Urteil des VG Gießen vom 08.09.2003

VG Gießen: befreiung, schutz der gesundheit, nicht störender gewerbebetrieb, stand der technik, privates interesse, öffentliches recht, grundstück, ausnahme, verordnung, gebäude

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Gericht:
VG Gießen 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 1173/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 BImSchG, § 22 Abs 1
BImSchG, § 2 BImSchV 26, § 1
BauGB, § 31 BauGB
(Mobilfunk-Sendeanlage im allgemeinen Wohngebiet;
Nachbarschutz - Gebietsfestsetzungen; Anfechtung einer
Ausgangsverfügung in Gestalt des
Widerspruchsbescheids)
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks A in G..., auf dem sich ein Wohnhaus
befindet. Hieran grenzt das Nachbargrundstück B, für das die Beklagte der
Beigeladenen eine Baugenehmigung erteilt hat, über die die Beteiligten streiten.
Für das im Zusammenhang bebaute Gebiet existiert kein Bebauungsplan; wegen
der baulichen Situation, insbesondere Grundstücksnutzungen, wird auf die bei den
beigezogenen Behördenakten befindlichen Pläne und Aufstellungen Bezug
genommen.
Nachdem die Beigeladene im April 2000 auf dem Gebäude B eine Mobilfunkanlage
errichtet hatte, kam es zu Nachbarbeschwerden, in deren Folge die Kläger unter
dem 05.09.2001 Klage auf Erlass einer Abrissverfügung erhoben (Az.: 1 E
2381/01), die sie nach einem rechtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung
vom 28.01.2002 zurücknahmen. Mit Schriftsatz vom 15.07.2002 erhoben die
Kläger erneut Klage (Az.: 1 E 2447/02), mit der sie die Verpflichtung der Beklagten
begehrten, der Beigeladenen die Baugenehmigung für die streitbefangene
Mobilfunkanlage zu verweigern und die Betriebsuntersagung anzuordnen. Auf
einen rechtlichen Hinweis des Gerichts bezüglich verschiedener
Zulässigkeitsbedenken wurde die Klage unter dem 02.10.2002 dahin abgeändert,
dass nunmehr die Aufhebung der zwischenzeitlich erteilten Baugenehmigung und
eine Nutzungsuntersagung beantragt werde. Mit Schriftsatz vom 15.10.2002
wurde auch diese Klage zurückgenommen.
Zuvor hatte die Beigeladene unter dem 25.09.2002 einen Bauantrag für die
bereits durchgeführte Errichtung eines Mobilfunksendemastes und die
Nutzungsänderung eines Kellerraumes zum Mobilfunktechnikraum auf dem
streitbefangenen Grundstück gestellt. Ausweislich der vorgelegten Pläne ragt der
insgesamt 5,10 m hohe Mast 3,50 m über dem 11,75 m hohen Dachfirst hinaus,
so dass die Gesamthöhe 15,25 m beträgt. Eine Standortbescheinigung über die
Einhaltung der Sicherheitsabstände und Grenzwertanforderungen gem. § 59 TKG
i.V.m. § 6 TKZulV wurde von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post bereits unter dem 23.02.2000 erteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Bauantrages wird auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen. Die
Beigeladene erklärte gegenüber der Beklagten, sie wünsche gem. § 6 der
FreistellVO eine Entscheidung auf Grundlage des bisherigen Rechts.
Mit Bescheid vom 12.06.2002, der Beigeladenen und den Klägern am 06.09.2002
zugestellt, erteilte die Beklagte der Beigeladenen die Baugenehmigung zur
"Errichtung einer Mobilfunkstation mit Sendemast und Nutzung eines Kellerraumes
als Betriebsraum (bereits ausgeführt)". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf
den Bescheid Bezug genommen.
Gegen diese Baugenehmigung legten die Kläger mit am 24.09.2002 bei der
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Gegen diese Baugenehmigung legten die Kläger mit am 24.09.2002 bei der
Beklagte eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Die Mobilfunksendeanlage
sei eine gewerbliche Anlage, die in dem reinen Wohngebiet nicht errichtet und
betrieben werden dürfe. Von ihr gingen außerdem Gesundheitsgefahren aus.
Das Regierungspräsidium G... wies diesen Widerspruch mit Bescheid vom
12.03.2003 zurück und führte zur Begründung unter näherer Darlegung im
Einzelnen aus, die genehmigte Anlage sei kein Vorhaben i.S.v. § 29 BauGB, denn
sie habe aufgrund ihrer konkreten Gestaltung in der bestehenden
Umgebungssituation (Rundfunk- und Fernsehantennen sowie Satellitenschüsseln)
keine übermäßigen Auswirkungen auf das Ortsbild der näheren Umgebung oder
die Grundstücke der Kläger und sei deshalb planungsrechtlich nicht relevant.
Darüber hinaus handele es sich bei dem streitbefangenen Gebiet zumindest um
ein Allgemeines Wohngebiet, wo die Anlage als nicht störende betriebliche
Nutzung ausnahmsweise zulässig sei; sie entspreche den Bestimmungen der 26.
BImSchV. In dem Kostenausspruch des Widerspruchsbescheides wurden die
Verwaltungskosten auf 2.008,10 € festgesetzt.
Mit am 10.04.2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger Klage
erhoben. Die streitbefangene Baugenehmigung verstoße gegen öffentliches Recht.
Das genehmigte Vorhaben sei bauplanungsrechtlich relevant und damit eine
Anlage i.S.v. § 29 BauGB, denn auf Grund seiner Höhe und der exponierten Lage
sei das Ortsbild als städtebaulicher Belang berührt, ebenso die Anforderungen an
gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie die Belange des Fernmeldewesens.
Die Mobilfunkanlage als gewerbliche Nutzung füge sich nicht in die Eigenart der
näheren Umgebung ein, die sich als reines Wohngebiet darstelle. Wegen der
optischen Wirkung der Anlage und der konkreten Bebauungssituation sei auf einen
Bereich von ca. 75 Meter um die Sendeanlage abzustellen. Dort gebe es
ausschließlich Wohnnutzung. Dieser Einstufung stünden auch vereinzelte
freiberufliche Nutzungen nicht entgegen. Die Mobilfunkanlage sei auch keine
Nebenanlage im bauplanungsrechtlichen Sinn, weil ihr Einwirkungsbereich über das
Baugebiet hinaus gehe. Der Charakter dieses Baugebietes habe
nachbarschützende Qualität, auf eine tatsächliche Beeinträchtigung komme es
nicht an. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB lägen
nicht vor, denn es fehle an der Atypik des Vorhabens und auch ein Ermessen sei
insoweit nicht ausgeübt worden. Bereits die Ungewissheit bezüglich drohender
Gesundheitsschäden begründe die Gebietsunverträglichkeit einer
Mobilfunksendeanlage im reinen Wohngebiet und stehe einer Befreiung entgegen.
Die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV reiche nicht aus, um den Schutz
der Allgemeinheit und insbesondere der unmittelbaren Nachbarn vor den
nachteiligen Folgen der dauerhaften Bestrahlung sicherzustellen, denn die
Verordnung habe nur einen beschränkten Schutzbereich bezüglich thermischer
Effekte, schütze aber nicht vor den Gesundheitsgefährdungen durch athermische
Effekte, für die es wissenschaftlich begründete Hinweise gebe. Somit verstoße die
26. BImSchV gegen das Vorsorgeprinzip des § 23 BImSchG, und es ergäben sich
Zweifel an der Wirksamkeit der Verordnung. Die Existenz von
Mobilfunksendeanlagen in der Nachbarschaft führe mittlerweile bereits zu
erheblichen Wertminderungen bei Grundstücken. Der Kostenansatz im
Widerspruchsbescheid sei weit überhöht und geeignet, betroffene Bürger von der
Wahrnehmung ihrer Rechte abzuhalten.
Die Kläger beantragen,
die der Beigeladenen unter dem Datum des 12. Juni 2002 erteilte
Baugenehmigung zur Errichtung einer Mobilfunkstation mit Sendemast und
Nutzung eines Kellerraumes als Betriebsraum auf und im Gebäude des
Grundstücks B in G..., in Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Regierungspräsidiums G... vom 12. März 2003 aufzuheben,
die Beklagte zu verpflichten, der Beigeladenen die Nutzung der
Mobilfunkstation mit Sendemast und des Kellerraumes als Betriebsraum auf und
im Gebäude des Grundstücks B in G..., sofort vollziehbar zu untersagen,
der Beklagten die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des
Vorverfahrens aufzuerlegen,
hilfsweise die Verwaltungskostenfestsetzung in Ziffer 3 Satz 2 des
Widerspruchsbescheides vom 12.03.2003 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, diese unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
festzusetzen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen des angefochtenen
Widerspruchsbescheides, die sie vertieft und ergänzt. Auf dem Dach des
streitbefangenen Gebäudes stehe eine TV-Antenne, die den danebenstehenden
Mobilfunkmast um knapp 1 m überrage, was die mangelnde baurechtliche
Relevanz des Funkmastes belege. In der näheren Umgebung finde sich
überwiegend, aber keinesfalls ausschließlich Wohnbebauung, was im Einzelnen
ausgeführt wird. Die streitbefangene Anlage würde sich aber als
fernmeldetechnische Nebenanlage selbst im reinen Wohngebiet einfügen. Der
Klageantrag zu 2. sei unzulässig, weil sich der zugrundeliegende Antrag auf
Nutzungsverbot vom 06.12.2000 durch die Erteilung der vollziehbaren
Baugenehmigung erledigt habe. Ihm fehle auch das Rechtsschutzbedürfnis, da
nichts dafür ersichtlich sei, dass eine durch Aufhebung der Baugenehmigung
formell illegal werdende Nutzung von der Beigeladenen fortgesetzt und auch von
der Beklagten geduldet würde. Der Hilfsantrag zu 3. sei unbegründet, da die
Beklagte hierfür nicht passiv legitimiert sei.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich nicht schriftsätzlich zur Sache
geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend
Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der
beigezogenen Gerichtsakten 1 E 1175/03, 1 E 1174/03, 1 E 2697/01, 1 E 2699/01,
1 E 2447/02 und 1 E 2381/01 sowie der beigezogenen Behördenakten (2 Hefter).
Entscheidungsgründe
Der Klageantrag zu 1. der Kläger auf Aufhebung der streitbefangenen
Baugenehmigung vom 12.06.2002 ist zulässig, aber in der Sache nicht begründet,
denn die Kläger haben kein Abwehrrecht gegen das genehmigte Vorhaben der
Beigeladenen auf dem Nachbargrundstück (§§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
Ein Abwehrrecht des Dritten gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung
besteht nur, wenn
- ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt
und die Voraussetzungen für eine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung nicht
vorliegen und
- die verletzten Vorschriften auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt,
also nachbarschützend sind, und
- durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des
Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschriften geschützten nachbarlichen
Belange eintritt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Hess. VGH, Beschl. v.
01.08.1991 - 4 TG 1244/91 -).
Daraus folgt, dass das Begehren des Dritten bereits dann abzulehnen ist, wenn die
Baugenehmigung ihn offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt.
Die der Beigeladenen von der Beklagten unter dem 12.06.2002 erteilte
Baugenehmigung zur Errichtung einer Mobilfunkstation mit Sendemast und
Nutzung eines Kellerraumes als Betriebsraum verstößt nicht gegen die öffentlich-
rechtlichen Vorschriften des Immissionsschutzes.
Beim Sendebetrieb mittels dieser Mobilfunksendeanlage des Mobilfunks entstehen
Immissionen und Emissionen im Sinne von § 3 Abs. 2 und 3 Bundes-
Immissionsschutzgesetz - BImSchG - (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 11.03.1993
- 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119) . § 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist nicht
einschlägig. Bei der Mobilfunksendeanlage handelt es sich um eine nicht nach den
§§ 4 ff. BImSchG genehmigungspflichtige Anlage. Die Pflichten der Betreiber nicht
genehmigungsbedürftiger Anlagen sind in § 22 BImSchG geregelt. Nach § 22 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu
errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert
werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Nach § 3 Abs. 1
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werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Nach § 3 Abs. 1
BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer
geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile - darunter sind vor allem
Vermögenseinbußen, die auf physischen Einwirkungen beruhen, zu verstehen (vgl.
Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - oder erhebliche
Belästigungen - dies sind unzumutbare Beeinträchtigungen des körperlichen und
seelischen Wohlbefindens unterhalb der Schwelle der Gesundheitsbeeinträchtigung
(vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.03.1993 - 10 S 1735/91 -, VBlBW
1994, 239; Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - für die
Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Derartige Einwirkungen sind
den davon Betroffenen grundsätzlich unzumutbar (vgl. BVerwG, Urteil vom
25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122; Hess. VGH, Beschluss vom
30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -). Die §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind
aufgrund der Einbeziehung der Nachbarschaft nachbarschützend (vgl. BVerwG,
Urteil vom 04.07.1986 - 4 C 31.84 -, BVerwGE 74, 315; Urteil vom 03.04.1987 - 4 C
41.84 -, NVwZ 1987, 884; Hess. VGH, Urteil vom 04.07.1985 - 3 OE 22/82 -, UPR
1986, 354; Beschluss vom 11.03.1993 - 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119;
Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -).
Die Mobilfunksendeanlage hielt und hält nach § 2 Nr. 1 26. BImSchV (Verordnung
über elektromagnetische Felder vom 16.12.1996, BGBl. I S. 1966) sowohl die zum
Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Anhang 1 der 26. BImSchV
bestimmten Grenzwerte als auch nach § 2 Nr. 2 26. BImSchV zusätzlich den im
hier vorliegenden Fall der Verursachung von gepulsten elektromagnetischen
Feldern maßgeblichen Spitzenwert ein. Dies ergibt sich aus der vorgenannten
Standortbescheinigung vom 23.02.2000, auf die Bezug genommen wird.
Die 26. BImSchV konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehaltene Maß
dessen, was an Umwelteinwirkungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BImSchG für die Nachbarschaft zumutbar ist. Nach der seit dem Inkrafttreten
dieser Verordnung ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung können
bei Einhaltung dieser Verordnung keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch
Sendeanlagen für den Mobilfunk oder vergleichbare Anlagen festgestellt werden;
eine Unterschreitung der sich nach der 26. BImSchV ergebenden
Sicherheitsabstände wurde in keinem Fall verlangt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom
08.07.1997 - 14 B 93.3102 -, NVwZ 1998, 419; VG Schleswig, Urteil vom
22.08.1997 - 12 A 77/93 -, NVwZ 1998, 434; Sächs. OVG, Beschluss vom
17.12.1997 - 1 S 746/96 -, DÖV 1998, 431; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
15.04.1997 - 10 S 4/96 -, NVwZ 1998, 416 ; Hess.
VGH, Beschluss vom 29.07.1999 - 4 TG 2118/99 -; VG Gießen, Beschluss vom
29.08.2000 - 1 G 2224/00 -; Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -). Nach
dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.1997 - 1 BvR 1658/96 -
(NJW 1997, 2509 = NuR 1997, 394) ist die 26. BImSchV eine geeignete Maßnahme
zur Abwehr von Gesundheitsgefahren aus elektromagnetischen Feldern. Als
normative Festlegung dieser Zumutbarkeitsschwelle schließt die 26. BImSchV
grundsätzlich die tatrichterliche Beurteilung aus, dass Immissionen der
Funkübertragungsanlage , die die Immissionsrichtwerte nach der 26. BImSchV
unterschreiten, im Einzelfall gleichwohl als erheblich i.S.d. vorgenannten
Vorschriften eingestuft werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.11.1994 -
7 B 73.94 -, NVwZ 1995, 993, zur vergleichbaren Problematik nach der 18.
BImSchV ). Nach dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 - ist durch die 26.
BImSchV den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - ergebenden
Anforderungen an den staatlichen Schutz der menschlichen Gesundheit genügt
und kann eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte erst
dann erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die
Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen lässt, welche
anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt
werden kann.
Auch aus § 50 BImSchG ergibt sich nichts anderes. Danach sind bei
raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung
vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche
Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen
dienenden Gebiete soweit wie möglich vermieden werden (sog.
immissionsschutzrechtliche Optimierungsgebot). § 50 BImSchG findet im Rahmen
des Baugenehmigungsverfahrens keine Anwendung. Der immissionsrechtliche
Schutz des Nachbarn richtet sich nach § 22 BImSchG. § 50 BImSchG wendet sich
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Schutz des Nachbarn richtet sich nach § 22 BImSchG. § 50 BImSchG wendet sich
nicht an die Bauaufsichtsbehörde, sondern richtet sich an alle, die im Bereich des
öffentlichen Rechts mit raumbezogenen Planungen und Maßnahmen befasst sind.
Es handelt sich - dies zeigt auch die Überschrift "Planung" - um eine
raumbezogene Planungsvorschrift mit einer in das Planungsstadium
vorverlagerten Umweltverträglichkeitsprüfung (vgl. BVerwG, Beschluss vom
10.09.1981 - 4 B 114.81 -, NJW 1982, 348; Urteil vom 04.05.1988 - 4 C 2.85 -,
NVwZ 1989, 151; VG Gießen, Beschluss v. 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -, NVwZ-RR
2002, 825; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand April 1999, Band I § 50
Anm. 2 u. 3; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 4. Aufl. 1999, § 50 Rn. 1 u.
2). Wie die Formulierung "so weit wie möglich" in § 50 BImSchG zeigt, ist bei der
Abwägung diesem Belang hinreichend Rechnung getragen, wenn der das Maß der
zulässigen Umwelteinwirkung regelnden Norm - hier der 26. BImSchV - Genüge
getan wird. Dies ist hier - wie gezeigt - der Fall (vgl. hierzu insgesamt Beschluss
des erkennenden Gerichts vom 08.07.2002 - 1 G 2239/02 -, NuR 2003, 60 f.).
Der klägerische Vortrag gibt auch keinen Anlass zu weiterer Amtsermittlung in
diesem Problemkreis. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass
dem Verordnungsgeber bei komplexen Gefährdungslagen, über die noch keine
verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, ein angemessener
Erfahrungs- und Anpassungsspielraum zukomme. In einer solchen Situation der
Ungewissheit verlange die staatliche Schutzpflicht von den Gerichten weder,
ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts zur
Durchsetzung zu verhelfen, noch die Vorsorgeentscheidung des
Verordnungsgebers unter Kontrolle zu halten und die Schutzeignung der
Grenzwerte jeweils nach dem aktuellen Stand der Forschung zu beurteilen. Es sei
vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der
Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu
bewerten, um ggf. weitergehende Schutzmaßnahmen treffen zu können. Eine
Verletzung der Nachbesserungspflicht durch den Verordnungsgeber könne
gerichtlich erst festgestellt werden, wenn evident sei, dass eine ursprünglich
rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit auf Grund neuer Erkenntnisse
oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich untragbar geworden sei.
Eine solche Verteilung der Verantwortung zur Beurteilung komplexer,
wissenschaftlich umstrittener Gefährdungslagen zwischen Exekutive und Gerichten
trage auch den nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen
Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung. Dies zeige der vorliegend in
Rede stehende Forschungsbereich deutlich. Untersuchungen zu den Auswirkungen
elektromagnetischer Felder auf den Menschen fänden bereits seit längerem auf
internationaler Ebene und fachübergreifend statt, insbesondere auch zu den hier
in Rede stehenden Einwirkungen unterhalb der geltenden Grenzwerte. Die
Forschungen seien nach wie vor keineswegs abgeschlossen. Vielmehr sei die Zahl
neuer Forschungsarbeiten äußerst groß. In dieser Situation könne durch die
Betrachtung einzelner wissenschaftlicher Studien kein konsistentes Bild über die
Gefährdungslage erlangt werden; eine kompetente Risikobewertung setze
stattdessen die laufende fachübergreifende Sichtung und Bewertung der
umfangreichen Forschung voraus. Diese Aufgabe werde von verschiedenen
internationalen und nationalen Fachkommissionen wahrgenommen, u.a. von einer
beim Bundesamt für Strahlenschutz gebildeten Arbeitsgruppe von Experten aus
den mit dem Forschungsgegenstand befassten Fachrichtungen. Es liege auf der
Hand, dass die gerichtliche Beweiserhebung anlässlich eines konkreten Streitfalles
die gebotene Gesamteinschätzung des komplexen wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes nicht leisten könne. Eine kompetente eigenständige
Risikobewertung durch die Gerichte könne erst erfolgen, wenn die Forschung so
weit fortgeschritten sei, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte
Fragestellungen verengen ließe, welche anhand gesicherter Befunde von
anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden könnten (BVerfG, Beschluss
vom 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 -).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet der klägerische Vortrag keine
Anhaltspunkte für die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen, etwa durch
Beweiserhebungen. Hiervon ist offensichtlich auch der Klägerbevollmächtigte in
der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2003 ausgegangen, denn er hat nach
dem ausführlichen rechtlichen Hinweis des Gerichts und dem sich hieran
anschließenden Rechtsgespräch trotz Nachfrage des Kammervorsitzenden keinen
der zuvor angekündigten Beweisanträge gestellt.
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht liegen für das von der Beklagten unter dem
12.06.2002 genehmigte Vorhaben der Beigeladenen die Voraussetzungen einer
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12.06.2002 genehmigte Vorhaben der Beigeladenen die Voraussetzungen einer
Ausnahme bzw. Befreiung vor, soweit es nicht ohnehin mit dem öffentlichen Recht
übereinstimmt.
Ohne Belang ist insoweit, dass die Beklagte tatsächlich keine Ausnahme- oder
Befreiungsentscheidung getroffen hat, da es nur darauf ankommt, ob die
Voraussetzungen hierfür vorliegen. Insoweit stellt sich auch die Frage von
Ermessensfehlern bei einer solchen Entscheidung im vorliegenden Fall nicht.
Auf die zwischen den Beteiligten streitige, bauplanungsrechtliche Frage des
Gebietscharakters des im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.v. § 34, in dem
das streitbefangene Grundstück liegt, kommt es vorliegend nicht an. Sofern es
sich hier um ein Mischgebiet handeln sollte - wofür nach Auffassung der Kammer
aber kaum Anhaltspunkte sprechen -, wäre die streitbefangene Anlage als
"sonstiger, nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb" (vgl. hierzu VG Gießen,
Beschluss vom 08.07.2002 - 1 G 2239/02 -, NuR 2003, 60) nach § 6 Abs. 2 Nr. 4
BauNVO ohne Weiteres zulässig. Die Bedenken des Verwaltungsgerichts Hamburg
in dem von der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2003
vorgelegten Beschluss (Az.: 4 VG 4640/2002) teilt das erkennende Gericht nicht.
Wenn das Verwaltungsgericht Hamburg zweifelt, ob eine Mobilfunkanlage trotz
Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen nicht doch eine
störende Nutzung darstellt, weil bei den Anwohnern hierdurch psychische
Belastungen ausgelöst würden, so ist dem entgegenzuhalten, dass es sich hierbei
zum einen nicht um einen bauplanungsrechtlichen, d.h. bodenrechtlichen
Gesichtspunkt handelt und dass zum anderen die Frage der psychischen
Belastung von Anwohnern von außerrechtlichen Determinanten abhängt, die sich
innerhalb kürzester Zeit in die eine oder andere Richtung verändern können. Eine
solche rechtliche Unsicherheit ist dem Inhaber einer Baugenehmigung bzw.
Betreiber einer gewerblichen Anlage aber unter Berücksichtigung der
Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG nicht zuzumuten.
Würde man dagegen die nähere Umgebung der streitbefangenen Anlage als
Allgemeines Wohngebiet qualifizieren, so wäre diese dort ausnahmsweise zulässig.
Nach § 31 Abs. 1 BauGB, der gem. § 34 Abs. 2 BauGB im unbeplanten
Innenbereich entsprechend anzuwenden ist, i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO kann
in einem Gebiet, das einem Allgemeinen Wohngebiet entspricht, ein nicht
störender Gewerbebetrieb zugelassen werden, der nach Art und Umfang
gebietsverträglich ist und die allgemeine Zweckbestimmung des Gebiets nach § 4
Abs. 1 BauNVO, vorwiegend dem Wohnen zu dienen, nicht gefährdet (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 02.07.1991 - 4 B 1/91 -, NVwZ 1991, 982; Battis/Krautzberger/Löhr,
BauGB, 6. Aufl. 1998, Rz. 14 zu § 31). Eine solche Gefahr besteht im vorliegenden
Fall nicht, denn die streitbefangene Anlage hat nur geringe Ausmaße und fällt in
der konkreten Umgebungssituation kaum auf. Sie hat keinen Zu- und
Abgangsverkehr, benötigt keine zusätzlichen Erschließungs-, Verkehrs- oder
Stellplatzflächen und hat auch sonst keine Auswirkungen, die den
Gebietscharakter gefährden könnten, so dass für den Fall eines Allgemeinen
Wohngebietes bezüglich der streitbefangenen Anlage die bauplanungsrechtlichen
Voraussetzungen für eine Ausnahme vorlägen.
Die Klage hätte mit ihrem Klageantrag zu 1. aber auch dann keinen Erfolg, wenn
die nähere Umgebung des streitbefangenen Grundstücks als reines Wohngebiet
anzusehen wäre, da die Mobilfunksendeanlage dann im Wege einer Befreiung
zugelassen werden könnte. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann eine solche Befreiung
erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe
des Allgemeinwohls die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich
vertretbar ist oder eine unbeabsichtigte Härte entstünde und wenn die
Abweichung auch unter Berücksichtigung nachbarlicher Interessen mit den
öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Voraussetzung für eine Befreiungsentscheidung ist aber zunächst das Vorliegen
eines atypischen Sonderfalles. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigt sich das Rechtsinstitut der Befreiung von
dem Gebot oder Verbot einer Norm daraus, dass die mit einer Normierung
regelmäßig verbundene Abstraktion und Verallgemeinerung unvermeidbar zu
Differenzen zwischen dem Regelungsinhalt und dem hinter der Regelung
stehenden Schutzgut führen könne, weil und soweit sie besonders gelagerten
Sachverhalten, die aus tatsächlichen Gründen "atypisch aus der Regel fallen", nicht
gerecht werden. Um im Einzelfall diesem Mangel abhelfen zu können, bedarf es
der Möglichkeit, in solchen atypischen Fällen von der Einhaltung einer Norm zu
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der Möglichkeit, in solchen atypischen Fällen von der Einhaltung einer Norm zu
befreien (vgl. Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Aufl. 2001, Rz. 1941).
Daher ist die atypische Sondersituation immanentes Merkmal einer jeden
Befreiung (BVerwG, Beschluss vom 08.05.1989 - 4 B 78/89 -, NVwZ 1989, 1060).
Hieran ist auch nach der Neufassung des Baugesetzbuches durch das BauROG
1998 festzuhalten (vgl. Ferner, BauGB in: Das deutsche Bundesrecht, Stand:
3/2001, § 31, S. 189).
Eine solche atypische Sondersituation ist in dem vorliegenden Einzelfall zu
bejahen, da die Nutzung der streitigen Anlage zwar eine gewerbliche Nutzung
darstellt, nicht aber eine solche, wie sie § 3 BauNVO verhindern will. Die dort
normierte Beschränkung auf kleine Ladengeschäfte und Handwerksbetriebe, die
zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen bzw.
Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets
dienender Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
hat den Sinn, das im reinen Wohngebiet gewollte störungsfreie Wohnen zu
gewährleisten; hierzu gehören insbesondere störende Gerüche, Erschütterungen,
Lärm etc. Eine derartige Sachlage ist aber bei der im Streit befindlichen
Mobilfunkanlage nicht gegeben, da diese allein in optischer Hinsicht in Erscheinung
tritt und da auf Grund der Vereinbarkeit mit den einschlägigen
immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen (s.o.) ein störungsfreies Wohnen
gewährleistet ist. Außerdem nutzt sie die besondere Grundstückssituation aus,
indem sie auf einem vorhandenen Gebäude errichtet ist, dort in der konkreten
Umgebungssituation von untergeordneter Auswirkung ist und somit zusätzliche
und störende selbstständige Unterkonstruktionen vermieden werden können (vgl.
auch hierzu VG Sigmaringen, Urteil vom 26.03.2003 - 3 K 293/02 -).
Die Grundzüge der Planung i.S.v. § 31 Abs. 2 BauGB - dem entspricht im
unbeplanten Innenbereich der faktische Charakter des Gebiets - nämlich den
maßgeblichen Bereich als Wohngebiet zu erhalten, werden durch die
streitbefangene Anlage nicht berührt. Die betreffenden Grundstücke werden
weiterhin zu Wohnzwecken genutzt und das Gebiet bekommt keinen anderen
Charakter dadurch, dass auf einem Grundstück eine Mobilfunksendeanlage in der
hier konkret zur Beurteilung anstehenden Ausgestaltung errichtet ist (vgl. hierzu
Urteil des VG Würzburg vom 11.03.2003 - W 4 K 02.135 -).
Fraglich ist dagegen, ob im vorliegenden Fall Gründe des Allgemeinwohls die
Befreiung erfordern, weil die Nutzung eines Handys zum üblichen, wohl als
notwendig angesehenen Standard gehört und damit ein entsprechendes
Allgemeininteresse an der Lückenlosigkeit der Netzanlagen besteht (so VG
Würzburg, a.a.O.) und die Wertentscheidung des Art. 87 f. Abs. 1 GG für eine
flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit
Telekommunikationsdienstleistungen berücksichtigt werden muss (vgl. VG
Sigmaringen, a.a.O.). Im vorliegenden Verfahren ist nämlich nicht abschließend
geklärt worden, ob der konkrete Standort der streitbefangenen Anlage technisch
notwendig ist oder auch ein anderer Standort in Betracht käme, wiewohl der
Standort am höchstgelegensten Punkt der Umgebung nachhaltig dafür streitet.
Auf diese Frage, die möglicherweise mit einer (aufwändigen) Beweisaufnahme
hätte beantwortet werden müssen, kommt es aber im Ergebnis nicht an, da eine
Befreiung jedenfalls nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB städtebaulich vertretbar ist. Die
Befreiungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift ist mit der Änderung durch das
BauROG 1998 wesentlich erweitert worden und durch das sehr weite Merkmal der
"Vertretbarkeit" kaum eingeengt (Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., Rz. 35 f. zu §
31). Eine Abweichung ist dann städtebaulich vertretbar, wenn das Bauvorhaben
mit der geordneten städtebaulichen Entwicklung und Ordnung gemäß den
Anforderungen des § 1 Abs. 5 und 6 BauGB vereinbar ist und sie von der Art und
vom Umfang nicht die Bedeutung hat, dass unter Beachtung der §§ 1 Abs. 3, 13
BauGB eine Änderung bzw. Aufstellung eines Bebauungsplanes erforderlich wäre
(Ferner, a.a.O., S. 189 m.w.N.). Maßgeblich sind somit allein städtebauliche
Gesichtspunkte, die im konkret zur Entscheidung anstehenden Einzelfall keine
Zweifel an der städtebaulichen Vertretbarkeit zulassen. Dies ergibt sich vor allem
aus der Größe der streitbefangenen Anlage unter Berücksichtigung der sich aus
den beigezogenen Zeichnungen, Plänen und Bildern ergebenden
Umgebungssituation. Schon der Vergleich mit den tatsächlich existierenden oder
sonst üblichen TV-Antennenanlagen zeigt die geringe städtebauliche Bedeutung
der Mobilfunksendeanlage der Beigeladenen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht
aus dem gewerblichen Charakter ihrer Nutzung, da diese - wie bereits ausgeführt -
keine relevanten städtebaulichen Auswirkungen hat.
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Die Erteilung einer Befreiung ist auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen
mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Nach dem bereits Ausgeführten stehen
weder immissionsschutzrechtliche Bedenken noch sonstige rechtlich relevante
Schutzgüter auf Klägerseite einer Befreiung entgegen und auch öffentliche
Belange sind insoweit nicht erkennbar. Insbesondere ist das Ortsbild nicht in
relevanter Weise berührt. Aufgrund ihrer Größe und Gestaltung ruft die
streitbefangene Anlage unter Berücksichtigung der konkreten Gebietssituation
kein Bedürfnis nach einer Bauleitplanung hervor (vgl. zu einem ähnlich gelagerten
Fall VG Bayreuth, Urteil vom 05.07.2001 - B 2 S 01.367 -). Zudem streitet der
Umstand, dass die Beigeladene mit der Errichtung und dem Betrieb der
Mobilfunksendeanlage ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag nach den §§ 17, 18
Telekommunikationsgesetz - TKG - nachkommt und zur flächendeckenden
Versorgung weitgehend standortgebunden ein Netz von Mobilfunksendeanlagen
unterhalten muss, für die Befreiung (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 08.07.2001,
a.a.O.).
Nach alledem liegen für die Mobilfunksendeanlage der Beigeladenen bei Annahme
eines reinen Wohngebietes die Voraussetzungen für die Gewährung einer
Befreiung vor.
Selbst wenn man aber die nähere Umgebung des streitbefangenen Grundstücks
als nicht einem Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung zurechenbar
ansähe und deshalb auf § 34 Abs. 1 BauGB abstellte, wären dessen
Voraussetzungen des Einfügens aus den vorgenannten Gründen gegeben und
auch die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie
bezüglich der Wahrung des Ortsbildes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB sind
gewahrt.
In bauordnungsrechtlicher Hinsicht bestehen gegen die angefochtene
Baugenehmigung ebenfalls keine Bedenken, da die allein in Betracht kommenden
Gesichtspunkte der §§ 3 Abs. 1, 16 HBO 1993 (nunmehr §§ 3 Abs. 1, 12 HBO
2002) durch die Standortbescheinigung abgedeckt sind. Insoweit wird auf die
obenstehenden Ausführungen zur immissionsschutzrechtlichen Beurteilung
verwiesen.
Nach alledem ist die Klage mit ihrem Klageantrag zu 1. bereits abzuweisen, weil für
das genehmigte Vorhaben die Voraussetzungen für eine Ausnahme bzw.
Befreiung vorliegen, soweit es nicht ohnehin mit den öffentlich-rechtlichen
Vorschriften übereinstimmt.
Selbst wenn dies aber anders zu sehen wäre, könnte der Klageantrag zu 1. keinen
Erfolg haben, denn die streitbefangene Anlage verletzt nicht den rechtlich
gebotenen Nachbarschutz in dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil.
Nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschluss
v. 25.07.1991 - 4 TH 1032/91 -) der sich die Kammer anschließt, ist § 34 BauGB
nur insoweit nachbarschützend, als dem Gebot der Rücksichtnahme
Nachbarschutz zukommt. Eine solchermaßen schutzwürdige Position im Rahmen
des § 34 BauGB muss ein privates Interesse sein, das städtebaulich auch im
Rahmen der Bauleitplanung (§ 1 Abs. 5 und 6 BauGB) beachtlich sein könnte. Die
schutzwürdige Position muss außerdem eine sein, die in einem vergleichbaren
Planbereich durch die Festsetzung eines Bebauungsplans oder die ergänzende
Geltung des § 15 BauNVO ebenfalls so geschützt werden könnte, wie durch das
Gebot der Rücksichtnahme im unbeplanten Innenbereich. Schließlich muss die
Position so schutzwürdig sein, dass sie auch im Falle der Beplanung des
betreffenden Gebiets mit einem Bebauungsplan bei rechtmäßiger Ausübung des
planerischen Ermessens, nämlich bei sachgerechter Abwägung aller einschlägigen
Belange, sich im Ergebnis durchsetzen müsste, also nicht - oder in Sonderfällen
jedenfalls nicht entschädigungslos - entzogen werden könnte.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur nachbarschützenden
Wirkung von Gebietsfestsetzungen in beplanten Bereichen, auf die die Klägerseite
hinweist, lassen sich nicht auf den unbeplanten Innenbereich übertragen. § 34 Abs.
1 BauGB knüpft die Zulässigkeit von Vorhaben an eigenständige
Voraussetzungen, die im Vergleich mit den Festsetzungen eines Bebauungsplanes
notwendigerweise weniger scharf sind, da sie sich an der Umgebungsbebauung zu
orientieren haben. Die Vorschrift bietet keine Garantie dafür, dass die Eigenart
eines Gebiets auf Dauer unangetastet bleibt. Der vom Gesetzgeber in § 34 Abs. 1
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eines Gebiets auf Dauer unangetastet bleibt. Der vom Gesetzgeber in § 34 Abs. 1
BauGB verwandte Zulässigkeitsmaßstab bringt es zwangsläufig mit sich, dass sich
der Beurteilungsrahmen für künftige Vorhaben durch bauliche Veränderungen in
der Umgebung verschieben kann (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1997 - 4 B
195/97 -, NVwZ-RR 1998, 540).
Anhand dieses Maßstabes ist im vorliegenden Fall keine rechtlich schutzwürdige
Position erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das klägerische Interesse an
der Erhaltung der bisherigen Grundstückssituation im Falle einer isolierten
Beplanung des Beigeladenengrundstücks in einer Weise, die das genehmigte
Bauvorhaben ermöglichen würde, bei der dann nach § 1 Abs. 6 BauGB
erforderlichen Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen im Ergebnis
durchsetzen müsste.
Auch der Umstand, dass im Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme
bei störenden Nutzungen auch die Anforderungen des Immissionsschutzes nach
dem Maßstab des § 22 Abs. 1 BImSchG zu beachten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom
22.06.1990 - 4 C 6/87 -, NVwZ 1991, 64), führt zu keinem anderen Ergebnis, da
nach den vorstehenden Ausführungen zur immissionsschutzrechtlichen
Beurteilung diesen Anforderungen genügt wird.
Nach dem bereits Ausgeführten gehen von der streitbefangenen
Mobilfunksendeanlage keine Auswirkungen aus, die in Bezug auf das klägerische
Grundstück als rücksichtslos angesehen werden könnten.
Etwas anderes ergäbe sich auch dann nicht, wenn für dieses Grundstück
tatsächlich der behauptete Wertverlust eingetreten wäre. Wertminderungen als
Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bilden nicht für
sich genommen einen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinne des
Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht. Einen allgemeinen Rechtssatz
des Inhalts, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher
Wertminderung bewahrt zu bleiben, gibt es nicht (BVerwG, Beschluss vom
13.11.1997 - 4 B 195/97 -, BRS 59 Nr. 177). Selbst die durch eine rechtswidrige
Baumaßnahme eintretende Minderung des Verkehrswertes kann nur bei einer
"grundsätzlichen", d.h. die Funktionen und Nutzbarkeit des Grundstücks
betreffenden Entwertung erheblich sein. Es besteht kein Schutz gegen
Wertminderungen des eigenen Grundstücks durch die Bebauung eines anderen
Grundstücks, deren Auswirkungen nicht den Grad des schweren und
unerträglichen Eingriffs erreichen (Hess. VGH, Beschluss vom 31.10.1983 - 4 TG
41/83 -, Hess.VGRspr. 1984, 54 m.w.N.), wovon im vorliegenden Fall zweifellos
nicht auszugehen ist.
Darüber hinaus ist der Klageantrag zu 1. auch deshalb abzuweisen, weil eine
tatsächliche Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks für die Kammer nicht
erkennbar ist. Soweit die genehmigte Mobilfunksendeanlage überhaupt rechtlich
relevante Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke hat, erreichen sie jedenfalls
nicht die insoweit bestehende Bagatellgrenze. Der Annahme einer solchen Grenze
steht auch die von der Klägerseite herangezogene Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 16.09.1993 (Az.: 4 C 28.91, BRS 55 Nr. 110) nicht
entgegen. Zwar heißt es dort, dass ein Nachbaranspruch schon bestehe, wenn
das baugebietswidrige Vorhaben noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und
nachweisbaren Beeinträchtigung führe. Voraussetzung hierfür ist nach dieser
Entscheidung aber, dass eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird. Dies ist
bei einem Mobilfunkmast wie dem im vorliegenden Verfahren zur Beurteilung
Anstehenden nicht anzunehmen. Außerdem spricht die vorgenannte Entscheidung
an anderer Stelle selbst davon, dass eine erhebliche Verletzung des
Gebietscharakters notwendig sei, was nach dem bereits Ausgeführten ebenfalls zu
verneinen ist.
Nach alledem ist der Klageantrag zu 1. als unbegründet abzuweisen.
Auch der Klageantrag zu 2. auf Verpflichtung der Beklagten, der Beigeladenen die
Nutzung der streitbefangenen Anlage sofort vollziehbar zu untersagen, kann nach
dem Vorstehenden keinen Erfolg haben.
Der Klageantrag zu 3. ist unzulässig.
Bei der Kostenfestsetzung im Widerspruchsbescheid, auf die sich der Hilfsantrag
bezieht, handelt es sich gem. § 80 Abs. 3 HVwVfG um eine Entscheidung der
Behörde, die auch die Kostenentscheidung getroffen hat, mithin des
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Behörde, die auch die Kostenentscheidung getroffen hat, mithin des
Regierungspräsidiums G... als Widerspruchsbehörde. Diese Entscheidung kann
sowohl als selbstständiger Verwaltungsakt ergehen als auch mit der Entscheidung
über den Widerspruch verbunden werden. In beiden Fällen handelt es sich aber um
eine eigene Entscheidung der Widerspruchsbehörde, die gesondert gegenüber
deren Rechtsträger, dem Land Hessen, anzufechten wäre (vgl.
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, Rz. 95 zu § 80). Dies ergibt sich auch
aus § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, wonach Gegenstand der Anfechtungsklage der
ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den
Widerspruchsbescheid gefunden hat (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl.
2000, Rz. 6 a zu § 79). Hierzu zählt die Kostenfestsetzung nicht, so dass sich der
Hilfsantrag im Klageantrag zu 3. gegen den falschen Beklagten richtet.
Richtet sich dieser Hilfsantrag aber gegen einen anderen Beklagten als den,
gegenüber dem der Kostenausspruch des Gerichts in der Entscheidung über die
Klageanträge im Übrigen ergehen würde, so ist auch die Verbindung der Anträge
im Klageantrag zu 3. als Haupt- und Hilfsantrag unzulässig. Dies ergibt sich bereits
aus der nach § 173 VwGO entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 260
ZPO, wonach nur dann mehrere Ansprüche in einer Klage verbunden werden
können, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten.
Somit ist die Klage insgesamt mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO
abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für
erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO), da diese keinen Antrag gestellt
und sich somit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.