Urteil des VG Gelsenkirchen vom 05.01.2011

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 15 K 1034/10
Datum:
05.01.2011
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
15 K 1034/10
Schlagworte:
Kommunalwahl 2009, Klagefrist, bedingte Klageerhebung für den Fall
der Prozesskostenhilfebewilligung, Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand
Normen:
VwGO § 74 Abs 1; VwGO § 60
Leitsätze:
Eine Klage, die ausdrücklich unter Bedingung der Gewährung von
Prozesskostenhilfe erhoben worden ist, ist nicht wirksam erhoben.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens. Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig
vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin, eine wahlberechtigte Bürgerin der Stadt F. , legte mit Schreiben vom 2.
Oktober 2009 wegen behaupteter Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der
Kommunalwahl vom 30. August 2009 gegen das Ergebnis der Wahl zum Rat der Stadt
F. im Kommunalwahlbezirk 25 Einspruch ein. Mit Beschluss vom 27. Januar 2010 wies
der Beklagte den Einspruch der Klägerin zurück und erklärte die Wahl des Rates der
Stadt F. für gültig. Der Beschluss wurde der Klägerin mit Schreiben vom 9. Februar
2010, zugestellt am 13. Februar 2010, bekannt gegeben
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Mit Schriftsatz vom 1. März 2010, der mit "Prozesskostenhilfegesuch und Klage"
überschrieben war, beantragte die Klägerin, ihr "für die nachstehend entworfene Klage"
Prozesskostenhilfe zu bewilligen. "Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe" werde
beantragt, den Beschluss des Beklagten vom 27. Januar 2010 aufzuheben und dem
Einspruch der Klägerin gegen das Ergebnis der Kommunalwahl im
Kommunalwahlbezirk 25 (B. - O. ) stattzugeben. In der Begründung heißt es wörtlich:
"Die Klage soll nur im Fall der Bewilligung der Prozesskostenhilfe erhoben werden."
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Mit Beschluss vom 2. November 2010 bewilligte die Kammer der Klägerin für das
Verfahren erster Instanz für einen Streitwert von bis zu 5.000,00 EUR
Prozesskostenhilfe und ordnete Rechtsanwalt Michels aus F. bei. Der Beschluss wurde
dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 3. November 2010 per Computerfax
übersandt.
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Mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 wies das Gericht die Beteiligten darauf hin, dass
das Verfahren als auf sonstige Weise erledigt ausgetragen worden sei, nachdem die
Klägerin nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht innerhalb der
Wiedereinsetzungsfrist Klage erhoben habe.
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Mit Schreiben vom 8. Dezember 2010, bei Gericht per Telefax eingegangen am 13.
Dezember 2010, teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, dass das Verfahren
weiter betrieben werden solle. In der Rechtsprechung sei geklärt, dass bei gleichzeitiger
Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuchs und einer Klage neben dem
Prozesskostenhilfegesuch auch der Rechtsstreit als solcher anhängig werde, es sei
denn, der Kläger stelle eindeutig klar, dass er das Hauptsacheverfahren nur unter der
Voraussetzung der Prozesskostenhilfebewilligung einleiten will. Die erforderliche
Einzelfallbewertung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ergebe vorliegend,
dass bereits mit Schriftsatz vom 1. März 2010 Klage erhoben worden sei. Dies zeige
schon die Überschrift des Schriftsatzes. Daran ändere auch nichts die Tatsache, dass
beantragt worden sei, der Klägerin Prozesskostenhilfe für die "nachstehend entworfene
Klage" zu bewilligen. Denn im Folgenden sei "nach Bewilligung der
Prozesskostenhilfe" ein Sachantrag formuliert worden. Auch die in der Begründung
folgenden Ausführungen seien "hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Klage" gemacht
worden. Das Gericht selbst habe offensichtlich den Schriftsatz vom 1. März 2010 nicht
lediglich als Prozesskostenhilfegesuch, sondern auch als Klage verstanden. Denn in
seiner Eingangsverfügung habe es mitgeteilt, dass die "Klageschrift vom 1. März 2010"
am 10. März 2010 eingegangen sei. Dies habe nur so verstanden werden können, dass
die Klage seitens des Gerichts nicht als bedingt erhoben angesehen wurde.
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Rein vorsorglich beantragt die Klägerin, ihr für die Erhebung der mit Schriftsatz vom 1.
März 2010 erhobenen Klage Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und
ebenso für die Versäumung der Frist für den Antrag, ihr Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung der Wiedereinsetzungsanträge beruft die
Klägerin sich darauf, sowohl sie als auch ihr Prozessbevollmächtigter hätten darauf
vertrauen können, dass auch das Gericht davon ausging, dass mit Schriftsatz vom 1.
März 2010 Klage erhoben worden sei.
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In der Sache sieht die Klägerin eine Unregelmäßigkeit bei der Vorbereitung und
Durchführung der Wahl darin, dass der Kandidat der DKP, Herr K. C. , auf dem
Stimmzettel für den Kommunalwahlbezirk 25 fälschlicherweise mit dem Vornamen "L. "
bezeichnet gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beschluss des Beklagten vom 27. Januar 2010 aufzuheben und dem Einspruch der
Klägerin gegen das Ergebnis der Kommunalwahl im Kommunalwahl- bezirk 25 (B. - O. )
stattzugeben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, weder bei der Vorbereitung der Wahl, noch bei der Wahlhandlung
sei es zu Unregelmäßigkeiten i. S. d. § 40 Abs. 1 lit b des Kommunalwahlgesetzes
NRW (KWahlG ) gekommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist bereits unzulässig.
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Die Klägerin hat die einmonatige Klagefrist gemäß § 74 der
Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO ) versäumt, da mit dem innerhalb dieser Frist beim
Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 1. März 2010
nicht wirksam Klage erhoben wurde. Auch Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist
bzw. in die ebenfalls versäumte Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 60 VwGO kann der
Klägerin nicht gewährt werden.
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Der angefochtene Beschluss des Beklagten vom 27. Januar 2010 wurde der Klägerin
mit Schreiben vom 9. Februar 2010, zugestellt am 13. Februar 2010, bekannt gegeben.
Dieses Schreiben war auch mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen, so
dass die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 VwGO mit Ablauf des 15. März 2010 endete (der
13. März 2010 war ein Samstag).
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Innerhalb dieser Frist wurde eine wirksame Klage nicht erhoben. Hierzu dient
insbesondere nicht der am 10. März 2010 bei Gericht eingegangene, als
"Prozesskostenhilfegesuch und Klage" bezeichnete Schriftsatz des Bevollmächtigten
der Klägerin vom 1. März 2010. Die Klageerhebung war ausdrücklich davon abhängig
gemacht worden, dass der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt wird, also von dem
künftigen Eintritt eines ungewissen Ereignisses. Die Klage war deshalb (allenfalls)
bedingt erhoben und somit unwirksam.
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In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine für den Fall der
Prozesskostenhilfebewilligung erhobene Klage bedingt erhoben und aus diesem
Grunde unwirksam ist.
20
Vgl. z. B. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1990 - 9 B 92/90 -; BayVGH, Beschluss vom
7. Dezember 2009 - 12 ZB 08.2624 -; VG Halle, Beschluss vom 20. August 2003 - 4 A
469/01 -; VG Ansbach, Urteil vom 31. Juli 2008 - 07.02077 -.
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Denn bei der Klageschrift handelt es sich um einen bestimmenden Schriftsatz. Mit
dessen Einreichung beim Verwaltungsgericht ist gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO
Klage erhoben und die Streitsache rechtshängig geworden (§ 90 Abs. 1 VwGO). Eine
solche Erklärung kann nicht an eine Bedingung geknüpft werden. Im Interesse der
Rechtssicherheit und des geordneten Ganges der Rechtspflege gilt vielmehr der
Grundsatz, dass bestimmende Schriftsätze bedingungsfeindlich sind.
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Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus der von dem Prozessbevollmächtigten der
Klägerin genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom
3. März 2009 - 3 B 131/08 -) und des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urteil
vom 26. September 2008 - 2 S 2847/07 -) herleiten. Auch dort wird hervorgehoben, dass
jedenfalls eine eindeutige Erklärung, die Klage solle erst nach Bewilligung von
Prozesskostenhilfe erhoben werden, der (unbedingten) wirksamen Klageerhebung
entgegen steht.
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Eine solche eindeutige Erklärung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aber
abgegeben. Er hat in dem Schriftsatz vom 1. März 2010 unmissverständlich ausgeführt,
die Klage solle nur "im Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhoben werden".
Zudem wurde Prozesskostenhilfe für die "nachstehend entworfene Klage" beantragt und
der Sachantrag "nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe" in Aussicht gestellt. Nach
dem allein maßgeblichen objektiven Erklärungswert, wie er dem Gericht innerhalb der
Klagefrist erkennbar war,
24
vgl. hierzu BayVGH, a. a. O.,
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verblieb somit angesichts des eindeutigen Wortlauts der abgegebenen
Prozesserklärung kein Auslegungsspielraum dahin, dass mit Schriftsatz vom 1. März
2010 bereits unbedingt Klage erhoben werden sollte. Daran ändert auch nichts die
Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der in dem Schriftsatz
enthaltenen Begründung Ausführungen zu den Erfolgsaussichten der Klage gemacht
hat. Denn es ist gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung
(ZPO) Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dass eine -
gegebenenfalls noch zu erhebende - Klage Aussicht auf Erfolg hat, so dass es auch vor
dem Hintergrund der vorab beantragten Prozesskostenhilfe dieser Darlegungen
bedurfte.
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Der Schriftsatz vom 1. März 2010 kann somit nicht als Klageerhebung gewertet werden.
Eine solche ist - bei entsprechender sinngemäßer Auslegung - allenfalls erst mit
Eingang des Schriftsatzes vom 8. Dezember 2010 am 13. Dezember 2010 erfolgt, mithin
weit nach Ablauf der Klagefrist.
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Wegen der versäumten Klagefrist kann der Klägerin auch nicht Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gemäß § 60 VwGO gewährt werden, weil nicht innerhalb der Zwei-
Wochen-Frist des § 60 Abs. 2 VwGO nach Wegfall des Hindernisses der Antrag gestellt
bzw. die versäumte Prozesshandlung nachgeholt wurde. Als Fristbeginn ist dabei der
Tag anzusehen, an dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 2. November
2010, mit dem dem Antrag auf Prozesskostenhilfe stattgegeben wurde, dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandt worden ist, demnach der 3. November
2010. Innerhalb dieser bis 17. November 2010 laufenden Frist ging weder eine Klage
noch ein Antrag auf Wiedereinsetzung bei Gericht ein. Erst auf Hinweis des Gerichts mit
Schreiben vom 6. Dezember 2010 wurde mit am 13. Dezember 2010 bei Gericht
eingegangenem Schriftsatz vom 8. Dezember 2010 ein Wiedereinsetzungsantrag
gestellt.
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Der Klägerin kann insoweit auch nicht Wiedereinsetzung in die Versäumung der
Antragsfrist im Sinne des § 60 Abs. 2 VwGO gewährt werden. Denn sie war nicht ohne
Verschulden verhindert, die Wiedereinsetzungsfrist einzuhalten. Verschulden im Sinn
dieser Vorschrift liegt dann vor, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt,
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die für einen gewissenhaft und sachgemäß Prozessführenden geboten ist und ihm nach
den Umständen des konkreten Falles auch zuzumuten war. Insoweit muss sich die
Klägerin auch das Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen (§ 173 VwGO
i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Angesichts der eindeutigen Formulierungen im Schriftsatz
vom 1. März 2010 kann dessen jetzige Behauptung, er sei davon ausgegangen, bereits
mit Einreichung des Prozesskostenhilfeantrags Klage erhoben zu haben, nicht
nachvollzogen werden. Insbesondere konnte er dies nicht aufgrund der
Eingangsbestätigung des Gerichts vom 10. März 2010 annehmen. Zwar ist
einzuräumen, dass es in diesem Schreiben heißt, die "Klageschrift vom 1. März 2010"
sei am 10. März 2010 eingegangen. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin musste
jedoch als im Umgang mit Gerichten vertrauter Person erkennbar sein, dass es sich
hierbei um ein formularmäßiges Schreiben des Gerichts handelte. Ein Vertrauen dahin,
das Gericht gehe entgegen der anderslautenden, nach den Maßstäben eines objektiven
Empfängers unmissverständlichen Formulierung in dem eingereichten Schriftsatz von
einer (unbedingten) Klageerhebung aus, konnte hierdurch nicht begründet werden.
Offensichtlich hat auch der Beklagte die Zustellungsverfügung des Gerichts, in der
ebenfalls von der "am 10. März 2010 eingegangenen Klage" die Rede ist, nicht in dem
Sinne verstanden, dass bereits seitens der Klägerin Klage erhoben wurde. Denn in der
Klageerwiderung beantragt der Beklagte ausdrücklich, den Prozesskostenhilfeantrag
der "potentiellen Klägerin" abzulehnen.
Nach alledem hat die Klägerin die Klagefrist gemäß § 74 VwGO versäumt und es kann
ihr auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO gewährt
werden, so dass die Klage unzulässig ist.
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Sie war deshalb mit der Kostenfolge aus §154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf §
167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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