug
dieser seinen Kunden/Innen gelegentlich die schönheitschirurgische Behandlung
durch die Beschuldigte empfahl. Ferner wird ihr vorgeworfen, dem
Einzelhandelsgeschäft M… die Verwendung ihres Namens und Facharzttitels bei
ihren Werbeaussagen zu nennen. Die Landesärztekammer Hessen sieht auf der
Anschuldigungsschrift darin Berufsvergehen nach § 22 Hessisches
Heilberufsgesetz (HeilBG), §§ 2 Abs. 2, 3 Abs. 1, 34 Abs. 5 der Berufsordnung für
die Ärztinnen und Ärzte in Hessen.
III.
Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung steht folgender Sachverhalt zur
Überzeugung des Gerichts fest:
Die Beschuldigte führt sogenannte Schönheitsoperationen, unter anderem auch
zur Straffung der Augenpartien und Beseitigung von Schlupflidern durch, welche
dazu führen können, dass die Patientinnen ihr Verhalten bei der kosmetischen
Pflege verändern sollten, um den bestmöglichen postoperativen optischen
Eindruck zu erzielen. Im Interesse ihrer Patientinnen wie auch des Rufes ihrer
Praxis ist der Beschuldigten daran gelegen, dass die entsprechende kosmetische
Beratung und Behandlung von kompetenten Personen erfolgt. Der Mitbetreiber
des Geschäfts „M…“, Herr L., ist von Beruf Visagist und die Beschuldigte, die
bereits seit dem Jahre 1999 in F-Stadt niedergelassen ist, einigte sich zu einem
Zeitpunkt, der erheblich vor dem Sommer 2009 lag, gesprächsweise mit ihm
dahingehend, dass sie in für geeignet erachteten Einzelfällen den Patientinnen
eine Vorsprache bei ihm empfehle. Bei Patientinnen, die auf ihre Empfehlung hin
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eine Vorsprache bei ihm empfehle. Bei Patientinnen, die auf ihre Empfehlung hin
im Geschäft erschienen, führte er auch selbst die Behandlungen durch. Das
Feedback zu diesen Behandlungen war ausgesprochen positiv.
Ab dem Jahre 2009, nach erfolgtem Umzug in ihre jetzigen Praxisräume, gab die
Beschuldigte keine Empfehlungen mehr zur Behandlung im Geschäft „M…“ ab. Ihr
war von Patientinnen das in der Ermittlungsakte befindliche Werbeprospekt der
Firma „M…“ mitgebracht worden, das die Firma zuvor nicht mit ihr abgestimmt
hatte. Sie rief daraufhin Herrn L. an und sagte ihm:
„Das ist ein bisschen heftig.“ Sie stehe nicht dahinter. Von da an schickte sie
keine Patientinnen mehr dorthin. Die in dem Werbeprospekt erwähnten
kostenlosen „Service-Packages“ führte sie niemals durch.
IV.
Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den in der beigezogenen
Ermittlungsakte der Landesärztekammer Hessen sowie in der vorliegenden
Gerichtsakte vorhandenen Unterlagen, insbesondere den durch Verlesung in die
Hauptverhandlung eingeführten Erklärungen bzw. Urkunden sowie der Einlassung
der Beschuldigten, soweit ihr zu folgen ist.
V.
Das Verhalten der Beschuldigten stellt keinen Verstoß gegen ärztliches
Berufsrecht, insbesondere die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung im Sinne
des § 22 HeilBG, dar.
Zur gewissenhaften Berufsausübung gehört insbesondere die Einhaltungen der
Regelungen zur Berufsausübung in der Berufsordnung.
Soweit in der zugelassenen Anschuldigungsschrift der Beschuldigten ein Verstoß
gegen § 3 Abs. 1 BO vorgeworfen wird, liegt dieser nach dem festgestellten
Sachverhalt nicht vor. Soweit die Anschuldigungsschrift nach ihrem Wortlaut offen
lässt, gegen welche der in § 3 Abs. 1 BO aufgestellten Regelungen verstoßen
worden sein soll, ist klarzustellen, dass – vom angeschuldigten Sachverhalt
ausgehend – nur § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BO in Bezug genommen sein kann.
Danach ist es dem Arzt verboten, seinen Namen in Verbindung mit einer
ärztlichen Berufsbezeichnung in unlauterer Weise für gewerbliche Zwecke
herzugeben. Ebenso wenig darf er zulassen, dass in seinem Namen oder vom
beruflichen Ansehen des Arztes in solcher Weise Gebrauch gemacht wird.
Nach den glaubhaften Bekundungen der Beschuldigten in der Hauptverhandlung
steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sie dem Einzelhandelsgeschäft
„M…“ nicht erlaubt hatte, ihren Namen und Facharzttitel bei seinen
Werbeaussagen zu nennen. Vielmehr hat sie nach Kenntniserlangung, dass
mögliche unternommen, das Vorgehen des Geschäfts „M…“ zu unterbinden.
Die Beschuldigte hat aber auch nicht gegen ihre in § 34 Abs. 5 BO normierte
Berufspflicht verstoßen, wonach es Ärzten nicht gestattet ist, Patientinnen ohne
hinreichenden Grund an bestimmte Apotheken, Geschäfte oder Anbieter von
gesundheitlichen Leistungen zu verweisen.
Insoweit hat die Beschuldigte bereits im Ermittlungsverfahren eingeräumt, dass sie
mit dem Visagisten Herrn L., Mitinhaber der Geschäfts „M…“ eine mündliche
Vereinbarung zur gegenseitigen Empfehlung in geeigneten Einzelfällen getroffen
hatte. Dies hat sie in der Hauptverhandlung bestätigt. Danach kam es vor, dass
Patientinnen sich nach durchgeführten Operationen wegen Schlupflidern oder nach
Oberlidplastikoperationen genauso schminken wie zuvor, was den postoperativen
optischen Eindruck nicht optimal förderte. Nach Ratschlägen zu Schminktechniken
befragt, empfahl sie dann Herrn L. von der Firma „M…“, der nach ihren
Erkenntnissen kompetent war. Alle empfohlenen Patienten waren mit seiner
Behandlung sehr zufrieden. Es ist bereits zweifelhaft, ob eine solche „lockere“
Empfehlung, welche die Patientinnen nach eigenem freien Entschluss befolgen
konnten oder nicht, ohne irgendwelche Nachteile befürchten zu müssen, bereits
den Tatbestand des „Verweisens“ im Sinne von § 34 Abs. 5 BO erfüllt. Dieser von
der Berufsordnung verwandte Begriff dürfte vielmehr beinhalten, dass der Arzt
seiner Empfehlung auf irgendeine Weise einen besonderen Nachdruck beifügt, um
die Wahlfreiheit der Patienten einzuschränken. Dafür sind hier jedoch keinerlei
Anhaltspunkte darin getan oder zu Tage getreten.
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Auch ist zweifelhaft, ob die Durchführung kosmetischer Behandlungen, die nicht in
die körperliche Unversehrtheit eingreifen, sondern, wie hier, sich auf äußerliche
Verschönerungen, etwa unter zu Hilfenahme von Schminktechniken beschränken,
„gesundheitliche Leistungen“ im Sinne von § 34 Abs. 5 BO darstellen.
Jedenfalls aber scheitert der gegen die Beschuldigte erhobene Vorwurf des
Verstoßes gegen § 34 Abs. 5 BO daran, dass sie ihre Patientinnen in ihr geeignet
hinreichendem Grund
„M…“ verwies. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass
„hinreichende Gründe“ im Sinne der hier vorliegenden berufsständischen
Regelung sich – anders als bei einer Beurteilung auf der Grundlage des § 3 Abs. 2
BO - nicht unmittelbar aus dem Bereich der Medizin ergeben müssen (vgl. BGH,
Urteil vom 9. Juli 2009 – Az.: I ZR 13/07 -; juris – m.w.N.).
Dieser Rechtsprechung schließt sich das erkennende Gericht an. Anders als in § 3
Abs. 2 BO ergibt sich die Forderung nach dem Vorliegen medizinischer Gründe zur
Rechtfertigung des Ausnahmefalles bei Zugrundelegung des § 34 Abs. 5 BO nicht
aus dem Wortlaut der Bestimmung. Von Sinn und Zweck der Regelung des § 34
Abs. 5 BO her ist eine solche einengende Auslegung auch nicht geboten. Die
Vorschrift dient nicht dem unmittelbaren Gesundheitsschutz, sondern dem Erhalt
des Vertrauens der Patientinnen und Patienten in die ärztliche Integrität in dem
Sinne, dass die ärztliche Berufsausübung nicht an ökonomischen Kriterien
orientiert erfolgt und das Ansehen des ärztlichen Berufsstandes in der
Bevölkerung nicht im Einzelfall dazu missbraucht wird, um kommerzielle
Bestrebungen zu unterstützen. Von daher darf kein Zweifel an der Einhaltung des
berufsethischen Grundsatzes aufkommen, dass Ärzte allein anhand des
Patienteninteresses entscheiden, ob sie diese an bestimmte Anbieter
gesundheitlicher Leistungen verweisen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2010 –
„Brillenversorgung II, verkürzter Versorgungsweg“ -; juris).
Wenn damit mittelbar auch der Gesundheitsvorsorge gedient wird, so genügt es
allerdings in Ansehung der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der
Berufsausübung gemäß § 12 GG, dass Gründe für die Verweisung an Apotheker,
Geschäfte oder Anbieter von gesundheitlichen Leistungen im Einzelfall vorliegen,
die am Patientenwohl orientiert sind.
Dies ist hier der Fall. Unabhängig davon, ob die Beschuldigte Patientinnen das
Geschäft „M…“ oder den Visagisten L. persönlich empfahl, führte der von ihr als
geeignet befundene Herr L. nämlich nach Kenntnis der Beschuldigten die
Behandlungen regelmäßig so durch, wie es dem erwünschten Erfolg für das
Aussehen der Patientinnen entsprach.
Es erscheint unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt verhältnismäßig oder gar
geboten, Schönheitschirurgen grundsätzlich und ausnahmslos die Abgabe von
Empfehlungen für Patientinnen geeignete Anbieter kosmetischer Leistungen zu
untersagen. Bei Vorliegen hinreichender Gründe im oben dargestellten Sinne
dürfte die entsprechende Empfehlung sachkundiger sein und damit eher im
Interesse der Patientinnen liegen, als die – allgemein zulässige – Empfehlung
durch Dritte, deren Sachkunde nicht immer anzunehmen sein wird.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs. 6 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit
Abs. 5 Sätze 2 und 3 HeilBG.
Gemäß § 78 Abs. 5 Sätze 1 und 2 HeilBG wird keine Verfahrensgebühr erhoben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.