Urteil des VG Gelsenkirchen vom 14.02.2001
VG Gelsenkirchen: eltern, pflege, besoldung, versorgung, ausbildung, vollstreckung, säugling, obhut, veröffentlichung, altersgrenze
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 K 139/99
Datum:
14.02.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 139/99
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen. Die
Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin steht als Lehrerin für Sonderpädagogik im Dienst des beklagten Landes.
Am 21. Dezember 1996 haben die Klägerin und ihr Ehemann das am 17. September
1995 geborene Kind B. in Adoptionspflege genommen. Die Klägerin befand sich ab
dem 7. Januar 1997 in Erziehungsurlaub.
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Unter dem 13. November 1998 beantragte die Klägerin die Zahlung der
Sonderzuwendung für das Jahr 1997. Sie führte aus: Der Wortlaut des § 6 Abs. 2 des
Gesetzes über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung in der Fassung des
Artikel 4 des Bundesbesoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetzes 1996/1997
vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 590) - SZG -, nach dem auch die Zeit des
Erziehungsurlaubs bei der Berechnung der jährlichen Sonderzuwendung
berücksichtigungsfähig sei, wenn das Kind, für dessen Erziehung der Urlaub
genommen werde, noch nicht den 12. Lebensmonat vollendet habe, führe zu dem
widersinnigen Ergebnis, dass Adoptiv(pflege)eltern nicht in den Genuss der
Sonderzuwendung im ersten Jahr des Erziehungsurlaubs kämen, weil im Regelfall
diese Kinder ein gewisses Alter erreicht hätten. Nach den Regelungen des
Bundeserziehungsgeldgesetzes und der Erziehungsurlaubsverordnung Nordrhein-
Westfalen könne man sich insgesamt bis zu 3 Jahre um ein Kind unabhängig davon
kümmern, ob es sich um ein leibliches Kind, ein angenommenes Kind oder ein Kind in
Adoptivpflege handele. Im Rahmen der Gewährung der Sonderzuwendung könne daher
nicht wieder eine Trennung herbeigeführt werden.
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Das Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen - Landesamt -
lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. November 1998 ab und verwies zur
Begründung auf den Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 5 SZG.
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Die Klägerin legte am 30. November 1998 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid
vom 11. Dezember 1998 gab das Landesamt dem Widerspruch in Höhe eines Betrages
von 452,31 DM statt, weil die Klägerin sich erst ab dem 7. Januar 1997 im
Erziehungsurlaub befunden habe und ihr deshalb 1/12 der Sonderzuwendung für das
Jahr 1997 zustehe. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
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Die Klägerin hat am 11. Januar 1999 Klage erhoben und ergänzend ausgeführt:
Scheinbar habe der Gesetzgeber angenommene Kinder und Kinder in Adoptivpflege bei
der Regelung der Sonderzuwendung vergessen. Der auch im Übrigen ungenaue
Wortlaut des § 6 Abs. 2 SZG: „Dienst- und (statt: oder) Arbeitsverhältnis" belege, dass
sich auch in Bezug auf die hier streitige Regelung ein Fehler eingeschlichen habe. Falls
dieser Fehler nicht unter Heranziehung des Rechtsgedankens der Regelungen des
Bundeserziehungsgeldgesetzes korrigiert werden könne, liege eine verfassungswidrige
Ungleichbehandlung vor.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Besoldung und
Versorgung Nordrhein- Westfalen vom 23. November 1998 und Änderung des
Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 zu verpflichten, ihr für das Jahr 1997
eine Sonderzuwendung in voller Höhe zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er führt unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid aus: Der Gesetzgeber habe
zu erkennen gegeben, dass er in den ersten zwölf Lebensmonaten eines Kindes die
Anwesenheit der Mutter bei der Betreuung des Kindes als besonders förderlich für
dessen persönliche Entwicklung betrachte, und deshalb die durch die Erziehung
bedingte Abwesenheit vom Dienst im ersten Lebensjahr des Kindes für die Gewährung
einer jährlichen Sonderzuwendung als unschädlich angesehen. Es werde nicht
zwischen leiblichen und angenommenen Kindern differenziert, sondern ausschließlich
auf das Kind und sein Lebensalter abgestellt. Das Besoldungs- und Versorgungsrecht
sei einer erweiternden Auslegung, insbesondere durch Analogie und Lückenausfüllung,
nicht zugänglich. Im Übrigen stelle § 6 Abs. 2 Satz 5 SZG eine Ausnahmeregelung von
dem allgemeinen Grundsatz des § 6 Abs. 2 Satz 1 SZG dar, wonach sich der
Grundbetrag der Sonderzuwendung für die Zeiten mindere, für die dem Beamten keine
Bezüge zustünden. Schließlich lasse sich in § 6 Abs. 2 SZG kein redaktionelles
Versehen finden. Aus einem Versehen des Gesetzgebers könne auch nicht auf andere
Mängel in der gleichen Bestimmung geschlossen werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten und den Verwaltungsvorgang des Beklagten (1 Heft) verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Bescheid des Landesamtes vom 23. November 1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 ist rechtmäßig und verletzt die
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Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine ungekürzte Sonderzuwendung für das Jahr
1997.
Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 SZG vermindert sich die jährliche
Sonderzuwendung um Zeiten, in denen der Berechtigte nicht aufgrund einer
hauptberuflichen Tätigkeit oder einer Ausbildung im Dienst eines öffentlich- rechtlichen
Dienstherrn Bezüge erhalten hat. Die Minderung beträgt gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 SZG
für jeden vollen Monat 1/12. Der Erziehungsurlaub wird nach § 6 Abs. 2 Satz 5 SZG
während der ersten 12 Lebensmonate des Kindes der Zahlung von Dienstbezügen
gleichgestellt. Das Kind Arne ist am 17. September 1995 geboren. Somit mindert sich
die Sonderzuwendung für das Jahr 1997 wegen des Erziehungsurlaubs der Klägerin ab
dem 7. Januar 1997 um 11/12.
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Als Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Sonderzuwendung nur für Zeiten gewährt
wird, für die der Berechtigte auf Grund einer hauptberuflichen Tätigkeit oder einer
Ausbildung Bezüge erhalten hat, ist die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 5 SZG einer
erweiternden Auslegung im Sinne des Klagebegehrens nicht zugänglich. Darüber
hinaus ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Änderung des
Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 (BGBl. I
1989, S. 1297), mit dem die Dauer des Erziehungsurlaubs von einem auf drei Jahre
verlängert und Adoptiv(pflege)eltern erstmals Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub
über die im Bundeserziehungsgeldgesetz festgesetzte Altersgrenze hinaus ermöglicht
worden ist, der ausdrücklich erklärte Wille des Gesetzgebers, dass die Verlängerung der
Dauer des Erziehungsurlaubs nicht auch zu entsprechenden Verbesserungen bei der
Gewährung der jährlichen Sonderzuwendung führen sollte.
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Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften, Bundestagsdrucksache
11/4687, S. 8.
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Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift sind alle
Menschen vor dem Gesetz gleich. Im Wesentlichen vergleichbare Sachverhalte sind
gleich und im Wesentlichen ungleiche Sachverhalte ihrer jeweiligen Eigenart nach
verschieden zu behandeln. Hiervon ausgehend ist die Entscheidung des Gesetzgebers,
im Rahmen des § 6 Abs. 2 Satz 5 SZG ausschließlich auf das Alter des Kindes
abzustellen, nicht willkürlich.
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Für das Alter des Kindes als grundsätzlich sachliches Differenzierungskriterium lässt
sich anführen, dass Eltern ein neugeborenes Kind nur unter größeren Schwierigkeiten
in einer Tagesstätte unterbringen können als ältere Kinder.
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Vgl. VG Würzburg, Urteil vom 27. Juni 1993 - W 1 K 92.1116 -, Veröffentlichung nicht
bekannt; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Oktober 1994 - 3 B
93.2166 -, ZBR 1995, 152, insoweit unter Bezugnahme auf das vorgenannte Urteil des
VG Würzburg.
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Der nachvollziehbare Einwand der Klägerin, Adoptionen bzw. Inobhutnahmen im
Rahmen der Adoptionspflege begännen häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt, führt
ebenso zu keinem anderen Ergebnis wie der Umstand, dass die Betreuung und
Erziehung eines angenommenen bzw. in Obhut genommenen, älteren Kindes
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mindestens ebenso intensiv und anspruchsvoll sein dürfte wie dies bei einem Säugling
der Fall ist. Dass die ausnahmslos auf das Alter des Kindes abstellende Regelung in §
6 Abs. 2 Satz 5 SZG viele Adoptiv(pflege)eltern nicht begünstigt, begründet im Ergebnis
keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung, die sich zu einer
Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit verdichten ließen, wie es Art. 100 Abs. 1
GG für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht verlangt. Zu berücksichtigen ist
insoweit, dass im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist, ob der Gesetzgeber
die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat. Denn der
Gesetzgeber hat im Bereich des Besoldungsrechts eine verhältnismäßig weitgehende
Gestaltungsfreiheit, deren Grenzen erst dann überschritten sind, wenn ein vernünftiger,
aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst einleuchtender Grund für eine
Differenzierung nicht gefunden werden kann.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 10. Februar 1983 - 2 C 43.81 -
ZBR 1983, 232.
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Mit dem Anspruch auf die jährliche Sonderzuwendung ohne tatsächliche Dienstleistung
hat der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Satz 5 SZG über den hergebrachten
Alimentationsgrundsatz hinaus zur Stärkung der Familie eine Vergünstigung
eingeräumt. Diese hat er typisierend und pauschalierend geregelt und regeln dürfen,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1998 - 2 C 8/98 -, ZBR 1999, 24,
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ohne auch insoweit die anzuerkennende und förderungswürdige Adoption gerade
älterer Kinder aus verfassungsrechtlichen Gründen besonders berücksichtigen zu
müssen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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