Urteil des VG Gießen vom 27.05.2004

VG Gießen: grundstück, winterdienst, gehweg, satzung, wirtschaftliche einheit, eigentümer, anwohner, schnee, zugang, wechsel

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Gericht:
VG Gießen 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 508/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 10 StrG HE
(Keine Verpflichtung zum Straßenreinigungs- und
Winterdienst für rein landwirtschaftlich genutzte Fläche)
Leitsatz
1. Bei innerörtlich gelegenen und rein landwirtschaftlich genutzten Flächen besteht im
Regelfall keine Verpflichtung zum durch kommunale Satzung begründeten
Straßenreinigungs- oder Winterdienst, wenn von der das Grundstück straßenrechtlich
erschließenden Straße kein Vorteil ausgeht. Die typischen Belange des
Zusammenlebens der örtlichen Gemeinschaft werden von diesen Grundstücken nicht
betroffen und der befestigte Ausbau der Straße mit bituminösen Deckschichten oder
Pflaster eröffnet ihnen keinen nennenswerten Nutzen.
2. Wird die Fläche indes nicht nur landwirtschaftlich genutzt, sondern gewerblich oder an
Dritte zum Zwecke des Betriebs von Freizeitanlagen, Reitplätzen oder gleichartigen
Nutzungen verpachtet, so entsteht regelmäßig ein nicht unerheblicher Zu- und
Abfahrtsverkehr von Fahrzeugen und Fußgängern, so dass ein unmittelbarer Vorteil für
das gesamte Grundstück durch die Straße und damit die Reinigungspflicht zu bejahen
ist.
3. Bei Buchgrundstücken mit unterschiedlicher Nutzung kann eine Aufteilung der Fläche
zugunsten des Anliegers erfolgen, wenn eindeutige äußere Merkmale die Bereiche der
unterschiedlichen Nutzung voneinander abgrenzen.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2003 und der Widerspruchsbescheid vom
9. Januar 2004 werden aufgehoben, soweit darin festgestellt wird, dass der Kläger
zum Winterdienst auf dem Gehweg gegenüber dem Teil seines Grundstücks
Gemarkung B., das östlich des Fußweges der Parzelle A. liegt, verpflichtet ist.
Der Widerspruchsbescheid wird darüber hinaus aufgehoben, soweit dem Kläger die
Kosten des Widerspruchverfahrens zu mehr als 2/3 auferlegt werden und eine
Gebühr von mehr als 44,00 Euro erhoben wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3
tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des jeweiligen
Kostengläubigers vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in noch festzusetzender Höhe abwenden,
wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in
entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit dem die beklagte
Kommune seine Verpflichtung feststellt, den Winterdienst auf einem Gehweg
durchzuführen.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung B., Flur C, Flurstück D., das
sich am Rand der bebauten Ortslage in einer Tallage befindet. Das Grundstück ist
rund 360 m lang und zwischen 30 und 45 m breit. Auf seiner Nordseite grenzt es
auf der gesamten Länge an die Straße E., im Süden befindet sich in ansteigender
Hanglage Wald. Westlich des streitbefangenen Grundstücks befindet sich eine als
Bolzplatz genutzte und im Eigentum der Beklagten stehende Parzelle (Flurstück
F.). Im Osten grenzen ein weiteres städtisches Grundstück (Flurstück G.) und ein
im Privateigentum eines Dritten stehendes Gelände (Flurstück H) an das
Grundstück des Klägers an. Die Bebauung mit Wohnhäusern an der nördlichen
Seite der Straße I. erfolgte vor rund 10 Jahren, wobei nach Erklärung der
Beteiligten wegen der Funktion des Tales als Frischluftschneise für den Ort J. nicht
beabsichtigt sei, die Wohnbebauung auf das streitbefangene Grundstück
auszudehnen. Demzufolge ließ die Beklagte bei dem Bau der Straße K. auch nur
auf der nördlichen Seite einen Gehweg anlegen; der vor dem Bolzplatz (Flurstück
L.) auch auf der südlichen Straßenseite noch vorhandene Gehweg endet vor dem
Grundstück des Klägers. Im weiteren Verlauf der Straße befindet sich über die
gesamte Länge des Grundstücks als Teil des Straßengrundstücks eine durch
Hochbordsteine abgetrennte Fläche, die unbefestigt und mit Gras bewachsen ist.
Sein Grundstück hat der Kläger durch einen Zaun eingefriedet.
Das streitbefangene Grundstück selbst wird unterschiedlich genutzt. Der mit etwa
2/3 der Fläche größere im Osten gelegene Teil dient als Wiese und wird
landwirtschaftlich genutzt. Der im Westen gelegene Teil ist hiervon abgegrenzt und
an einen Reitverein verpachtet, der ihn entsprechend als Pferdekoppel oder
Reitplatz nutzt. Zwischen den beiden Teilen des Grundstücks befindet sich eine
Schutz- und Unterstellhütte des Vereins und die Zufahrt für das Grundstück, die
somit genau gegenüber der Wegeparzelle M. liegt. Dies ist ein Verbindungsweg für
Fußgänger von der Straße N. zur Straße O. Da Anwohner, die in den südlich
gelegenen Wald gehen möchten, ansonsten einen erheblichen Umweg in Kauf
nehmen müssten, lässt der Kläger die Zufahrt zu dem streitbefangenen
Grundstück offen und duldet es, dass die Passanten das Grundstück an dieser
Stelle queren.
Die Beklagte hat die Pflicht zur Straßenreinigung und zum Winterdienst durch die
"Satzung über die Reinigung der öffentlichen Straßen der Universitätsstadt A-
Stadt" vom 23. Juni 1978 (im Weiteren: Reinigungssatzung) überwiegend auf die
Grundstückseigentümer und sonstigen Nutzer übertragen (§ 1 der Satzung) und -
soweit hier von Belang - folgende Regelungen zur Reinigung getroffen:
"§ 3 Die allgemeine Reinigung und der Winterdienst
1. Die Straßenreinigung umfasst die allgemeine Reinigung und den Winterdienst.
2. ...
3. Der Winterdienst umfasst die Verpflichtung, die Gehwege, Treppen, Überwege
und Bushaltestellen von Schnee freizuhalten und bei Schnee- und Eisglätte zu
streuen.
Bei Straßen ohne Gehsteig ... erstreckt sich die Verpflichtung auf die Freihaltung
bzw. Streuung eines Streifens von 2 m Breite.
Ist in einer Straße nur auf einer Seite ein Gehweg vorhanden, so sind auch die
Verpflichteten (§ 1) der Grundstücke auf der dem Gehweg gegenüberliegenden
Straßenseite zum Winterdienst auf diesem Gehweg verpflichtet.
Die Verpflichtung erstreckt sich auf die Länge der Grundstücksfront des an der
Straße liegenden Grundstücks, projiziert auf den gegenüberliegenden Gehweg. Die
Verpflichteten beider Straßenseiten bilden eine Pflichtengemeinschaft. In Jahren
mit ungerader Endziffer sind die Verpflichteten der an dem Gehweg gelegenen
Grundstücke, in Jahren mit gerader Endziffer die Verpflichteten der dem Gehweg
gegenüberliegenden Grundstücke zum Winterdienst verpflichtet.
§ 4 Umfang der Verpflichtung zur allgemeinen Reinigung und zum Winterdienst
1. ...
2. Ein Grundstück ist oder gilt als erschlossen, wenn es zur öffentlichen Straße
einen Zugang oder eine Zufahrt hat oder nach Maßgabe des allgemeinen
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einen Zugang oder eine Zufahrt hat oder nach Maßgabe des allgemeinen
Baurechts haben darf.
Als Grundstück im Sinne dieser Satzung ist ohne Rücksicht auf die
Grundbuchbezeichnung jede selbständige wirtschaftliche Einheit des
Grundvermögens anzusehen (§ 70 Bewertungsgesetz in der Fassung vom
26.09.1974).
3. - 5. ..."
Im Jahr 2003 erkundigten sich Anwohner bei der Beklagten, wie der Winterdienst
auf dem einseitigen Gehweg der Straße P. geregelt sei. Nach Anhörung des
Klägers erließ die Beklagte daraufhin am 23. Juni 2003 den Bescheid, er sei als
Anwohner der Straße Q. grundsätzlich verpflichtet, in dem Bereich des
streitbefangenen Grundstücks im jährlichen Wechsel mit den anderen direkten
Anwohnern den Winterdienst auf dem Gehweg zu verrichten. Gegen den Bescheid
legte der Kläger am 2. Juli 2003 Widerspruch ein, den er damit begründete, die
Heranziehung zur genannten Pflicht sei unverhältnismäßig. Auch diene der
Gehweg nicht dem streitbefangenen Grundstück. Eine Sitzung des
Anhörungsausschusses fand nicht statt. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar
2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers jedoch kostenpflichtig ab. Zur
Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das streitbefangene Grundstück
werde durch die Straße R. im Sinne des Straßenrechts erschlossen. Damit treffe
den Kläger grundsätzlich die Reinigungspflicht nach den einschlägigen
Bestimmungen der Satzung. Diese umfasse aber eindeutig auch den Winterdienst
auf dem Gehweg auf der bebauten Seite der Straße, so dass der Kläger in den
Jahren mit gerader Zahl dort Schneeräumen und Eisglätte beseitigen müsse.
Diese Pflicht sei auch nicht wegen der Länge des Grundstücks oder der Art der
Nutzung unverhältnismäßig. Soweit der Kläger die Arbeit nicht selbst verrichten
könne, müsse er sich der Hilfe Dritter bedienen. Die Zustellung des
Widerspruchsbescheids erfolgte am 13. Januar 2004.
Am 11. Februar 2004 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor,
das streitbefangene Grundstück werde entgegen der Ansicht der Beklagten
gerade nicht straßenrechtlich erschlossen, denn es diene landwirtschaftlichen
Zwecken. Eine Reinigung der Straße habe für sein Anwesen keinen Nutzen oder
Vorteil. Zudem sei es rechtlich als Hinterliegergrundstück zu qualifizieren, da es
von der Straße durch den Grasstreifen getrennt sei. Die Pflicht zur Leistung des
Winterdienstes sei auch durch die besonderen Verhältnisse vor Ort und seiner
persönlichen Situation (Entfernung vom Wohnhaus und Alter) unverhältnismäßig.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 23. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
9. Januar 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage unter Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der Bescheide entgegen.
Gegenstand der mündlichen Verhandlung ist die Behördenakte gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Mit seinem Begehren wendet sich der Kläger gegen einen
ihn belastenden Verwaltungsakt nach § 35 S. 1 Hessisches
Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG). Die Verpflichtung, im jährlichen Wechsel
den Winterdienst auf dem Gehweg auf der seinem Grundstück
gegenüberliegenden Straßenseite zu versehen, besteht zwar aufgrund der
Reinigungssatzung der Beklagten vom 23. Juni 1978, doch konkretisiert der
angefochtene Bescheid diese Pflicht und stellt sie somit für die Zukunft verbindlich
fest.
Die Klage ist jedoch nur zum Teil begründet. Der angefochtene Bescheid der
Beklagten vom 23. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.
Januar 2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er
für den rein landwirtschaftlich genutzten Teil des streitbefangenen Grundstücks
dem Kläger die winterliche Räum- und Streupflicht auf dem Gehweg auferlegt. Im
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dem Kläger die winterliche Räum- und Streupflicht auf dem Gehweg auferlegt. Im
Übrigen ist der Bescheid indes rechtmäßig.
Der angegriffene Bescheid ist zunächst formell rechtmäßig. Die Beklagte ist für
den mit der Satzung geregelten Komplex zuständig und hat den Kläger auch
entsprechend der Vorschrift des § 28 Abs. 1 HVwVfG vor dem Erlass des
Bescheides ausreichend angehört.
Materiell ist der Bescheid indes nur teilweise rechtmäßig.
Seine Grundlage findet die hier in Streit stehende Pflicht der Anwohner einer
Straße, diese einschließlich des Gehwegs zu säubern und im Winter frei von Eis
und Schnee zu halten, in den aufgrund § 10 Hessisches Straßengesetz, heute vom
8. Juni 2003 (GVBl. 2003, 166 - HStrG -), ergangenen Satzungsregelungen der
Beklagten, an deren formellen Rechtmäßigkeit keine Zweifel bestehen. Nach § 10
Abs. 1 HStrG - die Regelung war gleichlautend auch in früheren Fassungen des
Gesetzes enthalten - sind grundsätzlich zwar die Kommunen zur Reinigung der
innerörtlichen Straßen auf eigene Kosten verpflichtet, wobei keine Unterscheidung
bezüglich der Qualifizierung als Gemeinde- oder überörtliche Straße gemacht wird.
Allerdings dürfen die Gemeinden nach § 10 Abs. 5 S. 1 HStrG diese Verpflichtung
durch Satzung ganz oder teilweise den Eigentümern oder Besitzern der durch
öffentliche Straßen erschlossenen Grundstücke auferlegen oder aber die Reinigung
selbst durchführen und den Anwohnern die Kosten auferlegen.
Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte durch § 1 Reinigungssatzung Gebrauch
gemacht und den Eigentümern, Besitzern oder sonst Berechtigten von
erschlossenen und bebauten oder unbebauten Grundstücken die Reinigungspflicht
übertragen. Lediglich für die in der Anlage 1 der Reinigungssatzung aufgeführten
Straßen - zu der die streitbefangene Straße nicht gehört - übernimmt die
Kommune die Reinigung als öffentlich-rechtliche Aufgabe. Inhaltlich wird die
Straßenreinigung entsprechend der gesetzlichen Vorschrift (§ 10 Abs. 3 HStrG)
durch die Satzung dahingehend definiert, dass neben der allgemeinen Reinigung
auch der Winterdienst als Pflicht besteht. Der Winterdienst umfasst die
Verpflichtung, die Gehwege von Schnee freizuhalten und bei Eis- und Schneeglätte
zu streuen, jedoch entgegen der Regelung der Reinigungssatzung bei Straßen nur
in der Breite von 1,50 m (§ 10 Abs. 3 HStrG).
Diese Satzungsregel steht mit den Grundrechten - insbesondere Art. 3, 12 Abs. 2
S. 1 und 14 GG - in Einklang (BVerwG, Urteil vom 05.08.1965 - I C 78.62 -,
BVerwGE 22, 26; Hess. VGH, Urteil vom 24.05.1977 - II OE 122/76 -, ESVGH 27,
235). Die Rechtfertigung für die Belastung der Anlieger mit der Reinigungspflicht ist
darin zu sehen, dass den Anliegern der Weg vor ihrem Grundstück in aller Regel in
besonderer Weise zugute kommt (vgl. Bauer in Kodal/Krämer, Straßenrecht, 5.
Aufl. 1995, S. 1313).
Dass der Kläger Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks ist und damit
Anlieger an der Straße S., ist nicht streitig. Die Auflastung der hier streitigen
Pflicht, auf dem Gehweg der gegenüberliegenden Seite den Winterdienst zu
versehen, ist indes nur zum Teil gerechtfertigt. Das klägerische Grundstück ist
nämlich nicht in vollem Umfang von der Straße im Sinne des § 4 Nr. 2
Reinigungssatzung erschlossen. Nach dieser Vorschrift ist oder gilt ein Grundstück
als erschlossen, wenn es zur öffentlichen Straße einen Zugang oder eine Zufahrt
hat oder nach Maßgabe des allgemeinen Baurechts haben darf. Zutreffend hat die
Beklagte bei ihrer Entscheidung diesbezüglich festgestellt, dass der Begriff des
"Erschlossenseins" im Straßenrecht nicht mit dem ähnlichen lautenden des
Baurechts verwechselt werden darf. Die Besonderheiten des Straßenrechts
rechtfertigen es vielmehr, bereits den durch eine vorhandene oder noch zu
schaffende Zugangsmöglichkeit auf das Grundstück von der Straße her
bestehenden Vorteil für den Grundstückseigentümer abzustellen. Auch wenn nur
eine fußläufige Zugangsmöglichkeit besteht, dadurch aber eine für das Grundstück
innerhalb einer geschlossenen Ortslage übliche und sinnvolle wirtschaftliche
Nutzung ermöglicht wird, kann es als "erschlossen" qualifiziert werden (vgl. OVG
NRW, Urt. vom 28.09.1989 - 9 A 1974/87 -, NVwZ-RR 1990, 508). Diese
Nutzungsmöglichkeit ist regelmäßig bereits durch das Angrenzen des Grundstücks
an die öffentliche Straße gegeben (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 03.07.1996 - 5 UE
4078/95 -, NVwZ-RR 1998, 133). Andererseits sind schon früh Ausnahmen der
allgemeinen Reinigungspflicht für Eigentümer bestimmter Grundstücke in der
Rechtsprechung anerkannt worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.05.1974 - VII C
46.72 -, NJW 1974, 1915).
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Die Möglichkeit der Nutzung in diesem Sinne besteht für das klägerische
Grundstück nur dem Grunde nach und bedarf einer Einschränkung. Der durch die
Straße vermittelte Nutzen kann für das streitbefangene Grundstück nämlich nicht
umfassend erkannt werden, sondern lediglich für den Teil, der keiner
landwirtschaftlichen Nutzung unterliegt. Die tatsächliche landwirtschaftliche
Nutzung eines Grundstücks widerspricht dem straßenrechtlichen Begriff des
"Erschlossenseins" selbst dann, wenn ein Zugang zu dem innerörtlich Grundstück
von der Straße aus vorhanden ist. Die durch Satzung dem Anlieger einer Straße
auferlegte Reinigungspflicht derselben kann nämlich nur als Gegenstück eines
besonderen Vorteils und unter Berücksichtigung der entsprechenden Tradition und
des Herkommens betrachtet werden. Dabei mag es zutreffen, dass in früheren
Jahren gesundheitspolizeiliche und hygienische Gründe für eine Reinigung von
Straßen bedeutsam waren. Neben rein ästhetischen Gesichtspunkten wird indes
nur noch sehr begrenzt ein tatsächlicher Vorteil für den Anlieger selbst durch die
Reinigung der Straße und der Gehwege zu erkennen sein. Vielmehr zieht im
weitesten Sinne die Allgemeinheit Nutzen aus der Reinigung der Straßen, indem
Unrat beseitigt und die Funktionsfähigkeit der Entwässerungseinrichtungen
(Rinnen) durch entsprechende Säuberungsmaßnahmen gewährleistet wird. Auch
regionale Besonderheiten und die jeweilige ortsübliche Art der offenen oder
verdichteten Bebauung sind bei dieser Betrachtung nicht zu vernachlässigen.
Deutlicher wird der Nutzen für die Allgemeinheit noch beim Winterdienst. Bezüglich
dieser Pflicht standen und stehen vor allem Aspekte der Gefahrenabwehr im
Vordergrund, soll doch durch die Schaffung eines glättefreien Bereichs vor allem
den Passanten - aber auch den Anwohnern - die Nutzung der Straße erleichtert
bzw. erst möglich gemacht werden.
Zusammengefasst wird die Reinigungspflicht daher zuvorderst der Allgemeinheit,
aber auch in nicht unerheblicher Art und Weise den Grundstückseigentümern oder
sonstigen Nutzern zugute kommen. Neben der Sauberkeit der Straße und der
damit verbundenen Leichtigkeit des Verkehrs vorrangig aber nicht ausschließlich
für Fußgänger ist auch eine Auswirkung auf ein geordnetes Zusammenleben der
örtlichen Gemeinschaft festzustellen. An diesen speziellen Vorteilen einer
Straßenreinigung innerhalb der geschlossenen Ortslage partizipieren auch die
Eigentümer oder Besitzer von bebauten wie unbebauten Grundstücken.
Bei rein landwirtschaftlich genutzten Flächen ist ein derartiger Vorteil indes zu
verneinen. Bereits das Vorhandensein von landwirtschaftlich genutzten Flächen im
Innenbereich stellt regelmäßig den Ausnahmefall dar, da solche
Nutzungsmischformen durch das kommunale Bauplanungsrecht, das auf
geschlossene und abgegrenzte Bautypik angelegt ist (vgl. auch § 1 Abs. 5 BBauG),
auch in dörflich strukturierten Gemeinden immer mehr zurückgedrängt werden.
Eine innerhalb geschlossener Ortschaften übliche und sinnvolle wirtschaftliche
Nutzung der Grundstücke ist für landwirtschaftlich genutzte Flächen nur sehr
begrenzt möglich. Ästhetische Gesichtspunkte sind regelmäßig unbeachtlich und
durch die Reinigung der Straße entsteht kein Nutzen für das als Acker oder Wiese
genutzte Grundstück. Anderweitige Nutzer des Grundstücks existieren nicht, so
dass die Entscheidung des Hess. Verwaltungsgerichtshofs vom 05. Februar 1980
(Az.: II OE 150/77, HessVGRspr. 1980, S. 61), die auf die Nutzung eines
Forstgrundstückes durch Forstbedienstete, Waldarbeiter und private Holzaufkäufer
abstellt, hier nicht einschlägig ist. Bei einer rein landwirtschaftlich genutzten, aber
innerhalb einer geschlossenen Ortslage liegenden Fläche sind die typischen
Belange des Zusammenlebens der örtlichen Gemeinschaft nicht betroffen (vgl.
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.02.2003 - 9 A 2355/00 -). Auch der
innerorts übliche befestigte Ausbau der Straßen durch Pflaster oder bituminöse
Deckschichten, die eine sinnvolle Reinigung erst zulassen, ist für diese Flächen
ohne nennenswerten Vorteil. Damit kommen die genannten Vorteile der
Straßenreinigung und des Winterdienstes den landwirtschaftlich genutzten
Grundstücken nicht zugute.
Im Gegenzug ist es auch nicht sachgerecht, den durch die Reinigung der Straße
der Allgemeinheit vermittelten Vorteil den Eigentümern von innerörtlich gelegenen
und rein landwirtschaftlich genutzten Grundstücken als Last aufzuerlegen, es sei
denn, es handelt sich um Flächen, die von der Lage und der Ausgestaltung im
Einzelfall als Bauerwartungsland angesehen werden können. Eine solche
Rückausnahme liegt im Fall des streitbefangenen Grundstücks nicht vor. Nach
dem unbestrittenen Vortrag des Klägers existiert für den Bereich seines
Grundstücks kein Bebauungsplan und es sei - wegen der Funktion der Flächen als
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Grundstücks kein Bebauungsplan und es sei - wegen der Funktion der Flächen als
Frischluftschneise für die Ortschaft - auf Dauer nicht mit einer Möglichkeit der
Bebauung zu rechnen.
Danach ist der Teil des klägerischen (Buch-) Grundstücks, der landwirtschaftlich
genutzt wird, nicht mit dem hier streitigen Winterdienst belastet.
Anders muss dies jedoch für den westlich gelegenen Teil des Grundstück gesehen
werden. Hier nutzt der Kläger die Fläche nicht mehr landwirtschaftlich, sondern hat
sie einem Reitverein verpachtet, der darauf einen Unterstand und eine
Pferdekoppel betreibt. Diese Nutzung zu Freizeitzwecken bedingt auch einen nicht
unerheblicher Zu- und Abfahrtsverkehr mit Fahrzeugen und Fußgängern, so dass
ein unmittelbarer Vorteil des Grundstücks von bzw. aus der Straße begründet wird,
der auch nicht auf Jahreszeiten beschränkt ist. Die Möglichkeit der entsprechenden
Grundstücksnutzung besteht vielmehr ganzjährig.
Darüber hinaus ist die Nutzung nicht durch den vorhanden Grünstreifen, der sich
zwischen der Gemeindestraße und der ihr zugewandten Seite des Grundstücks
befindet, gehindert. Dieser schmale und wild mit Gras bewachsene Streifen, der
zur Straßenparzelle gehört, hat vielmehr lediglich die äußeren Abmessungen eines
Gehwegs; ein solcher ist jedoch offenbar bei Ausbau der Straße mangels eines
öffentlichen Bedürfnisses nicht angelegt worden. Die Nutzbarkeit des oder den
Zugang zu dem Grundstück beeinträchtigt er in keiner Weise.
Damit ist der Kläger grundsätzlich verpflichtet, die Straße vor dem westlichen Teil
seines Grundstückes zu reinigen und den Winterdienst zu versehen. Da sich auf
der südlichen Straßenseite jedoch kein Gehweg befindet, ist er weiterhin nach § 3
Nr. 2 Abs. 3 und 4 Reinigungssatzung auch verpflichtet, im jährlichen Wechsel mit
den direkten Anliegern auf dem seinem Grundstück gegenüberliegenden Gehweg
den Winterdienst zu versehen.
Die Trennung des einheitlichen Buchgrundstücks im straßenrechtlichen Sinne ist
grundsätzlich zulässig (vgl. § 4 Ziff. 2 Abs. 2 Reinigungssatzung und OVG NRW vom
26.02.2003 - 9 A 2355/00 -) und im vorliegenden Fall unproblematisch möglich.
Durch die Anlegung des Weges in Höhe der Einfahrt in das gemischt genutzte
Grundstück und die errichtete Hütte ergibt sich eine klare Trennung. Die Trennlinie
zwischen dem landwirtschaftlich genutzten Teilstück und dem zu anderen Zwecken
genutzten westlichen Bereich befindet sich auch in Höhe des im öffentlichen
Eigentum stehenden Fußweges Flurstück T., so dass sich daraus eine einfache
Spiegelung des klägerischen Grundstücks auf die nördliche Seite der Straße U.
ergibt, auf der sich der Gehweg befindet.
Schließlich wird die Verpflichtung, den Winterdienst zu leisten, nicht durch sonstige
Umstände des Einzelfalls unverhältnismäßig. Die Länge der Räumstrecke erstreckt
sich nach den obigen Ausführungen nur noch über einen deutlich kleineren
Bereich, nämlich über etwa vier Hausgrundstücke auf der nördlichen Straßenseite.
Davon steht sogar ein - unbebautes - Grundstück ebenfalls im Eigentum des
Klägers, für welches er ohnehin den entsprechenden Räum- und Streudienst
verrichten muss. Auch die Entfernung vom Wohnhaus des Klägers zu der Straße V.
ist aus diesem Grund nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Zuletzt wird die
Räum- und Streupflicht auch nicht etwas deswegen unverhältnismäßig, weil der
Kläger bereits im fortgeschrittenen Alter ist. Selbstverständlich trifft eine derartige
Last einen älteren Menschen mehr als einen jungen, vorausgesetzt, dieser ist
gesund. Das Argument wird aber bereits dann gegenstandslos, wenn man
bedenkt, wie viele ältere Menschen zwischenzeitlich mit steigender Tendenz alleine
wohnen und gleichwohl Haus und Hof in Ordnung halten müssen. Der Kläger ist
daher für den Fall, dass er selbst die geforderten Arbeiten nicht verrichten kann,
gehalten, sich der Hilfe Dritter zu bedienen.
Die angefochtene Verfügung der Beklagten ist mithin insoweit rechtmäßig, als sie
feststellt, dass der Kläger den Winterdienst auf dem Gehweg auf der dem
streitbefangenen Grundstück gegenüberliegenden Straßenseite westlich des
Fußgängerweges auf der Parzelle W. verrichten muss. Darüber hinaus ist die
Feststellung fehlerhaft und unterliegt der Aufhebung.
Die Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten im Verhältnis 1/3 der Kläger und
2/3 die Beklagte zu tragen, § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711
ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.