Urteil des VG Gießen vom 14.07.1997

VG Gießen: aufschiebende wirkung, indien, polizei, mitwirkungspflicht, ausreise, entziehen, berechtigter, erforschung, einzelrichter, anerkennung

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Gericht:
VG Gießen 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 G 31375/97
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 30 AsylVfG 1992
Leitsatz
Der Vortrag eines Asylbewerbers ist insgesamt nicht geeignet, einen Asylanspruch zu
tragen und insbesondere den politischen Charakter möglicher Verfolgungsmaßnahmen
festzustellen, wenn der Asylbewerber seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nicht
nachkommt, wonach er gehalten ist, von sich aus die in seine eigene Sphäre fallenden
tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern und eventuelle
Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar
aufzulösen. Es ist nicht ersichtlich, daß sich Sikhs einer möglicherweise bedrohlichen
Situation im Punjab nur durch das Verlassen des indischen Staatsgebietes entziehen
können, da ihnen ganz Indien außerhalb ihres engeren Heimatgebiets als inländische
Fluchtalternative offensteht.
Gründe
Über den am 17.6.1997 gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage
des Antragstellers gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 6.6.1997 (1
270 777-436) enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, entscheidet nach
§ 76 Abs.4 S.1, 36 Abs.3 S.4 AsylVfG der Einzelrichter im schriftlichen Verfahren.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. §§ 80 Abs.2 Nr.3,
Abs.5 VwGO i.V.m. § 36 Abs.3 u. Abs.4 AsylVfG kommt nicht in Betracht, denn es
bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im
Bundesamtsbescheid nach §§ 34 Abs.1, 36 Abs.1 AsylVfG enthaltenen
Ausreiseaufforderung mit Fristsetzung und Abschiebungsandrohung, an der ihr
zugrundeliegenden Ablehnung des Asylantrages gem. § 30 Abs.1 AsylVfG als
offensichtlich unbegründet und an der Verneinung der Voraussetzungen des § 53
AuslG.
Das Gericht ist aufgrund der eigenen Angaben des Antragstellers und der
beigezogenen Akten und nach Auswertung aller in das Verfahren eingeführten
Erkenntnisquellen zur politischen Situation in Indien zu der Überzeugung gelangt,
daß die Voraussetzungen des Art.16a GG und des § 51 Abs.1 AuslG offensichtlich
nicht und die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorliegen.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG
und die Voraussetzungen des § 51 Abs.1 AuslG liegen offensichtlich nicht vor, da -
wie insoweit erforderlich (BVerfGE 56, 216; 67, 43) - nach der Erforschung des
Sachverhalts im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung an der Richtigkeit der
tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein berechtigter Zweifel bestehen
kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter
Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt.
Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, daß der Antragsteller sich nicht auf
individuelle Vorfluchtgründe berufen kann. Er war bei seiner Ausreise aus Indien
nicht aktuell von staatlichen Maßnahmen von asylrelevanter Intensität betroffen
oder unmittelbar bedroht, die objektiv gegen ein asylerhebliches Merkmal
gerichtet gewesen wären.
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Der Antragsteller hat seinen Anhörungstermin beim Bundesamt nicht
wahrgenommen – die von ihm insoweit ohne nähere Angaben vorgelegte
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht geeignet, sein Ausbleiben zu
entschuldigen –, hat die Aufforderung des Bundesamtes zu schriftlicher
Stellungnahme ungenutzt verstreichen lassen und auch im gerichtlichen Verfahren
keine weitere Antragsbegründung abgegeben. Als Beurteilungsgrundlage kommt
demnach nur die Stellungnahme vom 13.2.1992 (Bl. 10 d. Bundesamtsakte) in
Betracht. Darin trägt der Antragsteller vor, er habe in seinem Laden Sikh-
Freiheitskämpfer mit Essen und trinken versorgt. Deswegen sei er am 5.5.1991
von der Polizei festgenommen und mißhandelt worden. Nach seiner Freilassung
habe er Indien verlassen.
Dieser Vortrag des Antragstellers kommt als Grundlage für einen Asylanspruch
nicht in Betracht. Denn damit ist er der ihm obliegenden [BVerwG, Urteil v. 30.
Oktober 1990 - 9 C 72.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135] prozessualen
Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, wonach er gehalten ist, von sich aus die
in seine eigene Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich
stimmig zu schildern und eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in
früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so daß sein Vortrag
insgesamt nicht geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen und
insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen
festzustellen. Der Antragsteller hat sein individuelles Verfolgungsschicksal schon
nicht in der ihm obliegenden Weise substantiiert dargelegt. Er hat er keine
lebensnahe Schilderung konkreter und individualisierter Umstände abgegeben,
sondern nur einen vagen und sehr allgemein gehaltenen Sachverhalt vorgetragen.
Er hat sich auf die Angabe beschränkt, er habe Sikhs mit Essen und Trinken
versorgt und sei deshalb von der Polizei verhaftet und geschlagen worden.
Aufgrund dieses Vortrags, der keinerlei individualisierende Einzelheiten enthält, ist
das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, daß der Antragsteller die von ihm
vorgetragenen Umstände tatsächlich erlebt hat.
Selbst wenn der Vortrag als wahr unterstellt würde, würde für den Antragsteller ein
Asylanspruch ausscheiden, da er erst neun Monate nach den behaupteten
Ereignissen in die Bundesrepublik eingereist ist und hierfür keinerlei Erklärung
abgegeben hat. Der insoweit erforderliche enge zeitliche und sachliche
Zusammenhang von Verfolgungsmaßnahme und Flucht wäre nicht dargelegt.
Schließlich könnte sich der Antragsteller auch deshalb nicht auf eine asylrelevante
Bedrohung vor seiner Ausreise berufen, weil ihm jedenfalls in ganz Indien
außerhalb seines Heimatgebietes eine inländische Fluchtalternative offenstand. Es
ist nicht ersichtlich, weshalb sich der Antragsteller der von ihm geschilderten
Situation nur durch das Verlassen des indischen Staatsgebietes entziehen konnte.
Für den unverfolgt ausgereisten Antragsteller besteht im Fall seiner Rückkehr nach
Indien demnach auch nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung. Auch insoweit gilt für ihn jedenfalls die Möglichkeit einer
Fluchtalternative.
Auf der Grundlage seines Vortrags stehen der Abschiebung auch offensichtlich
weder Gründe nach § 51 AuslG entgegen noch sind Abschiebungshindernisse nach
§ 53 AuslG ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, die
Gerichtskostenfreiheit aus § 83b Abs. 1 AsylVfG. Der Gegenstand ergibt sich
unmittelbar aus § 83b Abs. 2 AsylVfG.
Dieser Beschluß ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.