Urteil des VG Gelsenkirchen vom 27.02.1991
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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 4 K 867/90
Datum:
27.02.1991
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 867/90
Schlagworte:
Auskunft; Auskunftsverlangen; Schüler; Schule; Schadensersatz;
Datenschutz, Mitschüler
Leitsätze:
Einzelfall zu einem Auskunftsverlangen eines Schülers auf Angabe von
Namen und Anschrift eines Mitschülers.
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Name und Anschrift desjenigen
Mitschülers mitzuteilen, mit dem die Klägerin am 19. Oktober 1989 auf
dem Gelände der Hauptschule zusammenstieß und sich dabei verletzte.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die
Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die am 00.00.0000 geborene Klägerin war im Schuljahr 1989/90 Schülerin der
beklagten Hauptschule
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Am 00.00.0000 gegen 11.45 Uhr stieß die Klägerin, nachdem sie nach Beendigung der
Pause vom Schulhof in das Schulgebäude hineingelaufen war, mit einem Mitschüler
zusammen und zog sich bei dem Sturz einen Bruch des linken Unterarms zu.
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Nach der Darstellung der Klägerin hat ihr der Mitschüler "ein Bein gesetzt".
4
Nach der Darstellung des der Beklagten namentlich bekannten Mitschülers hat sich die
Klägerin beim Laufen immer wieder zu einer Freundin umgedreht und ist dabei gegen
ihn gerannt und hingefallen.
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Mit Schreiben vom 00.00.0000 haben die Eltern der Klägerin gegenüber der Beklag~en
zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen um die Mitteilung des Namens
des Mitschülers gebeten.
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Diesem Begehren kam die Beklagte mit Schreiben vom 9. Januar 1990 unter Hinweis
auf den Schutz oersonenbezogener Daten von Schülern nicht nach.
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Mit der am 10. März 1990 erhobenen Klage beantragt die Klägerin,
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die Beklagte zu verurteilen, Auskunft darüber zu geben, welcher Mitschüler (Name und
Anschrift) die Klägerin am 00.00.0000 auf dem Schulgelände verletzte.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die
Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend verwies~n.
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Entscheidungsgründe:
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Die Parteien haben gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf
die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig.
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Das Rechtsschutzinteresse ist nicht deshalb zu verneinen, weil die Klägerin gegen
Unfälle im Rahmen des Schulbesuchs nach der Reichsversicherungsordnung versichert
ist (§ 46 Abs. 5 der Allgemeinen Schulordnung -ASchO-. Denn die
Reichsversicherungsordnung deckt insoweit nicht alle Schadensersatzansprüche ab,
insbesondere nicht den Anspruch auf Schmerzensgeld.
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Anspruchsgrundlage für das Auskunftsverlangen der Klägerin ist § 3 Abs. 2 ASchO in
der konkreten Ausgestaltung durch § 3 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 3 ASchO. Danach
ergeben sich für alle am Schulverhältnis Beteiligten Rechte und Pflichten, die eine
vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten erfordern. Der Schüler hat
insbesondere das Recht, über ihn betreffende wesentliche Angelegenheiten informiert
zu werden. Daß der hier streitgegenständliche Vorfall eine für die Klägerin wesentliche
Angelegenheit darstellt, ergibt sich insbesondere aus § 3 Abs. 4 Nr. 3 ASchO, wonach
der Schüler alles zu unterlassen hat, was die Rechte beteiligter Personen beeinträchtigt.
Da nicht ausgeschlossen ist, daß die Klägerin durch vorsätzliche oder fahrlässige
Einwirkung eines Mitschülers, um dessen Namen es hier geht, körperlich verletzt
worden ist, hat sie zur zivilrechtlichen Klärung etwaiger Schadensersatzansprüche
grundsätzlich einen Anspruch gegen die beklagte Schule, über die Personalien des
etwaigen Schädigers informiert zu werden.
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Vorschriften des Datenschutzes stehen diesem grundsätzlichen Auskunftsanspruch der
Klägerin nicht entgegen.
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Die Vorschriften des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen (DSG) finden hier
Anwendung. Die Schulen sind gemäß § 2
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Abs. 2 Satz 3 DSG, soweit sie in inneren Schul angelegenheiten personenbezogene
Daten verarbeiten, öffentliche Stellen 1m Sinne des Absatzes 1 Satz 1 der Vorschrift.
Danach gilt das Datenschutzgesetz für öffentliche Stellen, soweit diese
personenbezogene Daten in oder aus Dateien oder Akten verarbeiten.
Datenverarbeitung ist gemäß § 3 Abs. 2 DSG auch das Übermitteln personenbezogener
Daten. Übermitteln ist nach Abs. 2 Nr. 4 der Vorschrift das Bekanntgeben gespeicherter
oder durch Datenverarbeitung gewonnener Daten an einen Dritten in der Weise, daß die
Daten durch die datenverarbeitende Stelle weitergegeben oder zur Einsichtnahme
bereitgehalten werden. Die Klägerin ist Dritte in diesem Sinne (§ 3 Abs. 3 DSG).
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Die Verarbeitung, also auch die Übermittlung, personenbezogener Daten ist nur
zulässig, wenn entweder das Datenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie
erlaubt oder der Betroffene eingewilligt hat (§ 4 DSG). Eine Einwilligung des betroffenen
Mitschülers liegt nicht vor. Die oben genannten Anspruchsnormen der Allgemeinen
Schulordnung stellen keine "andere Rechtsvorschrift" im Sinne des § 4 DSG dar, weil
sie keine ausdrückliche Erlaubnis zur Datenübermittlung im Sinne einer im Datenschutz
zu fordernden Normklarheit enthalten,
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vgl. Weyer, Datenschutzgesetz NW, 1988, § 4 Rdnr. 3.
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Jedoch erlaubt § 16 Abs. 1 Buchstabe:c)"DSG hier die Bekanntgabe von Namen und
Anschrift des betreffenden Mitschülers an die Klägerin. Nach dieser Vorschrift ist die
Übermittlung personenbezogener Daten an Personen oder Stellen außerhalb des
öffentlichen Bereichs zulässig, wenn der Auskunftsbegehrende ein rechtliches Interesse
an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten glaubhaft macht und kein Grund zu der
Annahme besteht, daß das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt.
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Ein rechtliches Interesse der Klägerin ist nicht zweifelhaft. Aus dem von ihr
geschilderten Sachverhalt können sich Schadensersatzansprüche gegen den,
Schädiger ergeben, die sie auch zu verfolgen beabsichtigt. Gegenüber diesem
rechtlichen Interesse der Klägerin überwiegt ein Interesse des betroffenen Mitschülers
an der Geheimhaltung seines Namens und seiner Anschrift nicht. Nach der
Rechtsordnung sieht sich der betroffene Mitschüler zu Recht
Schadensersatzansprüchen der Klägerin ausgesetzt, wenn er die Klägerin schuldhaft
verletzt hat. Diesem von der Rechtsordnung geschützten starken Interesse der Klägerin
steht lediglich ein minimaler Eingriff in den Schutzbereich der personenbezogenen
Daten des betroffenen Mitschülers, nämlich Preisgabe von Name und Anschrift,
gegenüber. Dies is~ dem Mitschüler ohne weiteres zumutbar. Er hat gegenüber dem
Interesse der Klägerin kein schützenswertes Interesse daran, vor einem etwaigen
Schadensersatzanspruch verschont zu bleiben.
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Nach allem ist der Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge
stattzugeben.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus §
167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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