Urteil des VG Gelsenkirchen vom 16.07.2008

VG Gelsenkirchen: aufschiebende wirkung, zustellung, briefkasten, androhung, schriftstück, vollziehung, zwangsgeld, identifizierung, hauptsache, klagefrist

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5 L 724/08
Datum:
16.07.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 L 724/08
Schlagworte:
Zustellungsurkunde, Aktenzeichen, Identifizierung, Bescheide,
Briefumschlag, Sichtfenster, Klagefrist
Normen:
VwGO § 74 Abs. 1, LZG NW § 3, ZPO § 180, ZPO 182
Leitsätze:
Werden mehrere Bescheide mittels einer Zustellungsurkunde zugestellt,
so muss aus den auf dem Umschlag und der Zustellungsurkunde
einzutragenden Aktenzeichen erkennbar sein, welche Bescheide
zugestellt werden sollen
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 2955/07 gegen die
Zwangsgeldfestsetzung und die Androhung eines weiteren
Zwangsgeldes in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.
September 2007 wird angeordnet. Die Kosten des Verfahrens trägt die
Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auf 1.000,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 2955/07 gegen die Zwangsgeldfestsetzung
und die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes in dem Bescheid der
Antragsgegnerin vom 07. September 2007 anzuordnen,
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hat Erfolg.
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Hat ein Rechtsmittel Kraft sondergesetzlicher Regelung wie hier in § 80 Abs. 2 Nr. 2
VwGO i.V.m. § 8 AG VwGO keine aufschiebende Wirkung, so kann das Gericht der
Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO dessen aufschiebende Wirkung
anordnen. Die dabei gebotene, regelmäßig an den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels
in der Hauptsache orientierte Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers,
von der sofortigen Vollziehung der Verfügung verschont zu bleiben, und dem
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öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung fällt hier zu Gunsten des
Antragstellers aus, weil seine Klage voraussichtlich Erfolg haben wird. Die im
vorliegenden Verfahren gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage
ergibt, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist.
Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 07. September 2007 gegen den
Antragsteller ein Zwangsgeld i.H.v. 1.000,- EUR festgesetzt, weil dieser der
Ordnungsverfügung vom 08. Juni 2007 nicht nachgekommen sein soll. Gleichzeitig hat
sie für den Fall der Nichtbefolgung der Forderung aus der Ordnungsverfügung vom 08.
Juni 2007 die Festsetzung eines weiteren Zwangsgeldes i.H.v. 2.000,- EUR angedroht.
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Die Voraussetzungen für die Zwangsgeldfestsetzung liegen nicht vor. Nach den §§ 64
Satz 1, 55 Abs. 1 VwVG NRW ist Voraussetzung für die Festsetzung eines zuvor
angedrohten Zwangsgeldes, dass der zwangsweise durchzusetzende Ver-waltungsakt
unanfechtbar ist oder dass ein dagegen gerichtetes Rechtsmittel keine aufschiebende
Wirkung hat.
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Die Ordnungsverfügung vom 08. Juni 2007, hinsichtlich der die Antragsgegnerin eine
sofortige Vollziehung nicht angeordnet hat, ist nicht bestandskräftig. Gegen diese
Ordnungsverfügung hat der Antragsteller am 21. September, spätestens jedoch am 07.
Oktober 2007 die Klage 5 K 2790/07 erhoben. Die Klageerhebung erfolgte fristgemäß,
so dass ihr gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zukommt.
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Mangels einer wirksamen Bekanntgabe der Ordnungsverfügung vom 08. Juni 2007 im
Juni 2007 begann die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO zunächst nicht zu
laufen. Die Antragsgegnerin hat die Ordnungsverfügung vom 08. Juni 2007 zusammen
mit dem am selben Tag erlassenen Kostenbescheid mit einer Zustellungsurkunde dem
Antragsteller zugestellt. Diese Zustellung genügte jedoch nicht den in § 3 LZG NRW
gestellten Anforderungen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 LZG NRW sind die Vordrucke nach
der Zustellungsvordruckverordnung (ZustVV) zu verwenden. Gemäß Anlage 2 zu § 1 Nr.
2 ZustVV ist der dem Antragsteller auszuhändigende sog. innere Umschlag mit dem
entsprechenden Aktenzeichen zu versehen. Das Aktenzeichen ersetzt die frühere
Geschäftsnummer. Vorliegend war auf dem inneren Umschlag das Aktenzeichen 61 11
K - OB - 003080 eingetragen, welches sowohl dem Aktenzeichen der
Ordnungsverfügung als auch des Kostenbescheides jeweils vom 08. Juni 2007
entsprach. Ein zusätzlicher Hinweis, dass unter diesem Aktenzeichen mehrere
Bescheide zugestellt werden sollen, war nicht vorhanden. Durch die Angabe des
Aktenzeichens soll der Inhalt der zuzustellenden Sendung eindeutig bestimmbar
werden. Bei der Zustellung eines Verwaltungsaktes durch Zustellungsurkunde tritt an
die Stelle der unmittelbaren Übergabe des Schriftstücks die Aushändigung einer
verschlossenen Postsendung bzw. nach § 180 ZPO die Möglichkeit der Einlegung des
zuzustellenden Schriftstückes in einem zu der Wohnung gehörenden Briefkasten. Da
die Zustellungsurkunde nicht die Übergabe des Schriftstücks selbst, sondern nur die
Übergabe einer Sendung bezeugt, stellt die Angabe des Aktenzeichens auf der
Sendung sowie auf der Zustellungsurkunde die einzige urkundliche Beziehung
zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her. Wegen der gebotenen
Gewähr für die Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt der Sendung muss das
Aktenzeichen die Identifizierung der zugestellten Sendung ermöglichen. Deshalb muss
es geeignet sein, den Verwaltungsakt, dessen Zustellung vorgenommen worden ist, zu
konkretisieren. Werden mehrere Schriftstücke verschiedenen Inhalts in einem
Briefumschlag zugestellt, muss sich aus dem auf dem Briefumschlag angebrachten
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Aktenzeichen ergeben, welchen Inhalt die Sendung hat; nur auf diese Weise kann der
Adressat einer mehrere Schriftstücke umfassenden Sendung deren Vollständigkeit
prüfen. Es muss demnach jedes einzelne Schriftstück gekennzeichnet sein.
Vgl. BFH, Urteil vom 07. Juli 2004 - X R 33/02 -, BFH/NV 2005, 66, in juris abrufbar;
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Januar 1998 - L 13 Ar 3793/97 B -, E- LSG
B - 115, in juris abrufbar; Sadler, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und
Verwaltungszustellungsgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2005, § 3 VwZG Rdnr. 7.
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An der Notwendigkeit der Angabe des Aktenzeichens ändert vorliegend auch nichts der
Umstand, dass die Antragsgegnerin einen inneren Umschlag mit Sichtfenster nach § 2
Abs. 2 ZustVV verwandt hat. Zwar ist dann die Angabe des Aktenzeichens auf dem
inneren Umschlag nicht erforderlich. Dies gilt jedoch nur für den Fall das Aktenzeichen
auf dem zuzustellenden Schriftstück durch das Fenster sichtbar ist. Nur dann muss das
Aktenzeichen nicht zusätzlich auch noch auf dem Umschlag angebracht werden.
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Vgl. Sadler, a.a.O., Rdnr. 7.
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Unabhängig von dem Umstand, dass das Aktenzeichen auf den Bescheiden nicht durch
das Sichtfenster erkennbar war, greift die Entbehrlichkeit des Aktenzeichens schon
immer dann nicht, wenn in einem Umschlag mehrere Bescheide zugestellt werden
sollen. Mit dem einheitlichen Aktenzeichen für die Ordnungsverfügung und die
Kostenentscheidung fehlt es an dem für die Identifizierung des Inhalts der mehrere
Bescheide umfassenden Sendung notwendigen differenzierten Aktenzeichen. Die
Zustellung der Ordnungsverfügung durch die Einlegung in den Briefkasten im Hause
des Antragsgegners war somit nicht wirksam.
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Auch eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 8 LZG NRW kann derzeit nicht
angenommen werden. Zwar räumt der Antragsteller mit der Erhebung der Klage 5 K
2790/07 selbst ein, die Ordnungsverfügung vom 08. Juni 2007 inzwischen erhalten zu
haben. Es kann jedoch im vorliegenden summarischen Verfahren nicht davon
ausgegangen werden, dass der Zugang nachweislich vor dem 21. August 2007, also
über einen Monat vor Erhebung der Klage 5 K 2790/07 erfolgt ist. Zwar spricht manches
dafür, dass der Vortrag des Antragstellers, er habe von der Existenz der
Ordnungsverfügung erst nach der Zustellung der Zwangsgeldfestsetzung vom 07.
September 2007 erfahren, eher verfahrensangepasst zu werten ist. Selbst wenn der
Umschlag mit der Ordnungsverfügung entgegen der Angabe des Zustellers in der
Zustellungsurkunde nicht in den Briefkasten des Antragstellers eingeworfen worden
sein soll, bestehen erhebliche Zweifel, dass der Antragsteller von dem Inhalt von
Postsendungen, die in den mit „ E. . T. „ beschrifteten Briefkasten im Hause des
Antragstellers eingelegt worden sind, erst Monate später Kenntnis erlangt hat. Letztlich
kann jedoch nicht mit der notwendigen Sicherheit, wie durch das Wort „nachweislich" in
§ 8 LZG NRW zum Ausdruck gebracht wird, festgestellt werden, dass dem
Antragsgegner die angefochtene Ordnungsverfügung schon vor dem 21. August 2007
zugegangen ist. Die Möglichkeit eines späteren Zugangs erscheint zumindest nicht
ausgeschlossen.
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Die erneute Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 2.000,- EUR ist ebenfalls
rechtswidrig. Da mangels Bestandskraft der Ordnungsverfügung vom 08. Juni 2007 das
zunächst angedrohte Zwangsgeld i.H.v. 1.000,- EUR noch nicht festgesetzt werden
durfte, darf auch kein erneutes Zwangsgeld angedroht werden.
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Mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die
Zwangsgeldfestsetzung kann davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin
von sich aus die Eintragung einer Sicherungshypothek als Vollzugsmaßnahme wieder
rückgängig machen wird.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 Satz 1 GKG und orientiert
sich an der Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes, das im vorläufigen Rechtsschutz mit
der Hälfte des festgesetzten Betrages zu veranschlagen ist, sowie der erneuten
Androhung, die mit einem Viertel des angedrohten Betrages zu berücksichtigen ist.
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