Urteil des VG Gießen vom 28.09.2009

VG Gießen: kläranlage, stand der technik, gemeinde, erneuerung, aufwand, stadt, firma, sanierung, abwasseranlage, umbau

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Gericht:
VG Gießen 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 K 1714/08.GI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 139 BGB, Art 3 GG, § 11 KAG
HE, § 2 KAG HE
(Sukzessive Umstellung von Teil- auf Vollkanalisation im
gesamten Gemeindegebiet; Nichtigkeit der
Satzungsregelung zur Erhebung von Beiträgen)
Leitsatz
Vor endgültiger Verwirklichung des Bauprogramms einer Gemeinde, das die Umstellung
von Teil- auf Vollkanalisation im gesamten Gemeindegebiet zum Inhalt hat, werden für
alle Anlieger nur Schaffensbeiträge erhoben, wenn der Fall einer "umfassenden
Erneuerung" der Gesamtanlage vorliegt und die Altanlieger noch keinen
Schaffensbeitrag für unverändert weiter zu nutzende Anlagenteile entrichtet haben.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 07.05.2007 in Gestalt ihres
Widerspruchsbescheides vom 25.06.2008 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
vollstreckbaren Kostenschuld abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks in der Gemarkung B der Beklagten,
Flur C, Nr. D. Mit Bescheid der Beklagten vom 07.05.2007 wurde er zur
Vorausleistung „über die Heranziehung zu einem Ergänzungsbeitrag im Bereich
Abwasser“ in Höhe von 2324,- € herangezogen. Der Ergänzungsbeitrag errechnet
sich nach der Begründung des Bescheids wie folgt: Größe des Grundstücks von
1162 qm multipliziert mit einem Nutzungsfaktor von 1 und einem
Ergänzungsbeitrag von 2,- € pro Quadratmeter = 2324,- €. Den dagegen
eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
25.06.2008 als unbegründet zurück.
Die Heranziehung zur Vorausleistung auf einen Entwässerungsbeitrag
(Ergänzungsbeitrag) ist auf § 10 der Entwässerungssatzung der Beklagten vom
09.03.2007 (EWS) gestützt, welcher in den Absätzen 1 und 2 wie folgt lautet:
㤠10 Abwasserbeitrag
(1) Die Gemeinde erhebt zur Deckung des Aufwands für die Schaffung,
Erweiterung und Erneuerung der Abwasseranlagen Beiträge, die nach der
Veranlagungsfläche bemessen werden. Die Veranlagungsfläche ergibt sich durch
Vervielfachung der Grundstücksfläche (§ 11) mit dem Nutzungsfaktor (§§ 12 bis
15).
(2) Der Beitrag beträgt
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a) für das Verschaffen einer erstmaligen Anschlussmöglichkeit
(Schaffensbeitrag) an einer Abwasseranlage 7,67 € pro Quadratmeter
Veranlagungsfläche
b) für die Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen der Abwasseranlage
auf der Grundlage des Bauprogramms bis 2010 (Erneuerungsbeitrag) 2,00 € pro
Quadratmeter Veranlagungsfläche“.
Die Gemeinde A-Stadt besteht aus den Ortsteilen A., G., O., R., L. und K..
In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand, wie in vielen Kommunen
Hessens, auch bei den zuständigen Gemeindeorganen der Beklagten die
Zielplanung, ein geordnetes und umweltgerechtes Entwässerungssystem im
Gemeindegebiet zu schaffen. Bisher waren in den Ortsteilen allenfalls
Teilkläranlagen vorhanden, Abwässer wurden allenfalls vorgeklärt in die Lumda
eingeleitet.
Mit einem baureifen Entwurf vom 18.2.1987 wurde die Errichtung einer
Abwasserreinigungsanlage im Ortsteil L. geplant, an welche die Ortsteile K., O. und
G. angeschlossen werden sollten. Mit Schreiben vom 14.10.1988 schlug das
Ingenieurbüro E. eine Umplanung vor, welche die Betriebskosten für die Kläranlage
L. für die Beklagte „so niedrig wie möglich“ halten sollte. Dies sei deshalb wichtig,
weil der Bundesumweltminister plane, für alle Kläranlagen ab 5.000
Einwohnergleichwerte (EWG) die Nitrifikation und später auch die Denitrifikation
(Abbau der Stickstoffverbindungen) einzuführen. Zum Zeitpunkt der
Entwurfsaufstellung habe die Forderung der Denitrifikation noch nicht zur
Diskussion gestanden. Der Vorschlag zur Neuplanung bzw. Umplanung sei bereits
mit dem Wasserwirtschaftsamt Marburg besprochen worden.
Am 18. April 1990 wurde schließlich der Bauvertrag zwischen der Beklagten und
der Firma F. GmbH & Co. KG zum Neubau der Gruppenkläranlage L.
unterzeichnet. Danach sollte zunächst gemäß einem sogenannten
„Sondervorschlag: G.-Anlage“ vom 28.11.1989 eine Anlage gebaut werden, die
aus zwei Kombinationsbecken bestehen sollte, in denen Belebung, Nitrifikation und
Denitrifikation sowie Nachklärung in aufeinanderfolgenden Schritten durchgeführt
würden. Falls im Einzelnen festgelegte Grenzwerte nicht erreicht werden sollten,
war gemäß dem Vertrag die Firma F. GmbH & Co. KG verpflichtet, entsprechende
Umbaumaßnahmen vorzunehmen. Gemäß der Zusammenstellung in § 3 Abs. 1
des Vertrags sollte die Auftragssumme 4.823.821,09 DM betragen. Wegen
weiterer Einzelheiten wird auf den Bauvertrag vom 18. April 1990 (16 Seiten)
Bezug genommen. Die örtliche Bauüberwachung und Bauoberleitung führte
gemäß § 4 des Bauvertrags das Ingenieurbüro E. aus G. durch (in der Folge: IBG).
Die Kläranlage („G. -Anlage“) wurde 1993 in Betrieb genommen. Sie erreichte die
erforderlichen Messergebnisse (Einlaufwerte) nicht zuverlässig. Es wurden
verschiedene Begutachtungen vorgenommen, unter anderem erstellte die
Gesamthochschule Kassel unter dem Datum des 10. Februar 1997 ein
wissenschaftliches Gutachten. Die vorgeschlagenen Lösungsversuche zur
Nachbesserung führten zu keiner Einigung der Partner des Bauvertrags vom 18.
April 1990.
Unter dem Datum des 28.2.2000 reichte die Beklagte Klage auf Erfüllung des
Bauvertrags durch Umbau der gemäß dem Sondervorschlag errichteten G. -
Anlage beim Landgericht Gießen ein. Nachdem die Firma F. GmbH & Co. KG in
Konkurs gefallen war, schlossen die Beklagte und die vorbezeichnete Firma
(Auftragsnehmerin des Bauvertrags) am 26.9.2003 einen gerichtlichen Vergleich,
wonach die Firma 65.000,-- € an die Beklagte zu zahlen hatte und jene im
Gegenzug auf ihre Rechte aus den von der Firma F. GmbH & Co. KG für das
Bauvorhaben „Kläranlage L.“ gestellten Gewährleistungsbürgschaften verzichtete.
An die Kläranlage L. wurden der Ortsteil L. im Jahr 1993 und 1994, die Ortsteile K.
1995, G. 1999 und A. 2000 – 2001 nach den unwidersprochen gebliebenen
Angaben der Beklagten angeschlossen. Nach Auskunft der Beklagten an das
erkennende Gericht vom 21.4.2009 bestand „seit diesem Zeitpunkt“ „die
Möglichkeit, alle Ortsteile an eine Vollentwässerungseinrichtung anzuschließen mit
Ausnahme der Anlieger der W. Straße im Ortsteil G.“. Dort wurde nach Angabe der
Beklagten erst im Jahr 2002 mit dem Bau einer Abwassersammelleitung die
Anschlussmöglichkeit verschafft. Für den Ortsteil R. wurde eine eigene Kläranlage
errichtet, an welche dieser Ort seit dem Jahr 1989 angeschlossen ist.
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Der Betrieb der Kläranlage L. wurde durch eine widerrufliche Erlaubnis vom
7.6.2000 zur Einleitung von mechanisch-biologisch gereinigtem Abwasser aus der
Klägeranlage L. der Gemeinde A-Stadt in das Gewässer Lumda“ ermöglicht. Die
Erlaubnis war bis zum 31.7.2002 befristet. Ferner enthielt der Bescheid eine
Auflage zur Sanierung der Anlage, auf deren Wortlaut im Einzelnen (S. 4 des
Bescheids, Ziffer 1) Bezug genommen wird. Bis zum 1.8.2001 sei eine mit der
Wasserbehörde vorabgestimmte, nach § 50 Hessisches Wassergesetz (HWG)
genehmigungsfähige Planung für die Anlagenerweiterung vorzulegen. Die
Sanierung sei bis zum 30.6.2002 fertig zu stellen.
Mit Schreiben vom 22.12.2003 beantragte die Beklagte beim Landrat des
Landkreises Gießen als untere Wasserbehörde diese Genehmigung, die ihr mit
Bescheid vom 3.6.2004 auch erteilt wurde. Aus der Erläuterung zu Umbau und
Erweiterung der Kläranlage L. vom 12.12.2003 geht hervor, dass die Kapazität der
Anlage von 7.600 auf 9.000 EGW erhöht werden sollte. Wegen der Einzelheiten zur
Ausbaugröße wird auf Blatt 18 der vorbezeichneten Erläuterungen Bezug
genommen. In einem Bericht des Ingenieurbüros G. vom 26.11.2001
(„EKVO/Kanalinformationssystem“) zur Abwasserableitung in R. werden zahlreiche
Mängel am vorhandenen Kanalsystem dargestellt. Entsprechende Berichte liegen
dem Gericht für den Ortsteil K. (vom 25.6.2004), für A. (vom 1.7.2004, erstellt vom
Ingenieurbüro Dipl.-Ing. Z.), für den Ortsteil O. vom 26.6.2006 und für den Ortsteil
L. vom 15.12.1999 vor.
Nach dem Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 26.3.2009 im beigezogenen
Verfahren 2 K 921/08 wurde die Kläranlage R. auf der Grundlage des Planentwurfs
des Ingenieurbüros G. vom 10.7.2003 umgebaut. Danach war die Kläranlage R. im
Jahr 1987 als Teilkläranlage mit Rechen, drei Absetzteichen, einer dreiteiligen
Scheibentauchkörperstufe, einem Fangomaten (Nachklärfilter) und einem
Schönungsteich mit nachgeschalteter Flachwasserzone errichtet worden. Da es
zur Einleitung von Schlamm in den Vorfluter K. gekommen war, wurde nach
fehlgeschlagenen anderen Maßnahmen die Errichtung eines Nachklärbeckens
geplant.
Im Jahr 2004 beschloss die Gemeindevertretung der Beklagten, dass sie im
Gemeindegebiet in Erfüllung ihrer Pflicht zur Abwasserbeseitigung eine öffentliche
Einrichtung für alle sechs Ortsteile betreiben wolle (Beschluss der
Gemeindevertretung vom 17.9.2004).
Am 15.12.2006 beschloss die Gemeindevertretung der Beklagten „das
Bauprogramm der Gemeinde A-Stadt im Bereich Abwasser“ wie folgt:
„ Erläuterung des Sachverhalts:
Das mit der Globalberechnung beauftragte Büro empfiehlt zur Klarstellung –
obgleich die Maßnahmen auch im Rahmen der Finanzplanung in den jeweiligen
Haushaltsplänen aufgeführt sind – die für die Beitragssatzkalkulation bei
leitungsgebundenen Einrichtungen (sog. Globalberechnung) maßgeblichen
Maßnahmen (kursives Schriftbild = durchgeführte Maßnahme) in dem Zeitraum
2000 bis 2010 als Bauprogramm Abwasseranlage zu beschließen. Dieses
„Bauprogramm Abwasseranlage 2000 bis 2010“ umfasst
- nachfolgende Erschließungsmaßnahmen:
- nachfolgende Maßnahmen im Zuge der EKVO im Inliner-Verfahren:
- nachfolgende Maßnahmen im Zuge der EKVO im offenen Verbau:
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- die Umbaumaßnahme Kläranlage:
.„
Die derzeit gültige Entwässerungssatzung beschloss die Gemeindevertretung am
9.3.2007. Soweit ersichtlich – die Entwässerungssatzungen ab 2001 wurden von
der Beklagten vorgelegt – ist hier erstmals in § 10 (Abwasserbeitragsregelung)
eine Differenzierung zwischen Schaffensbeiträgen auf der einen Seite sowie
Erneuerungs- und Erweiterungsbeiträgen auf der anderen Seite festgelegt worden.
Allerdings enthielten die dem Gericht vorliegenden Fassungen auch jeweils eine
Regelung zur Beitragsfinanzierung des Aufwands für die Schaffung, Erweiterung
und Erneuerung der Abwasseranlagen. Im beigezogenen Parallelverfahren mit
dem Aktenzeichen 2 K 921/08.GI hat die Beklagte vorgebracht und auf
ausdrückliche Befragung in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass zu keiner
Zeit eine Finanzierung des Ausbauprogramms im Bereich Abwasser über
Gebühren erfolgt sei. Dazu hat der Beklagtenvertreter ein Blatt mit einer
Aufstellung unter der Überschrift „Unterdeckung im Bereich Abwasser der
Gebühren aus der Ergebnisrechnung Verwaltungsteil“ überreicht (vgl. die Kopie
210 der vorliegenden Gerichtsakte).
Schaffensbeiträge hat die Beklagte für die sogenannten Altanlieger bisher nicht
erhoben. Gemäß ihrem schriftsätzlichen Vorbringen im entschiedenen Verfahren 2
K 459/08.GI ist eine Maßnahmefinanzierung über Gebühren nicht erfolgt; aus den
Haushaltsunterlagen der Gemeinde ab dem Jahr 2000 ergebe sich vielmehr eine
Unterdeckung betreffend die Abwassergebühren. Für die sogenannten
Neubaugebiete wurden dagegen teilweise Schaffensbeiträge erhoben, hier sollen,
nach den Darlegungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung des
vorgenannten Verfahrens, „Fertigstellungsbeschlüsse“ ergangen sein, die dem
Gericht jedoch nicht vorgelegt wurden.
Auf der Grundlage ihrer Entwässerungssatzung vom 9.3.2007 zog die Beklagte
zahlreiche Altanlieger zu Vorausleistungen auf Erneuerungs- und
Erweiterungsbeiträge heran, wobei sie bei der Bemessung der Beitragshöhe einen
fiktiv errechneten Schaffensbeitrag, der, wie dargelegt, tatsächlich nicht
angefordert oder gezahlt worden war, in Abzug brachte. Wegen der Einzelheiten
der Beitragsberechnung wird auf die „Erläuterung zu dem
Beitragssatzkalkulationen“ der Beklagten Bezug genommen.
Am 09. Juli 2008 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung
verweist er insbesondere auf ein Schreiben des Gemeindevorstandes der
Beklagten vom 24.02.1986. Wegen des Inhalts dieses Schreibens wird auf Blatt 8
der Gerichtsakte Bezug genommen.
Der Kläger ist der Auffassung, mit diesem Schreiben habe die Beklagte mit ihm
eine Vereinbarung getroffen, wonach er im Rahmen des in den 80er Jahren
durchgeführten Aufstellungsverfahrens für den Bebauungsplan „Am
Kirchhofsgarten“ „von dem Flächenbeitrag und eventuellen Kosten befreit worden“
sei und als Gegenleistung seine Einwendungen gegen diesen Bebauungsplan
zurückgenommen habe. Die Abgaben- und Kostenbefreiung habe Gültigkeit,
solange sein Grundstück nicht zur Wohnbebauung genutzt werde. Diese – offenbar
mündlich getroffene – Vereinbarung sei durch das Schreiben vom 24. Februar
1986, welches (ausschließlich) die Unterschrift des damaligen Bürgermeisters
trägt, schriftlich bestätigt worden. Bis heute nutze er das in Rede stehende
Flurstück nicht wohnbaulich. Daher dürfe die Beklagte ihm den
Vorausleistungsbeitrag auf den Abwasserbeitrag nicht in Rechnung stellen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 07.05.2007 in Gestalt ihres
Widerspruchsbescheides vom 25.06.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und trägt vor, aus dem
Auszug des Umlegungsverzeichnisses gehe hervor, dass der Kläger für die
abgegebene Fläche entschädigt worden sei. Ein – unzulässiger – Verzicht auf
zukünftige Beiträge sei dem Kläger gegenüber nicht erklärt worden. Es sei damals
um die Erhaltung des landwirtschaftlichen Betriebs des Klägers gegangen. Die
Heranziehung zu einem Schaffensbeitrag sei aufgrund des vorhandenen
Anschlusses des Grundstückes nicht mehr möglich. Die damalige Vereinbarung
habe auf den streitgegenständlichen Beitrag keinerlei Einfluss. In dem Schreiben
vom 24.02.1986 sei insbesondere nicht die Rede von einer Befreiung aller Beiträge
für alle Zeiten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
vorliegenden Gerichtsakte sowie der von der Beklagten übersandten Beiakten (3
Bände plus 1 Heftstreifen) Bezug genommen.
Mit Urteilen vom 19.06.2009 in den Verfahren vor der erkennenden Kammer mit
den Aktenzeichen 2 K 459/08.GI und 2 K 921/08.GI hat das Gericht den
Anfechtungsklagen gegen Vorausleistungsbescheide auf Abwasserbeiträge der
Beklagten in Parallelverfahren stattgegeben. Gegen beide Urteile hat die Beklagte
Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Entscheidungsgründe
Der angefochtene Bescheid vom 07.05.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25.06.2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger
in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 2 des Hessischen Kommunalabgabengesetzes (KAG) dürfen kommunale
Abgaben, worunter der den Klägern auferlegte Ergänzungsbeitrag für eine
Entwässerungsanlage zählt, nur auf der Grundlage einer Satzung erhoben werden.
Die Satzung muss unter anderem den die Abgabe begründeten Tatbestand
bestimmen. Gemäß § 11 KAG konnte die Beklagte zur Deckung des Aufwandes für
die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung ihrer Abwasseranlage von den
Grundstückseigentümern Beiträge erheben, denen die Möglichkeit der
Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtung einen nicht nur vorübergehenden
Vorteil bietet. Die Beiträge sind nach den Vorteilen zu bemessen. Insoweit
einschlägig für das vorliegende Verfahren ist die Entwässerungsatzung der
Beklagten vom 16. März 2007, welche die Gemeindevertretung der Beklagten in
ihrer Sitzung vom 09.03.2007 beschlossen hat. Die einschlägige Regelung für die
Erhebung eines Beitrags, wie er von der Beklagten vorliegend geltend gemacht
wird, ist in § 10 Abs. 2 enthalten. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist
die Regelung in § 10 Abs. 2 Entwässerungsatzung (EWS) insgesamt unwirksam, so
dass die Klage bereits aus diesem Grund Erfolg hat. Die weiter vom Kläger
aufgeworfenen Gesichtspunkte können daher dahinstehen.
In dem vom erkennenden Gericht mit Urteil vom 28. April 2009 entschiedenen
Verfahren mit dem Aktenzeichen 2 K 459/08.GI ist dazu folgendes ausgeführt:
„Die Rechtswidrigkeit der Heranziehung des Klägers zu einem
Ergänzungsbeitrag für Erneuerungs- und Erweiterungsmaßnahmen auf der
Grundlage des Bauprogramms 2010 gemäß § 10 Abs. 2b der
Entwässerungssatzung der Beklagten vom 9.3.2007 (EWS) folgt bereits daraus,
dass hinter dem Begriff „Bauprogramm 2010“ keine Maßnahmen stehen, die als
Erneuerung einer bereits geschaffenen Einrichtung bewertet werden und in
Ergänzung zu einem bereits früher entrichteten Schaffensbeitrag einen solchen
Beitrag auf der Grundlage der EWS auslösen könnten. Diese Vorschrift ist daher
unwirksam, sodass die angefochtenen Bescheide entgegen § 2 des Hessischen
Gesetzes über kommunale Abgaben in der Fassung vom 31.1.2005 (KAG) ohne
wirksame Rechtsgrundlage erlassen wurden.
Zu Recht ist zwar die Beklagte davon ausgegangen, dass die Aufstellung
eines Bauprogramms keiner besonderen Form unterliegt, formlos durch die
Verwaltung aufgestellt, konkludent durch den Abschluss von Verträgen zum
Ausdruck gebracht oder durch Beschlüsse der Gemeindevertretung erfolgen kann
(vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Auflage, § 33 Rdnr. 4 f.).
Der Beklagten ist auch insoweit zu folgen, als sie davon ausgeht, ein
laufendes Bauprogramm könne jederzeit Veränderungen erfahren, da einer
Gemeinde nicht nur hinsichtlich der Form der Aufstellung, sondern auch
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Gemeinde nicht nur hinsichtlich der Form der Aufstellung, sondern auch
hinsichtlich des Inhalts des Bauprogramms ein weiterer Ermessens- und
Gestaltungsspielraum zusteht. Dies gilt allerdings nur für laufende Programme.
So kann beispielsweise eine ursprünglich als
Kanalverlegungsbauprogramm beschlossene Planung durch Beschluss der
Gemeindevertreter um ein Straßenausbauprogramm erweitert werden, sodass der
Verlegung der Kanäle im Nachhinein auch ein straßenbaubeitragsrechtlicher
Zweck beigelegt wird (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v.
15.2.2000, Az.: 15 A 4167/96; JURIS). Programmänderungen, zu denen auch
Erweiterungen zählen, sind jedoch nur so lange mit der Folge der Einbeziehung in
beitragsrechtliche Abrechnungsfähigkeit möglich, als das zugrunde liegende
Bauprogramm noch nicht endgültig verwirklicht ist (vgl. OVG für das Land
Nordrhein-Westfalen, a. a. O.).
So ist es im vorliegenden Fall.
Als einzigen „förmlichen“ Beschluss über ein „Bauprogramm der
Gemeinde A-Stadt im Bereich Abwasserentsorgung“ hat die Beklagte den
Beschluss der Gemeindevertretung vom 15.12.2006 (vgl. Bl. 177 f. der Akte)
vorgelegt. Dieser Beschluss soll nach der „Erläuterung des Sachverhalts“ in der
Beschlussvorlage zwar weniger einer „Bauplanung“ dienen; insbesondere umfasst
er Maßnahmen, die bereits in der Vergangenheit durchgeführt worden sind – die
Planung soll insoweit im Rahmen der Finanzplanung in den jeweiligen
Haushaltsplänen aufgeführt sein. Der Beschluss dient ausweislich der Erläuterung
des Sachverhalts in der Beschlussvorlage vornehmlich der Klarstellung für die
Beitragskalkulation im Rahmen der Globalberechnung. Dem „Bauprogramm“ ist
nach seinem Wortlaut auch nicht zu entnehmen, welche Maßnahmen tatsächlich
bereits erfolgt sind und was von den bezeichneten Maßnahmen in den Jahren nach
der Beschlussfassung noch durchgeführt werden soll. Nicht ohne Weiteres
nachvollziehbar sind auch die aufgelisteten „Maßnahmen im Zuge der EKVO im
Rahmen Inliner-Verfahren“, denn nach § 2 Abs. 1 der auf der Grundlage des § 36
Hessisches Wassergesetz (HWG) erlassenen Abwassereigenkontrollverordnung
vom 21. Januar 2000 (GVBL. I S. 59; EKVO) – hatte die Beklagte die
Kontrollmaßnahmen an ihren Abwasseranlagen aufgrund der Vorgaben der EKVO
auf eigene Kosten durchzuführen. Nach Ziffer 2 des Anhangs I zur EKVO ist bei
Abwasserkanälen und -leitungen durch Inspektion festzustellen, ob der Zustand
der Anlage noch den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Soweit
die entsprechende Überprüfung bei Inkrafttreten der EKVO am 1.4.2000 noch nicht
erfolgt war, war mit ihr unverzüglich nach Inkrafttreten zu beginnen. Die
Erstüberprüfung des Gesamtnetzes musste nach dieser Vorschrift bis spätestens
Ende 2005 abgeschlossen sein. Diese Verpflichtung ist auch nach Verlängerung
der ursprünglich bis zum 31. Dezember 2007 befristeten Verordnung bis zum
31.12.2009 aufrecht erhalten geblieben.
Es kann aber vorliegend dahinstehen, welche der im Beschluss vom
15.12.2006 aufgelisteten Maßnahmen danach überhaupt – weil nicht auf Kosten
der Gemeinde durchzuführen – beitragsfähig waren. Selbst wenn nämlich
unterstellt wird, der Beschluss sei formell und materiell fehlerfrei und wirksam,
könnte es sich nur um einen Beschluss handeln, der im Zuge eines laufenden
Bauprogramms vor dessen endgültiger Verwirklichung ergangen ist und den
Rahmen sowie den Umfang des Bauprogramms hinsichtlich seiner
Abrechnungsfähigkeit auf Planungen bis zum Jahre 2010 ausdehnt.
Die Frage, wann das ursprüngliche Programm aufgestellt wurde, bleibt in
dem Beschluss offen. Soweit hier die Jahreszahl 2000 genannt wird, betrifft dies in
der Sache nicht den Beginn der Planung für eine Vollkanalisation im Gebiet der
Beklagten, sondern nur die Maßnahmen, die in die Beitragssatzkalkulation
einfließen sollten, obwohl sie in der Vergangenheit bereits abgeschlossen waren.
Auch in der mündlichen Verhandlung wurde seitens der Beklagten darauf
hingewiesen, dass keine Maßnahmen abgerechnet worden seien, die vor dem Jahr
2000 durchgeführt wurden.
Die Entwässerungssatzung selbst bezeichnet nicht den Beginn des
Bauprogramms. § 10 Abs. 2 EWS benennt nur das Ende des Bauprogramms im
Jahre 2010.
Das Gericht ist auf der Grundlage der durchgeführten Ermittlungen zur
Aufklärung des Sachverhalts zu der Überzeugung gelangt, dass der Beginn der
Planung, im Gemeindegebiet eine Vollkanalisation einzurichten, die durch
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Planung, im Gemeindegebiet eine Vollkanalisation einzurichten, die durch
Landesmittel gefördert, allen Ortsteilen die Beseitigung der noch – zumindest
großenteils – vorhandenen Kleinklär-, Hausklär- und Sickergrubenanlagen
vorgeben und den Anschluss der Grundstücke an die Vollkanalisation ermöglichen
sollte, jedenfalls in das Jahr 1987 zurückreicht.
Dies beruht auf der Tatsache, dass bereits am 18.2.1987 ein baureifer
Entwurf vorlag, der die Errichtung einer Abwasserreinigungsanlage im Ortsteil L.
vorsah, an welche dann die Ortsteile K., O. und G. angeschlossen werden sollten.
Für den Ortsteil A. war damals noch die Errichtung einer eigenen
Abwasserreinigungsanlage geplant, die aber wegen Auftreten der
Umsetzungsprobleme (Topographie) nie errichtet wurde. Der Anschluss dieser
Ortsteile erfolgte nach Angaben der Beklagten in den Ortsteilen K. 1995, O. 1998,
G. 1999 und – nach Umplanung bezüglich A. – in A. bis zum Jahre 2001. Der
Ortsteil R. erhielt eine eigene Kläranlage, an welche er nach Angaben der
Beklagten im Jahre 1989 angeschlossen wurde. Aus diesen Fakten folgt ohne
Weiteres, dass die ursprüngliche Planung zur Errichtung einer Vollkanalisation in
allen Ortsteilen, mit welcher nicht nur die Errichtung der
Abwasserreinigungsbauwerke und -einrichtungen selbst, sondern zwingend auch
die entsprechende Verlegung neuer Kanalleitungen sowie, gegebenenfalls,
Veränderung/Erweiterung vorhandener Kanalleitungen verbunden ist, bereits Ende
der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts beschlossen wurde. Alle zwischenzeitlich
erfolgten Veränderungen sind mit der rechtlichen Qualität einer
Programmänderung vor endgültiger Verwirklichung des
Entwässerungsbauprogramms zur Errichtung einer Vollkanalisation in allen
Gemeindeteilen zu belegen. Dies gilt auch für die mit dem Vorschlag des
Ingenieurbüros E. vom 14.10.1988 einhergehende Umplanung der
Abwasserreinigungsanlage L. bezüglich der vorrangigen, weil preisgünstigeren,
Bauweise gemäß dem Sondervorschlag G. -Anlage. Die Gruppenkläranlage L. – so
die Terminologie in § 2 („Vertragsgegenstand und Leistungsumfang“) des
Vertrags zwischen der Beklagten und der Firma F. vom 18. April 1990 – wurde zwar
faktisch bereits im Jahre 1993 in Betrieb genommen. Sie entsprach aber als solche
niemals der Zielplanung, da die intendierte Reinigungsleistung nicht erreicht
wurde. In § 9 des Vertrags vom 18. April 1990 war diese Reinigungsleistung – weil
die Anlage nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprach – von der
Auftragsnehmerin zugesichert und durch eine Bankbürgschaft abgesichert worden.
Diese Bauplanung wurde jedoch nicht fertig gestellt, in den jeweiligen
Abnahmeprotokollen wurden zahlreiche Mängel vermerkt und die Beklagte selbst
klagte zwischen den Jahren 2000 und 2003 auf Vertragserfüllung vor dem
Landgericht Gießen, nachdem zahlreiche Versuche der Vertragspartner, die
vereinbarte Reinigungsleistung nach Nachbesserung der G. -Anlage zu erreichen,
auch nach Erstellung des wissenschaftlichen Gutachtens der Fachhochschule
Kassel vom 10. Februar 1997, fehlgeschlagen waren. Bezeichnenderweise klagte
die Gemeinde A-Stadt auch auf Erfüllung des mit der Firma F. geschlossenen
Bauvertrags vom 18. April 1990. So äußert sie auf den Seiten 6 bis 8 der
Klageschrift vom 28.6.2000 an das Landgericht Gießen unter anderem Folgendes:
„Seit auf der Kläranlage der Klägerin Abwässer gereinigt werden, ist die
Beklagte nur bei Trockenwetterabflüssen in der Lage, den Nachweis für die
Reinigungsleistung zu erbringen. Insbesondere ist die Beklagte nicht in der Lage,
die Schlammstabilisation in der Gestalt technisch zu steuern, dass die
absetzbaren Stoffe im Ablauf 0,2 ml pro l nicht überschreiten.
Dies ist ebenfalls zwischen den Parteien unstreitig. Es wird darüber
hinaus untermauert durch die wissenschaftliche Begutachtung der Kläranlage, die
von September bis Dezember 1996 von der Universität-Gesamthochschule
Kassel, Fachgebiet Siedlungswasserwirtschaft (Leiter: Prof. Dr.-Ing. F.-B. F.) unter
der Projektleitung von Dr. D. B. durchgeführt und der Klägerin im März 1997
vorgelegt wurde.
Ergebnis dieser Begutachtung ist zusammengefasst:
1. Bei Trockenwetterabfluss findet eine Denitrifikation von nur 56% statt,
die verbessert werden kann, solange dadurch die Nitrifikation nicht beeinträchtigt
wird.
2. Vor allem bei Mischwasserbelastung werden die
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Beweis:
1. Wissenschaftliche Begutachtung der Gesamthochschule Kassel vom 10.
Anlage K 6;
2. Sachverständigengutachten.
Bereits vor dem Gutachten war für die Klägerin und für die Beklagte zu
befürchten, dass das Gutachten diese Ergebnisse bringt, weil Eigenmessungen der
beiden Parteien ergeben hatten, dass die Ablaufwerte unter
Mischwasserbedingungen (d. h. während und nach Regenereignissen)
problematisch sind.
Aus diesem Grunde hat die Beklagte, seitdem an der Kläranlage der
Klägerin Messungen vorgenommen werden können, immer wieder durch
technische Nachrüstungen, Umbauten, Eingriffe in die Zu- und Abflussströme u. v.
a. m. versucht, diesen Mangel zu beseitigen.
Dies ist der Beklagten bis zum heutigen Tage nicht gelungen.
Zuletzt hat die Beklagte im Jahr 1999 Nachbesserungsversuche
durchgeführt.
Keine der durchgeführten, teilweise aufwendigen Nachbesserungsversuche,
haben jedoch zu dem erforderlichen Erfolg geführt, so dass die Klägerin im Jahre
1999 ankündigte, sie werde nunmehr auf der Vertragserfüllung gemäß § 9 Abs. 4
bestehen müssen, wenn nicht ein effektiverer Nachbesserungsversuch seitens der
Beklagten angeboten wird.“.
Dementsprechend lautet der Klageantrag auf Seite 2 der Klageschrift unter
Ziffer 1 bis 2 wie folgt:
„1. Die Beklagte wird verurteilt, auf dem Gelände der Kläranlage A-
Nachklärbecken mit Rücklaufpumpwerk nach den
Bemessungen des Hauptentwurfes
Gruppenkläranlage L. (Stand: 2. Umplanung vom 4. September u. 2. Oktober
und wie von der Beklagten am 28.11.1989 gemäß Titel 1.08 und
Titel 1.=09 angeboten einschließlich der erforderlichen Zu- und
Ablaufleistungen zu errichten
Anlage K 1
Auszug aus dem Leistungsverzeichnis des Hauptentwurfes umzubauen. Das
Anlage K 2
Leistungsverzeichnis des Hauptentwurfes, zu errichten. Bei den Umbauarbeiten
sind die Ausführungszeichnung vom 2. Oktober 1989 zum Nachklärbecken,
Anlage K 3
Anlage K 4
Klageschrift, zu beachten.
Fertigstellung
Gesamtleistung eine Frist von 8 Monaten nach Rechtskraft des Urteils gesetzt,
nach deren Ablauf die Klägerin die Leistung ablehnt.“
Der Umstand, dass die Kläranlage L. nicht durch die im Jahre 1993 in
Betrieb genommene so genannte G. -Anlage bauprogrammgemäß fertig gestellt
war, folgt auch aus den Anforderungen, die sie sich aus den §§ 7, 7a
Wasserhaushaltsgesetz (WHG) ergeben. Danach bedarf die Einleitung von
gereinigtem Abwasser in Gewässer (als solches gilt der Fluss Lumda im Sinne von
§ 1 WHG) der Erlaubnis. Einer bauprogrammgemäßen endgültigen Fertigstellung
immanent ist aber die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen für die
Erteilung der Betriebserlaubnis. Gemäß § 7a WHG darf die für das Einleiten von
Abwasser erforderliche Erlaubnis nur erteilt werden, wenn die Schadstofffracht des
Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht
kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist. Diese Werte
erreichte die Anlage aber wie dargelegt, nicht in hinreichendem Umfang.
Daher wurde die in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts errichtete
Kläranlage im Ortsteil L. (so genannte G. -Anlage) auch niemals wasserrechtlich
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Kläranlage im Ortsteil L. (so genannte G. -Anlage) auch niemals wasserrechtlich
abgenommen (vgl. S. 13, oben, der Klageschrift vom 28.2.2000 an das
Landgericht Gießen). Vielmehr erteilte der Landrat des Landkreises Gießen als
untere Wasserbehörde am 7.6.2000 der Beklagten auf deren Antrag vom
22.12.1999 eine widerrufliche und bis zum 31.7.2002 befristete Erlaubnis zur
„Einleitung von mechanisch-biologisch gereinigtem Abwasser aus der Kläranlage L.
in der Gemeinde A-Stadt in das Gewässer Lumda“. Die Erlaubnis war mit
zahlreichen Nebenbestimmungen verbunden und enthielt auf Seite 4 des
Bescheids insbesondere folgende Auflagen:
„Sanierungsanforderungen- und Fristen
1. Die Anlage ist so zu sanieren, dass ein Schlammabtrieb bei
gleichzeitiger Stabilisierung des Schlammes und Einhaltung der
Überwachungswerte des vorliegenden Bescheides dauerhaft unterbunden wird.
Dies kann beispielsweise durch die Nachschaltung einer separaten
Nachkläreinheit (NKB), durch den Umbau der Anlage zu einer Belebungsanlage
mit Aufstaubetrieb (SBR-Anlage), eine separate Schlammstabilisation oder den
Einbau einer Membranfiltration erfolgen.
Bis zum 01.08.2001 ist daher eine mit der Wasserbehörde
vorabgestimmte, nach § 50 HWG genehmigungsfähige Planung für die
Anlagenerweiterung vorzulegen.
Nach erfolgter Genehmigung ist umgehend mit der Sanierung zu
beginnen und diese bis zum 30.06.2002 fertig zu stellen.
Für den Übergangszeitraum ist die Anlage so zu fahren, daß eine
hydraulische Überlastung der Anlage mit der Folge des Schlammbetriebes
vermieden wird.
Eine unzureichende Stabilisation des Überschußschlammes kann,
sofern dies der Entsorgungsweg wie bisher praktiziert zulässt, aus Gründen des
Gewässerschutzes für den Sanierungszeitraum hingenommen werden.
2. Bis zum 31.08.2000 ist eine Neuberechnung des
Gesamteinzugsgebietes der Kläranlage L. nach dem
Schmutzfrachtsimulationsmodell „SMUSI“ durchzuführen.
Grundlage für die Neuberechnung sind die im Zusammenhang mit
dem Anschluß des Ortsteiles A. für die einzelnen Teileinzugsgebiete neu
festgelegten Mischwasserzuflüsse unter Berücksichtigung eines max.
Mischwasserzuflusses zur Kläranlage von Qr = 90 l/s.“
Aus dem Vorstehenden folgt ohne Weiteres, dass der von der Beklagten im
Schriftsatz vom 21.4.2009 vorgetragene Anschluss der Ortsteile L., O., K. und G. in
den Jahren 1993 bis 1999 an eine nicht endgültig hergestellte Kläranlage bzw. ein
nicht endgültig hergestelltes Abwasserbeseitigungssystem erfolgte. Dies gilt aber
auch für den Ortsteil A., der erst im Jahre 2001 – und damit ohnehin nach dem im
Beschluss der Gemeindevertretung der Beklagten vom 15.12.2006 genannten
Zeitpunkt 2000 für den Beginn des Zeitraums, für den Beiträge abgerechnet
werden sollten – angeschlossen gewesen sein soll. Die in den vorstehend
genannten Auflagen zur befristeten Betriebserlaubnis vom 07.06.2000 geforderte
Umplanung, die bis zum 30.6.2002 fertig gestellt sein sollte, wurde erst mit Antrag
der Beklagten vom 22.12.2003 zur Genehmigung gestellt. Die Genehmigung des
Landrates des Landkreises Gießen, mit der unter anderem die Errichtung des
Belebungsbeckens, des Nachklärbeckens sowie des Zulauf- und des
Schlammpumpwerks, des Schlammstapelraums und der Gebläsestation
genehmigt wurden, datiert vom 3.6.2004. Dementsprechend hat die Beklagte mit
Schreiben vom 22.7.2004 beim Land Hessen, vertreten durch das
Regierungspräsidium Gießen, pauschale Investitionszuweisungen zum Bau von
Abwasseranlagen aus dem Förderprogramm 2004, Teil 2, beantragt. Der
Begründung ist zu entnehmen, dass keiner der am Errichtungsverfahren
Beteiligten davon ausging, dass die Anfang der 90er Jahre und bis zum Umbau
aufgrund der Genehmigung vom 3.6.2004 errichtete und betriebene Kläranlage im
Ortsteil L. eine den rechtlichen Anforderungen genügende, endgültig fertig
gestellte Abwasserbeseitigungsanlage war. So heißt es unter anderem in der
Begründung:
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Bei der 1990/1991 erstellten Kläranlage L. habe es sich um ein System
(Schwebebettverfahren) gehandelt, für das seinerzeit nur wenig
Betriebserfahrungen für die Behandlung kommunaler Abwässer mit stark
schwankenden Zulaufwassermengen vorgelegen hätten. Der wesentliche Vorteil
der Anlage habe in einer Verkleinerung bestimmter Anlagenteile bestanden,
wodurch sich gegenüber dem Ursprungsentwurf des Ingenieurbüros G. für eine
konventionelle Belebungsanlage ein stark reduziertes Volumen für Belebung und
Nachklärung ergeben hätten. In seinen Prüfbemerkungen vom 10.10.1990 zum
Sondervorschlag Ochs habe das Wasserwirtschaftsamt Marburg hierzu sinngemäß
ausgeführt, dass, sofern die geforderten Ablaufwerte nach einer angemessenen
Einfahrphase nicht eingehalten werden könnten, die Gemeinde unverzüglich ein
konventionelles Nachklärbecken entsprechend dem Ursprungsentwurf
nachzurüsten und die Belebung durch den Ausbau der eingehängten
Separationstrichter zu vergrößern habe. Weiter heißt es wörtlich: „Wie die
Betriebserfahrungen seit Bestehen der Anlage zeigen, kann die Anlage nicht mit
den der Berechnung zugrunde liegenden TSbb von sechs Kilogramm/m³ gefahren
werden. Bereits bei ca. 3,2 Kilogramm/m³ treibt der Schlamm aus“.
Somit griff bei der oben dargestellten Beschlussfassung vom 15.12.2006
über das Bauprogramm der Gemeinde A-Stadt im Bereich der
Abwasserentsorgung die Gemeindevertretung umgestaltend in eine
Abwasserentsorgungsplanung ein, die bis ins Ende der 80er Jahre des letzten
Jahrhunderts zurückreicht und weder im Jahre 2000 noch im Zeitpunkt der
Beschlussfassung endgültig umgesetzt war.
Das Vorbringen der Gemeinde, sie habe für die bisherigen
Schaffensvorgänge seit Beginn der 90er Jahre von den so genannten Altanliegern
niemals Schaffensbeiträge für die Errichtung einer Vollkanalisationsanlage im
gesamten Gemeindegebiet erhoben und eine Finanzierung über Gebühren sei
weder beschlossen, erfolgt oder rechtlich zulässig gewesen, kann als zusätzliches
Indiz dafür gewertet werden, dass auch die Beklagte zu keinem Zeitpunkt der
Auffassung war, der Vorgang der Schaffung eines endgültig fertig gestellten
Vollkanalisationssystems im gesamten Gemeindegebiet sei abgeschlossen. Dies
gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass aus den vorgelegten
Entwässerungssatzungen ab dem Jahre 2001 hervorgeht, dass jeweils in § 10 Abs.
1 festgelegt war, die Gemeinde erhebe zur Deckung des Aufwands für die
Schaffung, Erweiterung und Erneuerung der Abwasseranlagen Beiträge.
Mithin liegen im Rahmen des Bauprogramms der Beklagten auf der
Grundlage des Beschlusses der Gemeindevertretung vom 15.12.2006 keine
Sachverhalte vor, die der Erneuerung einer bereits geschaffenen Abwasseranlage
zur Ermöglichung der Vollkanalisation in allen Ortsteilen dienen. Es handelt sich
vielmehr um einen Schaffensvorgang, der nach gegenwärtiger Beschlusslage im
Jahre 2010 beendet sein soll.
Die Globalberechnung, die der Beitragssatzung zugrunde liegt,
unterscheidet daher zu Unrecht zwischen Schaffensbeiträgen, die von so
genannten Neuanliegern erhoben werden sollen, bei denen in den zu verteilenden
Aufwand der Anlagenbestand 2004 („abzüglich auszutauschender Anlagenteile“)
einfließt (vgl. Abschnitt III der Erläuterungen zu den Beitragssatzkalkulationen) und
den Erneuerungsbeiträgen, welche den so genannten Altanliegern auferlegt
werden sollen „als Ergänzung zu ihrem ursprünglichen Schaffensbeitrag am
hinzukommenden Aufwand für Erneuerungs- und Erweiterungsarbeiten an der
bislang bestehenden Abwasserbeseitigungseinrichtung“ (vgl. Abschnitt IV der
vorgenannten Erläuterung). Diese Unterscheidung ist dann in die
Satzungsneuregelung vom 9.3.2007 unter § 10 Abs. 2 eingeflossen und führt zu
dessen Rechtswidrigkeit. Es gab nämlich, wie ausgeführt, keine fertig gestellte
Abwassereinrichtung einer Vollkanalisation im gesamten Gemeindegebiet.
Dies wäre aber die Voraussetzung, um Erneuerungsbeiträge als Ergänzung
zu den früher gezahlten Schaffensbeiträgen zu erheben (vgl. Lohmann, die
Ausgestaltung der Beitragssatzungsregelung bei der Erhebung von
Anschlussbeiträgen nach § 11 HessKAG, Hessische Städte- und Gemeindezeitung
1998, 126 ff., insbes. 126, 129). Die Arbeiten zur Herstellung des
Vollkanalisationsnetzes wie auch der dem Stand der Technik entsprechenden
Kläranlagen stellen somit einen einheitlichen Schaffensvorgang dar, der Ende der
80er Jahre des letzten Jahrhunderts begonnen hat und im Zeitpunkt des Erlasses
der Widerspruchsbescheide, wie auch gegenwärtig, noch nicht abgeschlossen war
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der Widerspruchsbescheide, wie auch gegenwärtig, noch nicht abgeschlossen war
bzw. ist (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urt. v. 14.4.2005, Az.: 5 UE
1368/04; JURIS). Eine Erneuerung wäre nur anzunehmen und könnte – von
Altanliegern in Ergänzung zu bereits geleisteten Schaffensbeiträgen – nur
abgerechnet werden, wenn es sich im gesamten Gemeindegebiet – die Beklagte
hat die verschiedenen Abwasserbeseitigungsanlagen mit Beschluss vom
17.9.2004 rechtlich zu einer einzigen öffentlichen Einrichtung zusammengefasst –
tatsächlich um die Erneuerung einer als solche bereits endgültig fertig gestellten
Entwässerungseinrichtung handeln würde (vgl. Hess. VGH, a. a. O., S. 9).
Vorliegend sind die Erneuerungsbeiträge darüber hinaus rechtsirrtümlich
als „Ergänzungsbeiträge“ in den Vorausleistungsbescheiden qualifiziert worden.
Eine Heranziehung des Klägers zu Beiträgen ist bisher nämlich nach Angaben der
Beklagten ebenso wenig erfolg, wie eine, satzungsrechtlich nicht vorgesehene,
Heranziehung über Benutzungsgebühren (vgl. Lohmann, a. a. O., II.2.3).
Der Umstand, dass bei der Berechnung der Höhe des Erneuerungsbeitrags
gemäß Abschnitt IV der Erläuterung zu den Beitragsatzkalkulationen ein fiktiver
Schaffensbeitrag in Abzug gebracht wurde, ist somit vom Ansatz nicht
nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund, dass zuvor keine Schaffensbeitragsentgelte
entrichtet worden waren, ist dieser fiktive Ansatz auch nicht geeignet, zu einer
anderen rechtlichen Bewertung des vorliegenden Sachverhalts zu führen. Vielmehr
widerspricht es dem aus Art. 3 GG abzuleitenden Grundsatz der
Beitragsgerechtigkeit, für einen Teil der vom laufenden Schaffensvorgang
Bevorteilten lediglich Schaffensprozesse ab dem Jahre 2000 in die
Beitragskalkulation einfließen zu lassen, sodass für diese so genannten Altanlieger
der erste Teil des Schaffensprozesses beitragsfrei bliebe, während für einen
anderen Teil der Bevorteilten im Rahmen der Globalkalkulation (vgl. Abschnitt III.2)
auch zuvor geschaffene Werte teilweise in die Berechnung eingeflossen sind.
Insbesondere in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar ist, dass
Grundstückseigentümer im Ortsteil A., der erst nach dem Jahre 2000 – nach
Angaben der Beklagten bis 2001 – erstmalig angeschlossen wurde, dennoch wie
„Altanlieger“ behandelt und zu „Ergänzungsbeiträgen“ von 2,00 € pro
Quadratmeter Veranlagungsfläche herangezogen wurden.
Des Weiteren spricht der bisher ermittelte Sachverhalt dafür, dass ein Fall
der so genannten „umfassenden Erneuerung“ vorliegt, sodass die Differenzierung
zwischen Alt- und Neuanliegern mangels weiter zu nutzenden
(vorteilsvermittelnden) Altbestandes auch unter diesem Gesichtspunkt dem
Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit zuwiderläuft. Dann müsste sich nämlich der
Schaffensbeitrag der Neuanlieger zwangsläufig ebenfalls nur auf den erneuerten
Bestand beschränken. In diesem Falle wäre mithin die Differenzierung zwischen
Schaffens- und Erneuerungsbeiträgen in § 10 Abs. 2 EWS unzulässig und die
Entwässerungssatzung bezüglich der gesamten in § 10 Abs. 2 getroffenen
Beitragsregelung unwirksam.
Falls dagegen nicht von einer umfassenden Erneuerung des gesamten
Entwässerungssystems im Gebiet der Beklagten auszugehen wäre, weil ein
nennenswerter Anteil des Altbestandes des früheren Entwässerungssystems
unverändert weiter genutzt wird, verstieße die geringere Belastung der Altanlieger
trotz der in § 10 Abs. 2 EWS vorgenommenen Differenzierung wiederum gegen das
aus Art. 3 GG abzuleitende Prinzip der Beitragsgerechtigkeit, weil die so genannten
Altanlieger nach dem Vorbringen der Beklagten noch niemals einen
Schaffensbeitrag entrichtet, die weiter unverändert zu nutzenden Anlagenteile
aber auch früher schon genutzt haben, und auch nach Angaben der Beklagten
keine Gebührenfinanzierung vorgelegen hat. Dann wäre – unabhängig von der
absoluten Höhe der Beitragssätze – die in § 10 Abs. 2 EWS festgesetzte
Beitragssatzregelung unwirksam, weil die Belastung in der Relation „nicht stimmt“
(vgl. Lohmann, a. a. O., S. 137, am Ende).
Die Unwirksamkeit der Beitragsregelung in § 10 Abs. 2b EWS führt nämlich
zur Unwirksamkeit der gesamten Beitragsregelung in § 10 Abs. 2 EWS. Dies folgt
zum einen daraus, dass es, wie oben ausgeführt, an der objektiven Teilbarkeit der
Beiträge für die Schaffung einer Vollkanalisation im Gemeindegebiet der Beklagten
auf der Grundlage des Bauprogramms bis 2010 in Schaffens- und (ergänzende)
Erneuerungsbeiträge fehlt; die Satzungsregelung verweist auch nur in b auf das
eine
Einrichtung im Gemeindegebiet betreibt, ist für alle Grundstückseigentümer, für
welche die Anschlussmöglichkeit an die neue Vollkanalisation geschaffen wird, ein
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welche die Anschlussmöglichkeit an die neue Vollkanalisation geschaffen wird, ein
nach Vorteilen gemessener Schaffensbeitrag im Sinne von § 11 Abs. 5 KAG zu
errechnen und in der Satzung festzulegen. Die objektive Teilbarkeit der Regelung
wäre aber eine Voraussetzung für die Annahme nur der Teilnichtigkeit im Sinne
von § 139 BGB (vgl. VG Cottbus, Urt. v. 14.6.2007, Az.: 6 K 1420/03; JURIS; dort
insbesondere S. 25).
Es kann vorliegend auch nicht davon ausgegangen werden, dass die
Beklagte in Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Differenzierung zwischen so
genannten Altanliegern und Neuanliegern eine Beitragsregelung schaffen wollte,
die auch die so genannten Altanlieger, wie den Kläger, mit dem Beitrag für das
Verschaffen „einer erstmaligen Anschlussmöglichkeit“ belasten sollte. Dies folgt
bereits aus den Darlegungen in der „Erläuterungen zu den
Beitragssatzkalkulationen“ mit den Ausführungen zu Ziffer IV, insbesondere
hinsichtlich des Abzugs eines „fiktiven“ Schaffensbeitrags. Auch der Umstand,
dass die Beklagte bezüglich der so genannten Altanlieger nicht den errechneten
Betrag von 3,91 € forderte, sondern den „Erneuerungsbeitrag“ in § 10 Abs. 2b
EWS auf wesentlich niedrigere 2,00 € festsetzte, zeigt, dass die Beklagte bei Erlass
der Entwässerungssatzung von einer Teilbarkeit der Beitragsregelung für die
Schaffung der Vollkanalisation im Gemeindegebiet ausging, die aber nach der
Sach- und Rechtslage nicht gegeben ist.
Nach alledem liegt insgesamt objektiv ein so schwerer Mangel der
Beitragsregelung in § 10 Abs. 2b EWS vor, dass keine Teilnichtigkeit nur dieses
Teils der Beitragsregelung angenommen werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass
die Beklagte bei Erlass der Entwässerungssatzung davon ausging, im Falle der
Nichtigkeit der Regelung in § 10 Abs. 2b EWS auch die so genannten Altanlieger
mit dem für „Neuanlieger“ in § 10 Abs. 2a EWS festgelegten Beitrag heranziehen
zu wollen, liegen nicht vor. Soweit die Beklagte dies nach Erörterung in der
mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, diente es – im Hinblick auf den
Gesichtspunkt der Ergebniskontrolle – erkennbar nur dem Ziel, einem Unterliegen
im Prozess vorzubeugen.
Entsprechend dem in § 139 BGB auch für das öffentliche Recht normierten
Grundgedanken ist bei Nichtigkeit des Teils eines Rechtsgeschäfts von der
Nichtigkeit des Gesamtgeschäfts auszugehen, wenn nicht anzunehmen ist, dass
es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen würde. Angesichts des
vorliegenden schweren Mangels der Beitragsdifferenzierung verbleibt es somit bei
der Nichtigkeit der Beitragsfestsetzung insgesamt, was in § 139 BGB auch vom
Gesetzgeber als Regelfall normiert ist.
Es fehlt mithin derzeit die nach § 2 KAG erforderliche rechtliche Grundlage
für die Erhebung von Entwässerungsbeiträgen gegenüber dem Kläger, sodass eine
Umdeutung in Anlehnung an § 140 BGB bereits deshalb nicht in Betracht kommt.“
An dieser Auffassung, wonach § 10 Abs. 2 EWS insgesamt nichtig ist, hält das
Gericht nach Überprüfung auch im vorliegenden Verfahren fest, so dass an einer
Rechtsgrundlage für die Erhebung von Abwasserbeiträgen für die
Entwässerungsanlage der Beklagten derzeit mangelt.
Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 02.09.2009 ergänzend vorträgt, aus der
Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20.05.2008 (Az.: 5 B
271/08) ergebe sich, dass die unzutreffende Behandlung der abgerechneten
Maßnahme als Erweiterung keine schädlichen Auswirkungen für die Rechtmäßigkeit
der streitigen Beitragserhebung habe, ist folgendes darzulegen: Für die Annahme
einer Divergenz mangelt es bereits an der Voraussetzung, dass die in Bezug
genommenen Ausführungen zu den tragenden Gründen der Entscheidung zählen.
Sie erfolgten ersichtlich beiläufig im Zusammenhang mit einem Hinweis auf die
neuere Rechtsprechung des Senats bei der Umstellung von Teilkanalisationen auf
Vollkanalisation in einem Gemeindegebiet.
Vorliegend geht es nicht um eine bloß unzutreffende Zuordnung eines
Lebenssachverhalts auf eine (Satzungs-)Norm. Wie in den vorstehenden Gründen
ausgeführt, hat die Beklagte unzutreffenderweise in Buchstabe b) des § 10 Abs. 2
EWS einen konkreten Sachverhalt, das heißt konkrete Maßnahmen unmittelbar
zugeordnet. Dieser Fall unterscheidet sich grundlegend von demjenigen, in dem
der Tatbestand überflüssig ist, weil der allgemeine Regelungsgehalt ins Leere läuft
und lediglich im Interesse der Klarheit zu „empfehlen“ ist, die Satzung
entsprechend zu bereinigen. Ein durch die streitgegenständliche Regelung
betroffener sogenannter „Altanlieger“ wird davon ausgehen, dass er lediglich mit
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betroffener sogenannter „Altanlieger“ wird davon ausgehen, dass er lediglich mit
der hier genannten Beitragshöhe pro Quadratmeter rechnen muss, während die
Beklagte entsprechend der Beurteilung der Kammer nach Buchstabe a) der
Bestimmung tatsächlich einen vielfach höheren Beitrag verlangen kann und muss.
Entsprechend gibt die Satzung bereits für den konkreten Sachverhalt eine
unzutreffende unterschiedliche Behandlung der Anlieger vor und verstößt deshalb
gegen den Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit und gegen das
Bestimmtheitsgebot.
Nach alledem kommt es nicht mehr entscheidungserheblich auf die Frage an, ob
aus dem Schreiben des Gemeindevorstands der Beklagten vom 24.02.1986 eine
Beitragsbefreiung für Abgaben der vorliegenden Art abzuleiten ist. Erhebliche
Zweifel bestehen bereits an der Wirksamkeit eines solchen „Kostenverzichts“, da
das Schreiben entgegen § 71 Abs. 2 HGO nur von dem Bürgermeister und nicht
auch von einem weiteren Mitglied des Gemeindevorstands unterzeichnet ist.
Darüber hinaus hat die Beklagte begründete Zweifel an der Zulässigkeit des
Verzichts auf künftige Abgabenschulden, deren Grund und Höhe noch nicht
absehbar ist, dargelegt.
Als Unterlegener hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1
VwGO zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO,
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.324,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.