Urteil des VG Gelsenkirchen vom 18.03.2010
VG Gelsenkirchen (kläger, anspruch auf bewilligung, bescheinigung, antrag, verurteilung, halle, verwaltungsgericht, bewilligung, begründung, gewahrsam)
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 6 K 1496/09
Datum:
18.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
6 K 1496/09
Schlagworte:
Opferrente, Opferpension, Rehabilitierung
Normen:
StrRehaG § 17 a, HHG § 10 Abs. 4
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens trägt der Kläger.
Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Gerichtsbescheides
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger wurde im Jahre 1927 in L. geboren. Er ist Rentner. Im Jahre 1951 wurde er in
Dessau zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die er nach
seinen eigenen Angaben im Straflager Oelsnitz verbüßt hat.
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Am 18. Februar 2007 stellte der Kläger beim Landgericht Halle einen Antrag auf
strafrechtliche Rehabilitierung hinsichtlich der vorgenannten Verurteilung. Am 13. Mai
2008 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer besonderen
monatlichen Zuwendung ("Opferpension") nach § 17a des Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG). Die in dem Antragsformular für die Angabe von
Haftzeiten vorgesehenen Felder ließ er unausgefüllt.
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Die Beklagte wandte sich unter dem 12. Juni 2008 an den Kläger und forderte diesen
auf, seine Haftzeit als ehemaliger politischer Häftling in DDR-Haftanstalten anzugeben
und zum Beleg die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) oder
den gerichtlichen Rehabilitierungsbeschluss vorzulegen. Der Kläger teilte daraufhin mit,
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dass er im Juni 1951 verhaftet worden und bis zum 6. Oktober 1952 im Straflager
Oelsnitz interniert gewesen sei. Eine Rehabilitierungsbescheinigung oder eine
Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG legte er nicht vor. Die Beklagte wandte sich
daraufhin erneut an den Kläger und bat um weitere Informationen hinsichtlich der
erlittenen Maßnahmen. Bei einem Telefonat eines Mitarbeiters des Beklagten mit der
Ehefrau des Klägers wurde dieser laut Gesprächsvermerk noch einmal verdeutlicht,
dass die entscheidenden Unterlagen für die Bearbeitung, namentlich die Bescheinigung
nach § 10 Abs. 4 HHG fehlten. Die Ehefrau des Klägers erklärte, dass keine weiteren
Unterlagen vorlägen.
Im Laufe des Verfahrens wandte sich die Beklagte auch erfolglos an das
Bundesverwaltungsamt - Außenstelle Friedland/Zentrale Häftlingskartei -, an die
Stiftung für ehemalige politische Häftlinge sowie an die Städte E. und C. mit der Frage,
ob dort Bescheinigungen nach dem Häftlingshilfegesetz oder
Rehabilitierungsentscheidungen vorlägen.
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Mit Beschluss vom 11. Dezember 2008 (22 Reh 8771/07) wies das Landgericht Halle -
1. Kammer für Rehabilitierungssachen - den Antrag des Klägers, das Urteil des
Kreisgerichts Dessau vom Sommer 1951 wegen "Mitwisserschaft an einem unerlaubten
Waffenbesitz" für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, als unbegründet
zurück. Es sei weder von vornherein ersichtlich noch in Ermangelung einer
vollumfänglichen Strafverfahrensakte, der Anklageschrift und des Urteils bzw. des
Strafbefehls festzustellen, dass die Verurteilung mit wesentlichen Grundsätzen einer
freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sei oder die angeordnete
Rechtsfolge in einem groben Missverhältnis zu den zugrundeliegenden Taten stehe.
Die Beschwerde des Klägers gegen diese Entscheidung wurde durch das
Oberlandesgericht Naumburg - 1. Senat für Rehabilitierungssachen - am 10. Februar
2009 (1 Ws Reh 80/09) mit der Begründung verworfen, eine rehabilitierungsfähige
Entscheidung liege nicht vor. Die Verurteilung habe nicht politischer Verfolgung gedient,
sondern der Ahndung von Verstößen gegen ein Gesetz des alliierten Kontrollrats.
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Mit Bescheid vom 20. März 2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf
Gewährung einer "Opferpension" nach § 17a StrRehaG ab. Zur Begründung führte die
Behörde aus: Sie sei für die Gewährung einer Opferpension bei Berechtigten, die eine
Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG erhalten hätten, zuständig. Bei dem Kläger könne
aber nicht festgestellt werden, dass er zu dem berechtigten Personenkreis gehöre. Er
habe weder eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG noch einen gerichtlichen
Rehabilitierungsbeschluss vorgelegt.
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Der Kläger hat am 30. März 2009 Klage erhoben, zu deren Begründung er ausführt: Er
sei 1940 nach Strasbourg verzogen und dort von 1944 bis 1946 "zivil-interniert"
gewesen. Im Jahre 1951 sei er zu Besuch bei seinem Vater gewesen und in Dessau zu
einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 20. März 2009 zu
verpflichten, ihm eine Opferpension zu bewilligen.
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Die Beklagte tritt der Klage entgegen.
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Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer entscheidet über die Klage gemäß § 84 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen
Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt
ist. Die Beteiligten sind dazu gehört worden.
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 20. März 2009 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO); der Kläger hat keinen
Anspruch auf Bewilligung der begehrten "Opferpension".
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Als Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch kommt nur § 17a des Gesetzes über
die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger
Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (StrRehaG) in Betracht. Nach dieser
Vorschrift erhalten Berechtigte nach § 17 Abs. 1 StrRehaG, die in ihrer wirtschaftlichen
Lage besonders beeinträchtigt sind, auf Antrag eine monatliche besondere Zuwendung
von bis zu 250,- EUR für Haftopfer, wenn sie eine mit wesentlichen Grundsätzen einer
freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung von
insgesamt mindestens sechs Monaten erlitten haben.
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Regelmäßig schließt sich die Entscheidung über eine solche "Opferpension" an das
gerichtliche Rehabilitierungsverfahren nach §§ 7 ff. StrRehaG an. In diesem Falle sind
für die Bewilligung der Opferpension die Behörden des Bundeslandes zuständig, in
welchem die Rehabilitierungsentscheidung ergangen ist; über Streitigkeiten
entscheiden die für die Rehabilitierungsentscheidung selbst zuständigen (ordentlichen)
Gerichte (§ 25 Abs. 1 StrRehaG). Vorliegend haben das Landgericht Halle und das
Oberlandesgericht Naumburg über den Rehabilitierungsantrag des Klägers
entschieden. Für die Bewilligung einer Opferpension wäre somit das
Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt und für gerichtliche Streitigkeiten um die
Opferpension abermals das Landgericht Halle zuständig. Die materiellrechtlichen
Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch dürften allerdings nicht vorliegen,
nachdem der Rehabilitierungsantrag des Klägers in beiden Instanzen ohne Erfolg
geblieben ist.
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Eine Opferpension nach § 17a StrRehaG erhalten nach § 25 Abs. 2 StrRehaG indessen
auch Personen, die eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG)
erhalten haben, und zwar entweder für einen Gewahrsam, der auf einer Verurteilung
durch ein deutsches Gericht oder auf einer der in § 1 Abs. 5 StrRehaG genannten
strafrechtlichen Maßnahmen beruht, wenn diese Bescheinigung vor Inkrafttreten des
Gesetzes beantragt worden ist, oder weil sie im Zusammenhang mit der Errichtung oder
Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet dort ohne
Verurteilung durch ein deutsches Gericht oder ohne eine der in § 1 Abs. 5 StrRehaG
genannten strafrechtlichen Maßnahmen in Gewahrsam genommen oder gehalten
wurden. In Bezug auf diesen Anspruch ist die Beklagte zuständig und passivlegitimiert;
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auch die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist insoweit gemäß § 25 Abs. 2 Satz 5
VwGO gegeben.
Voraussetzung für einen Anspruch ist jedoch bei beiden Alternativen des § 25 Abs. 2
StrRehaG, dass eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG vorliegt.
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Vgl. nur Herzler (Hrsg.), Rehabilitierung, Potsdamer Kommentar, 2. Aufl. 1997, § 25
Rdnr. 10 ff.
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Eine solche Bescheinigung hat der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung der Beklagten
nicht vorgelegt, und er hat auch weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen
Verfahren erklärt, eine solche Bescheinigung beantragt und/oder erhalten zu haben.
Auch die entsprechende Korrespondenz der Beklagten mit dem Bundesverwaltungsamt,
der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge sowie den Städten E. und C. hat keinerlei
Hinweise auf die Erteilung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG an den Kläger
erbracht.
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Soweit der Kläger in seiner Klageschrift eine Internierung in Frankreich in den Jahren
1944 bis 1946 erwähnt, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Maßnahme nicht in
den Regelungsbereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes fällt, das nur
Verfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet erfasst.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 14
StrRehaG, der auch im Verfahren nach § 25 Abs. 2 Satz 5 StrRehaG Anwendung findet,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Oktober 1999 - 14 E 91/98 -,
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gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §
167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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