Urteil des VG Gelsenkirchen vom 22.09.2009
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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 8 L 808/09
Datum:
22.09.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 L 808/09
Schlagworte:
bedrängende optische Wirkung einer WEA
Normen:
§ 35 Abs 3 S 1 BauGB
Leitsätze:
Zumutbarkeit einer WEA, die weniger als das Zweifache ihrer
Gesamthöhe von der nächstgelegenen Wohnbebauung entfernt ist.
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks D. I.---weg 642 in C. , auf dem sich
ein von dieser selbst genutztes 'Wohnhaus mit Mietwohnung befindet, dessen Lage die
Beteiligten übereinstimmend dem Außenbereich zuordnen. Mit
immissionsschutzrechtlicher Genehmigung des ehemaligen Staatlichen Umweltamtes
(StUA) I1. vom 00.00.0000 (mit Nachtrag vom 00.00.0000 und Fristungsbescheid der
Bezirksregierung B. vom 00.00.0000) wurde der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen
die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windkraftanlage vom Typ
ENERCON E-70 in C1. , Gemarkung H. , mit 99 m Nabenhöhe und einer Gesamthöhe
von 134,5 m erteilt. Mit Genehmigung vom 00.00.0000 genehmigte der Antragsgegner
der Beigeladenen gemäß Antrag vom 00./ 00.00.0000 auf dem vorbezeichneten
Grundstück die wesentliche Änderung der Windenergieanlage (WEA) ENERCON E-82
hinsichtlich der Lage durch Verschiebung des genehmigten Standorts um ca. 25 m nach
Nordwest sowie der Beschaffenheit durch Änderung des Anlagentyps von ENERCON
E-70 + E-4 auf ENERCON E-82 mit 108,38 m Nabenhöhe. Die Gesamthöhe der Anlage
ist mit 149,38 m, der Rotordurchmesser mit 82 m festgelegt. Der Standort der Anlage ist
ca. 270 m von dem Wohnhaus auf dem Grundstück der Antragstellerin entfernt. Mit
Bescheid vom 00.00.0000 verlängerte der Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen
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die Frist für die Errichtung und Inbetriebnahme der WEA bis zum 00.00.0000 und
ordnete - ebenfalls auf Antrag der Beigeladenen - mit Bescheid vom 00.00.0000die
sofortige Vollziehung der Genehmigung vom 00.00.0000 an, nachdem die
Antragstellerin dagegen am 00.00.0000 bei dem beschließenden Gericht Klage erhoben
hatte, die unter dem Aktenzeichen 8 K 2882/09 geführt wird.
Am 00.00.0000 hat die Antragstellerin bei dem beschließenden Gericht um die
Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht sie
geltend, wegen optisch bedrängender Wirkung des Vorhabens sei die Genehmigung
rechtswidrig.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen vom
Antragsgegner erteilten Genehmigung vom 00.00.0000 wiederherzustellen.
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Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie halten die angefochtene Genehmigung für rechtmäßig. Der Antragstellerin seien
Vorkehrungen zuzumuten, die etwaige von der Anlage ausgehende nachteilige optische
Effekte begrenzten.
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Am 26. August 2009 hat das Gericht einen Erörterungstermin durchgeführt und dabei die
Örtlichkeit in Augenschein genommen; wegen der insoweit getroffenen Feststellungen
wird auf den Inhalt des Terminsprotokolls (Gerichtsakte Blatt 125 - 127) Bezug
genommen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der von den Beteiligten zum zugehörigen Klageverfahren 8 K 2882/09
gereichten Vorgänge Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag ist unbegründet, weil die nach §§ 80 Abs.5 Satz 1, 80a Abs.3 Satz 2 VwGO
maßgebliche Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen zum
Nachteil der Antragstellerin ausfällt.
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Zuvor ist festzuhalten, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid des
Antragsgegners vom 00.00.0000 wirksam und mit einer den formellen Anforderungen
des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Begründung versehen ist, soweit darauf
abgehoben wird, dass das öffentliche Interesse an der Förderung dieser Energiequelle
und das Interesse der Beigeladenen an der Verwirklichung des Vorhabens gegenüber
den dagegen streitenden Interessen der Antragstellerin vorzugswürdig seien.
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Bei der Interessenabwägung beansprucht die Einschätzung Gewicht, ob die
Antragstellerin die angefochtene Genehmigung voraussichtlich zu Fall bringen kann. In
Würdigung der Umstände spricht Überwiegendes dafür, dass ihrer Klage kein Erfolg
beschieden ist. Dabei geht die Kammer mit den Ausführungen der Antragstellerin im
vorliegenden Verfahren davon aus, dass die Klage trotz eines bei Erhebung
verstrichenen Zeitraums von mehr als einem Jahr seit Genehmigungserteilung zulässig
ist. Die Genehmigung ist der Antragstellerin nicht zugestellt worden; eigener Darstellung
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zu Folge hat sie hiervon Kenntnis erst mit Beginn der Bauarbeiten im Frühjahr 2009
Kenntnis erlangt. Mit der jüngst erfolgten Zustellung der Genehmigung vom 00.00.0000
an die B1. des Vorhabens, die der Antragsgegner auf Anregung der Beigeladenen
vorgenommen hat, haben diese Beteiligten im übrigen veranschaulicht, dass sie nicht
darauf vertraut haben, die Genehmigung würde nach Einjahresablauf nicht mehr durch
Dritte angefochten werden.
Der Antragstellerin steht das geltend gemachte Abwehrrecht gegen die der
Beigeladenen erteilte Genehmigung vom 00.00.0000 voraussichtlich nicht zu. Die
Genehmigung berücksichtigt die Belange des Drittschutzes. In Würdigung der
Umstände spricht derzeit vieles dafür, dass von der Anlage in der Fassung der
Genehmigung vom 00.00.0000 keine unzumutbaren Nachteile insoweit ausgehen. Das
gilt auch, soweit eine optisch bedrängende Wirkung von der Antragstellerin befürchtet
wird, die im Hinblick auf die Wohnnutzung ihres Gebäudes einen Verstoß gegen das als
öffentlich- rechtlicher Belang in §35 Abs.3 Satz 1 BauGB verankerte drittschützende
Gebot der Rücksichtnahme darstellen würde.
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Der Rechtsprechung des 8. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Nordrhein-Westfalen zu Folge verbietet sich eine pauschalierende Anwendung der von
diesem Senat in seinem Urteil vom 9. August 2006 - 8 A 3726/05 - genannten, an dem
Verhältnis der Gesamthöhe der Anlage zu deren Abstand zur Wohnbebauung
orientierten Anhaltswerte. Demnach ist es verfehlt, die entwickelten Anhaltswerte in dem
Sinne anzuwenden, dass eine WEA, die mehr als das Dreifache ihrer Gesamthöhe von
der nächstgelegenen Wohnbebauung entfernt ist, in keinem Fall und eine WEA, die
weniger als das Zweifache ihrer Gesamthöhe von einer benachbarten Wohnbebauung
entfernt ist, immer gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Die genannten
Abstände sind lediglich als Orientierungswerte zu verstehen, die eine bestimmte
Würdigung der Umstände des Einzelfalles nahe legen, aber nicht entbehrlich machen
(Beschluss vom 22. März 2007 - 8 B 2283/06). Auch wenn vorliegend der Abstand
geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage ist, deswegen die Annahme
einer dominanten und bedrängenden Wirkung der Anlage auf die Wohnbebauung der
Antragstellerin nahe liegt, besteht nach den Umständen des Falles keine überwiegende
Erfolgsaussicht für die von der Antragstellerin gegen die Genehmigung vom 00.00.0000
erhobenen Klage.
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Die Rechtsposition der Antragstellerin ist dadurch belastet, dass sie gegen die
Genehmigung des StUA I1. vom 00.00.0000 nicht vorgegangen ist und damit die
Errichtung und den Betrieb der darin erlaubten WEA hingenommen hat. Die
angefochtene Änderungsgenehmigung vom 00.00.0000 hat die zuvor ergangenen
Genehmigungen, soweit sie von dem Regelungsgegenstand der
Änderungsgenehmigung nicht erfasst sind, unberührt gelassen, was ausdrücklich im
Genehmigungsbescheid vom 00.00.0000 unter „II. Fortdauer bisheriger
Genehmigungen" festgehalten wird. Die Antragstellerin ist in ihrem Vorgehen gegen die
Genehmigung vom 00.00.0000 mithin darauf verwiesen, eine Verletzung ihrer Rechte
speziell durch die darin normierten Änderungen darzulegen und gegebenenfalls
nachzuweisen. Die von ihr geltend gemachte optisch bedrängende Wirkung der Anlage
muss also darauf beruhen, dass eine Änderung der WEA hinsichtlich der Lage durch
Verschiebung des genehmigten Standorts um ca. 25 m nach Nordwest sowie der
Beschaffenheit durch Änderung des Anlagentyps von Enercon E-70 E-4 mit 99 m
Nabenhöhe auf Enercon E-82 mit 108,38 m Nabenhöhe einschließlich der dadurch
geänderten technischen Daten der Anlage in dem angefochtenen Bescheid geregelt ist.
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Dies kann zugleich in Berücksichtigung der Feststellungen, die das Gericht am 26.
August 2009 an Ort- und Stelle getroffen hat, nicht angenommen werden.
Gewiss wird die WEA, die Gegenstand der Änderungsgenehmigung ist, von der
Wohnbebauung und im Garten auf dem Grundstück der Antragstellerin deutlich
wahrzunehmen sein, was die insoweit bestehende Sicht auf den inzwischen 85 m
hohen Turm ohne weiteres veranschaulicht. Gleiches dürfte freilich auch für die WEA
mit einer Gesamthöhe von 134,5 m, einer Nabenhöhe von 99 m und einem
Rotordurchmesser von 71 m gelten, die Gegenstand der Genehmigung vom 00.00.0000
gewesen ist. Der Sichtbeziehung zu der demgegenüber knapp 15 m höheren nunmehr
genehmigten Anlage mit einer etwas mehr als 9 m größeren Nabenhöhe und einem 11
m größeren Rotordurchmesser kann die Antragstellerin durch architektonische
Selbsthilfe ausweichen, indem sie entsprechende Anpflanzungen auf dem rückwärtigen
Teil des Grundstücks tätigt. Die dort bereits vorhandenen Bäume zeigen, dass eine
solche Abschirmung der Sichtbeziehung nicht ungeeignet ist. Solche Vorkehrungen
sind für die Antragstellerin nicht unzumutbar. In einem Bereich, den die Stadt C1. -
zugleich in Ansehung des Bebauungsplans Nummer 351 (SVR) vom 00.00.0000
(„Fläche für die Landwirtschaft") sowie der Festsetzung als Verbandsgrünfläche Nr. 5
als Außenbereich bewertet, muss die Antragstellerin damit rechnen, dass Vorhaben, die
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dienen,
verwirklicht werden (Vgl. §35 Abs.1 Nr.5 BauGB). Das schließt die Zumutbarkeit von
Sichtbeziehungen zu solchen Anlagen und Bemühungen eines Ausweichens durch
architektonische Selbsthilfe grundsätzlich ein, um eine als optisch bedrängend
empfundene Wirkung der WEA auf die Wohnbebauung zu verhindern. Dass solche
Bemühungen für die Antragstellerin mit einem unzumutbaren Mehraufwand im Vergleich
zu dem Aufwand verbunden sind, der durch die unter dem 00.00.0000 genehmigte WEA
ausgelöst worden wäre, ist weder von ihr dargetan noch erkennbar.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs.1, 162 Abs.3 (§ 154 Abs.3) VwGO, die
Streitwertfestsetzung aus §§52, 53 GKG unter Berücksichtigung des Streitwertkatalogs
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).
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