Urteil des VG Gelsenkirchen vom 29.07.2010
VG Gelsenkirchen (bundesrepublik deutschland, essen, verordnung, ausstattung, festsetzung, verwaltungsgericht, hochschule, studienjahr, medizin, anzahl)
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 18 Nc 26/10
Datum:
29.07.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 Nc 26/10
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des
Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
1
Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Der Antragsteller hat das Bestehen eines
Anordnungsanspruchs nicht gemäß § 123 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht. Der
geltend gemachte Anspruch, der sich auf die vorläufige Zulassung zum Studium der
Humanmedizin zum Sommersemester 2010 an der Universität Duisburg-Essen im
ersten Semester des klinischen Studienabschnitts richtet und auf Art. 12 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem
in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Sozialstaatsgebot beruhen kann, besteht nach der hier
allein möglichen summarischen Überprüfung nicht.
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Die Anzahl der im ersten klinischen Fachsemester an der Universität Duisburg-Essen
im Studiengang Medizin - Staatsexamen - verfügbaren Studienplätze ist durch die
Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von
Studienplätzen in höheren Fachsemestern an den Hochschulen des Landes Nordrhein-
Westfalen zum Studienjahr 2009/2010 vom 20. August 2009 (GV NRW, 452), Anlage 3,
geändert durch Verordnung vom 3. Februar 2010 (GV NRW, 76) für das
Sommersemester 2010 auf 93 festgesetzt worden. Diese Höchstzahl unterschreitet die
Ausbildungskapazität nicht. Es sind keine weiteren Studienplätze vorhanden.
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Rechtsgrundlage der Kapazitätsermittlung ist die Verordnung über die
Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von
Zulassungszahlen (Kapazitätsverordnung - KapVO -) vom 25. August 1994 (GV NRW,
732), zuletzt geändert durch die dritte Verordnung zur Änderung der
Kapazitätsverordnung vom 12. August 2003 (GV NRW, 544). Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr.
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1 und Nr. 2 KapVO wird die jährliche Aufnahmekapazität in zwei Verfahrensschritten
ermittelt, d.h. gemäß Nr. 1 im Wege einer Berechnung aufgrund der personellen
Ausstattung nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts der Kapazitätsverordnung (§
6 bis § 13 KapVO) und gemäß Nr. 2 im Wege einer Überprüfung des Ergebnisses
anhand der weiteren kapazitätsbestimmenden Kriterien nach den Vorschriften des
Dritten Abschnitts der Kapazitätsverordnung (§ 14 bis § 21 KapVO).
Das Ergebnis der Berechnung aufgrund der personellen Ausstattung nach dem Zweiten
Abschnitt der Kapazitätsverordnung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KapVO für den
klinischen Teil des Studiengangs Medizin anhand der patientenbezogenen
Einflussfaktoren (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 KapVO) zu überprüfen.
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Dazu ist in § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KapVO geregelt, dass als patientenbezogene
jährliche Aufnahmekapazität für den Studienabschnitt zwischen dem Ersten Abschnitt
der Ärztlichen Prüfung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte
(ÄAppO) und dem Beginn des Praktischen Jahres nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄAppO
15,5 vom Hundert der Gesamtzahl der tagesbelegten Betten des Klinikums anzusetzen
sind.
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Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KapVO ergibt sich für das Studienjahr 2009/2010,
ausgehend von 1.496,19 anzusetzenden tagesbelegten Betten (365.070
Gesamtbelegungstage, dividiert durch die 366 Tage des Jahres 2008, erhöht um 50 %
aufgrund der poliklinischen Neuzugänge, § 17 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KapVO), die durch die
Antragsgegnerin angegebene patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität von 232.
Insoweit folgt aus § 9 Abs. 5 KapVO, dass - neben den Pflegetagen im
Universitätsklinikum - an Pflegetagen in außeruniversitären Häusern ausschließlich
diejenigen in den Fachabteilungen Psychiatrie und Orthopädie der Lehrkrankenhäuser
Rheinische Kliniken Essen (Psychiatrie) und Kliniken Essen-Süd (Orthopädie)
einzubeziehen sind. Nach § 9 Abs. 5 KapVO wird das Lehrangebot der Lehreinheit
Klinisch-praktische Medizin um die Lehrleistungen erhöht, die von außeruniversitären
Krankenanstalten vereinbarungsgemäß und auf Dauer für den Ausbildungsaufwand
nach § 13 Abs. 1 KapVO erbracht werden. Auf dieser Grundlage hat die
Antragsgegnerin bei ihren Berechnungen zutreffend nur die zusätzlichen Pflegetage in
den genannten beiden Lehrkrankenhäusern berücksichtigt. Denn die Antragsgegnerin
hat bereits in den Verfahren des Wintersemesters 2007/2008 (18 L 977/07) glaubhaft
dargelegt, dass sie allein mit diesen außeruniversitären Krankenanstalten
entsprechende öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zur Erbringung von Lehrleistungen
für Studierende des hier betroffenen Studienabschnitts abgeschlossen habe, während
sie nunmehr mitteilt, dass sich an den diesbezüglichen Verhältnissen nichts geändert
habe.
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Bei der Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität nach § 17 Abs. 1 Satz
2 Nr. 1 KapVO sind ferner die Privatpatienten nicht mitzuzählen. Der hier verwendete
Begriff der "tagesbelegten Betten" kann nicht anders zu verstehen sein als der in § 9
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 lit. b) KapVO enthaltene gleichlautende Begriff. Für letztere
Regelung, in der es um den Krankenversorgungsabzug geht, ist überwiegend
anerkannt, dass sie nur solche Krankenversorgungstätigkeiten erfasst, zu denen der
Stelleninhaber im Rahmen seines Hauptamtes dienst- bzw. arbeitsrechtlich verpflichtet
ist. Bei den Privatpatienten der liquidationsberechtigten Ärzte handelt es sich nicht um
Patienten "des Klinikums". Deren Behandlung wird von der Lehrperson als entgeltliche
Nebentätigkeit i.S.d. § 7 der Hochschulnebentätigkeitsverordnung (HNtV) unter
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Benutzung der Einrichtung des Klinikums erbracht (vgl. § 14 Abs. 3 und Abs. 6 HNtV).
Gegenüber dem Dienstherrn besteht für die liquidationsberechtigten Klinikärzte insoweit
keine verpflichtende Krankenversorgungstätigkeit.
So auch: OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Februar 2008 - 13 C 59/08 - und vom 10. April
2008 - 13 C 63/08 -; jeweils juris; vgl. ausführlich: BayVGH, Beschluss vom 10. April
1987 - 7 CE 86.12013 -, KMK-HSchR 1987, 883, 886 - 895; ferner: Bahro/Berlin, Das
Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, § 17 KapVO
Rdnr. 9; Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, Rdnr. 218, 292.
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Bei der Bestimmung der zur Verfügung stehenden "Gesamtzahl der tagesbelegten
Betten des Klinikums" kommt es auch nicht darauf an, ob die liquidationsberechtigten
Klinikärzte ihre Privatpatienten tatsächlich für Ausbildungszwecke heranziehen.
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So aber: Hamburgisches OVG, Beschluss vom 6. April 1988 - OVG Bs III 686/87 -, S. 10
des amtlichen Abdrucks.
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Denn der Bestand der für die klinische Ausbildung verfügbaren Patienten kann sich nur
aus denjenigen ergeben, für die die liquidationsberechtigten Klinikärzte ihrem
Dienstvorgesetzten gegenüber zur Krankenversorgung verpflichtet sind. Andernfalls
hinge es vom Willen der einzelnen liquidationsberechtigten Klinikärzte ab, die
Ausbildungskapazität der Hochschule zu beeinflussen. Das
Kapazitätserschöpfungsgebot richtet sich nicht an die liquidationsberechtigten
Klinikärzte - die als Privatpersonen persönliche ärztliche Leistungen (vgl. § 7 Abs. 1 und
§ 8 HNtV) erbringen - sondern ausschließlich an die Hochschule als Trägerin
öffentlicher Gewalt. In dieser Eigenschaft kann die Hochschule nur im Rahmen des
geltenden Arbeits- bzw. Dienstrechts von den liquidationsberechtigten Klinikärzten eine
mit der Lehre verbundene Krankenversorgung der Allgemeinpatienten als hauptamtliche
Aufgabe verlangen.
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Vgl. auch: BayVGH, a.a.O., KMK-HSchR 1987, 883, 893.
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Bei der hier allein möglichen summarischen Überprüfung besteht für das Gericht kein
Anlass, an der Richtigkeit der von der Antragsgegnerin angegebenen und vom
Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes NRW
(MIWFT) zugrundegelegten Anzahl der tagesbelegten Betten zu zweifeln.
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Nimmt man nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 KapVO die im Hinblick auf die
poliklinischen Neuzugänge maximale Erhöhung der patientenbezogenen
Aufnahmekapazität um 50 % vor, so errechnet sich eine jährliche Aufnahmekapazität
von 232. Das entspricht der Anzahl der von der Antragsgegnerin für das Studienjahr
2009/2010 - im Winter- und Sommersemester - angebotenen Studienplätze.
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Da gemäß § 17 Abs. 2 KapVO das Berechnungsergebnis anhand der
patientenbezogenen Einflussfaktoren die Festsetzung der Zulassungszahl bestimmt,
wenn es niedriger ist als die Aufnahmekapazität aufgrund der personellen Ausstattung
unter Berücksichtigung weiterer Überprüfungen, bedarf es keiner Überprüfung der
personellen Aufnahmekapazität, die die Antragsgegnerin mit 834 errechnet hat.
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Die jährliche Aufnahmekapazität von 232 hat die Antragsgegnerin in Abstimmung mit
dem MIWFT in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens auf 139 Studienplätze im
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Wintersemester 2009/2010 und 93 Studienplätze im Sommersemester 2010 aufgeteilt.
Es ist ermessensgerecht, die Zahl der Studienplätze für das erste Semester des
klinischen Studienabschnitts im Wintersemester höher anzusetzen als im
Sommersemester. Denn an der Universität Duisburg-Essen kann der vorklinische
Studienabschnitt nur zum Wintersemester aufgenommen werden. Deshalb beginnt die
Mehrzahl der Studierenden mit dem klinischen Studienabschnitt zum Wintersemester.
Kapazitätsrechtlich ist es lediglich geboten, dass die Zulassungszahlen für die zwei
Semester eines Studienjahres in der Gesamtheit der errechneten Jahreskapazität
entsprechen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 1989 - 7 B 82.89 -, NVwZ-RR 1990, 349.
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Nach der durch die Antragsgegnerin übersandten Belegungsmitteilung sind die danach
für das Sommersemester 2010 im ersten klinischen Semester verfügbaren 93
Studienplätze vergeben. Insoweit kann der Antragsteller auch nichts daraus herleiten,
dass einer dieser Plätze durch einen Studierenden besetzt wird, der sich hat beurlauben
lassen. Beurlaubte Studierende sind im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls zu
berücksichtigen. Da jeder Beurlaubte sein Studium wieder aufnehmen kann, könnte es
andernfalls zu einer das tatsächliche Lehrangebot übersteigenden Studierendenzahl
kommen.
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Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2010 - 13 C 264/10, 13 C 265/10 -, juris,
betreffend die Kapazitätsermittlung aufgrund der personellen Ausstattung
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs.1, Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes und orientiert sich an der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Verfahren nach § 123
VwGO wegen der vorläufigen Zulassung zum Studium.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2009 - 13 C 264/08 - und vom 16. März 2009 -
13 C 1/09 -, jeweils juris
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