Urteil des VG Gelsenkirchen vom 19.05.2006
VG Gelsenkirchen: befreiung, drucksache, kreis, härtefall, ermessensspielraum, meinung, bedürftigkeit, arbeitsgemeinschaft, nummer, hauptsache
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 14 K 144/06
Datum:
19.05.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 K 144/06
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
G r ü n d e :
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Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. § 114 Satz 1
Zivilprozessordnung - ZPO - erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder
nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs.
4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst
und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten
Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe versagt
werden darf, weil ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen,
die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Schwierige, bisher nicht hinreichend
geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren
geklärt werden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. September 1996 - 8 E 593/96 -, Im Anschluss an
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 30. Oktober 1991 - 1 BvR 1386/91
-, NJW 1992, 889 und Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 u. a. -, NJW 1991,
413.
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Gemessen hieran bietet die Klage mit dem sinngemäß gestellten Antrag,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 23. August 2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 zu verpflichten, den Kläger von der
Rundfunkgebührenpflicht zu befreien,
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keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass Prozesskostenhilfe unbeschadet des
Vorliegens der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen zu versagen ist.
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Dem Kläger steht ein Anspruch auf die begehrte Gebührenbefreiung, die ohnehin nur
befristet erteilt werden könnte, nicht zu.
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Seit dem 01. April 2005 gelten die bisherigen Rundfunkgebührenbefreiungsver-
ordnungen der Länder, die u.a. eine Befreiungsmöglichkeit wegen geringen
Einkommens vorsahen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 7. der Verordnung über die Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht NRW vom 30. November 1993), nicht mehr. Rechtsgrundlage
einer Gebührenbefreiung ist seitdem ausschließlich § 6 des
Rundfunkgebührenstaatsvertrages vom 31. August 1991 in seiner durch den Achten
Rundfunksänderungsstaatsvertrag vom 08./15. Oktober 2004 geänderten Fassung
(RGebStV).
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Gemäß § 6 Abs. 1 RGebStV werden von der Rundfunkgebührenpflicht auf Antrag
natürliche Personen und deren Ehegatten im ausschließlich privaten Bereich nur noch
dann befreit, wenn der Betroffene zu dem dort enumerativ genannten Personenkreis
gehört, d.h. Hilfen nach den in 10 Nummern aufgeführten Vorschriften erhält und dies
durch einen entsprechenden Bewilligungsbescheid nachweist (§ 6 Abs. 2 RGebStV).
Die Befreiungstatbestände nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 10 sind nach dem Wortlaut und
dem Willen des Gesetzgebers abschließend. Eine - ggf. umfangreiche und schwierige -
eigenständige Einkommens- und Bedarfsberechnung durch die Rundfunkanstalten
findet nicht mehr statt.
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Vgl. Begründung zur Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages zu Art. 5 Nr. 6
(LT-Drucksache 13/6202, S. 42); VG Freiburg, Urteil vom 02. Dezember 2005 - 2 K
1366/05 -, Juris; Bayerisches VG Regensburg, Urteil vom 17. Januar 2006 - RN 4 K
05.1288 - und VG Köln, Beschlüsse vom 30. November 2005 - 26 K 5318/05 - und vom
02. Februar 2006 - 26 K 7276/05 -.
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Die Befreiungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 RGebStV erfüllt der Kläger nicht.
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In seinem Befreiungsantrag vom 27. Juni 2005 hat er sich ausschließlich auf die
Nummern 1 und 3 des § 6 Abs. 1 RGebStV berufen. Gemäß Nummer 1 werden
Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des Zwölften Buchs
des Sozialgesetzbuches (Sozialhilfe) oder nach den §§ 27a oder 27d des
Bundesversorgungsgesetzes befreit. Einen entsprechenden Bewilligungsbescheid hat
der Kläger nicht beigefügt, so dass eine Befreiung nach dieser Bestimmung nicht
gewährt werden kann.
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Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV werden Empfänger von Sozialgeld oder
Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22 ohne Zuschläge nach § 24
des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches befreit. Der Kläger hat indessen schon auf
seinem Befreiungsantrag angekreuzt, Zuschläge zu erhalten. Der von ihm
auszugsweise beigefügte Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes nach dem SGB II der Arbeitsgemeinschaft für Grundsicherung
Arbeitssuchender in Bochum vom 1. Juni 2005 weist dementsprechend für den
Bewilligungszeitraum vom 01. Juli bis 31. Dezember 2005 einen befristeten Zuschlag
nach Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich 148,00 Euro aus.
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Da folglich der Kläger unstreitig einen Zuschlag gemäß § 24 SGB II erhält und damit die
negative Tatbestandsvoraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV nicht erfüllt, kann er
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nach dieser Norm keine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht beanspruchen. Ob
das bei verfassungskonformer Auslegung einschränkungslos auch in den Fällen gilt, in
denen der Zuschlag zum Arbeitslosengeld II geringer ist als die zu zahlenden
Gebühren, so dass ohne die Befreiung der Rundfunkteilnehmer nicht mehr über die
ungeschmälerte Regelleistung nach § 20 SGB II verfügen würde, bzw. schlechter
gestellt wäre als von der Gebührenpflicht zu befreiende Empfänger von
Arbeitslosengeld II ohne Zuschlag,
bejahend VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 3 K 3135/05 - (Zuschlag i.H.v.
7,- EUR monatlich) und, mit umfänglichen Erwägungen, VG Berlin, Urteil vom 14.
Februar 2006 - VG 27 A 258.05 - (Schlechterstellung i.H.v. 4.08 EUR monatlich),
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ist hier nicht zu entscheiden, weil der dem Kläger gewährte Zuschlag höher ist.
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Nichts anderes gilt bei Berücksichtigung des im Klageverfahren vorgelegten Bescheids
vom 7. Dezember 2005, der für den Bewilligungszeitraum von Januar bis Juni 2006
einen Zuschlag von 118,- EUR bzw.74,- EUR ausweist.
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Ein anderer der in § 6 Abs. 1 genannten Befreiungstatbestände ist für den Kläger nicht
erkennbar.
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Soweit er im gerichtlichen Verfahren vorträgt, der von ihm geltend gemachte Anspruch
beruhe auf § 6 Abs. 3 RGebStV, greift das nicht durch. Nach dieser
Ermessensbestimmung kann die Rundfunkanstalt unbeschadet der Gebührenbefreiung
nach Abs. 1 in besonderen Härtefällen auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht
befreien. Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
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Der Kläger hat bereits einen entsprechenden Antrag bei dem Beklagten nicht gestellt.
Sein formularmäßige Befreiungsantrag bezog sich ausschließlich auf die
Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 RGebStV.
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Soweit der Kläger meinen sollte, jedenfalls in seinem Widerspruchsschreiben vom 09.
September 2005 einen Härtefallantrag gestellt zu haben, weil er darin eine Befreiung
wegen geringen Einkommens begehrt habe, ist dem nicht zu folgen.
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Vgl. zu den besonderen Voraussetzungen eines Härtefallantrages eingehend VG
Magdeburg, Beschluss vom 07. November 2005 - 6 A 324/05 MD -.
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Selbst wenn man das anders sehen und entgegen der zur Befreiungsverordnung a.F.
ergangenen Rechtsprechung,
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vgl. VGH BW, Urteil vom 29. September 2003 - 2 S 360/ 03 -, NVWZ-RR 2004, 260,
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annehmen wollte, dass es jedenfalls aus prozessökonomischen Gründen sachdienlich
wäre, über einen erstmals im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich gestellten
Härtefallantrag im Rahmen der vorliegenden Klage in der Sache zu befinden - wofür
immerhin sprechen könnte, dass auch dieser Antrag, anders als nach der alten
Rechtslage, vom Beklagten zu entscheiden ist, - hätte die Klage keine Aussicht auf
Erfolg.
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Denn der Kläger kann auch keine Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV beanspruchen,
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weil ein Fall der besonderen Härte nicht vorliegt.
§ 6 Abs. 3 RGebStV entspricht dem zwischenzeitlich aufgehobenen § 2 der
Befreiungsverordnung. Darunter fielen nur vom Verordnungsgeber unberücksichtigte
besondere Härtefälle; eine Umgehung der in § 1 Befreiungsverordnung aufgeführten
Fälle war auszuschließen. Für das Verhältnis von § 6 Abs. 1 zu Abs. 3 RGebStV kann
nichts anderes gelten. Durch die Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages und
der Aufhebung der Befreiungsverordnung zum 01. April 2005 wurde einerseits der Kreis
der Befreiungsberechtigten erweitert, andererseits aber auch der allgemeine
Befreiungstatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 (niedriges Einkommen)
Befreiungsverordnung ersatzlos gestrichen. Ausweislich der Begründung zur Änderung
des Rundfunkgebührenstaatsvertrages, Art. 5 Nr. 6, soll ein besonderer Härtefall
insbesondere dann vorliegen, „wenn ohne dass die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1
vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann." (LT-
Drucksache 13/6202 S. 42). Eine Härtefallregelung kann mithin nur in den Fällen
greifen, in denen der jeweilige Antragsteller nicht zu dem in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 10
RGebStV benannten Personenkreis gehört. Der Kläger indessen unterfällt diesem
Personenkreis, soll aber kraft ausdrücklicher Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 RGebStV
wegen des gewährten Zuschusses nicht zu den zu befreienden sozialen
Leistungsempfängern gehören, so dass die Härtefallregelung nach § 6 Abs. 3 RGebStV
allein wegen des gewährten Zuschlages nicht zur Anwendung kommt.
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Es kann nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe einen solchen Fall
nicht bedacht und es liege ein von der Regelvorschrift des § 6 Abs. 1 RGebStV nicht
erfasster atypischer Fall vor, dem die Härteregelung begegnen solle. Wenn, wie
dargelegt, eine Einkommensermittlung und Berücksichtigung von notwendigen
Ausgaben nach dem Willen des Gesetzgebers von der Rundfunkanstalt nicht mehr
vorzunehmen ist, würde es vielmehr der gesetzlichen Intention widersprechen, wenn im
Rahmen der Härtefallregelung eine einkommensabhängige Berechnung durchgeführt
und eine Befreiung wieder zugelassen würde.
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Deshalb bedingt allein der Umstand, dass der Kläger möglicherweise lediglich über ein
Einkommen verfügt, dass dem in § 6 Abs. 1 RGebStV benannten Personenkreis der
Höhe nach entspricht, nicht die Annahme eines besonderen atypischen Härtefalls.
Hierzu müssen vielmehr weitere in seiner Person und seinen besonderen
Lebensumständen liegende Gründe gegeben sein, die eine solche Annahme
begründen könnten.
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Im Ergebnis soweit ersichtlich einhellige Meinung: VG Berlin, Urteil vom 14. Februar
2006 - VG 27 A 258.05 -, Bayerisches VG Regensburg, Urteil vom 17. Januar 2006 - RN
4 K 05.1288 -, VG Magdeburg, Beschluss vom 07. November 2005 - 6 A 324/05 MD -,
VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 3 K 3135/05 - und VG Freiburg, Urteil
vom 02. Dezember 2005 - 2 K 1366/05 - a. a. O.
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Einen solchen besonderen und untypischen Sachverhalt hat der Kläger nicht
vorgetragen. Er weist allein auf sein „geringes Einkommen" hin, ohne besondere
Belastungen geltend zu machen. Irgendwelche Besonderheiten sind nicht vorgetragen
oder sonst erkennbar.
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Diesem (Auslegungs-) Ergebnis stehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken
entgegen.
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Dem Gesetzgeber steht im Bereich der Sozialleistungen, zu denen auch die Befreiung
von der Rundfunkgebührenpflicht gehört, ein weiter Ermessensspielraum zu, der erst an
der Willkürgrenze endet. Es ist seiner Entscheidung überlassen, für bestimmte
Fallgruppen Begünstigungen vorzusehen, für andere aber nicht. Zudem können im
Bereich der Rundfunkgebührenbefreiung, die eine Massenverwaltung darstellt, im
Interesse der Verwaltungsvereinfachung pauschalierende Regelungen geschaffen
werden, bei denen der Gesetzgeber im Einzelfall entstehende Härten durchaus
hingenommen hat und hinnehmen konnte.
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Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2004 - 4 Bf 286/99 -; NJW 2005, 379 m. w.
Nw.-; zur abschließenden Regelung der Ausbildungsförderung für die dem BerRehaG
unterliegende Personengruppe BVerwG, Beschluss vom 31. März 1999 - 5 B 89.98 -; zu
BaföG-Stichtagsregelungen BVerwG, Beschluss vom 20. August 1992 - 11 B 13.92 -
und vom 07. Oktober 1996 - 5 B 80.96 -; OVG NRW, Urteil vom 07. Dezember 1992 - 16
A 1952/91 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1986 - 1 BvR 193/86 -.
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