Urteil des VG Gelsenkirchen vom 02.02.2005
VG Gelsenkirchen: schüler, örtliche zuständigkeit, lehrerkonferenz, beleidigung, schule, bus, anhörung, verwaltungsakt, form, entlassung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Schlagworte:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 4 K 5925/02
02.02.2005
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
4. Kammer
Urteil
4 K 5925/02
Ausschluß; Klassenfahrt
Einzelfall zum Ausschluß von einer Klassenfahrt.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
zuvor entsprechend Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen schriftlichen Verweis.
Der Kläger besuchte im Jahre 2002 die 8. Jahrgangsstufe der Beklagten. Er machte am 14.
Mai 2002 auf einer Klassenfahrt gegenüber einem Mitschüler in Bezug auf eine Lehrerin
die Äußerung: Die mach' ich fertig!" Dieser Äußerung des Klägers war eine
Auseinandersetzung mit der Lehrerein vorausgegangen, weil er in der Jugendherberge das
Zimmer ohne deren Wissen für die Übernachtung gewechselt hatte. Am 13. Juni 2002
zeigte der Kläger aus dem fahrenden Bus heraus einer Lehrerin den Mittelfinger", die im
Auto hinter dem Bus herfuhr.
Mit Schreiben vom 17. Juni 2002 wurden die Erziehungsberechtigten des Klägers zur
Jahrgangskonferenz am 26. Juni 2002 geladen. In der Ladung wurde mitgeteilt, dass der
Kläger seine Pflichten als Schüler verletzt habe durch Beleidigung einer Lehrerin und
Äußern von Rachegedanken über Lehrer. Der Kläger und seine Erziehungsberechtigten
wurden darauf hingewiesen, dass sie Gelegenheit hätten, sich zu der Angelegenheit zu
äußern. Der Schüler könne einen Lehrer oder Schüler seines Vertrauens hinzuziehen.
Am 26. Juni 2002 tagte ausweislich des Protokolls die Jahrgangskonferenz als
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Teilkonferenz der Lehrerkonferenz/Jahrgang 8.3. Anwesend waren neben 16 Lehrern der
Schulleiter und der stellvertretende Schulleiter sowie eine Elternvertreterin, ein Schüler des
Vertrauens, der Kläger und dessen Vater. Die Konferenz beschloss die Androhung der
Entlassung von der Schule und teilte dies den Eltern des Klägers mit Bescheid vom 27.
Juni 2002 mit.
Auf den Widerspruch des Klägers, eingegangen am 19. Juli 2002, beschloss die
Jahrgangskonferenz als Teilkonferenz der Lehrerkonferenz/Jahrgang 8.3. am 3. September
2002 dem Widerspruch abzuhelfen und dem Kläger einen schriftlichen Verweis zu erteilen.
Anwesend waren ausweislich des Protokolls 16 Lehrer. Mit Bescheid vom 3. September
2002 wurde den Erziehungsberechtigten die Entscheidungen unter kurzer Schilderung des
zugrunde liegenden Sachverhaltes bekannt gegeben.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch Klägers vom 6. September 2002, eingegangen am
selben Tage, den er im Wesentlichen damit begründete, dass pädagogische Mittel vor der
Verhängung der Ordnungsmaßnahme nicht ausgeschöpft worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 31. Oktober 2002, mit
Postzustellungsurkunde zugestellt am 12. November 2002, wurde der Widerspruch
zurückgewiesen. Sie begründete ihre Entscheidung unter anderem auch damit, dass die
Ordnungsmaßnahme schon allein für das Zeigen des Mittelfingers gerechtfertigt gewesen
sei.
Der Kläger hat am 2. Dezember 2002 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass die Maßnahme unverhältnismäßig
gewesen sei. Das Zeigen des Mittelfingers sei unter Kindern zwischenzeitlich ein übliches
Fehlverhalten, so dass Zweifel an der Geeignetheit der Maßnahme bestünden. Zwischen
den Beteiligten des Vorfalls am 13. Juni 2002 habe eine Aussöhnung stattgefunden, so
dass die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme kontraproduktiv sei. Es sei auch nicht
ausreichend berücksichtigt worden, dass es sich bei dem Zeigen des Mittelfingers um ein
außerschulisches Verhalten gehandelt habe.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid der Beklagen vom 3. September 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Arnsberg vom 31. Oktober 2002
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogene Verwaltungsakte (1 Hefter) und
die Sitzungsniederschrift vom 2. Februar 2005 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alternative der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagen vom 3. September 2002 in der Gestalt des
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Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Arnsberg vom 31. Oktober 2002 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die angefochtene Erteilung eines schriftlichen Verweises ist formell rechtmäßig.
Zwar wurde der schriftliche Verweis nicht von der Klassenkonferenz ausgesprochen, wie
es § 26 a Abs. 5 Nr. 1 des Schulverwaltungsgesetzes (SchVG) grundsätzlich vorsieht. Im
vorliegenden Fall war jedoch die Lehrerkonferenz - konkret in der Form der
Jahrgangskonferenz als Teilkonferenz der Lehrerkonferenz gemäß §§ 26 a Abs. 5 Nr. 4
SchVG, 6 Abs. 4 Nr. 7 und Abs. 6 Satz 1 des Schulmitwirkungsgesetzes (SchMG) - die zur
Entscheidung berufene Stelle. Denn ursprünglich war beabsichtigt und auch
ausgesprochen worden, dass gegen den Schüler die Androhung der Entlassung verhängt
werden sollte. Für die Verhängung dieser Maßnahme ist die Lehrerkonferenz gemäß § 26 a
Abs. 5 Nr. 4 SchVG zuständig. Der letztlich verhängte Verweis wurde erst auf den
Widerspruch des Klägers im Abhilfeverfahren nach § 72 VwGO ausgesprochen; für die
Abhilfeentscheidung bleibt nicht nur nach außen die Behörde - Schule -, sondern auch
nach innen die Stelle - handelnde Konferenz - zuständig, die den ursprünglichen
Verwaltungsakt herbeigeführt hat.
Soweit in der Ladung vom 17. Juni 2002 (Blatt 1 der Verwaltungsakte) zur Sitzung der
Jahrgangskonferenz als Teilkonferenz der Hinweis nach § 15 Abs. 4 Satz 2 Allgemeine
Schulordnung (ASchO) auf die Widerspruchsmöglichkeit gegen die Anhörung einer
Vertreterin oder eines Vertreters der Schulpflegschaft und des Schülerrates unterblieben
ist, kann der Kläger schon nach § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW (VwVfG
NRW) nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beanspruchen. Nach § 46
VwVfG NRW kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist,
nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über
das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn
offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Es sind keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Teilkonferenz im Falle eines
Widerspruchs gegen die entsprechende Anhörung des Klägers anders entschieden hätte.
Sowohl die Ausgangsentscheidung als auch die Abhilfeentscheidung mit der Erteilung des
schriftlichen Verweises wurden einstimmig gefasst.
Die Ordnungsmaßnahme wurde auch gemäß § 15 Abs. 6 Satz 1 ASchO den
Erziehungsberechtigten unter Darlegung des Sachverhalts mit Bescheid vom 3. September
2002 schriftlich bekannt geben.
Die Erteilung des schriftlichen Verweises ist materiell rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für den schriftlichen Verweis ist § 16 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 und 2 Nr. 1
ASchO. Danach kann einem Schüler zur Gewährleistung einer geordneten Unterrichts- und
Erziehungsarbeit der Schule sowie zum Schutz von beteiligten Personen und Sachen ein
schriftlicher Verweis erteilt werden. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 ASchO können
Ordnungsmaßnahmen angewandt werden bei Pflichtverletzung durch Schülerinnen und
Schüler, insbesondere bei Störung des Unterrichts oder sonstiger Schulveranstaltungen,
bei Verletzung der Teilnahmepflicht sowie bei Verstößen gegen die Schulordnung oder die
Hausordnung oder andere schulische Anordnungen.
Der Kläger hat eine Pflichtverletzung begangen, in dem er mit seinem Verhalten gegen § 3
Abs. 4 Nr. 3 ASchO verstieß. Nach dieser Norm ist der Schüler verpflichtet, alles zu
unterlassen, was eine geordnete Unterrichts- und Erziehungsarbeit der besuchten oder
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einer anderen Schule sowie die Rechte beteiligter Personen beeinträchtigt.
Das Zeigen des ausgestreckten Mittelfingers stellte gegenüber der Lehrerin eine
Ehrverletzung und damit eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts dar. Es kann hier
allein auf den Vorfall am 13. Juni 2002 - Zeigen des ausgestreckten Mittelfingers
gegenüber einer Lehrerin - abgestellt werden. Gegenstand der anhängigen
Anfechtungsklage ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in
der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Insofern hat die
Bezirksregierung Arnsberg als Widerspruchsbehörde auf Seite 4 ihres
Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2002 ausgeführt, dass die äußerst obszöne
Beleidigung der Lehrerin des Klägers durch das Zeigen des ausgestreckten Mittelfingers
schon für sich allein betrachtet die Erteilung eines schriftlichen Verweises rechtfertige. Die
Widerspruchsbehörde hat damit zum Ausdruck gebracht, dass auch allein der Vorfall am
13. Juni 2002 zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden kann. Auf den Vorfall am
14. Mai 2002 kommt es somit nicht mehr an.
Zwar ereignete sich der Vorfall außerhalb des Schulgeländes - der Kläger zeigte während
des Heimweges aus dem fahrenden Bus heraus der Lehrerin den ausgestreckten
Mittelfinger -, jedoch können Ordnungsmaßnahmen auch bei pflichtverletzendem
Fehlverhalten eines Schülers außerhalb des Schulgeländes verhängt werden, wenn ein
direkter Zusammenhang zum Schulverhältnis besteht, insbesondere wenn das
Fehlverhalten unmittelbar in den schulischen Bereich hineinwirkt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 1998, - 19 E 391/98 -.
Dies ist hier der Fall. Die Beleidigung der Lehrerin wirkte unmittelbar in den schulischen
Bereich hinein und hatte Auswirkung auf das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Die
betroffene Lehrerin stellte den Kläger auch zur Rede (Blatt 61 der Gerichtsakte).
Die Erteilung eines schriftlichen Verweises war auch nicht ermessensfehlerhaft.
Als Ordnungsmaßnahme kommt der schriftliche Verweis erst in Betracht, wenn andere
erzieherische Einwirkungen nicht ausreichen, § 26 a Abs. 2 Satz 1 SchVG. Es ist nicht
erkennbar, dass hier unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nur eine
Erziehungsmaßnahme ausreichend und geboten und damit die Maßnahme nicht
erforderlich" gewesen wäre. Das Zeigen des ausgestreckten Mittelfingers stellt gemeinhin
eine schwere Beleidigung dar. Daran ändert auch nichts, dass sich der Kläger bei der
Lehrerin entschuldigt und diese die Entschuldigung angenommen hatte (Blatt 61 der
Gerichtsakte).
Die Ordnungsmaßnahme war auch verhältnismäßig, § 26 a Abs. 2 Satz 2 SchVG, § 15
Abs. 1 ASchO.
Der schriftliche Verweis ist grundsätzlich geeignet, dem Kläger sein Fehlverhalten vor
Augen zu führen und zur Vermeidung von Wiederholungen beizutragen, um damit eine
geordnete Erziehungsarbeit sicherzustellen und beteilige Personen zu schützen.
Der schriftliche Verweis als mildeste Ordnungsmaßnahme stellt auch keine übermäßige
Reaktion auf das grobe Fehlverhalten des Klägers dar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11,
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711 der Zivilprozessordnung.
Rechtsmittelbelehrung: