Urteil des VG Gelsenkirchen vom 02.08.2006
VG Gelsenkirchen (gebäude, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, kläger, genehmigung, errichtung, grundstück, bezug, lärm, betrieb, verwaltungsgericht)
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5 K 5577/04
Datum:
02.08.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 5577/04
Schlagworte:
Gebot der Rücksichtnahme, Betriebserweiterung
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Gläubiger zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
1
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Gemarkung X. , Flur 2, Flurstück 60 (W.----
---straße 19/21 in C. ). Auf dem vorgenannten Grundstück stehen zwei wohngenutzte
Häuser auf. Südöstlich daran schließt sich das Grundstück G.--------straße 23 (Flur 2,
Flurstück 532) der Beigeladenen an. Ein Bebauungsplan besteht nicht.
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Der Voreigentümerin der Beigeladenen, der Fa. B. P. T. - und N. , war am 05. April 1983
eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Wartungshalle mit Büro- und Sozialräumen,
sowie neun Pkw- Stellplätzen erteilt worden, die die Erzeugung eines Lärmpegels von
70 dB (A) tags und nachts an den Grundstücksgrenzen gestattete. Auf dem westlich
davon gelegenen Grundstück G.--------straße 21 ist die T. X1. angesiedelt. Entsprechend
der Baugenehmigung vom 12. September 1995 sind Lärmimmissionen von ebenfalls 70
dB (A) tags- und nachts jeweils jenseits 3 Meter ihrer Grundstücksgrenzen genehmigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Örtlichkeiten wird auf das Ortsterminsprotokoll
vom 11. Oktober 2001 im Verfahren 5 L 1645/01 gleichen Rubrums und die in den
Verwaltungsvorgängen enthaltenen Pläne Bezug genommen.
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Am 15. Juni 2001 (Eingang beim Beklagten) beantragte die Beigeladene eine
Baugenehmigung zur Errichtung einer Lagerhalle, Lagerflächen für Waren, Stellflächen
für Paletten und LKW-Stellplätze für den Betrieb einer T. . Mit Bauschein vom 14. August
2001 (Blatt 313 - 316 der Beiakte Heft 2) genehmigte der Beklagte der Beigeladenen die
Errichtung einer Lagerhalle, Herstellung einer Lagerfläche außerhalb der Halle für
Mineralwolle, Stellflächen für Paletten, Errichtung von 5 LKW-Stellplätzen und 9 PKW-
Stellplätzen für einen Speditionsbetrieb. Wegen der Einzelheiten des
Genehmigungsinhaltes wird auf die grüngestempelten Anlagen a) bis j) zur
Baugenehmigung (Blatt 264 - 268, 270 - 310 der Beiakte Heft 3) Bezug genommen.
5
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 22. August 2001 Widerspruch ein und
beantragte am 27. August 2001 beim erkennenden Gericht die Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen die Baugenehmigung.
6
Im damaligen Eilverfahren 5 L 1645/01 gleichen Rubrums führte die Berichterstatterin
einen Ortstermin durch und wies auf rechtliche Bedenken bezüglich der
Baugenehmigung hin. Es ging dabei insbesondere um den Standort und die Höhe der
damals schon aufstehenden Halle, die offensichtlich abweichend von der
Baugenehmigung errichtet worden war, um die Lage der Lagerflächen für die
Mineralwolle und die Frage der von diesen einzuhaltenden Abstandflächen.
7
Die Beigeladene gab daraufhin die Erklärung ab, die streitige Baugenehmigung vom 14.
August 2001 bis zur Erteilung einer Nachtragsbaugenehmigung nicht auszunutzen.
8
Am 16. Oktober 2001 (Eingang beim Beklagten) beantragte die Beigeladene sodann
einen „Nachtrag zur Baugenehmigung vom 14. August 2001" des Inhalts, dass die Halle
einen geänderten Standort (ca. 3 cm weiter südlich und 82 - 84 cm weiter westlich) und
eine höhere Firsthöhe erhalten sollte. Weiter wurde beantragt, die Höhe der
Lagerflächen für Mineralwolle von 3 m auf 5 m zu erhöhen.
9
Am 13. November 2001 erteilte der Beklagte der Beigeladenen den „1. Nachtrag zur
Baugenehmigung vom 14. August 2001: Verschiebung der Halle um 84 cm, Änderung
der Lagerflächen und der Lagerhöhe von 3 m auf 5 m".
10
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 26. November 2001 Widerspruch ein und
beantragte am 21. Januar 2002 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner
Widersprüche vom 22. August 2001 und vom 26. November 2001 gegen die der
Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 14. August 2001 in der Fassung der
Nachtragsbaugenehmigung vom 13. November 2001.
11
Mit Beschluss vom 15. Juli 2002 im Verfahren 5 L 150/02 gleichen Rubrums lehnte die
erkennende Kammer den Antrag ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss
vom 11. November 2002 im Verfahren 10 B 1427/02 als unbegründet zurück. Zur
Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, das klägerische Gebäude sei nicht
schutzwürdig und das Beigeladenenvorhaben sei dem gegenüber nicht rücksichtslos.
Wegen des Inhalts der vorgenannten Beschlüsse wird auf Blatt 113 bis 124 und Blatt
177 bis 182 der Gerichtsakte 5 L 150/02 Bezug genommen.
12
Mit Schreiben vom 03. September 2001 (Eingang am 07. September) legte der Beklagte
13
der Bezirksregierung Arnsberg den Widerspruch des Klägers vom 22. August 2001
gegen die Baugenehmigung der Beigeladenen vom 14. August 2001 zur Entscheidung
vor, den die Bezirksregierung Arnsberg mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar
2003 als unbegründet zurück wies.
Am 17. Februar 2003 erhob der Kläger die Klage 5 K 725/03, die die erkennende
Kammer mit Urteil vom 29. Januar 2004 mangels Rechtsschutzbedürfnisses als
unzulässig abwies. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG NRW mit
Beschluss vom 4. Mai 2004 im Verfahren 10 A 1476/04 ab.
14
Am 10. April 2003 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten die Baugenehmigung
zur Errichtung einer Lagerfläche für Dämmstoffe auf der westlich des am 13. November
2001 genehmigten Speditionsbetriebes gelegenen Freifläche im Tagbetrieb von 6.00
Uhr bis 22.00 Uhr. Mit Bauschein vom 12. August 2003 genehmigte die Beklagte der
Beigeladenen antragsgemäß die Errichtung der Lagerfläche für Dämmstoffe. In der
Auflage Nr. 7 zur Baugenehmigung heißt es, dass die von der Genehmigung erfassten
Anlagen so zu errichten und zu nutzen sind, dass von diesen Anlagen einschließlich der
Nebeneinrichtungen auch in Verbindung mit den vorhandenen und genehmigten
Anlagen tags 65 dB (A) und nachts 50 dB (A) 0,50 m vor den geöffneten, vom Lärm am
stärksten betroffenen Fenstern des Hauses W.-------straße 19/21 der Beigeladenen nicht
überschritten werden dürfen. Wegen der Einzelheiten des Genehmigungsinhalts wird
auf die grün gestempelten Anlagen a) bis g) zur Baugenehmigung (Bl. 79 - 91 der
Beiakte Heft 2) Bezug genommen.
15
Dagegen legten die Kläger am 19. September 2003 Widerspruch ein, den die
Bezirksregierung Arnsberg mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2004 (zugestellt
am 01. September 2004) als unbegründet zurückwies.
16
Am 01. Oktober 2004 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben und führen zur
Begründung aus, das Bauvorhaben der Beigeladenen sei ihnen gegenüber
rücksichtslos. In der streitigen Baugenehmigung seien Lärmwerte entsprechend eines
Gewerbegebietes zugrunde gelegt worden. Ihrem Haus W.-------straße 19/21 stehe
jedoch ein höherer Schutzanspruch zu. Ursprünglich sei das Gebäude offensichtlich als
Büro der Zeche W1. genutzt worden. Diese sei jedoch schon 1923 stillgelegt worden.
Seit 1930 werde das Gebäude als Wohnhaus genutzt. Entgegen der Auffassung des
Oberverwaltungsgerichtes sei die Wohnnutzung an dieser Stelle auch in der
Vergangenheit genehmigungsfähig gewesen. Zwei Luftbildaufnahmen (Beiakte Heft 8)
aus den Jahren 1959 und 1963 belegten, dass es sich zu dieser Zeit um ein faktisches
Wohngebiet gehandelt habe. Damals sei in diesem Gebiet nur Wohnbebauung
vorhanden gewesen. Das Gebäude genieße daher den Schutzanspruch einer
betriebsungebundenen Wohnnutzung, worauf der Betrieb der Beigeladenen Rücksicht
zu nehmen habe.
17
Die jetzt streitige Baugenehmigung vom 12. August 2003 legalisiere eine so erhebliche
Betriebsausweitung, dass sich die Genehmigungsfrage für den gesamten
Speditionsbetrieb neu stelle. Dieser sei mit den genehmigten Lärmwerten von 65 dB (A)
tags und 50 dB (A) nachts der geschützten Wohnnutzung gegenüber rücksichtslos.
18
Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
19
die der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 12. August 2003
20
und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 27. August 2004
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
21
die Klage abzuweisen.
22
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichtes
Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 11. November 2002 im Verfahren 10 B 1427/02
und führt ergänzend aus, die Kläger seien beweispflichtig für die Tatsachen, aus denen
sich die behauptete materielle Baurechtmäßigkeit ergäbe. Dazu seien die vorgelegten
Luftbildaufnahmen aus den Jahren 1959 und 1963 nicht geeignet. Auf dem Bild von
1959 zeige sich in der unmittelbaren Nachbarschaft eine gewerbliche, wenn nicht sogar
industrielle Nutzung. Auf dem Bild von 1963 zeige sich, dass das klägerische Gebäude
von keiner nennenswerten Bebauung umgeben sei, aber auch damals seien
Wohngebäude nicht außenbereichsverträglich gewesen.
23
Die Beigeladene beantragt schriftsätzlich,
24
die Klage abzuweisen.
25
Sie führt zur Begründung aus, das Gebäude der Kläger könne aufgrund seiner formellen
und materiellen Illegalität keinen nennenswerten Schutzanspruch für sich in Anspruch
nehmen. Die Luftbildaufnahmen belegten auch nichts anderes. Aus ihnen sei die
Nutzung der einzelnen Gebäude nicht zu entnehmen. Es könne im Übrigen sogar
möglich sein, dass alle dort verzeichneten Gebäude als betriebsgebundene
Zechenwohnungen errichtet worden seien.
26
Am 28. April 2006 hat die Berichterstatterin einen Erörterungstermin an Ort und Stelle
durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll vom selben Tage
Bezug genommen.
27
Mit Beschluss vom 24. April 2006 hat die Kammer den Rechtsstreit auf die
Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegende
Gerichtsakte, die Gerichtsakten der Verfahren 5 K 725/03, 5 L 1645/01 und 5 L 150/01
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
29
Entscheidungsgründe:
30
Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
31
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch
auf Aufhebung der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 12. August 2003
in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Arnsberg vom 27. August
2004, da sie dadurch nicht in ihren Rechten verletzt werden, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
32
Die erteilte Baugenehmigung verstößt weder gegen nachbarschützende Vorschriften
des Bauplanungsrechts noch gegen solche des Bauordnungsrechts.
33
In bauordnungsrechtlicher Hinsicht ist eine Verletzung der Abstandflächenvorschriften
des § 6 BauO NRW durch das Abstandflächen auslösende gestapelte Dämmmaterial
nicht zu bestätigen.
34
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 34 BauGB,
da das Grundstück der Beigeladenen innerhalb eines im Zusammenhang bebauten
Ortsteils, jedoch nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegt. Eine
Verletzung von Nachbarrechten des Klägers in bauplanungsrechtlicher Hinsicht könnte
hier allein aus einer Verletzung des im Merkmal des Sich-Einfügens nach § 34 Abs. 1
BauGB enthaltenen Gebotes der Rücksichtnahme hergeleitet werden. Das Gebot der
Rücksichtnahme will angesichts der gegenseitigen Verflechtung der baulichen Situation
benachbarter Grundstücke einen angemessenen planungsrechtlichen Ausgleich
schaffen, der einerseits dem Bauherrn ermöglicht, was von seiner Interessenlage her
verständlich und unabweisbar ist, und andererseits dem Nachbarn erspart, was an
Belästigungen und Nachteilen für ihn unzumutbar ist. In diesem Sinne vermittelt es
Nachbarschutz, wenn und soweit andernfalls durch die Ausführung oder Benutzung
eines Vorhabens in schutzwürdige Belange eines Dritten „rücksichtslos" eingegriffen
würde. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Einzelfall festzustellen, wobei
dessen konkrete Umstände zu würdigen, insbesondere die gegenläufigen Interessen
des Bauherrn und des Nachbarn in Anwendung des Maßstabes der
planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander abzuwägen sind.
35
Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und
schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen
Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben
verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und
unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind.
36
Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 = BRS 32
Nr. 155 und 27. August 1998 - 4 C 5.98 -, UPR 1999, 68 = NuR 2000, 87, Beschluss
vom 11. Januar 1999 - 4 B 128.98 -, DVBl 1999, 786 = NVwZ 1999, 879 = DÖV 1999,
558 und zum vergleichbaren Rücksichtnahmegebot aus § 35 Abs. 3 BauGB: BVerwG,
Urteil vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 -, NVwZ 1994, 686 = UPR 1994, 148 = BauR
1994, 354.
37
Dabei reichen bloße Lästigkeiten für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot
nicht aus; erforderlich ist vielmehr eine qualifizierte Störung im Sinne einer
Unzumutbarkeit.
38
Faktische Vorbelastungen können dazu führen, dass die Pflicht zur gegenseitigen
Rücksichtnahme sich vermindert und Beeinträchtigungen in weitergehendem Maße
zumutbar sind als sie sonst in einem nicht derart vorgeprägten Gebiet hinzunehmen
wären,
39
vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1995 - 4 C 20.94 -, BRS 57 Nr. 67.
40
Prüfungsgegenstand ist dabei vorliegend nicht isoliert die mit Bauschein vom 12.
August 2003 genehmigte Lagerfläche für Dämmstoffe. Bei der nunmehr genehmigten
zusätzlichen Lagerfläche für Dämmstoffe handelt es sich um eine wesentliche Änderung
im Sinne einer Betriebserweiterung der bestehenden T. . Bei der Bewertung der
41
Zumutbarkeit der von dem Beigeladenenbetrieb ausgehenden Immissionen ist daher
der Gesamtbetrieb in den Blick zu nehmen, da die aufgrund der angefochtenen
Baugenehmigung hergestellte Lagerfläche ein funktional verknüpfter Teil des
Gesamtbetriebes ist.
Der den Klägern bei dieser Abwägung zukommende Schutzanspruch entspricht nicht
dem einer dort vorhandenen Wohnnutzung. Es handelt sich bei der Nutzung des
Gebäudes W.-------straße 19/21 um eine formell und materiell illegale Wohnnutzung.
Eine solche Nutzung genießt nicht den Schutz der Rechtsordnung,
42
vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, BRS 55 Nr. 175 und Urteil vom
24. Februar 2000 - 4 C 23.98 -, BRS 63 Nr. 80.
43
Das OVG NRW hat mit Beschluss vom 11. November 2002 im Verfahren 10 B 1427/02
gleichen Rubrums ausgeführt:
44
„Die ausgeübte allgemeine Wohnnutzung dürfte nach Aktenlage ferner zu jeder Zeit
materiell illegal gewesen sein und ist es auch heute noch. Das Grundstück, das
ursprünglich Bestandteil des Betriebsgeländes der Zeche W1. war, stand, wie sich aus
verschiedenen in der Hausakte des Grundstücks W.-------straße 19/21 befindlichen
Aktenvorgängen ergibt, zumindest bis Ende 1982 im Eigentum der Harpener AG,
Dortmund. Es ist nicht ersichtlich, dass das Gebäude W.-------straße 19/21 bis dahin
allgemeinen Wohnzwecken gedient hätte. Vielmehr spricht Einiges dafür, dass in dem
Gebäude lediglich betriebsbezogenes Wohnen stattgefunden hat. In der Zeit nach dem
Eigentumswechsel, der sich Ende 1982/Anfang 1983 vollzogen haben dürfte, hätte die
Erteilung einer Baugenehmigung für allgemeine Wohnnutzung wohl aus
Immissionsschutzgründen versagt werden müssen. Denn in der unmittelbaren
Umgebung waren zuvor lärmintensive Betriebe genehmigt worden, die mit normaler
Wohnnutzung unverträglich gewesen wären. So war der Firma S. Transportbeton GmbH
und Co. KG, deren Betrieb südöstlich des Antragsteller-Grundstücks angesiedelt war,
eine durch Bescheid des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Dortmund vom 26. März
1982 auf fünf Jahre befristete Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer
Anlage zur Herstellung von Beton erteilt worden (Hausakte des Grundstücks
Frenkingstraße o. Nr., Bl. 6). Der Genehmigung lag als deren Bestandteil u. a. eine
Immissionsprognose des Instituts für Umweltschutz vom 17. September 1981 zu Grunde
(Hausakte, Bl. 74). Diese kam zu dem Ergebnis, dass für den Immissionsort I 1 (W.-------
straße 21) mit einer Lärmbelastung zwischen 65 und 70 dB (A) tags und nachts zu
rechnen sei (Hausakte, Bl. 98). Allgemeine Wohnnutzung soll aber nach den
verschiedenen Regelwerken (TA-Lärm, DIN 18005, VDI-Richtlinie 2058) keiner
größerer Lärmbelastung als 60 dB (A) tags und 45 dB (A) nachts ausgesetzt werden.
Selbst bei betriebsbezogenen Wohnungen im Gewerbegebiet sollen Lärmwerte von 65
dB (A) tags und 50 dB (A) nachts nicht überschritten werden. Zwar erlosch die der Firma
S. U. GmbH und Co. KG erteilte Genehmigung später, da die Anlage nicht errichtet
worden ist. Für die Dauer des Bestehens der erwähnten Genehmigung stand diese aber
der Erteilung einer Baugenehmigung für das Gebäude W.------- straße 19/21 zu
allgemeinen Wohnzwecken entgegen. Noch vor dem Ablauf der Geltungsdauer der
zuletzt genannten Genehmigung war dem früheren Eigentümer des Grundstücks der
Beigeladenen, der Firma B. P. T. und N1. , die Baugenehmigung vom 05. April 1983
erteilt worden. Diese hatte die Errichtung einer Wartungshalle mit Büro- und
Sozialräumen sowie 9 Pkw-Stellplätzen zum Gegenstand und gestattete die Erzeugung
eines Lärmpegels von 70 dB (A) tags und nachts an den Grundstücksgrenzen
45
(Hausakte des Grundstücks G1.-------straße 23, Bl. 22 i. V. m. Bl. 10). Da das Grundstück
der Beigeladenen und des Antragstellers aneinander grenzen und das Gebäude W.------
-straße 19/21 lediglich eine Entfernung von etwa 12 m zur gemeinsamen
Grundstücksgrenze einhält, wäre eine Genehmigung für eine allgemeine Wohnnutzung
des Gebäudes wegen unzumutbarer Lärmbelastung nicht in Betracht gekommen.
Wegen der Grundstücksbezogenheit der der Firma B. P. erteilten Baugenehmigung war
auch die Beigeladene nach dem Grundstückserwerb berechtigt, die Genehmigung
auszunutzen. Die einer Genehmigung für die Häuser W.------- straße 19/21 zu
allgemeiner Wohnnutzung entgegenstehenden Gründe bestanden daher bis zur
Erteilung der hier streitigen Baugenehmigung fort.
Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die im Jahre 1998 rechtswidrig erfolgte
Löschung der Baulast vom 14. Juli 1983, die die Verpflichtung des Antragstellers zum
Gegenstand hatte, die Wohnungen in dem Gebäude W.---- ---straße 19/21 nach dem
Auszug der damaligen Mieter nicht wieder zu allgemeinen Wohnzwecken zu vermieten,
dem Antragsteller Abwehrrechte gegen eine behördliche Unterbindung allgemeiner
Wohnnutzung vermittelt. Daraus folgt jedenfalls aber kein Anspruch auf Erteilung einer
den obigen Nutzungszweck legalisierenden Baugenehmigung."
46
An dieser Einschätzung hält die Kammer auch im vorliegenden Verfahren fest. Soweit
die Kläger vortragen, ihr Gebäude W.-------straße 19/21 sei in der Vergangenheit als
betriebsungebundenes Wohnhaus materiell genehmigungsfähig gewesen, ist darauf
hinzuweisen, dass sie auch für den von ihnen damit behaupteten Bestandsschutz
infolge materieller Genehmigungsfähigkeit darlegungs- und beweispflichtig sind,
47
BVerwG, Beschluss vom 05. August 1991 - 4 B 130/91 -, Buchholz 406.17,
Bauordnungsrecht Nr. 35; OVG NRW, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 10 B
1898/2000 -.
48
Das ist mit der Vorlage der Adressbücher aus den Jahren 1930 bis 1932 nicht gelungen.
Diese belegen nur, dass das Haus zu dieser Zeit bewohnt war. Die
Berufsbezeichnungen hinter den Namen lassen auf Bergwerksangehörigkeit schließen.
Das Gleiche gilt für die undatierte Zeichnung, in der das Gebäude als Wohnhaus W.------
-straße 49 verzeichnet ist. Beides belegt nur die - im Übrigen - unbestrittene Existenz
des Hauses zu Wohnzwecken, bietet aber keine Anhaltspunkte ihrer materiellen
Legalität. Die letztgenannte Zeichnung spricht auch eher gegen eine
Genehmigungsfähigkeit, wenn dort das Haus direkt zwischen Bahngleisen und einem
einer Zeche zugeordneten Lagerplatz eingezeichnet ist.
49
Auch die vorgelegten Luftbilder aus den Jahren 1959 und 1963 führen zu keinem
anderen Ergebnis. Soweit das Luftbild von 1959 Einzelheiten erkennen lässt, liegen
nördlich des klägerischen Gebäudes Gleisanlagen und südlich sind einige bauliche
Anlagen zu erkennen, deren Nutzung ungeklärt ist. Bei dem langgezogenen Gebäude
könnte es sich um den auf der undatierten Zeichnung eingetragenen Lagerschuppen
handeln. Jedenfalls lässt diese Luftaufbildaufnahme von 1959 keine
Schlussfolgerungen über die materielle Genehmigungsfähigkeit des Gebäudes W.-------
straße 19/21 zu dieser Zeit als Wohngebäude zu. Vergleichbares gilt für die
Luftbildaufnahme von 1963. Auf diesem Bild lässt sich zwar erkennen, dass zwischen
der Baureihe an der G1.-------straße und dem klägerischen Gebäude offensichtlich keine
Gebäude mehr aufstehen. Ungeklärt ist aber die Nutzung der nunmehr vorhandenen
Freifläche, auf der ehemals offensichtlich unter anderem ein Lagerplatz vorhanden war.
50
Sollte die Freifläche ungenutzt gewesen sein, wäre auch an eine sogenannte
Außenbereichsinsel im Innenbereich zu denken. Festhalten lässt sich jedenfalls, dass
auch mit der Luftbildaufnahme von 1963 keine Tatsachen nachgewiesen sind, die den
Schluss auf eine materielle Genehmigungsfähigkeit als Wohnhaus tragen.
Die Klage hat darüber hinaus - unabhängig von der fehlenden Schutzwürdigkeit des
Gebäudes W.-------straße 19/21 - auch aus nachfolgenden Gründen keinen Erfolg.
51
Das OVG NRW hat dazu im Beschluss vom 11. November 2002 im Verfahren 10 B
1427/02 ausgeführt:
52
„Das Rechtsschutzverlangen des Antragstellers hat auch unter dem Gesichtspunkt einer
Verletzung des nachbarlichen Rücksichtnahmegebotes keinen Erfolg. Insoweit rügt der
Antragsteller die dem Betrieb der Beigeladenen durch die angefochtene
Baugenehmigung gestatteten Lärmwerte von 65 dB (A) tags und 50 dB (A) nachts,
gemessen jeweils 0,5 m vor dem geöffneten, vom Lärm am stärksten betroffenen
Fenster der Häuser W.-------straße 19, 19 a und 21. Der Senat legt seiner rechtlichen
Beurteilung die genannten Pegelwerte zu Grunde, obwohl nach dem im Auftrage der
Beigeladenen erstellten Lärmgutachten des Ingenieurbüros für technische Akustik und
Bauphysik vom 12. Juli 2001 lediglich Beurteilungspegel von maximal 58 dB (A) tags
und 45 dB (A) nachts - von diesen Werten ist das Verwaltungsgericht bei seiner
Entscheidung ausgegangen - zu erwarten sind. Denn maßgebend sind grundsätzlich
die Lärmimmissionen, die nach der Genehmigungslage bewirkt werden dürfen. Zwar
mag es, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, ausnahmsweise zulässig sein,
von geringeren Pegelwerten auszugehen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls
ausgeschlossen ist, dass diese überschritten werden. Das Verwaltungsgericht hat eine
derartige Fallgestaltung im Hinblick darauf für gegeben erachtet, dass die zur
Baugenehmigung gehörige Betriebsbeschreibung keine weiteren lärmerzeugenden
Vorgänge zulasse, als im Lärmgutachten bereits berücksichtigt. Selbst wenn man dies
als richtig unterstellt, steht aber nicht zweifelsfrei fest, dass der gutachterlich ermittelte
Lärmpegel die Obergrenze der Lärmbelastung darstellt. Denn dem lärmtechnischen
Gutachten liegen gewisse Annahmen zu Grunde, die für das Maß des entstehenden
Lärms von Bedeutung, aber durch die Baugenehmigung nicht festgeschrieben sind. So
beruht das Gutachten beispielsweise auf Lärmmessungen mit einem bestimmten Lkw-
Typ. Werden Lkw verwendet, die einen höheren Schallpegel erzeugen, erhöhen sich
die in dem Lärmgutachten ermittelten Pegelwerte. Das Gleiche gilt, wenn die Einwirkzeit
des Lärms, die für die Nachtzeit mit 3 Minuten angesetzt worden ist und unter anderem
die Warmlaufphase bei Abfahrten mit umfassen soll, ausgedehnt wird. Hiermit ist
insbesondere in der kalten Jahreszeit zu rechnen. Auch wenn der Betrieb der
Beigeladenen die in dem Lärmgutachten errechneten Lärmwerte deutlich überschreiten
oder sogar die ihm durch die angefochtene Baugenehmigung zugestandenen
Immissionsrichtwerte von 65 dB (A) tags und 50 dB (A) nachts voll ausschöpfen sollte,
führt dies unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des Falles aber nicht
dazu, die sofortige Vollziehbarkeit der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung
auszusetzen. Zwar sollen nach Ziffer 6.7 der Technischen Anleitung zum Schutz gegen
Lärm - TA Lärm - vom 26. August 1998 (GMBl S. 503) auch in Gemengelagen die
Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete - 60 dB (A) tags und 45 dB (A)
nachts - nicht überschritten werden. Der vorliegende Fall weist aber die bereits
erwähnte Besonderheit auf, dass sowohl für das Grundstück der Beigeladenen als auch
für das westlich davon liegende Grundstück der T. X1. bestandskräftige
Baugenehmigungen vorliegen, die die Betriebe jeweils zu Lärmimmissionen bis zu 70
53
dB (A) tags und nachts an den jeweiligen Bezugspunkten berechtigen. Die der
Beigeladenen erteilte streitbefangene Baugenehmigung führt daher im Ergebnis zu
einer Verbesserung der bisherigen Belastungssituation."
Auch die nunmehr erteilte streitige Baugenehmigung vom 12. August 2003 führt unter
Lärmgesichtspunkten nicht zu einer Verschlechterung der Situation.
54
Legt man - wie oben ausgeführt - die vom erweiterten Gesamtbetrieb verursachten
Lärmimmissionen zugrunde, verbleibt es bei - wie auch schon bei der im Verfahren 10 B
1427/02 streitigen Baugenehmigung vom 13. November 2001 - gestatteten Lärmwerten
von 65 dB (A) tags und 50 dB (A) nachts, gemessen jeweils 0,5 m vor dem geöffneten
von Lärm am stärksten betroffenen Fenster des Hauses W.-------straße 19/21. Dass
diese Lärmwerte dem klägerischen Gebäude gegenüber nicht rücksichtslos sind, hat
das OVG NRW bereits in dem mehrfach zitierten Beschluss vom 11. November 2002 im
Verfahren 10 B 1427/02, auf den zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug
genommen wird, ausgeführt.
55
Daran, dass diese Lärmwerte auch nach der Erweiterung eingehalten werden können,
bestehen keine Bedanken. Die TA-Lärm (Ziffer 3.2.1) geht davon aus, dass ein
Lärmbeitrag dann nicht relevant ist, wenn die von der Anlage ausgehende
Zusatzbelastung die Immissionsrichtwerte am maßgeblichen Immissionsort um
mindestens 6 dB (A) unterschreitet. Genehmigt ist bezüglich der angrenzenden
Lagerfläche ohnehin nur Tagbetrieb. Ausweislich des vorgelegten Gutachtens des
Ingenieurbüros für Technische Akustik und Bauphysik C1. & Partner GmbH vom 28. Juli
2003 erzeugen die Arbeiten auf der neuen Lagerfläche einen Teilpegel von maximal
51,7 dB (A) und verbleiben damit mehr als 13 dB (A) hinter dem genehmigten Wert von
tags 65 dB (A), so dass sie nicht lärmerhöhend wirken.
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Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO abzuweisen. Es
entspricht der Billigkeit im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO den Klägern auch die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, die einen Antrag gestellt
und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten folgt aus § 167
VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11 und 711 der Zivilprozessordnung.
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