Urteil des VG Gelsenkirchen vom 25.08.2009

VG Gelsenkirchen (bestimmtheit von normen, teil, verhandlung, stadt, grundstück, antrag, umgebung, verhältnis zu, standort, markt)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 6 K 364/07
Datum:
25.08.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 364/07
Schlagworte:
zentraler Versorgungsbereich; Nebenzentrum; schädliche
Auswirkungen; Lebensmitteldiscounter; Einzelhandel; Bauvorbescheid
Normen:
BauGB § 34 Abs 3
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in
gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheides zur
Errichtung eines Lebensmittelmarktes auf dem Grundstück F.--------straße 49 in H. -I.
(G1). Das Grundstück liegt mit einer Breite von ca. 65 m an der F1. . und erstreckt sich
von dort auf einer Länge von ca. 102 m in südöstliche Richtung.
2
Die Flurstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Der vordere
Grundstücksbereich ist mit einem Wohnhaus mit zwei Betriebswohnungen und
Bürobereich sowie sechs Pkw-Garagen bebaut. In dem Gebäude wird die Fahrschule T.
betrieben. Auf dem heute unbebauten hinteren Bereich des Grundstücks befand sich
früher ein Übungsgelände der Fahrschule.
3
Auf dem nordöstlich angrenzenden Grundstück F1. . 47 (Flurstück 000) wird ein
Lebensmittelmarkt (Lidl-Einzelhandelsmarkt) betrieben. Entlang der F.--------straße
befinden sich im Übrigen Wohnbebauung sowie zahlreiche gewerbliche Nutzungen.
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Mit am 4. November 2005 beim Beklagten eingegangenen Antrag beantragte die
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Klägerin die Erteilung eines Vorbescheides zur planungsrechtlichen Zulässigkeit der
Errichtung eines „Lebensmittelnahversorgungsmarktes inkl. Bäcker mit max. 699 qm
VKF sowie 92 PKW Stellplätze". In der zugehörigen Erläuterung heißt es, es sei eine
Nettoverkaufsfläche von ca. 677 qm geplant, die gesamte Nutzfläche betrage 955 qm.
Weiter ist in dem Antrag ausgeführt, es werde um Stellungnahme und Beantwortung
folgender planungsrechtlicher Fragestellungen gebeten:
6
„1. Ist die Nutzung des dargestellten Grundstücks als Einzelhandelsfläche
(Lebensmittelmarkt) zulässig?
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2. Ist der Nahversorgungsmarkt in der vorgesehenen Größe und in der (in den Plänen)
dargestellten Art und Weise zulässig?
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3. Können die Stellplätze für die Kunden des Nahversorgungsmarktes in der
vorgesehenen Zahl und Anordnung gestellt werden?
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4. Ist die Erschließung in der dargestellten Weise zulässig?"
10
Mit Bescheid vom 16. Januar 2006 lehnte der Beklagte die Erteilung des beantragten
Bauvorbescheides ab.
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Zwar sei das Vorhaben der Klägerin im hier vorliegenden faktischen Mischgebiet (§ 6
der Baunutzungsverordnung - BauNVO -) seiner Art nach allgemein zulässig. Es füge
sich aber nicht gemäß § 34 Abs. 1 des Baugesetzbuches - BauGB - hinsichtlich des
Merkmals der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren
Umgebung ein, da die tatsächlich vorhandene hintere Baugrenze um ca. 18,50 Meter
überschritten werde. Weiter halte das Vorhaben das Rücksichtnahmegebot nicht ein.
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Mit Schreiben vom 30. Januar 2006 erhob die Klägerin durch ihre
Prozessbevollmächtigten Widerspruch.
13
Im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche werde das Gebiet durch die
Bebauung im Straßengeviert F.--------straße / F2.----straße geprägt, die durchweg
größere, auch für das beantragte Vorhaben prägende Grundstückstiefen aufweise.
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Bezüglich der Frage der Stellplatzanordnung könne eine Immissionsprognose vorgelegt
werden. Wegen der gewerblichen Prägung des Gebietes scheide eine Verletzung des
Rücksichtnahmegebots aus. Die Klägerin bat im Wege der Teilabhilfe um die Erteilung
eines positiven Bauvorbescheides zu den im Vorbescheidsantrag gestellten Fragen zu
1. und 4. sowie zu 2., was die Frage der zulässigen Art der baulichen Nutzung anbetrifft.
15
Mit Schreiben vom 31. März 2006 teilte der Beklagte mit, ein Lebensmittelmarkt mit 677
qm Verkaufsfläche sei in dem vorliegenden Mischgebiet allgemein zulässig, auch könne
die Erschließung, wie von der Klägerin vorgesehen, von der F.--------straße aus erfolgen.
Das zur Beurteilung gestellte Vorhaben überschreite jedoch die faktisch vorhandene
hintere Baugrenze um etwa 18,50 Meter. Schließlich sei es Sache des
Bauantragstellers, bereits im Antragsverfahren den Nachweis zu erbringen, dass die
erwartbare Verkehrs- und Geräuschbelastung durch das zur Prüfung gestellte Vorhaben
die zulässigen Immissionswerte nicht überschreite.
16
Mit Schreiben vom 26. Juni 2006 und vom 15. August 2006 an die Bezirksregierung N.
übersandten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen neuen Lageplan, in der
das Bauvorhaben der Klägerin derart umgestaltet ist, dass sich die hintere Baugrenze
des Gebäudes des geplanten Lebensmittelmarktes sowie der Stellplatzanlage etwa in
einer Flucht mit der hinteren Baugrenze des auf dem Grundstück F.--------straße 47
bereits errichteten Lidl-Marktes befindet. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin
baten, dieses Vorhaben hilfsweise zum Gegenstand der Bauvoranfrage zu machen. Im
Übrigen teilten sie mit, dass der Eigentümer des auf dem Grundstück F.--------straße
bereits befindlichen Gebäudes auch der Veräußerer des Grundstücks an die Klägerin
sei und keine Einwendungen gegen die Errichtung des beantragten Vorhabens erhebe.
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Durch Schreiben vom 20. November 2006 teilte der Beklagte mit, die von der Klägerin
nachträglich eingereichten Lagepläne seien nicht Prüfungsgegenstand für das
Bauvorhaben. Für den Fall, dass der Lebensmittelmarkt an einem anderen Standort auf
dem Grundstück F.--------straße errichtet werden solle, müsse ein neuer Antrag gestellt
werden.
18
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2007 wies die Bezirksregierung N. den
Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde
am 12. Januar 2007 zugestellt.
19
Im Hinblick auf das Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche werde die nähere
Umgebung durch die Bebauung entlang der F.--------straße und Teile der F2.----straße
gebildet. In diesem Bereich sei eine Bebauung in „zweiter Reihe" bislang nicht
vorhanden. Damit komme dem Bauvorhaben der Klägerin negative Vorbildwirkung zu,
es löse städtebauliche Spannungen aus, indem sich die faktische Baugrenze weiter in
südöstliche Richtung verlagern würde.
20
Die Klägerin hat am 12. Februar 2007 Klage erhoben.
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Zur Begründung trägt sie vor, auch nach Ansicht des Beklagten selbst hätten die
Anfragen unter den Ziffern 1., 2. und 4. der Bauvoranfrage positiv beschieden werden
müssen. Was die überbaubare Grundstücksfläche anbetreffe, sei die Wertung des
Beklagten unzutreffend, da sich im weiteren Verlauf der F.-------- straße bzw. der H1.------
straße mit dem beantragten Vorhaben vergleichbare Bautiefen befänden.
Entsprechendes gelte auch für die Bebauung entlang der F2.----straße im Bereich des
Schachtes IV des ehemaligen Bergwerks F3. . In der (ersten) mündlichen Verhandlung
vom 16. September 2008 hat die Klägerin erklärt, der im Widerspruchsverfahren
gestellte Alternativvorschlag solle nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Verfahrens
sein. Außerdem solle die Frage der Erschließung nicht Gegenstand der
planungsrechtlichen Zulässigkeitsprüfung sein. Die Klägerin sei nach wie vor bereit,
erforderlichenfalls ein immissionsschutzrechtliches Gutachten beizubringen und ggf.
auch aktive Lärmschutzmaßnahmen im Baugenehmigungsverfahren durchzuführen.
22
Die Klägerin hat in der ersten mündlichen Verhandlung am 16. September 2008
beantragt,
23
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 16. Januar 2006 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung N. vom 10. Januar 2007 zu verpflichten,
den am 4. November 2005 beim Beklagten gestellten Vorbescheidsantrag für die
Errichtung eines Lebensmittelmarktes auf dem Grundstück G1 (F.--------straße 49 in H. )
24
unter Berücksichtigung der zum Vorbescheid gestellten Fragestellungen positiv zu
bescheiden,
hilfsweise
25
den Beklagten unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide zu verpflichten, einen
positiven Vorbescheid zu erteilen, dass ein Lebensmittelmarkt mit einer
Nettoverkaufsfläche von 677 m² und 278 m² Nebenflächen unter Berücksichtigung der
beantragten Zahl von 92 Stellplätzen,
26
weiter hilfsweise
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unter Berücksichtung der Zahl der notwendigen Stellplätze
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mit der vorgesehen Zu- und Ausfahrt zur F.--------straße hin nach der Art der baulichen
Nutzung planungsrechtlich zulässig ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
31
Der Beklagte tritt zunächst der Zulässigkeit der in der mündlichen Verhandlung vom 16.
September 2008 erstmals gestellten Hilfsanträge entgegen. Er ist der Auffassung, es
handele sich - gemessen an den im Verwaltungsverfahren gestellten Anträgen - um
abweichende Anträge, die baurechtlich ein sogenanntes „aliud" zum Gegenstand
hätten. Nach dem im Verwaltungsverfahren gestellten Bauvorbescheidsantrag habe die
Klägerin keine Beschränkung ihrer Anfrage allein auf die Art der baulichen Nutzung
gewollt. Der Beklagte habe darüberhinaus im Verwaltungsverfahren keinerlei Anhalt
dafür gehabt, dass die Klägerin eine Beschränkung auf die Anzahl der notwendigen
Stellplätze gewollt habe. Vielmehr habe der Beklagte den Antrag nur als einheitlichen
Antrag für ein Vorhaben auffassen können. Sofern die Klägerin mehrere
Fragestellungen unanbhängig voneinander hätte klären wollen, hätte sie auch jeweils
gesonderte Anträge stellten müssen. Soweit die Stellung der Anträge als
Klageänderung anzusehen sei, werde dieser widersprochen.
32
Im Übrigen bezieht sich der Beklagte auf die ablehnenden Bescheide. Nach der
mündlichen Verhandlung vom 16. September 2008 hat der Beklagte ergänzend zu den
Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BauGB vorgetragen und macht geltend, das
Vorhaben der Klägerin widerspreche der genannten Vorschrift. Er verweist dazu auf die
vollständige Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes der Stadt H. für den Stadtteil
H. -S. vom Januar 2006 (Blatt 55 ff. der Gerichtsakte).
33
Der Vorhabenstandort liege mit einer Entfernung von mindestens 500 m außerhalb des
Nebenzentrums S. -F2.----straße , der als zentraler Versorgungsbereich einzustufen sei,
und sei nicht selbst Bestandteil eines Nahversorgungszentrums. Der Bereich, auf den
das Vorhaben der Klägerin abziele, werde bereits durch das Nebenzentrum S. -F2.----
straße versorgt, so dass von dem Vorhaben schädliche Auswirkungen im Sinne von §
34 Abs. 3 BauGB ausgingen. Der Bereich S. -F2.----straße verlaufe entlang der F2.----
straße zwischen den Einmündungen I1. Straße und N1. Straße und umfasse in seinem
südlichen Bereich noch den Rewe-Lebensmittelmarkt südlich der N1. Straße. Der
Bereich erfülle alle Voraussetzungen, die an einen zentralen Versorgungsbereich im
34
Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB zu stellen seien. Es seien mehrere sogenannte
Magnetbetriebe vorhanden (Schleckermarkt - Drogerieartikel; Deko C. - Spiel-, Sport-
und Hobbywaren; Lebensmitteleinzelhandel: Rewemarkt, Rewegetränkemarkt,
Aldimarkt, Plusmarkt, Pennymarkt).
Der Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB stehe nicht entgegen, dass sich auf dem
Nachbargrundstück F1. . 47 bereits ein Lidl-Lebensmitteldiscounter befinde, denn auch
gemeinsam mit dem Vorhaben der Klägerin entstünde trotz der dann beachtlichen
Versorgungsfunktion kein eigener zentraler Versorgungsbereich.
35
Die schädlichen Auswirkungen des Vorhabens der Klägerin auf den Bereich S. -F2.----
straße ergäben sich insbesondere aus einem Verkaufsflächenvergleich. Insgesamt
werde durch die vorhandenen Lebensmittelmärkte innerhalb des Bereichs S. -F2.----
straße eine Verkaufsfläche in Höhe von 2.400 qm zur Verfügung gestellt, während das
Vorhaben der Klägerin gemeinsam mit dem bereits vorhandenen Lidl-Markt eine
Verkaufsfläche von über 1.300 qm erreiche und damit - unter Berücksichtigung der
hohen Anzahl an Stellplätzen - zu einem erheblichen Kaufkraftabfluss führe. Es sei mit
einer erheblichen Umsatzbeeinträchtigung der bereits vorhandenen Lebensmittelmärkte
zu rechnen. Diese führten zu Schließungen, die wegen der benachteiligten Lage für
motorisierte Kunden auch nicht durch konkurrierende Lebensmittelhändler aufgefangen
werden könnten. Dadurch werde ein Kreislauf negativer Entwicklungen angestoßen.
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Die Klägerin erwidert zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BauGB und
stellt die Einordnung des Bereichs F2.----straße zwischen den Einmündungen I1. Straße
und N1. Straße als zentralen Versorgungsbereich nicht grundsätzlich in Frage, hält aber
den Bereich südlich der N1. Straße mit dem Rewe-Lebensmittelmarkt nicht mehr für
einen Teil des Versorgungsbereichs. Jedenfalls komme dem Einzelhandelskonzept der
Stadt H. für die Eingrenzung des maßgeblichen Bereichs keine rechtlich verbindliche
Wirkung zu. Die Klägerin ist der Auffassung, dass auf den so verstandenen
Versorgungsbereich schädliche Einflüsse durch das Vorhaben der Klägerin nicht zu
erwarten seien. Solche schädlichen Auswirkungen kämen bei der hier in Frage
stehenden Größe von weniger als 700 qm Verkaufsfläche auch nur ausnahmsweise in
Betracht. Das gelte um so mehr, als es sich bei dem Bereich F2.----straße bereits um ein
Nebenzentrum und nicht nur um ein Nahversorgungszentrum handele. Die erforderliche
strukturelle Schädigung sei nicht zu erwarten. Dabei dürfe der bereits betriebene Lidl-
Markt nicht summierend mit dem Vorhaben der Klägerin betrachtet werden, da es sich
um einen funktionell eigenständigen Betrieb handele. Nach dem Einzelhandelskonzept
sei zu berücksichtigen, dass im Stadtteil S. auf 5.930 qm Lebensmittel- und
Reformwaren angeboten würden und sich damit bereits mehr als die Hälfte der
Verkaufsflächen außerhalb des hier in Rede stehenden Nebenzentrums befinde, ohne
dass dieses in den letzten Jahren Schaden genommen habe. Es greife überdies zu
kurz, die ökonomische Betrachtung durch einen bloßen Verkaufsflächenvergleich
durchzuführen. Aufgrund der städtebaulichen Situation mit der im Kreuzungsbereich
F2.----straße / F.-------- straße abknickenden Vorfahrt werde ein Großteil des Verkehrs
von dem Nebenzentrum F2.----straße ferngehalten.
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Ob eine Schädigung des Bereichs F2.----straße zu erwarten sei, könne bei der hier
vorliegenden Konstellation nur auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens
beurteilt werden.
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Entsprechend beantragt die Klägerin,
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weiter hilfsweise Beweis zu erheben zu der Frage, dass das Vorhaben nicht zu
Umsatzumlenkungseffekten führt, die schädigend im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB sind,
durch Einholung eines Gutachtens.
40
Im Übrigen hat die Klägerin eine Lärmimmissionsprognose des TÜV Nord vom 16. März
2009 vorgelegt, in dem jeweils eine Lärmprognose für zwei unterschiedliche
Möglichkeiten der Anordnung des Marktgebäudes auf dem Grundstück vorgenommen
wird.
41
Nach der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2008 hat der Berichterstatter der
Kammer am 18. Februar 2009 einen Ortstermin durchgeführt. Wegen des Ergebnisses
wird auf das Protokoll sowie die gefertigten Lichtbilder verwiesen (Bl. 123 ff. der
Gerichtsakte).
42
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und die vom Beklagten und der Widerspruchsbehörde übersandten
Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
44
Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
45
Die Verpflichtungsklage ist mit ihrem Hauptantrag zulässig, aber nicht begründet.
46
Streitgegenstand des Hauptantrages ist die Erteilung eines Bauvorbescheides zur
Zulässigkeit der (konkreten) Bebauung des Grundstücks F.--------straße 49 in H. -S. unter
Berücksichtigung der im Bauvorbescheidsantrag gestellten Fragen und weiter unter
Ausklammerung der Frage der Erschließung.
47
Der in der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2008 gestellten Hauptantrag
der Klägerin ist sachdienlich (§§ 86 Abs. 3, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO
-) und ergibt sich im Wege der Auslegung aus den im Verwaltungsverfahren
aufgeworfenen Fragestellungen. Er nimmt die Frage zu 2. aus dem Antrag auf Erteilung
des Bauvorbescheides auf und umfasst zugleich die Frage zu 3., wohingegen die
Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2008 zulässigerweise die
(rechtliche) Frage zu 4. nach der Erschließung des Grundstücks ausgeklammert und
klarstellend nur als Frage der Anordnung der Zu- und Ausfahrt an der F.--------straße
angegeben hat. Dieser Auslegung des Hauptantrages tritt auch der Beklagte nicht
entgegen.
48
Die Klägerin hat in der Sache allerdings keinen Anspruch auf den beantragten
Vorbescheid. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2006 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung N. vom 10. Januar 2007 ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO.
49
Der begehrte Vorbescheid kann nicht erteilt werden, weil dem zur Zulassung gestellten
Vorhaben Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegenstehen, §§ 71 Abs. 1 und 2, 75
Abs. 1 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen - BauO NRW -.
50
Zwar ist das nach § 34 BauGB zu beurteilende Vorhaben seiner Art nach zulässig. Ob
es sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere
Umgebung einfügt und das Rücksichtnahmegebot eingehalten wird, kann dagegen
dahingestellt bleiben, weil das Vorhaben jedenfalls gegen die Anforderungen des § 34
Abs. 3 BauGB verstößt und deshalb bauplanungsrechtlich unzulässig ist.
51
Das Vorhabensgrundstück liegt im unbeplanten Innenbereich und nicht im
Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB. Dieser übereinstimmenden Bewertung der
Beteiligten schließt sich das Gericht an. Ohne Weiteres handelt es sich bei der
Bebauung beidseitig der F2.----straße , entlang der F.--------straße und nördlich der
Straße Im F4. einschließlich der durch die L.-----gasse erschlossenen Bebauung um
Bestandteile eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1
BauGB.
52
Zu diesem Bebauungszusammenhang gehört nach Auffassung der Kammer auch noch
der hier in Frage stehende Freibereich der Hinterlandes des Grundstücks F1. . 49
(Flurstück 000). Ein auch als „Außenbereichsinsel" oder „Außenbereich im
Innenbereich" bezeichnetes Gebiet liegt insoweit nicht vor. Das Baugesetzbuch
unterscheidet im Hinblick auf die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans
liegenden Bereiche nur zwischen den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen nach §
34 Abs. 1 BauGB und dem Außenbereich nach § 35 BauGB. Ausschlaggebend für das
Bestehen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne des § 34 BauGB ist, inwieweit
die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der
Verkehrsauffassung noch den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit
vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang
angehört. Eine ringsum von Bebauung umgebene Freifläche, die so groß ist, dass sich
ihre Bebauung nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung
aufdrängt und die deshalb nicht als Baulücke erscheint, liegt nicht innerhalb eines
Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB; sie ist damit
bebauungsrechtlich Außenbereich. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten
sein muss, um sich noch als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach
geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden
Bewertung des im Einzelfall vorliegenden konkreten Sachverhalts zu entscheiden.
53
Ständige Rechtsprechung, vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - , Beschluss vom
15. September 2005 - 4 BN 37.05 -, BauR 2006, S. 348 - 349.
54
Daran gemessen nimmt jedenfalls der hintere Bereich des Grundstücks F.---- ----straße
49 am Bebauungszusammenhang teil, ohne dass diese Frage auch für die
benachbarten Flurstücke entschieden werden müsste.
55
Nach dem vom Berichterstatter der Kammer im Ortstermin vom 18. Februar 2009
gewonnenen Eindruck, den er der Kammer vermittelt hat, besteht die Bebauung entlang
der südöstlichen Seite der F.--------straße zu einem erheblichen Teil aus gewerblichen
Nutzungen, die zum Teil auch weite Bereiche der hinteren Grundstücksflächen in
Anspruch nehmen. Maßstabbildend dafür ist der bereits auf dem Grundstück F.--------
straße 47 betriebene Einzelhandelsbetrieb mit einer erheblich in den südöstlichen
Bereich des Grundstücks hineinreichenden Bautiefe. Vor dem Hintergrund weitgehend
bebauter Hinterbereiche weiterer Grundstücke südöstlich der F.--------straße und der
bestehenden, fast unmittelbar an die südöstliche Grundstücksgrenze des Grundstücks
F1. . 49 herangerückten Wohnbebauung um die L.-----gasse erscheint der hintere
56
Bereich des Grundstücks F.--------straße 49 als Lücke, die am
Bebauungszusammenhang ohne Weiteres teilnimmt, so dass es nicht mehr darauf
ankommt, ob das ehemals in dem fraglichen Bereich betriebene, inzwischen beseitigte
Fahrschulübungsgelände als rechtlich fortwirkend anzusehen ist und geeignet wäre, für
sich genommen einen Bebauungszusammenhang zu vermitteln.
BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 15.84 -, BVerwGE 75, S. 34 - 45.
57
Das mithin nach § 34 BauGB zu beurteilende Vorhaben ist seiner Art nach zulässig.
Insoweit kann dahin stehen, ob die Eigenart der maßgeblichen näheren Umgebung im
Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB einem Mischgebiet nach § 6 BauNVO entspricht oder als
diffuse Bebauung (auch sogenannte „Gemengelage") einzuordnen ist, mit der Folge,
dass sich die Zulässigkeit insoweit nach § 34 Abs. 1 BauGB richtete. Im erstgenannten
Fall wäre ein Lebensmittelmarkt der beantragten Größenordnung bereits allgemein als
Einzelhandelsbetrieb nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. Auch im letztgenannten
Fall bestünden keine Bedenken im Hinblick auf die Zulässigkeit seiner Art nach. Das
Vorhaben würde sich in die deutlich gewerblich geprägte nähere Umgebung einfügen,
die wenigstens die auf der nord-westlichen und der südöstlichen Straßenseite der F.-----
---straße bestehende Bebauung bis zur in nordwestliche Richtung abknickenden Kurve
erfasst.
58
Was das Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche betrifft, kann dahinstehen, ob
die von der Klägerin geplante Bebauung des Grundstücks F1. . 49 mit dem im
Hauptantrag zur Überprüfung gestellten Vorhaben sich hinsichtlich der
Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung
einfügt; ebenfalls kann offenbleiben, ob die nach § 15 Abs. 1 BauNVO erforderliche
Rücksicht eingehalten wird.
59
Denn dem Vorhaben der Klägerin steht die Vorschrift des § 34 Abs. 3 BauGB entgegen.
Danach dürfen von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich keine schädlichen
Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen
Gemeinden zu erwarten sein.
60
Das aber ist hier der Fall. Die Vorschrift des § 34 Abs. 3 BauGB findet auf das Vorhaben
der Klägerin Anwendung (1.). Der Beklagte hat entsprechend der ihm obliegenden
Amtsermittlungspflicht dargelegt, dass vom Vorhaben der Klägerin auf den Bereich rund
um die F2.----straße als zentralem Versorgungsbereich (2.) schädliche Auswirkungen
(3.) zu erwarten sind.
61
1. Der geplante Lebensmittelmarkt ist ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB.
62
Zwar hatte der Gesetzgeber bei Schaffung des § 34 Abs. 3 BauGB in erster Linie
großflächige Einzelhandelsvorhaben im Blick, worunter das mit einer beabsichtigten
Verkaufsfläche von 677 qm deutlich die bei 800 qm liegende Schwelle zur
Großflächigkeit unterschreitende Vorhaben nicht fällt.
63
Jedoch sollte der Schutz der Vorschrift nicht auf die Abwehr solcher
Einzelhandelsvorhaben beschränkt werden. Bei entsprechender Fallgestaltung kann im
Einzelfall auch ein Vorhaben unterhalb der Schwelle der Großflächigkeit nach § 34 Abs.
3 BauGB unzulässig sein. Ob ein solcher Fall tatsächlich vorliegt, ist anhand der
konkreten Situation vor Ort zu prüfen. Er wird um so eher eintreten, je kleinteiliger und
64
damit empfindlicher der betroffene zentrale Versorgungsbereich ausgestaltet ist.
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG NRW -, Urteile vom 1.
Juli 2009 - 10 A 2350/07 -, vom 19. Juni 2008 - 7 A 1392/07 -, BauR 2008, S. 2025, und
vom 13. Juni 2007 - 10 A 2439/06 -, BRS 71 Nr. 92.
65
2. Der Bereich der F2.----straße zwischen den Einmündungen I1. Straße und N1.
Straße, der auch noch die unmittelbar nördlich der I1. Straße gelegenen Geschäfte
umfasst, ist ein von § 34 Abs. 3 BauGB geschützter zentraler Versorgungsbereich.
66
Hierunter sind räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde zu verstehen, denen auf
Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch Dienstleistungen
und gastronomische Angebote - eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren
Nahbereich hinaus zukommt.
67
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2007 - 4 C 7.07 -, BVerwGE 129, S. 307; OVG
NRW, Urteile vom 11. Dezember 2006 - 7 A 964/05 -, BRS 70 Nr. 90, vom 13. Juni 2007
- 10 A 2439/06 -, BRS 71 Nr. 92 und vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07 -.
68
Ein "Versorgungsbereich" bietet Nutzungen, die für die Versorgung der Einwohner der
Gemeinde - gegebenenfalls auch nur eines Teils des Gemeindegebiets - insbesondere
mit Waren aller Art von Bedeutung sind. "Zentral" sind Versorgungsbereiche, wenn die
Gesamtheit der auf die Versorgung der Bevölkerung ausgerichteten baulichen
Nutzungen in diesem Bereich auf Grund der verkehrsmäßigen Erschließung und
verkehrlichen Anbindung die Funktion eines Zentrums mit einem bestimmten
Einzugsbereich hat. Diese Funktion besteht darin, die Versorgung des
Gemeindegebiets oder eines Teilbereichs mit einem auf den Einzugsbereich
abgestimmten Spektrum an Waren des kurz-, mittel- oder langfristigen Bedarfs
funktionsgerecht sicherzustellen. Zentrale Versorgungsbereiche können sowohl einen
umfassenden als auch einen hinsichtlich des Warenangebots oder des örtlichen
Einzugsbereichs eingeschränkten Versorgungsbedarf abdecken.
69
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 17. Oktober 2007 - 10 A 3914/04 -, BRS 71 Nr. 90, vom 13.
Juni 2007 - 10 A 2439/06 -, BRS 71 Nr. 92 und vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07 -.
70
Zu den zentralen Versorgungsbereichen können Zentren verschiedener Stufen, neben
Haupt- und Nebenzentren auch Bereiche für die Grund- und Nahversorgung zählen.
71
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2008 - 7 A 1392/07 - unter Bezugnahme auf die
amtliche Begründung zum Gesetz.
72
Wie der zentrale Versorgungsbereich räumlich abzugrenzen ist, beurteilt sich jedenfalls
dann nach den konkreten örtlichen Verhältnissen, wenn eine verbindliche planerische
Absicherung fehlt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers können sie sich nicht nur
aus planerischen Festschreibungen, sondern auch aus eindeutigen tatsächlichen
Verhältnissen ergeben. Im Einzelfall auftretende Schwierigkeiten, zentrale
Versorgungsbereiche an ihren Rändern gleichsam parzellenscharf abzugrenzen,
rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dem Erfordernis der hinreichenden
Bestimmtheit von Normen werde § 34 Abs. 3 BauGB nur gerecht, wenn sein
Anwendungsbereich auf die Fälle reduziert werde, in denen zentrale
Versorgungsbereiche planerisch festgesetzt sind. Ob und in welchen räumlichen
73
Grenzen eine Ansammlung von Einzelhandelsbetrieben einen zentralen
Versorgungsbereich darstellt, lässt sich anhand objektiver Kriterien regelmäßig so
eindeutig bestimmen, das eine dem Normzweck entsprechende Anwendung des § 34
Abs. 3 BauGB möglich ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2007 - 4 C 7.07 -; BVerwGE 129, S. 307;
Beschluss vom 12. Februar 2009 - 4 B 5.09 -, BauR 2009, S. 946; OVG NRW, Urteile
vom 17. Oktober 2007 - 10 A 3914/04 -, BRS 71 Nr. 90, vom 11. Dezember 2006 - 7 A
964/05 -, BRS 70 Nr. 90 und vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07 -.
74
Planerischen Instrumenten wie etwa einem Einzelhandelskonzept kommt bei der
Bestimmung eines tatsächlich vorhandenen zentralen Versorgungsbereichs wegen der
Auswirkungen auf die Grundstücksnutzung allenfalls eine Indizfunktion zu.
75
BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 2009 - 4 B 5.09 - BauR 2009, S. 946; OVG NRW,
Urteile vom 6. November 2008 - 10 A 1512/07 - BauR 2009, S. 216, vom 11. Dezem-ber
2006 - 7 A 964/05 - BRS 70 Nr. 90 und vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07 -.
76
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Bereich auf beiden Seiten der F2.----
straße in H. -S. ein zentraler Versorgungsbereich in der Form eines Nebenzentrums.
77
Er umfasst in etwa den Kreuzungsbereich der F2.----straße mit der I1. Straße, die
Bebauung auf beiden Seiten der F2.----straße in südöstlicher Richtung bis zum Rewe-
Einzelhandelsmarkt kurz nach der Einmündung der Kreuzstraße. Nach dem vom
Berichterstatter im Ortstermin gewonnenen und der Kammer vermittelten Eindruck
gehört der Rewe-Markt noch zu dem genannten Nebenzentrum, er schließt sich trotz der
zwischen ihm und den nächsten gewerblichen Nutzungen gelegenen Wohnbebauung
von geringem Umfang noch in einer solchen Art und Weise an die gewerblich geprägte
Struktur der F2.---- straße an, dass er mit der Bebauungsstruktur des Zentrums
verbunden ist und diesem zugehörig erscheint. Der Vorhabensstandort der Klägerin
befindet sich davon in etwa 500 Metern Entfernung und ist jedenfalls nicht mehr Teil
dieses zentralen Versorgungsbereichs. Das folgt schon daraus, dass sich südöstlich
des Rewemarktes entlang der F2.----straße keinerlei weitere gewerbliche Nutzungen
befinden, die durch ihre verbindende Wirkung eine Einbeziehung des
Vorhabensgrundstücks in den Versorgungsbereich rechtfertigten. Die in dem so
umrissenen Bereich vorhandenen Nutzungen weisen das für einen zentralen
Versorgungsbereich erforderliche Gewicht auf. Der Beklagte hat eine zutreffende
Bestandsaufnahme der vorhandenen Nutzungen vorgelegt, von deren Existenz sich der
Berichterstatter der Kammer und die Beteiligten im Ortstermin vom 18. Februar 2009
überzeugen konnten. Vorhanden sind ein Rewe- Einzelhandelsmarkt (700 qm
Verkaufsfläche zuzüglich 200 qm für den Getränkemarkt) als Vollsortimenter sowie die
Lebensmitteldiscounterbetriebe Aldi (350 qm Verkaufsfläche), Plus (550 qm
Verkaufsfläche) und Penny (600 qm Verkaufsfläche). Hinzu kommen ein Schlecker-
Drogeriemarkt und das Spiel-, Sport- und Hobbywarengeschäft Deko C. . Diese
größeren Geschäfte werden ergänzt durch zahlreiche andere gewerbliche Nutzungen
wie Sparkassen- und Volksbankfillialen, Friseurgeschäfte, Gaststätten,
Zeitschriftenläden, eine Apotheke u.a. Diese Mischung von Einzelhandelsgeschäften
deckt ein breites Spektrum von Waren des kurzfristigen, zum Teil aber auch des
mittelfristigen Bedarfs ab. Dabei ergänzen sich die verschiedenen Betriebe in ihrem
Angebot und bieten so dem Kunden in dichter räumlicher Nähe die Möglichkeit, bei
einem einheitlichen Einkaufsvorgang verschiedene Bedarfsaspekte der Nahversorgung
78
zu decken. Daneben werden die für eine umfassende Nahversorgung erforderlichen
Dienstleistungen in diesem Bereich räumlich konzentriert angeboten.
Das Zentrum ist auch in einem städtebaulich gewichtigen Einzugsbereich integriert. Der
Ortsteil S. erstreckt sich über eine Fläche von etwa 1.500 x 1.500 Metern und wird nicht
ganz mittig von der F2.----straße von nordwestlicher in südöstliche Richtung durchquert.
In diesem recht homogen bebauten Ortsteil wohnten zum Stichtag 31. Dezember 2004
mehr als 12.000 Einwohner.
79
Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes der Stadt H. für den Stadtteil H. -I. der
CIMA Stadtmarketing GmbH Köln vom Januar 2006, S. 6.
80
Im fußläufig erreichbaren Umkreis des Versorgungszentrums F2.----straße , den man in
einem Radius von bis zu 700 Metern ansetzen kann,
81
vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2008 - 7 A 1392/07 -,
82
lebt daher ein erheblicher Teil der Bewohner des Ortsteils S. . Von hier aus ist das
Zentrum auch für nicht motorisierte Kunden problemlos zu erreichen. Die gewachsene
Struktur zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass der kleinteilige Einzelhandel und die
Dienstleistungen durchweg im Erdgeschoss stattfinden, während die oberen Geschosse
zu Wohnzwecken genutzt werden. Die Qualifizierung als zentraler Versorgungsbereich
wird schließlich dadurch gestützt, dass die CIMA Stadtmarketing GmbH Köln diesen
Bereich in ihrem Einzelhandelskonzept als Nebenzentrum (sogenanntes C-Zentrum -
Stadtteillage mit teilweise noch überörtlicher Versorgungsfunktion) dargestellt hat.
83
Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes für die Stadt H. der CIMA GmbH Köln vom
August 2008 - Festlegung zentraler Versorgungsbereiche - Band A: Textteil -, S. 8, 12
sowie - Band B: Abgrenzungen und Zentrensteckbriefe -, S. 14- 15.
84
Dies bestätigt, dass es die ihm tatsächlich zukommende - teilweise sogar überörtliche -
Versorgungsfunktion auch nach den städtebaulichen Ordnungsvorstellungen der sich
auf das Gutachten stützenden Stadt H. erfüllen soll. Schließlich spricht auch die
erhebliche Verkaufsfläche von insgesamt 4.700 qm und die Anzahl von 41
gewerblichen Nutzungen für die Einordnung eines zentralen Versorgungsbereiches mit
teilweise überörtlicher Versorgungsfunktion.
85
Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes für die Stadt H. der CIMA GmbH Köln vom
August 2008 - Festlegung zentraler Versorgungsbereiche - Band B: Abgrenzungen und
Zentrensteckbriefe -, S. 14- 15.
86
Diese Einschätzung ist auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
87
3. Von dem Vorhaben der Klägerin sind bei seiner Verwirklichung schädliche
Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB auf das Nebenzentrum F2.---- straße in
H. -S. zu erwarten.
88
Bei dem Begriff der schädlichen Auswirkungen handelt es sich um einen unbestimmten
Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt.
89
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 13. Juni 2007 - 10 A 2439/06 -, BRS 71 Nr. 92 und vom 1.
90
Juli 2009 - 10 A 2350/07 -.
Ein Vorhaben lässt schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche
erwarten, wenn es deren Funktionsfähigkeit so nachhaltig stört, dass sie ihren
Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr
substanziell wahrnehmen können.
91
BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2007 - 4 C 7.07 -, BVerwGE 129, S. 307; OVG NRW,
Urteile vom 6. November 2008 - 10 A 1417/07 -, BauR 2009, S. 220, vom 19. Juni 2008 -
7 A 1392/07 -, vom 13. Juni 2007 - 10 A 2439/06 -, BRS 71 Nr. 92 und vom 11.
Dezember 2006 - 7 A 964/05 -, BRS 70 Nr. 90.
92
Dem Gesetzgeber kam es mit der Einführung des Absatzes 3 in § 34 BauGB
maßgeblich darauf an, bei Zulassungsentscheidungen nach § 34 BauGB über die
nähere Umgebung hinausgehende Fernwirkungen berücksichtigen und steuern zu
können. Um Schutz vor Konkurrenz geht es dabei nicht. Das Gericht hat bei der
Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB zur Feststellung der schädlichen Auswirkungen
des Vorhabens eine Prognoseentscheidung zu treffen. Diese hat die ökonomischen
Zusammenhänge zu ermitteln und im Hinblick auf ihre städtebauliche Relevanz zu
bewerten. Dabei kann insbesondere der zu erwartende Kaufkraftabfluss als Kriterium
dafür herangezogen werden, ob die ökonomischen Fernwirkungen des Vorhabens die
Funktionsfähigkeit eines zentralen Versorgungsbereiches stören können. Zur Ermittlung
der voraussichtlichen Umsatzumverteilung ist dabei im Wesentlichen auf baurechtlich
relevante und vom Baurecht erfasste Vorhabensmerkmale abzustellen, die durch die für
das Vorhaben zu erteilende Baugenehmigung gesteuert werden können. Hierzu gehört
bei Einzelhandelsnutzungen insbesondere die Verkaufsfläche.
93
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2007 - 4 C 7.07 -, BVerwGE 129, S. 307; OVG
NRW, Urteile vom 13. Juni 2007 - 10 A 2439/06 -, BRS 71 Nr. 92 und vom 11. Dezem-
ber 2006 - 7 A 964/05 -, BRS 70 Nr. 90.
94
Bei der Beurteilung der Frage, ob schädliche Auswirkungen zu erwarten sind, sind also
alle städtebaulichen Umstände des jeweiligen Einzelfalles in den Blick zu nehmen,
insbesondere die Größe des Vorhabens, d. h. seine Verkaufsfläche und deren
Verhältnis zu der im Versorgungsbereich vorhandenen Verkaufsfläche derselben
Branche, anhand derer die zu erwartenden Kaufkraftabflüsse bestimmt werden können.
Weiter spielen die räumliche Entfernung voneinander sowie alle weiteren im Einzelfall
relevanten Umstände der konkreten städtebaulichen Situation eine Rolle. Von
Bedeutung sein kann etwa, ob der außerhalb des zentralen Versorgungsbereiches
anzusiedelnde Einzelhandelsbetrieb gerade auf solche Sortimente abzielt, die in dem
Versorgungsbereich von einem "Magnetbetrieb" angeboten werden, dessen
unbeeinträchtigter Bestand maßgebliche Bedeutung für die weitere Funktionsfähigkeit
des zentralen Versorgungsbereiches hat. Zu berücksichtigen ist auch, ob in der
unmittelbaren Umgebung des Vorhabens bereits weitere Einzelhandelsangebote
vorhanden sind, deren Auswirkungen auf den Versorgungsbereich durch das zu
prüfende Vorhaben gesteigert werden könnten. Denn eine Schädigung kann sich auch
daraus ergeben, dass ein gerade noch unbedenkliches Nebeneinander von
Einzelhandelsangeboten an einem nicht integrierten Standort und in einem
Versorgungsbereich durch das neu hinzukommende Vorhaben in eine unzulässige
beachtliche Schädigung der Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereiches umschlägt.
Eine solche Prüfung drängt sich insbesondere dann auf, wenn durch das neu
95
hinzukommende Vorhaben an dem nicht integrierten Standort insgesamt die Grenze zur
Großflächigkeit überschritten wird.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Februar 2009 - 4 B 3.09 -, BauR 2009, S. 944 und
vom 18. Februar 2009 - 4 B 4.09 -; OVG NRW, Urteile vom 17. Oktober 2007 - 10 A
3914/04 -, BRS 71 Nr. 90, vom 19. Juni 2008 - 7 A 1392/07 -; BauR 2008, S. 2025 vom
6. November 2008 - 10 A 1417/07 -, BauR 2009, S. 220 und vom 1. Juli 2009 - 10 A
2350/07 -.
96
In Anwendung dieser Maßstäbe sind bei der Verwirklichung des Vorhabens der
Klägerin beachtliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Nebenzentrums
F2.----straße bei der gebotenen umfassenden Wertung der städtebaulich relevanten
Umstände zu erwarten. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der hier vom Schutz des
§ 34 Abs. 3 BauGB umfasste zentrale Versorgungsbereich weniger störempfindlich ist,
als die Nahversorgungszentren, die den Fallkonstellationen der in der mündlichen
Verhandlung vom 25. August 2009 erörterten Entscheidungen des OVG NRW vom 19.
Juni 2008 - 7 A 1392/07 - und vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07 - zugrunde lagen. Von
einer Schädigung des Nebenzentrums ist bei der hier vorzunehmenden prognostischen
Betrachtungsweise dennoch auszugehen.
97
Die Funktionsfähigkeit des vorliegenden Nebenzentrums mit allerdings nur teilweise
überörtlicher Versorgungsfunktion wird wesentlich geprägt durch sechs bereits
benannte Betriebe, nämlich einen Rewe-Einzelhandelsmarkt (700 qm Verkaufsfläche
zuzüglich 200 qm für den Getränkemarkt) als Vollsortimenter sowie die
Lebensmitteldiscounterbetriebe Aldi (350 qm Verkaufsfläche), Plus (550 qm
Verkaufsfläche) und Penny (600 qm Verkaufsfläche). Hinzu kommen ein Schlecker-
Drogeriemarkt und das Spiel-, Sport- und Hobbywarengeschäft Deko C.
98
Diese gehören zu den Magnetbetrieben des Nebenzentrums F2.----straße , das um den
eigentlichen Ortskern des Ortsteil S. , nämlich den Kreuzungsbereich I1. Straße/ F2.----
straße , angeordnet ist und stellen die Frequenzbringer auch für die sonstigen
gewerblichen Einzelhandelsnutzungen im Bereich der F2.----straße dar.
99
Vgl. Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes der Stadt H. für den Stadtteil H. -I. der
CIMA Stadtmarketing GmbH Köln vom Januar 2006, S. 6.
100
Gerade auf die Kundschaft der Lebensmittelmärkte - mit Einschränkungen aber auch auf
die des Schlecker-Drogeriemarktes - zielt das Vorhaben der Klägerin ab. Dabei liegt das
Wettbewerbsverhältnis des von der Klägerin geplanten Lebensmitteldiscounters mit den
bereits bestehenden Discountern an der F2.----straße - auch aufgrund der bestehenden
Entfernungsverhältnisse - auf der Hand. Aber auch zu dem bestehenden Rewe-Markt
als Vollsortimenter würde das Vorhaben der Klägerin in Konkurrenz treten, da die
mittlerweile in weiten Bereichen durchaus hochwertige Angebotspalette der Discounter
eine weithin akzeptierte Alternative zu den höherwertigen Produkten der Vollsortimenter
darstellt.
101
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07 -.
102
Dabei ist beachtlich, dass das Vorhaben der Klägerin mit einer geplanten
Verkaufsfläche von 677 qm ein durchgängig attraktiveres Warenangebot als die zum
Teil deutlich kleineren bereits betriebenen Discounter an der F2.----straße anbieten
103
könnte. Hinzu kommt, dass das Vorhaben eine erhebliche Anzahl von Stellplätzen
anbieten könnte, um der motorisierten Kundschaft auch größere Einkäufe zu
ermöglichen, die zu Fuß nicht ohne Weiteres erledigt werden können. Gegenüber der im
Nebenzentrum F2.----straße vorhandenen Verkaufsfläche für den
Lebensmitteleinzelhandel von ca. 2.400 qm macht die hinzukommende Verkaufsfläche
des klägerischen Vorhabens 677 qm aus, wobei die gemeinsam mit dem benachbarten
Lidl-Einzelhandelsmarkt in Ansatz zu bringende Fläche mehr als 1.300 qm betragen
würde. Selbst wenn man, wie die Klägerin fordert, die Verkaufsfläche des Schlecker-
Drogeriemarktes den an der F2.----straße vorhandenen Verkaufsflächen derselben
Branche wie der des Vorhabens der Klägerin hinzurechnet, ergibt sich ein
Verkaufsflächenwert von 2.800 qm. Demgegenüber erreicht die dann insgesamt zu
betrachtende Verkaufsfläche am nicht integrierten Standort des Vorhabens der Klägerin
mit über 1.300 qm immer noch annähernd 50 % und entspricht damit einer erheblichen
Größe entspricht.
Dabei hat der Beklagte zu Recht die Größe der Verkaufsfläche des bereits betriebenen
benachbarten Lidl-Marktes in seine Prognose über erwartbare schädliche
Auswirkungen einbezogen.
104
Vgl. Urteile des OVG NRW vom 19. Juni 2008 - 7 A 1392/07 - und vom 1. Juli 2009 - 10
A 2350/07 -.
105
Denn beide Einzelhandelsmärkte gemeinsam würden sich - beispielsweise durch
Angebote und Sonderaktionen - trotz der gleichen Ausrichtung als
Lebensmitteldiscounter ergänzen und zu einer erheblichen Attraktivitätssteigerung des
Einkaufsortes führen. Ein "Käuferzug" in den nicht integrierten Standort würde durch die
Zulassung des Vorhabens verstärkt und teilweise neu ausgelöst. Ein bereits
eingetretener Abzug von Kaufkraft hin zum bestehende Lidl-Markt wird auch durch das
Gutachten der CIMA Stadtmarketing GmbH Köln vom Januar 2006 belegt, in dem es
heißt: „Dagegen erweiterte der Lebensmitteldiscounter LIDL seine Verkaufsfläche durch
Neubau im etablierten Standortbereich außerhalb des Haupteinkaufsbereichs. Im
Ortskern konnten darüber hinaus wenige Neueröffnungen von Einzelhandelsbetrieben
die Verluste nicht wettmachen."
106
Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes der Stadt H. für den Stadtteil H. -I. der
CIMA Stadtmarketing GmbH Köln vom Januar 2006, S. 7.
107
Angesichts dessen können negative Auswirkungen auf das Nebenzentrum nicht allein
deshalb ausgeschlossen werden, weil dieses trotz des seit einigen Jahren bestehenden
Betriebes des Lidl-Einzelhandelsmarktes keine substanziellen Schäden davongetragen
hat. Gewisse Schädigungen in Form von Umsatzverlusten sind jedenfalls nach den
beschriebenen Darlegungen des Gutachtens der CIMA GmbH eingetreten, mögen diese
für sich genommen auch nicht den für die Annahme von § 34 Abs. 3 BauGB
erforderlichen Schweregrad erreicht haben. Wie das OVG NRW ausführt, gibt es keinen
Erfahrungssatz, wonach ein Zentrum, das einen Discounter an einem nicht integrierten
Standort verkraftet, auch durch einen zweiten nicht geschädigt wird.
108
Vgl. Urteil des OVG NRW vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07-
109
Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass durch Einzelhandelsbetriebe
außerhalb des Nebenzentrums eine maßgebliche Vorschädigung besteht.
110
Im vorliegenden Fall dürfte bei der vorgefundenen städtebaulichen Situation der
unmittelbare Einzugsbereich des geplanten Lebensmitteleinzelhandelsbetriebes im
Wesentlichen allein auf den Stadtteil H. -S. zielen, dessen Nahversorgung mit
Lebensmitteln derzeit nahezu ausschließlich durch die dort befindlichen Geschäfte
sichergestellt wird.
111
Der Ortsteil S. weist für die Warengruppe Lebensmittel/ Reformwaren eine sogenannte
Handelszentralität (Relation von Einzelhandelsumsatz zu Nachfragevolumen) von 109
% auf, was darauf hindeutet, dass der Umsatz das eigent-liche Nachfragevolumen sogar
überschreitet, mithin (hier: geringe) Kaufkraftzuflüsse stattfinden. Vgl. Fortschreibung
des Einzelhandelskonzeptes für die Stadt H. der CIMA GmbH Köln vom August 2008 -
Festlegung zentraler Versorgungsbereiche - Band C: Datenreport 2008 und Exkurs
Analyse der Nahversorgungssituation in H. , S. 10, 26.
112
Der Ortsteil S. mit seinen etwa 12.000 Einwohnern dürfte dabei auch ohne Weiteres das
Potential bieten, das von der Klägerin projektierte Vorhaben wirtschaftlich zu tragen.
Dass darüber hinaus das Vorhaben gerade auch maßgeblich auf die Anziehung
weiterer Kunden zielt, die sich bisher nicht im Nebenzentrum S. versorgt haben, ist
unwahrscheinlich. Weder liegt das Vorhaben an einer großen Verkehrsdurchgangsader
(sondern eher versteckt an einer Nebenstraße der F2.----straße ), so dass es (auch) auf
den Kreis nicht Ortsansässiger und ggf. Ortsunkundiger maßgeblich abzielen könnte,
noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass in entscheidender Weise Käufer aus
anderen, benachbarten oder auch weiter entfernteren Ortsteilen angezogen würden,
was dann nicht automatisch zu einem Kaufkraftabzug im Nebenzentrum F2.----straße
führen würde.
113
Aus den genannten Zahlen zur Handelszentralität von Lebensmitteln für den Ortsteil S.
ergibt sich auch, dass der Versorgungsgrad mit Lebensmitteln für den Ortsteil H. -S.
bereits sehr hoch ist, mit anderen Worten bereits im heutigen Zeitpunkt eine nicht
unerhebliche Konkurrenzsituation besteht, die sich für den Fall des Hinzukommens
weiterer Verkaufsflächen zu einer Verdrängungssituation entwickeln dürfte. Diese
Situation wird weiter dadurch verschärft, dass die im Nebenzentrum bereits
bestehenden Lebensmitteldiscounter mit ihren relativ geringen Verkaufsflächen
jedenfalls zum Teil aktuellen Marktanforderungen nicht mehr gerecht werden und sich
damit ohnehin in einer Situation wirtschaftlicher Schwäche befinden.
114
Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 14. Juli 2009 - 7 A 1275/08 - zu einem
sanierungsrechtlichen Fall nach § 136 BauGB.
115
Die Risiken dieser Standortsituation werden auch durch die im CIMA- Gutachten
genannten Fakten bestätigt.
116
Dabei ist im Blick zu halten, dass § 34 Abs. 3 BauGB nicht den Schutz bestehender
Betriebe vor Konkurrenz, sondern den Schutz funktionierender Zentren bezweckt. Eben
hier dürfte sich aber im vorliegenden Fall ein beginnender Verdrängungswettbewerb
auswirken, wenn die Kunden zumindest teilweise die Versorgung mit Gütern des
täglichen Bedarfs im neu entstehenden Ansiedlungsbereich von zwei Discountern und
nicht mehr im zentralen Versorgungsbereich decken würden.
117
Es liegen damit konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Ansiedlung des strittigen
118
Vorhabens, das gemeinsam mit dem vorhandenen Lidl-Markt sogar die Grenze zur
Großflächigkeit (§ 11 Abs. 3 BauNVO) überschreitet, am gewünschten Standort die
weitere Existenz der im Nebenzentrum vorhandenen Frequenzbringer - zumindest in
ihrer Kombination aus Vollsortimenter und Discounter - deutlich gefährdet ist.
Diese ausreichenden Anhaltspunkte für eine deutliche Gefährdung der Zentrumsstruktur
lassen sich nicht in einer Weise verdichten, dass unmittelbar oder zeitnah nach
Eröffnung des von der Klägerin geplanten Einzelhandelsmarktes eine Schließung eines
oder aller Lebensmittelmärkte des Nebenzentrums zu befürchten wäre. Es liegt aufgrund
der prognostizierten Kaufkraftabflüsse aus dem Nebenzentrum aber nahe, dass es
mittelfristig zu einem „Rutschbahneffekt" kommt, indem ein oder mehrere
Einzelhandelslebensmittelmärkte schließen müssen. Angesichts der Massivität einer
dann bestehenden Lebensmitteldiscounteransiedlung an der F.--------straße mit einer
Verkaufsfläche von über 1.300 qm und der bereits bestehenden hohen
Handelszentralität von Lebensmitteln im Ortsteil S. wäre auch nicht mit einer
Lückenschließung durch Wettbewerber im Nebenzentrum an der F2.----straße zu
rechnen.
119
Vgl. zu diesem Aspekt Urteil des OVG NRW vom 19. Juni 2008 - 7 A 1392/07 -.
120
Das Wegbrechen von Magnetbetrieben würde auch die übrigen
Einzelhandelsnutzungen in der F2.----straße in ihrer Attraktivität erheblich schwächen.
Gleiches gilt für das als Magnetbetrieb anzusehende Einzelhandelsgeschäft Deko C.
und - mit Einschränkungen - für den teilweise mit denselben Sortimenten wie
Lebensmitteldiscounter arbeitenden Schlecker-Drogerie-Markt. Auch sie würden bei
Wegbrechen der benachbarten Lebensmittelmärkte erheblich an Attraktivität verlieren
und möglicherweise von einem einsetzenden „Rutschbahneffekt" erfasst. Angesichts
dieser Umstände liegt nach Auffassung der Kammer eine durchaus substantielle
Schädigung im Sinne einer Funktionsstörung vor.
121
Zur Bewertung der hier vorliegenden ökonomischen Zusammenhänge nach
städtebaulichen Kriterien, deren Auswahl den Fachgerichten obliegt, war die Kammer
im vorliegenden Fall aufgrund eigener Sachkunde in der Lage, wobei es den zu
erwartenden Kaufkraftabzug aus dem Nebenzentrum S. unter anderem auch anhand der
Gegenüberstellung der maßgeblichen Verkaufsflächengrößen bewerten konnte. Unter
Zuhilfenahme der im Wesentlichen in den Entscheidungen des OVG NRW vom 19. Juni
2008 - 7 A 1392/07 - und vom 1. Juli 2009 - 10 A 2350/07 - genannten weiteren
städtebaulichen Kriterien ergab sich im vorliegenden Fall für die Kammer ein Bild, das
die eigene Einschätzung des Vorliegens einer Gefährdung im Sinne von § 34 Abs. 3
BauGB ermöglichte. Hinzu kommt, dass eine weitere Einschätzung der städtebaulichen
Situation unter Gesichtspunkten der Versorgung mit Einzelhandel durch die
Begutachtung der CIMA GmbH im Auftrag des Beklagten vorliegt, aus der sich
zahlreiche Fakten und Schlüsse für die vom Gericht eigenständig vorzunehmende
Bewertung fruchtbar machen lassen. Dem hilfsweise gestellten Beweisantrag der
Klägerin musste danach - unbeschadet der Frage, ob er ausschließlich auf die allein
zulässige Ermittlung von Tatsachen gerichtet ist - nicht entsprochen werden.
122
Vgl. zur Frage der Bewertung der Schädlichkeit auch Schlarmann/ Hamann,
Marktgutachten - Ein geeignetes Instrument zur Prognose der Auswirkung von
Einzelhan-delsvorhaben im Rahmen von § 34 III BauGB?, in NVwZ 2008, S. 384 - 387
(386f.).
123
Nach den vorstehenden Ausführungen bleiben auch die beiden Hilfsanträge wegen
Verstoßes gegen § 34 Abs. 3 BauGB ohne Erfolg.
124
Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die beiden in der Sache gestellten
Hilfsanträge der Klägerin allerdings zulässig. Sie stellen keine Klageänderung
gegenüber dem ursprünglichen Begehren der Klägerin dar, sondern sind ebenso wie
der Hauptantrag sachdienlich (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) und ergeben sich
gleichermaßen durch die Auslegung der im Verwaltungsverfahren aufgeworfenen
Fragestellungen.
125
Hilfsweise wird zunächst die Frage nach der Zulässigkeit eines Lebensmittelmarktes mit
einer Nettoverkaufsfläche von 677 m² und 278 m² Nebenflächen unter Berücksichtigung
der beantragten Zahl von 92 Stellplätzen und weiter hilfsweise lediglich unter
Berücksichtigung der notwendigen Stellplätze gestellt. Der Hilfsantrag (mit der weiter
hilfsweise gestellten Modifizierung) nimmt die Frage zu 1. aus dem Antrag auf Erteilung
des Bauvorbescheides auf und betrifft im Wesentlich nur die Fragestellung, ob die
Nutzung des Grundstücks seiner Art nach mit einem Lebensmittelmarkt (in der
angegebenen Größe) bauplanungsrechtlich zulässig ist. Dabei ist die Fragestellung zu
1. aus dem Antrag auf Erteilung des Bauvorbescheides nicht auf das konkrete
Bauvorhaben bezogen, sondern betrifft allgemein die Bebaubarkeit des hier in Frage
stehenden Grundstücks mit einem Lebensmittelmarkt. Der weiter hilfsweise gestellte
Antrag, einen Bauvorbescheid mit nur der Anzahl der notwendigen Stellplätze zu
erteilen, ist bereits Bestandteil des Antrags auf Erteilung eines Bauvorbescheides beim
Beklagten, in dem die allgemeine Frage der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines
Lebensmittelmarktes nur der Art nach gestellt wird und dabei die Frage notwendiger
Stellplätze nicht ausgeklammert werden kann. Bei dieser (allgemeinen) Fragestellung
kommt es der Klägerin nicht auf die Stellplatzanordnung an - womit sich die Frage nach
einem baurechtlichen aliud nicht stellt - sondern darauf, ob sich die Anlage notwendiger
Stellplätze überhaupt verwirklichen lässt. Bei den weiteren Ausführungen des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16.
September 2008 (zur Ausklammerung der Frage der Erschließung sowie zu den im
Widerspruchsverfahren vorgelegten Planunterlagen) handelt es sich um bloße
Klarstellungen und Präzisierungen zu den Unterlagen des Bauvorbescheidsantrags, die
nicht zu einer Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO führen. Selbst wenn man die
Konkretisierungen der Klägerin als Klageänderung anzusehen würde, wäre eine solche
im Sinne von § 91 VwGO sachdienlich und damit zulässig.
126
Vgl. dazu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - VGH B.W. -, Urteil vom 13. Mai
2002 - 3 S 2259/01 -, BauR 2003, S. 1860 - 1862.
127
Die oben gemachten Ausführungen zu den zu erwartenden schädlichen Auswirkungen
auf zentrale Versorgungsbereiche nach § 34 Abs. 3 BauGB gelten indessen auch für
das Vorhaben in den Formen, in denen es - mit denselben Warensortimenten und
unveränderter Verkaufsfläche - in den beiden Hilfsanträgen zur gerichtlichen
Überprüfung gestellt wird.
128
Die Klage war demnach abzuweisen.
129
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
130
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§
708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
131
132