Urteil des VG Gießen vom 23.02.2005

VG Gießen: amtshandlung, vorverfahren, verwaltungsakt, anzeige, klärschlamm, verbraucherschutz, gebühr, verwaltungshandeln, landrat, beauftragter

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Gericht:
VG Gießen 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 E 3427/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 68 VwGO, § 16a VwGOAG
HE, § 7 AbfKlärV, § 11 Abs 1 Nr
1 VwKostG HE
(Vorverfahren bei Kostenentscheidungen gemäß § 16a
AGVwGO HE; Entgegennahme und Erfassung von Anzeigen
nach § 7 AbfKlärV als gebührenpflichtige Amtshandlung;
Kostenschuldnerschaft)
Leitsatz
1. Ein Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO entfällt in Kostenentscheidungen gemäß § 16a
HessAGVwGO i.V. m. Ziffer 10.1 zweite Alternative der Anlage, wenn es sich bei der
gebührenpflichtigen Amtshandlung um einen bestandskräftigen Verwaltungsakt
handelt.
2. Die Entgegennahme und Erfassung von Voranzeigen in Papierform nach § 7 Abs1
AbfklärV stellt keine gebührenpflichtige Amtshandlung i.S.d. HVwKostG dar.
3. Kostenschuldner nach § 11 Abs 1 Nr 1 HVwKostG ist nicht, wer die Erklärung über die
beabsichtigte Klärschlammaufbringung nach § 7 AbfklärV im Namen des
Anlagenbetreibers und nicht im eigenen Namen als beauftragter Dritter abgibt.
Tenor
Der Bescheid des Landrates des C-Kreises vom 27.08.2004 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin vorläufig
vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht die
Gläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Gebühren für die
Entgegennahme von Anzeigen gemäß § 7 AbfKlärV über die beabsichtigte
Aufbringung von Klärschlamm.
Die Klägerin betreibt für verschiedene kommunale Abwasserbehandlungsanlagen
die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm. Ihr obliegt dabei die
Übernahme der gesamten Dokumentationspflichten einschließlich des
Lieferscheinverfahrens nach der Klärschlammverordnung. Die Klägerin zeigte beim
Landrat des C-Kreises, Amt für den ländlichen Raum (ALR), die beabsichtigte
Klärschlammausbringung durch den Abwasserverband G., Auftrags-Nr. ... an.
Für die in Papierform eingereichte Lieferscheinvoranzeige erhob das ALR mit
Bescheid vom 27.08.2004 eine Gebühr in Höhe von 25,-- €. Gemäß der
beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung konnte gegen diesen Bescheid Klage erhoben
werden. Gleichwohl erhob die Klägerin Widerspruch und beantragte zugleich, die
Vollziehung des Bescheides gem. § 80 Abs. 4 VwGO auszusetzen.
Am 08.09.2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Entgegen der Auffassung des
Beklagten entfalle das Vorverfahren nicht. Darüber hinaus sei der
Gebührenbescheid auch rechtswidrig, da die ihm zugrunde liegende Tarifziffer der
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Gebührenbescheid auch rechtswidrig, da die ihm zugrunde liegende Tarifziffer der
Verwaltungskostenordnung für den Geschäftsbereich des Ministeriums für Umwelt,
ländlichen Raum und Verbraucherschutz nichtig sei. Es liege keine Amtshandlung
im Sinne von § 1 Abs. 1 HVwKostG vor. Die Klägerin sei auch nicht
Kostenschuldnerin gemäß § 11 HVwKostG. Sie habe nur fremde Erklärungen
übermittelt. Folglich wäre allenfalls der Betreiber der Abwasserbehandlungsanlage
in Anspruch zu nehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Gebührenbescheid des Landrates des C-Kreises vom
27.08.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Rechtsbehelfsbelehrung sei zutreffend. Amtshandlung im Sinne von Ziffer
10.1 der Anlage zu § 16 a HessAGVwGO - bezüglich der ein Vorverfahren nach §
68 VwGO entfalle - sei nicht nur eine solche, die zugleich als Verwaltungsakt
qualifiziert werden könne, sondern auch ein (gebührenpflichtiges) rein
tatsächliches Verwaltungshandeln. Die Gebühr sei auch zu Recht erhoben worden.
Die Voranzeige in Papierform verursache bei der Behörde nämlich mehr
Verwaltungsaufwand als die Voranzeige in digitalisierter Form. Denn neben der
Überprüfung der Angaben des Anzeigenden nach Maßgabe der Anforderungen der
Klärschlammverordnung seien die überprüften Daten durch Behördenbedienstete
zu digitalisieren und auf Vollständigkeit zu überprüfen. Durch Übersenden der
Voranzeigen habe die Klägerin das Verwaltungshandeln ausgelöst und sei deshalb
Veranlasser im Sinne des Kostenrechts.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen auf
den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und der Verfahren 6 E
3420/04, 6 E 3428/04, 6 E 3429/04, 6 E 3430/04, 6 E 4295/04, 6 E 4296/04, 6 E
4972/04, 6 E 5440/04, 6 E 5575/04, 6 E 5659/04, 6 E 5787/04, 6 E 5788/04 und 6 E
5873/04 sowie die Behördenakten zu den Verfahren (jeweils ein Hefter).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Zwar ist das nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO erforderliche Vorverfahren nicht
durchgeführt worden. Über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des
Landrates des C-Kreises vom 27.08.2004 ist rechtswidrig nicht entschieden
worden. Der Beklagte beruft sich zu Unrecht auf § 16 a HessAGVwGO i. V. m. Ziff.
10.1 zweite Alternative der Anlage. Denn dem angefochtenen Gebührenbescheid
liegt keine bestandskräftig gewordene Amtshandlung (Verwaltungsakt) zugrunde.
Nach der genannten Bestimmung entfällt das Vorverfahren nach § 68 VwGO, wenn
gegen die gebührenpflichtige Amtshandlung, auf die sich die Kostenentscheidung
bezieht, nicht Widerspruch oder bei Entfallen des Vorverfahrens nicht Klage
erhoben wird. Diese Norm unterscheidet zwischen der Amtshandlung, gegen die
im konkreten Fall nicht Widerspruch oder Klage erhoben wird, die also
bestandskräftig geworden ist, und der Kostenentscheidung. Die Formulierung
"nicht Widerspruch oder bei Entfallen des Vorverfahrens nicht Klage erhoben wird"
lässt eine Auslegung dahingehend, dass auch Amtshandlungen erfasst sein sollen,
bei denen ein Vorverfahren generell nicht stattfindet, nicht zu. Denn entfallen kann
ein Vorverfahren nur, wenn es an sich durchzuführen wäre und nicht, wenn es
mangels Verwaltungsaktscharakters der Amtshandlung von vornherein
ausscheidet. Dass der Gesetzgeber auch bei Kostenentscheidungen, denen keine
bestandkräftige Entscheidung in der Sache vorausgegangen ist, ein Vorverfahren
entfallen lassen wollte (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung vom 21.01.2002,
LT-Drs 15/3538 und Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und FDP vom
29.04.2002, LT-Drs 15/3880), ist unerheblich, da ein Gesetz und insbesondere eine
gesetzliche Ausnahmeregelung nicht entgegen dem Wortlaut ausgelegt werden
kann.
Die Klage ist gleichwohl nach § 75 S. 1 und 2 VwGO zulässig, da seit Erhebung des
Widerspruchs mehr als drei Monate vergangen sind.
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Die Klage ist auch begründet.
Der angefochtene Gebührenbescheid des Landrates des C-Kreises vom
27.08.2004 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1
S. 1 VwGO).
Tarifziffer 6671 der Anlage zu § 1 der Verwaltungskostenordnung für den
Geschäftsbereich des Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und
Verbraucherschutz (VwKostO-MULV) vom 16.12.2003 (GVBl I 2003, 362), auf der
die Heranziehung der Klägerin zu den streitgegenständlichen Gebühren beruht, ist
nichtig. Sie verstößt gegen § 1 Abs. 1 S. 1 HVwKostG.
Die in Tarifziffer 6671 für gebührenpflichtig erklärte Entgegennahme und Erfassung
von Voranzeigen in Papierform nach der Klärschlammverordnung (AbfKlärV) stellt
keine Amtshandlung im Sinne des Hessischen Verwaltungskostengesetzes dar.
Voraussetzung für die Erhebung von Gebühren ist nach § 1 Abs. 1 S. 1 HVwKostG
das Vorliegen einer Amtshandlung. Das Hessische Verwaltungskostengesetz
enthält zwar keine abschließende Definition des Begriffs Amtshandlung, sondern
bestimmt in § 1 Abs. 1 S. 3, dass Amtshandlungen im Sinne dieses Gesetzes auch
Verwaltungstätigkeiten wie Prüfungen und Untersuchungen sowie das Zulassen
der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen sind. Diese beispielhafte
Aufzählung zeigt aber, dass nicht jedes Tätigwerden der Verwaltung automatisch
als eine Gebühren auslösende Amtshandlung qualifiziert werden kann. Vielmehr
muss zwischen der Leistung der Verwaltung und dem Gebührenschuldner eine
besondere Beziehung bestehen, die es gestattet, die Verwaltungstätigkeit dem
Gebührenschuldner individuell zuzurechnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.08.1999 -
8 C 12.98 -, BVerwGE 109, 272).
Eine besondere Beziehung im oben genannten Sinne entsteht allein durch die
Entgegennahme und Erfassung von Voranzeigen gemäß § 7 Abs. 1 AbfKlärV in
Papierform nicht. Diese Verordnung sieht vielmehr die Einreichung der Voranzeige
in Papierform vor und lässt lediglich daneben auch die Nutzung der Möglichkeiten
elektronischer Datenverarbeitung zu (§ 7 Abs. 3 Satz 3 AbfKlärV). Die schlichte
Entgegennahme von Post und das Erfassen von darin enthaltenen Daten gehören
aber zu dem Verwaltungsaufwand, der herkömmlich aus allgemeinen
Steuermitteln finanziert wird. Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass bei
bzw. nach der Entgegennahme und Erfassung der Anzeige eine
Vollständigkeitsprüfung und eine Prüfung der materiellen Voraussetzungen für ein
Aufbringen des Klärschlamms erfolgen. Ziffer 6671 der Anlage zu § 1 VwKostO-
MULV knüpft die Gebührenpflicht nämlich lediglich an die rein formale
Entgegennahme und Erfassung der Voranzeige. Darauf, dass es sich bei der
Prüfung der Voranzeige ohne Weiteres um eine Amtshandlung im Sinne des § 1
Abs. 1 S. 3 HVwKostG handeln würde (vgl. dazu OVG Frankfurt/Oder, Urteil vom
19.02.2003 - 2 D 24/02.NE -, JURIS), kommt es deshalb nicht an.
Darüber hinaus wäre die Klägerin auch nicht Kostenschuldnerin. Zur Zahlung der
Kosten ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 HVwKostG verpflichtet, wer die Amtshandlung
veranlasst oder zu wessen Gunsten sie vorgenommen wird. Dies ist bei der
Klägerin nicht der Fall.
Veranlasser der "Amtshandlung" und zugleich deren Begünstigter ist hier der
Abwasserverband G. Er ist als Abfallerzeuger gemäß §§ 5 Abs. 2, 11 Abs. 1 KrW-
/AbfG materiell verwertungs- bzw. entsorgungspflichtig und ihm obliegt die
Durchführung der Untersuchungen nach § 3 AbfKlärV und deren Dokumentation in
dem zur Anzeige der beabsichtigten Klärschlammaufbringung zu übersendenden
Lieferschein. Demgegenüber hat die Klägerin zwar die beabsichtigte
Klärschlammausbringung beim Landrat des C-Kreises angezeigt und ist
beauftragte Dritte des Abwasserverbandes G. im Sinne von § 7 Abs. 1 zweite
Alternative AbfKlärV. Sie hat diese Erklärung aber nicht im eigenen Namen als
beauftragte Dritte, sondern im Namen des Abwasserverbandes G. als
Anlagenbetreiber abgegeben und sich damit als potentielle Gebührenschuldnerin
entlastet (diese Möglichkeit offen lassend: OVG Frankfurt/Oder, Beschluss vom
07.05.2003 - 2 B 297/02 -, NVwZ-RR 2004, 252). Denn in der Voranmeldung erklärt
der Abwasserverband G., er werde durch die Klägerin Klärschlamm aufbringen
lassen und in dem Begleitschreiben der Klägerin wird die beabsichtigte
Klärschlammausbringung ausdrücklich stellvertretend für den Abwasserverband G.
angezeigt.
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Etwas anderes folgt bezüglich einer Kostenschuldnerschaft der Klägerin auch nicht
daraus, dass - bei Wirksamkeit der Tarifziffer 6671 der Anlage zur § 1 VwKostO-
MULV - eine Heranziehung des Abwasserverbandes G. im vorliegenden Fall auf
Grund der Gebührenbefreiung desselben gemäß § 69 Wasserverbandsgesetz
entfallen würde. Denn dies entspricht der Gesetzeslage. Nach § 7 Abs. 1 AbfKlärV
kann sowohl der Anlagenbetreiber als auch ein beauftragter Dritter die
beabsichtigte Klärschlammaufbringung anzeigen. Erfolgt diese Anzeige direkt
durch den von der genannten Bestimmung erfassten Anlagenbetreiber oder in
dessen Namen, so greift auch der Gebührenbefreiungstatbestand.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167
VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.