Urteil des VG Gelsenkirchen vom 21.10.2009
VG Gelsenkirchen (innere medizin, begründung, erforderlichkeit, höhe, chirurgie, medizin, gesetz, fusion, umfang, verwaltungsgericht)
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 K 3944/07
Datum:
21.10.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 3944/07
Normen:
KHG NRW § 30
Tenor:
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 30.
November 2006, soweit darin weiter-gehende Ausgleichsleistungen
abgelehnt worden sind, und ihres Widerspruchsbescheides vom 21.
November 2007 verpflichtet, der Klägerin antragsgemäß weitere
Ausgleichsleistungen in Höhe von 293.750 EUR zu bewilligen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen eine Sicherheitsleistung in
Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Mit Schreiben vom 19. Juli 2005 beantragte die Klägerin als Trägerin des Elisabeth-
Hospitals C. Ausgleichsleistungen gemäß § 30 KHG NRW für den zum 1. Dezember
2004 erfolgten Wegfall der Abteilung für Chirurgie mit 75 Betten. Im Zuge der
Neustrukturierung seien nunmehr jeweils 25 internistisch- und orthopädisch-rheuma-
tologische Betten bedarfsplanerisch untergebracht. Zur Mitfinanzierung dieser
strukturellen Umstellung würden die Ausgleichsleistungen nach den pauschalen Sätzen
des § 30 Abs. 2 KHG NRW beantragt.
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Im Feststellungsbescheid vom 28. Januar 2005 zum 1. Dezember 2004 heißt es
hinsichtlich der Gebiete und Betten:
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Betten-Ist Betten-Soll
4
am 01.12.04
5
Chirurgie 0 75
6
Frauenheilkunde 33 33
7
Geburtshilfe 21 21
8
HNO - Heilkunde 82 82
9
Innere Medizin 120 120
10
Betten insgesamt 256 331
11
Im Feststellungsbescheid vom 6. Juli 2005 zum 1. Juni 2005 heißt es hinsichtlich der
Gebiete und Betten:
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Betten-Ist Betten-Soll
13
am 01.06.05
14
Frauenheilkunde 33 23
15
Geburtshilfe 21 21
16
HNO - Heilkunde 82 82
17
Innere Medizin 120 145
18
Orthopädie 0 25
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Betten insgesamt 256 296
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Auf Anfrage der Beklagten mit der Bitte um Bereitstellung der beantragten
Ausgleichsleistungen von 383.250 EUR teilte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales (Ministerium) mit Schreiben vom 30. September 2005 mit, dass gemäß §
30 Abs. 2 KHG NRW mögliche Ausgleichsleistungen unter gesamtwirtschaftlichen
Gesichtspunkten zu begrenzen seien und bisher nicht ersichtlich sei, ob und inwieweit
die Schließung der Abteilung bei der budgetrechtlichen Umsetzung von den
Pflegesatzparteien berücksichtigt worden sei.
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In der Folgezeit versuchte die Beklagte, entsprechende Informationen zu erhalten. Dazu
nahm die Klägerin mit Schreiben vom 3. November 2005, 20. Februar 2006 und 11.
September 2006 unter Darlegung der Verhandlungen mit den Krankenkassen und der
eigenen Kosten und Erlöse Stellung und überreichte dazu ein Schreiben der AOK
Westfalen-Lippe vom 4. September 2006.
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Eine erneute Vorlage der Beklagten an das Ministerium beantwortete dieses mit Erlass
vom 22. November 2006 im Wesentlichen dahin, dass zwar die Abteilung Chirurgie mit
75 Betten entfallen sei, dafür aber 50 rheumatologische Betten in den Abteilungen
Innere Medizin und Orthopädie hinzugekommen wären, die in den frei gewordenen
Räumen betrieben würden. Im Umfang dieser 50 Betten seien Ausgleichsleistungen
nicht erforderlich. Eine geplante Fusion der zusammenarbeitenden Krankenhäuser sei
bisher nur deshalb noch nicht zustande gekommen, weil noch Abteilungen parallel
vorgehalten würden. Bei 25 Betten errechne sich eine Ausgleichsleistung von 89.500
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EUR.
Mit entsprechender Begründung bewilligte darauf hin die Beklagte mit Bescheid vom 30.
November 2006 nur Ausgleichsleistungen in Höhe von 89.500 EUR. Den hiergegen
gerichteten Widerspruch mit der Begründung, eine Gegenrechnung der 50 rheuma-
tologischen Betten sei nicht sachgerecht, vielmehr seien durch die Umstrukturierung
und Fusion der Krankenhäuser insgesamt 81 Betten abgebaut worden, wies die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2007 als unbegründet zurück.
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Daraufhin hat die Klägerin am 18. Dezember 2007 die vorliegende Klage erhoben.
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Zur Begründung trägt sie zusammengefasst vor, dass eine Gegenrechnung von neuen
Betten bei Bewilligung der Ausgleichsleistungen nicht zulässig sei, weil sie vom Gesetz
nicht vorgesehen sei. Da die Krankenkassen sich an den Kosten beteiligt hätten und
ihre Eigenmittel nicht ausreichten, seien die beantragten Ausgleichs- leistungen auch im
Sinne des Absatzes 1 des § 30 KHG NRW bei gesamtwirtschaftlicher Sicht erforderlich.
Auch mögliche Rückforderungen oder sonstige Fördermittel gemäß §§ 25 und 31 KHG
NRW könnten angesichts der Gesetzesfassung nicht in die Entscheidung einfließen. Im
Übrigen habe sie auch nicht etwa auf mögliche Einnahmen durch anderweitige Nutzung
der frei gewordenen Räume verzichtet.
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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 30. November 2006,
soweit darin weitere Ausgleichsleistungen abgelehnt worden sind, und ihres
Widerspruchsbescheides vom 21. November 2007 zu verpflichten, ihr antragsgemäß
weitere Ausgleichsleistungen in Höhe von 293.750 EUR zu bewilligen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie zusammengefasst vor, dass mit der geplanten, Ende
Dezember 2005 beantragten und durch Feststellungsbescheid vom 9. März 2007 zum 1.
Januar 2007 erfolgten Fusion der beteiligten Krankenhäuser eine Umstrukturierung
verbunden gewesen sei, die am St. Elisabeth-Hospital statt der verlagerten Chirurgie 50
rheumatologische Betten neu vorgesehen habe. Dies sei dann zusammen mit dem
Feststellungsbescheid vom 6. Juli 2005 geschehen; deshalb seien auf Dauer nur 25
Betten entfallen. Unter dem Aspekt der Erforderlichkeit und der gesamtwirtschaftlichen
Gesichtspunkte müssten zusätzlich die Leistungsfähigkeit der Klägerin wie auch weitere
Förderleistungen und Rückforderungsansprüche gemäß §§ 25 und 31 KHG NRW
berücksichtigt werden; etwaige Leistungen der Krankenkassen seien dabei nur ein
Aspekt.
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Die Parteien haben schriftsätzlich auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den
Inhalt der Gerichtsakte einschließlich des Verwaltungsvorgangs der Beklagten (Beiakte
Hefte 1).
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Entscheidungsgründe:
33
Da die Parteien auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben, kann im schriftlichen
Verfahren entschieden werden, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Die zulässige Verpflichtungsklage gemäß § 42 VwGO ist begründet. Die Klägerin hat
einen Anspruch auf die hier beantragten weiteren Ausgleichsleistungen, so dass sie
durch die angefochtenen Bescheide in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
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Rechtsgrundlage der beantragten pauschalen Ausgleichsleistungen ist § 30 Abs. 1 und
2 KHG NRW. Dass dessen Voraussetzungen vorliegend im Grundsatz erfüllt sind, ist
zwischen den Parteien nicht streitig; insoweit sind Ausgleichsleistungen auch teilweise
bewilligt worden.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten sind pauschale Ausgleichsleistungen aber
auch im Umfang der betroffenen entfallenden Abteilungen mit allen ihren deshalb
ebenfalls auf Dauer ausscheidenden Betten gemäß Absatz 2 des § 30 KHG NRW zu
berechnen, ohne dass eine Gegenrechnung mit neuen Betten anderer Abteilungen
erfolgen darf.
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Zunächst bietet der Wortlaut von Absatz 1, dass Ausgleichsleistungen "erforderlich" sein
müssen, keine Anhaltspunkte dafür, dass abzubauende Betten - ohne Einzelfallprüfung
der Erforderlichkeit - schematisch mit planerisch neu ausgewiesenen Betten anderer
schon vorhandener oder auch - wie vorliegend - neu einzurichtender Abteilungen bei
Anwendung des § 30 Abs. 2 KHG NRW verrechnet werden könnten oder gar müssten.
Eine solche abstrakte, die Ausgleichszahlungen schon vom Grundsatz her begrenzende
Regelung hätte vom Gesetzgeber getroffen werden müssen, wie es z.B. in § 29 Abs. 3
KHG NRW beim Ausgleichsanspruch für Eigenmittel erfolgt ist. Die Erforderlichkeit von
Ausgleichszahlungen i.S. dieser Vorschrift ist vielmehr ausschließlich nach den zu
schließenden Abteilungen zu beurteilen.
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Eine Auslegung der Vorschrift unter Einbeziehung ihrer Entstehungsgeschichte ergibt
kein anderes Ergebnis. § 30 des Gesetzentwurfes der Landesregierung
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Landtagsdrucksache 12/3073 vom 18. Mai 1998
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entspricht in seinem Absatz 1 dem entsprechenden § 28 Abs. 1 des bis dahin geltenden
Krankenhausgesetzes aus 1987, bei dem zur Beurteilung der "Erforderlichkeit" von
Ausgleichsleistungen eine aufwendige Einzelfallprüfung notwendig war. Im neuen
Absatz 2 des Entwurfs war geregelt, dass die Krankenhausträger mit den
Pflegesatzparteien unter Einbeziehung der zuständigen Behörden über die
budgetrechtliche Umsetzung der Schließung zu verhandeln haben.
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Soweit in der Einzelnormbegründung zu § 30 Abs. 1 Regelungsmöglichkeiten
hinsichtlich eines Patientenarchivs thematisiert werden, muss es sich dabei um ein
Redaktionsversehen oder eine Begründung zu einem letztlich nicht im Gesetzentwurf
berücksichtigten "Absatz 1" handeln, da Absatz 1 des Entwurf hinsichtlich eines
Patientenarchivs keinerlei Regelungen enthält.
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Soweit es dann in der Begründung zu Absatz 2 des Entwurfs heißt,
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"Bei der Schließung von Abteilungen oder bei der Betriebseinstellung eines
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Krankenhauses sind mögliche Ausgleichsleitungen unter gesamtwirtschaftlichen
Gesichtspunkten zu begrenzen. Daher sind die Krankenkassen als Pflegesatzparteien
in die Verhandlungen über Ausgleichszahlungen und den Schließungszeitpunkt sowie
weitere Abwicklungsfragen einzubeziehen. Wegen der Auswirkungen auf
Ausgleichsleistungen ist das Land bereits im Vorfeld zu beteiligen."
ist zunächst fraglich, ob sich diese Begründung tatsächlich auf Absatz 2 des Entwurfs
oder - da die abgedruckte Begründung zu Absatz 1 offenbar nicht passt - auf Absatz 1
oder gar beide Absätze beziehen soll. Deutlich wird allerdings aus der sprachlichen
Verknüpfung von Satz 1 und Satz 2 durch das Wort "Daher", dass die Begrenzung
möglicher Ausgleichsleistungen "unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten" durch
Einbeziehung von Krankenkassenleistungen erfolgen soll. Von daher liegt es nahe,
diese Begründung nur auf den Absatz 2 des Entwurfs (d.h. Absatz 4 der
Gesetzesfassung) und nicht auf Absatz 1 und den dortigen Begriff der Erforderlichkeit zu
beziehen. Auch inhaltlich dürfte ein solches Verständnis eher naheliegen, denn
gesamtwirtschaftliche Gesichtspunkte dürften nicht bei einem einzelnen Krankenhaus,
sondern eher bei der Gesamtheit der Leistungserbringer Krankenhaus, Krankenkassen
und Land verortet werden können.
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Allerdings ist dieser Entwurf nicht so Gesetz geworden, sondern in den Beratungen des
zuständigen Landtagsausschusses wesentlich verändert worden. So sollen
Ausgleichsleistungen nunmehr zum einen nicht mehr (nur) zur Vermeidung
unzumutbarer Härten, sondern schon zur Erleichterung der Schließung/Umstellung
eines Krankenhauses gewährt werden, was einen erheblich geringeren Maßstab an ihre
Erforderlichkeit stellt. Darüber hinaus werden diese Ausgleichsleistungen gemäß dem
neu geschaffenen Absatz 2 pauschaliert und mit - bei steigender Bettenzahl - jeweils
höheren Beträgen bemessen, wobei die Bettenzahl allein durch die Zahl der
ausscheidenden Betten bestimmt werden. Die Härtefallregelung des Gesetzentwurfes
und des früheren Absatzes 1 wird allerdings nicht gestrichen, sondern in einem Absatz 3
geregelt, falls der Krankenhausträger im Einzelfall höhere berücksichtigungsfähige
Kosten geltend machen will.
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so: Landtagsdrucksache 12/3525 vom 26.11.1998, Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses....
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Dementsprechend heißt es in der Rede der Abgeordneten E. bei der
Schlussabstimmung des Gesetzes in der Sitzung des Landtages am 16. Dezember
1998 auszugsweise:
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"Zusätzlich wollen wir auch bei der Aufgabe von Betten die Ansprüche auf
Ausgleichsleistungen pauschalieren. Die mühsamen Härtefallregelungen gelten dann
nur noch für Ausnahmefälle. Bisher waren sie die Regel und führten zu einem
erheblichen Verwaltungsaufwand, zum einen in den Krankenhäusern, zum anderen
aber auch bei den prüfenden Stellen. Wir streben Vereinfachungen im
Verwaltungsablauf an. Dafür sehen wir bei diesem Gesetz eine Möglichkeit."
(Plenarprotokoll 12/105 vom 16. Dezember 1998 - S. 8692)
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Aus alledem wird deutlich, dass mit der Neufassung des Krankenhausgesetzes gemäß
Absatz 2 des § 30 KHG NRW Ausgleichszahlungen ohne umfassende Prüfungen nach
pauschalen Sätzen im Umfang allein der Bettenzahlen der ausscheidenden
Abteilungen zu gewähren sind. Entsprechend wird auch die Änderung der Begründung
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im parlamentarischen Verfahren im Kommentar zum Krankenhausgesetz von
Pant/Prütting (2. Auflage 2000) wie folgt zitiert:
"Krankenhausträger haben grundsätzlich einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen,
wenn sie im Einvernehmen mit der Planungsbehörde ganz oder teilweise aus dem
Krankenhausplan ausscheiden. Die Berechnungsgrundlagen ermöglichen eine
sachgerechte Festsetzung von Ausgleichszahlungen."
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Weiter wird dort hinzugefügt, dass im Anhörungsverfahren eine kalkulierbare
Finanzierung vorgeschlagen worden sei, die Änderung des Gesetzentwurfes diesem
Anliegen durch die Einführung des Absatzes 2 Rechnung getragen habe (§ 30, Rdnrn. 1
und 9) und diese Regelung lediglich an die Zahl der ausscheidenden Kapazitäten
anknüpfe (Rdnr. 11).
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Letztlich kommt hinzu, dass es - wie die Klägerin zutreffend vorträgt - in der Tat zu
sachlich nicht gerechtfertigten Unterschieden kommen würde, wenn neue Betten
zeitgleich mit Schließungen oder zeitversetzt beantragt bzw. bewilligt würden. Soweit
die Beklagte diesem Argument unter Hinweis auf Auswirkungen auf weitere
Fördermaßnahmen widerspricht, kann dem nicht gefolgt werden. Denn die insoweit
angesprochenen pauschalen Fördermittel gemäß § 25 KHG NRW werden jährlich
gewährt und können schon deshalb mit den hier streitigen Ausgleichsleistungen nicht in
einen Topf geworfen werden, die nur einmalig gezahlt werden.
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Aus alledem folgt, dass vorliegend Ausgleichsleistungen für alle abzubauenden 75
Betten bewilligt werden müssen. Auf die weiteren von den Parteien erörterten Sach- und
Rechtsfragen kommt es deshalb nicht an. Unter Anwendung der Pauschalen gemäß §
30 Abs. 2 Satz 2 KHG NRW von 5.110 EUR pro Bett (da 75 Betten entfallen, ist die
Spalte 3 maßgebend) errechnet sich ein Betrag von 383.250 EUR; da 89.500 EUR
bereits bewilligt sind, ergibt sich ein Differenzbetrag von 293.750 EUR.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Regelung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung.
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Auf Grund der Rechtsänderung durch § 24 des Krankenhausgestaltungsgesetzes NRW
ist eine Zulassung der Berufung nicht ausgesprochen worden.
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