Urteil des VG Gelsenkirchen vom 05.09.2008

VG Gelsenkirchen: entziehung, eugh, tschechien, sperrfrist, inhaber, mitgliedstaat, verfügung, gemeinschaftsrecht, entziehen, freizügigkeit

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 K 2753/07
Datum:
05.09.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 2753/07
Schlagworte:
EU-Fahrerlaubnis, Entziehung
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden
Betrages Sicherheit leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger wurde (zuletzt) durch Urteil des Landgerichts E. vom 17. Oktober 2003 u.a.
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Berücksichtigung einer Vielzahl
(auch einschlägiger und alkoholbedingter) Vorverurteilungen zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt; außerdem wurde eine Sperrfrist von 2 Jahren verhängt (Az.: StA E. 101 Js
36/02).
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Am 15. Februar 2006 beantragte der Kläger die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Wegen
der zahlreichen Verurteilungen mit Schreiben vom 27. Juni 2006 zur Vorlage eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) aufgefordert, nahm der Kläger mit
Schreiben vom 11. August 2006 den Antrag zurück.
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Anlässlich einer Vorsprache am 4. Januar 2007 wollte der Kläger einen von ihm
inzwischen im Juli 2006 erworbenen tschechischen Führerschein der Klasse B
umschreiben lassen. Als Wohnort weist dieser tschechische Führerschein den
deutschen Wohnort des Klägers D. -S. aus (Kopie Bl. 116 des Verwaltungsvorgangs
des Beklagten Beiakte Heft 2 - BA 2 -).
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Auf die Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis teilte der Kläger mit Schreiben vom
15. Januar 2007 mit, dass eine solche Maßnahme mit EU- Recht nicht vereinbar sei. Ein
Verstoß gegen das Wohnortprinzip sei auch nicht erkennbar.
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Daraufhin untersagte der Beklagte mit dem hier streitigen Bescheid vom 14. Februar
2007 dem Kläger, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik
Deutschland Gebrauch zu machen, und ordnete die sofortige Vollziehung an.
Hinsichtlich der Begründung wird auf den Bescheid Blatt 163 ff. BA 2 Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein.
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Der außerdem gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieb in zwei Instanzen
erfolglos (Beschlüsse der Kammer vom 3. April 2007 - 7 L 230/07 - und des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 12. Juni
2007 - 16 B 671/07 -).
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Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung
N. vom 15. August 2007) hat der Kläger am 19. September 2007 (fristgerecht) Klage
erhoben.
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Zur Begründung der Klage trägt er vor, dass ihm zumindest vor der Entziehung hätte
Gelegenheit gegeben werden müssen, seine Eignung durch Vorlage einer MPU
nachzuweisen.
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Der Kläger beantragt sinngemäß schriftsätzlich,
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den Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2007 sowie den Widerspruchsbescheid
der Bezirksregierung N. vom 15. August 2007 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Verfahren ist durch Beschluss vom 7. August 2008 auf den Einzelrichter übertragen
worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakten einschließlich des Eilverfahrens 7 L 230/07 und der
Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Widerspruchsbehörde (BA 2 und 1) Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Vorab ist anzumerken, dass über die Klage trotz Ausbleibens des Klägers in der
mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte, da er zu diesem Termin über
seinen damaligen Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß geladen und auf die
Möglichkeit einer Entscheidung bei Abwesenheit hingewiesen worden war.
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Die zulässige Anfechtungsklage (§ 42 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -)
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vgl. dazu mit rechtlich anderen Ansätzen, aber mit materiell vergleichbaren
Ergebnissen: Beschlüsse des bayr. Verwaltungsgerichtshof (VGH) vom 7. August 2008 -
11 ZB 07.1259 - und des VGH Baden- Württemberg vom 17. Juli 2008 - 10 S 1688/08 -
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ist nicht begründet, da der angefochtene Bescheid in Gestalt des
Widerspruchsbescheides rechtmäßig ist und den Kläger deshalb nicht in seinen
Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Beklagte hat als Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung § 3 Abs. 1 Satz 1
des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) herangezogen. Danach hat die
Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber einer
Fahrerlaubnis sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Handelt es
sich - wie hier - um eine ausländische Fahrerlaubnis, erlischt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 Satz 2 StVG das Recht, von ihr im Inland Gebrauch zu machen. Ungeeignet ist
u.a. derjenige, der die notwendigen körperlichen oder geistigen Anforderungen nicht
erfüllt (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG). Der Beklagte hat die Ungeeignetheit des Klägers
daraus hergeleitet, dass dieser eine im Erteilungsverfahren im Jahre 2006 angeforderte
MPU nicht beigebracht, sondern vielmehr zeitgleich ohne Wohnsitz in Tschechien dort
eine Fahrerlaubnis erworben habe und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die
durch die zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen begründeten Eignungszweifel
inzwischen ausgeräumt seien.
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Diese Entziehungsverfügung des Beklagten ist rechtmäßig, obwohl eine
Fahrerlaubnisbehörde nach geltendem Gemeinschaftsrecht (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie
91/439/EWG) grundsätzlich verpflichtet ist, eine in einem anderen Mitgliedstaat der EU
erworbene Fahrerlaubnis ohne weitere (eigene) Nachprüfung anzuerkennen. Dazu hat
der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinen jüngsten Entscheidungen
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- Urteil vom 26. Juni 2008 - Rs C-329/06 und C-343/06 - (Wiedemann u.a.), ebenso
Urteil vom selben Tag in den Sachen C-334/06 bis C-336/06 (Zerche u.a.), allerdings
mit anderen Randnummern -
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nochmals klargestellt, dass die Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen für eine
Fahrerlaubnis grundsätzlich den Behörden des Mitgliedstaates obliegt, in dem die
Fahrerlaubnis erteilt wird. Die Behörden der übrigen Mitgliedstaaten sind nicht befugt,
die diesbezüglichen Entscheidungen des Ausstellungsstaates zu überprüfen (a.a.O.,
Rn. 52 f.). Sie sind infolgedessen selbst dann gehindert, fahrerlaubnisrechtliche
Maßnahmen gegen den Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten
Fahrerlaubnis zu ergreifen, wenn dem Betreffenden nach dem innerstaatlichen Recht
eine Fahrerlaubnis nicht erteilt werden könnte oder wenn sie Grund zu der Annahme
haben, dass die Erteilungsvoraussetzungen tatsächlich nicht vorgelegen haben (a.a.O.,
Rn. 54 f.). Dem Gesamtzusammenhang der Entscheidung des EuGH nach gilt dies auch
in den Fällen, in denen dem Betreffenden im Aufnahmemitgliedstaat die Fahrerlaubnis
bereits früher wegen Drogen- oder Alkoholmissbrauchs entzogen worden war (vgl.
a.a.O., Rn 24. und 33 ff.). Fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen des
Aufnahmemitgliedstaates kommen danach (nur) in Betracht, wenn die neue
Fahrerlaubnis innerhalb einer nach vorangegangener Entziehung im
Aufnahmemitgliedstaat noch laufenden Sperrfrist erteilt worden ist (a.a.O., Rn. 65) oder
wenn ein Verhalten des Betreffenden nach dem (erneuten) Erwerb der Fahrerlaubnis
eine solche Maßnahme veranlasst (a.a.O., Rn. 59). Beide Voraussetzungen sind
vorliegend nicht erfüllt.
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Etwas anderes gilt allerdings in Fällen des Missbrauchs der gemeinschaftsrechtlich
garantierten Freizügigkeit, namentlich beim sog. „Führerschein-Tourismus". Ein solcher
ist nach der jetzt erfolgten Klarstellung in den oben genannten Urteilen des EuGH dann
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anzunehmen, wenn sich auf der Grundlage der Eintragungen im Führerschein selbst
oder von anderen vom Ausstellungsstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen
feststellen lässt, dass die in Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe b Richtlinie 91/439/EWG
aufgestellten Wohnsitzvoraussetzungen im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung nicht
erfüllt waren (a.a.O., Rn. 67 ff.).
Ausgehend von dieser für das erkennende Gericht verbindlichen Auslegung des EU-
Rechts ergibt sich vorliegend, dass die angefochtene Verfügung nicht gegen die
Bestimmungen der Richtlinie 91/439/EWG verstößt, da sich schon aus dem
Führerschein des Klägers ergibt, dass die aus dem oben zitierten EU-Recht
erforderliche Wohnsitzvoraussetzung nicht erfüllt war. Denn im Führerschein ist kein
tschechischer Wohnort, sondern der deutsche Wohnort des Kläger D. -S. eingetragen.
Dabei ist nicht erheblich, dass nach tschechischem Recht im Zeitpunkt der Erteilung der
Fahrerlaubnis und Ausstellung des Führerscheins ein entsprechendes
Wohnsitzerfordernis in Tschechien offenbar nicht erforderlich war; denn rechtlich
entscheidend ist der Verstoß gegen das auch in Tschechien geltende EU - Recht.
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Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des EuGH bedurfte es vor der Entziehung
auch keiner erneuten Aufforderung an den Kläger, die Zweifel an seiner Eignung durch
Vorlage einer MPU ausräumen zu können. Im Übrigen hat die Kammer im Eil- wie im
PKH-Verfahren schon entschieden, dass bei der straf- und verkehrsrechtlichen
Vorgeschichte des Klägers seine fehlende Eignung auch ohne neue MPU offensichtlich
war.
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Vg. dazu die Beschlüsse der Kammer im Eilverfahren (s.o.) und im PKH- Verfahren in
diesem Klageverfahren vom 6. Februar 2008.
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Nach alledem ist die Klage mit der Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO
abzuweisen; die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708, 711 der Zivilprozessordnung.
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