Urteil des VG Gelsenkirchen vom 15.12.2009

VG Gelsenkirchen (rente, kläger, abkommen über den europäischen wirtschaftsraum, vorbehalt, gesetzliche grundlage, bundesrepublik deutschland, polen, anerkennung, versorgung, beitritt)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 12 K 943/07
Datum:
15.12.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 K 943/07
Schlagworte:
Versorgung, Vordienstzeit, Rente, Ausland, Nur-Beamte, EU-Beitritt,
Polen, Anrechnung
Normen:
Tz 11.0.5 BeamtVGVwV, VwVfG § 40, VwGO § 114 S 1, BeamtVG § 11,
BeamtVG § 12, BeamtVG § 67
Leitsätze:
Hat ein Beamter aufgrund genehmigter - während des aktiven Dienstes
verrichteter - Nebentätigkeit eine Rente im Ausland (hier: Polen)
erworben, kann die Nichtberücksichtigung von Vordienstzeiten nach Tz.
11.0.5 BeamtVGVwV ermessensfehlerhaft sein, wenn damit die
Schlechterstellung gegenüber dem "Nur-Beamten" in Kauf genommen
wird.
Tenor:
Der Bescheid des Landesamtes für Besoldung und Versorgung des
Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 2007 und der
Widerspruchsbescheid vom 18. September 2007 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur
Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Der am °. °°°° 1937 geborene Kläger wendet sich gegen die Festsetzung seiner
Versorgungsbezüge. Er befindet sich seit dem 1. August 2002 im Ruhestand.
2
Sein beruflicher Werdegang stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:
3
Der Kläger schloss sein Mathematikstudium am 26. Juli 1962 ab. Vom 1. August 1962
bis zum 30. März 1966 übte er eine Tätigkeit im Öffentlichen Dienst (TH C. ) aus. Der
Abschluss der Promotion erfolgte am 16. Februar 1966, am 1. April 1966 wurde der
Kläger unter Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf zum wissenschaftlichen
Assistenten an der TH C. ernannt.
4
Im Juni 1966 beabsichtigte der Kläger, bei der E. AG in E1. eine Stelle als technisch-
wissenschaftlicher Programmierer anzunehmen, um dort für einige Jahre Erfahrungen in
technischen Anwendungsgebieten der Mathematik zu sammeln. Durch Schreiben vom
13. Juni 1966 beantragte der Kläger, diese Tätigkeit wegen des dienstlichen Interesses
als Dienstzeit anzuerkennen. Durch Erlass vom 22. September 1966 erkannte das O.
Kultusministerium ein dienstliches Interesse an der Ausübung der Tätigkeit bei der E.
AG für einen Zeitraum von drei Jahren an.
5
Ab 1. Oktober 1966 arbeitete der Kläger zunächst als technisch-wissenschaftlicher
Programmierer, ab dem 1. Mai 1968 als Abteilungsleiter der Abteilung Maschinelle
Datenverarbeitung bei der E. AG in E1. ; vom 1. Juni 1973 bis zum 30. September 1976
war er Entwicklungsleiter bei der H. °°°°°°°° °°°°°°° Deutschland GmbH.
6
Vom 1. Oktober 1976 bis zum 30. September 1977 war der Kläger an der
Fachhochschule E2. als Lehrender im Angestelltenverhältnis tätig. Ab dem 1. Oktober
1977 bis zu seiner Pensionierung mit Ablauf des 31. Juli 2002 war er Professor im
Beamtenverhältnis an der Fachhochschule E2. .
7
In den Jahren 1991 und 1992 hielt der Kläger im Auftrag und mit
Nebentätigkeitsgenehmigung der Fachhochschule E2. an der Universität T. /Polen
Gastvorlesungen. Ab Oktober 1993 bis Juni 2005 war er dort als Gastprofessor mit einer
halben und zuletzt mit 1/3 Stelle tätig.
8
Auf entsprechenden Antrag des Klägers war zunächst durch Bescheid des
Landesamtes für Besoldung und Versorgung NRW (LBV) vom 24. August 1987 die in
der Zeit vom 1. Oktober 1966 bis 30. September 1971 ausgeübte Tätigkeit in der freien
Wirtschaft voll und danach (1. Oktober 1971 bis 30. September 1976) zur Hälfte als
ruhegehaltsfähig anerkannt worden. Die Anerkennung enthielt folgenden Vorbehalt:
"Sollte neben der beamtenrechtlichen Versorgung eine Rente aus den gesetzlichen
Rentenversicherungen oder einer zusätzlichen Alters- oder Hinterbliebenenversorgung
gezahlt werden, stehen die Versorgungsbezüge neben den Renten nur bis zu der in §
55 Abs. 2 BeamtVG bezeichneten Höchstgrenze zu."
9
Eine erneute Anerkennung von Vordienstzeiten erfolgte am 16. Februar 1998, die
ebenfalls den Zeitraum 1. Oktober 1966 bis 30. September 1971 voll und die Zeit vom 1.
Oktober 1971 bis zum 30. September 1976 zur Hälfte berücksichtigte. Der Anerkennung
war ein dem Bescheid vom 24. August 1987 entsprechender Vorbehalt beigefügt.
10
Durch Bescheid des LBV über Versorgungsbezüge vom 10. Juni 2002 wurde der
Ruhegehaltssatz des Klägers ab dem 1. August 2002 auf 75 v.H. festgesetzt. Hierbei
wurde darauf hingewiesen, dass eine Neufestsetzung oder Regelung der
Versorgungsbezüge erforderlich werden könne, wenn ihm neben der
11
beamtenrechtlichen Versorgung eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
oder aus einer zusätzlichen Altersversorgung zustehe.
Seit dem 6. Juli 2002 erhält der Kläger eine Rente von einem polnischen
Versicherungsträger in Höhe von circa 35 Euro.
12
Weiter erhält der Kläger seit dem 1. August 2002 eine monatliche Rente von etwa 705
Euro von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, im Wesentlichen für seine
Berufstätigkeit im Zeitraum zwischen 1962 und 1977.
13
Durch Schreiben vom 20. Juni 2002 teilte das LBV dem Kläger mit, dass seine
Versorgungsbezüge nur insoweit gezahlt würden, wie sie einschließlich seiner Renten
den Höchstbetrag des § 55 Abs. 2 BeamtVG nicht überstiegen. Es wurde eine Kürzung
der Versorgungsbezüge wegen der Rente der Versicherungsanstalt für Angestellte um
674,84 Euro vorgenommen.
14
Durch Bescheid vom 27. April 2004 berücksichtigte das LBV rückwirkend ab 1. August
2002 die polnische Rente des Klägers nach § 55 Abs. 8 BeamtVG und kürzte die
Versorgungsbezüge um den entsprechenden Rentenbetrag (etwa 35 Euro, abhängig
vom Wechselkurs). Die Zuvielzahlung für die Zeit vom 1. August 2002 bis 31. Mai 2004
in Höhe von 710,00 Euro forderte das LBV vom Kläger zurück. Zugleich teilte es dem
Kläger bereits mit, dass für die Zeit nach dem 1. Mai 2004 wegen des Beitritts Polens
zur Europäischen Union sowohl die Ruhensregelung nach § 55 Abs. 8 BeamtVG als
auch die berücksichtigten Vordienstzeiten unter Vorbehalt stünden. Soweit ab dem 1.
Mai 2004 eine Ruhensregelung nach § 55 Abs. 8 BeamtVG nicht mehr zulässig sei, sei
gleichwohl anhand einer Vergleichs-berechnung nach Tz. 11.0.5. BeamtVGVwV zu
prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang Vordienstzeiten nicht mehr als
ruhegehaltsfähige Dienstzeiten angerechnet werden könnten.
15
Hiergegen legte der Kläger am 24. Mai 2004 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er
vor, dass nach Ziffer 4.1 des Merkblattes Renten aus dem europäischen
Wirtschaftsraum, sofern sie von der Dauer zurückgelegter Versicherungs- oder
Wohnzeiten abhängig seien, nicht zu berücksichtigten seien. Polen habe nach seiner
Überzeugung aber schon vor dem EU-Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum
gehört. Eine Vergleichsberechnung nach Tz. 11.0.5 BeamtVGVwV scheide schon
deshalb aus, weil seine polnische Rente keine sonstige "Geld-/Versorgungsleistung"
sei.
16
Durch Schreiben vom 14. Juni 2004 hörte die Beklagte den Kläger zum Bescheid vom
27. April 2004 an. Sie teilte ihm mit, dass die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr.
574/72, welche u.a. die rentenrechtlichen Verhältnisse der Mitgliedsländer
untereinander regelten, erst mit Wirkung vom 1. Mai 2004 an die Mitgliedschaft Polens
angepasst worden seien. Erst ab diesem Zeitpunkt werde daher eine polnische Rente
nicht mehr von § 55 Abs. 8 BeamtVG erfasst und es sei eine Vergleichsberechnung
nach Tz. 11.0.5. BeamtVGVwV vorzunehmen.
17
Der Kläger nahm am 11. Juli 2004, 14. Dezember 2005, 10. Januar 2006, 7. Februar
2006, 15. Juni 2006 und 7. August 2006 zu dem Bescheid vom 27. April 2004 Stellung.
Im Wesentlichen ergänzte er seine Widerspruchbegründung um folgende Aspekte:
Wenn eine Rente als Rente im Sinne von § 55 BeamtVG gelte, so könne sie nicht - nur
weil sie durch den EU-Beitritt anrechnungsfrei geworden sei - einer anderen Regelung
18
unterworfen werden. Die Rente behalte ihren Charakter als Rente im Sinne von § 55
BeamtVG. Es sei keine gesetzliche Regelung erkennbar, nach der ein bei § 55
BeamtVG außer Ansatz bleibender Teil einer Rente einer anderen Regelung zu
unterwerfen sei. Das LBV gehe davon aus, dass zwingend eine Vergleichsberechnung
vorzunehmen sei, ohne hierfür eine gesetzliche Grundlage zu nennen. Zudem sei zu
berücksichtigen, dass seine Rente nicht im Rahmen von Vordienstzeiten erdient worden
sei, so dass es zu einer "Doppelberücksichtigung" nicht komme. Nach dem Bescheid
vom 10. Juni 2002, Anlage 3, Seite 1, werde der Ruhegehaltssatz von 75 v.H. auch
ohne Anerkennung von Vordienstzeiten erreicht.
Da ein Widerspruchsbescheid bis April 2007 nicht ergangen war, hat der Kläger am 5.
April 2007 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sich gegen den Bescheid vom 27.
April 2004 wendet. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen das im
Widerspruchsverfahren Vorgetragene und trägt darüber hinaus vor, dass die vom LBV
beabsichtigte Vergleichsberechnung zu einer Absenkung seiner Versorgungsleistung
führe, die über den Auszahlungsbetrag seiner polnischen Rente hinaus gehe.
19
Durch Bescheid vom 25. Mai 2007 nahm das LBV eine Neuregelung der
Versorgungsbezüge vor. Rückwirkend zum 1. Mai 2004 führte es wegen der polnischen
Rente eine Vergleichsberechnung nach Teilziffer 11.0.10 i. V. m. 11.0.5 der
Verwaltungsvorschriften zu § 11 Beamt VG durch. Das LBV hob den Bescheid über die
Festsetzung der Versorgungsbezüge teilweise auf und rechnete Vordienstzeiten nicht
oder nur noch eingeschränkt an. Als maßgeblichen Ruhegehaltssatz ermittelte es
danach 63,58 v.H.
20
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2009 wies das LBV den Widerspruch des
Klägers gegen den Bescheid vom 27. April 2004 als unbegründet zurück. Die polnische
Rente sei bis zum EU Beitritt Polens nach § 55 Abs. 8 BeamtVG zu berücksichtigen
gewesen. Für die Zeit danach gelte der Bescheid vom 25. Mai 2007.
21
Am 18. Juni 2007 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 25. Mai 2007 Widerspruch
ein, den das LBV durch Widerspruchsbescheid vom 18. September 2007 zurückwies.
Es führte aus, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht eingreife. Die
Aufhebung der Versorgungsfestsetzung habe erfolgen dürfen, weil auf Seite 2 des
Bescheides vom 27. April 2004 ein entsprechender Änderungsvorbehalt enthalten
gewesen sei. Die Vordienstzeiten hätten ab dem Beitritt Polens zur EU unter Vorbehalt
gestanden.
22
Der Kläger hat den Bescheid vom 25. Mai 2007 sowie die Widerspruchsbescheide vom
29. Mai 2009 und vom 18. September 2007 in das vorliegende Klageverfahren
einbezogen.
23
Zur weiteren Klagebegründung trägt er im Wesentlichen vor, dass die polnische Rente
nicht im Rahmen einer Vordienstzeit, sondern erst ab 1993 erworben worden sei. In der
Zeit vom 1. Oktober 1966 bis 30. September 1976 sei er zum Erwerb besonderer
Fachkenntnisse in der freien Wirtschaft tätig gewesen. Die daraus resultierende Rente
werde über § 55 BeamtVG angerechnet. Die Vordienstzeiten in der freien Wirtschaft
seien bereits bestandskräftig anerkannt worden, eine Änderung der Rechtslage sei
durch den Beitritt Polens zur EU nicht eingetreten. Die polnische Rente habe ihre
Rechtsgrundlage zudem nicht in einem überstaatlichen Abkommen, sondern werde
unabhängig davon allein auf der Grundlage ausländischen Rechts gewährt.
24
Der Kläger beantragt,
25
die Bescheide des Landesamtes für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen
vom 27. April 2004 und 25. Mai 2007 sowie die Widerspruchsbescheide vom 29. Mai
2007 und 18. September 2007 aufzuheben.
26
Der Beklagte beantragt,
27
die Klage abzuweisen.
28
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
29
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
30
Die Anfechtungsklage ist zulässig aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
begründet. Der angegriffene Bescheid des LBV vom 27. April 2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 (Anwendung der Ruhens-regelung) ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Die Neubescheidung über die Anerkennung
von Vordienstzeiten (Bescheid vom 25. Mai 2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007) ist dagegen rechtswidrig (II.).
31
I. Der Regelungsgehalt des Bescheides vom 27. April 2004 beschränkt sich nach dem
Erlass des Bescheides vom 25. Mai 2007, durch den eine Neufestsetzung der
Versorgungsbezüge ab 1. Mai 2004 vorgenommen wurde, auf die Ruhensregelung des
§ 55 Abs. 8 BeamtVG hinsichtlich der polnischen Rente für den Zeitraum 1. August 2002
bis 30. April 2004 und die daraus resultierende Rückforderung überzahlter
Versorgungsbezüge.
32
Das LBV hat die Rente des polnischen Versicherungsträgers bis zum 30. April 2004 zu
Recht im Rahmen des § 55 BeamtVG berücksichtigt und insoweit das Ruhen der
Versorgungsbezüge festgestellt.
33
Die Rechtmäßigkeit der Ruhensregelung im Bescheid vom 27. April 2004 beurteilt sich
nach § 55 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 BeamtVG. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift werden
Versorgungsbezüge neben Renten nur bis zum Erreichen der in Absatz 2 bezeichneten
Höchstgrenze gezahlt, wobei den in Absatz 1 bezeichneten Renten entsprechende
wiederkehrende Geldleistungen gleichstehen, die von einem ausländischen
Versicherungsträger nach einem für die Bundesrepublik Deutschland wirksamen
zwischen- oder überstaatlichen Abkommen gewährt werden (Abs. 8).
34
Die nachträgliche Anwendung der Ruhensvorschrift beurteilt sich nicht nach den
Vorschriften über die Rücknahme eines Verwaltungsaktes, weil der Bescheid über die
Versorgungsbezüge vom 10. Juni 2002 den ausdrücklichen Vorbehalt nachträglicher
Kürzung und Rückforderung aufgrund von Ruhensvorschriften (§§ 53 - 57 BeamtVG)
enthielt. Insoweit kann die Berichtigung jederzeit erfolgen.
35
Die polnische Rente des Klägers unterfällt dem Anwendungsbereich des § 55 Abs. 8
BeamtVG. Sie wurde im Zeitraum 1. August 2002 bis 30. April 2004 entgegen der
36
Ansicht des Klägers von einem ausländischen Versicherungsträger auf Grund eines
zwischenstaatlichen Abkommens gewährt.
Grundlage der Gewährung sind Artikel 17 und 18 des Abkommens zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 8.
Dezember 1990 (BGBl. II 1991, S. 743 ff.). Danach werden für den Erwerb eines
Leistungsanspruchs nach den polnischen Rechtsvorschriften auch die anrechenbaren
deutschen Versicherungszeiten berücksichtigt, die nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Sind
danach die Voraussetzungen für den Erwerb des Leistungsanspruchs erfüllt, so erbringt
der polnische Träger eine Rente, deren Höhe grundsätzlich dem Verhältnis entspricht,
in dem die nach seinen Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungszeiten zu den
zusammengerechneten Versicherungszeiten stehen.
37
Eine solche Berechnung hat der polnische Versicherungsträger vorgenommen. Er hat
zu den 9 Versicherungsjahren in Polen 22 Jahre und 1 Monat Beitragszeiten in
Deutschland berücksichtigt und daraus die Leistung entsprechend Artikel 18 Abs. 3 des
Abkommens im Verhältnis der Zeiten zueinander berechnet.
38
Dass es sich bei der polnischen Rente um eine "autonome", unabhängig von dem
überstaatlichen Abkommen gewährte Rente handelt, ist schon deshalb unzutreffend,
weil der Kläger in Polen die Mindestversicherungszeit (30 Jahre) nicht erreicht. Zu
einem Rentenanspruch kommt es nur, weil der polnische Rententräger die in
Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten gemäß Artikel 17 des Abkommens
berücksichtigt. Ohne das Abkommen wäre ein Anspruch in Polen nicht gegeben.
39
Der Ausnahmetatbestand der Ziffer 4.1 des Merkblattes "Zusammentreffen von
Versorgungsbezügen" (Grundlage: VO [EG] Nr. 1606/98, Art. 46 b der VO [EWG] Nr.
1408/71) war bis zum 1. Mai 2004 entgegen der Ansicht des Klägers nicht einschlägig.
Danach sind Renten aus dem europäischen Wirtschaftsraum (Mitgliedstaaten der EU,
Island, Lichtenstein und Norwegen) im Rahmen des § 55 BeamtVG nicht zu
berücksichtigen, sofern sie von der Dauer zurückgelegter Versicherungs- und
Wohnzeiten abhängig sind. Bei der polnischen Rente handelt es sich für die Zeit vor
dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (1. Mai 2004) nicht um eine "Rente aus dem
europäischen Wirtschaftsraum".
40
Soweit der Kläger geltend macht, Polen habe auch schon vor dem Beitritt zur
Europäischen Union zum Europäischen Wirtschaftsraum gehört, kann dem nicht gefolgt
werden. Der Begriff des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist kein frei
auszulegender Begriff, sondern hat seine Grundlage in dem Abkommen über den
Europäischen Wirtschaftsraum, das am 2. Mai 1992 durch die damaligen 12
Mitgliedstaaten der EU sowie der sieben EFTA Staaten (Österreich, Finnland, Island,
Norwegen, Schweden, Schweiz und Lichtenstein) geschlossen wurde, um eine
möglichst weitgehende Teilnahme der sieben EFTA-Staaten am EU-Binnenmarkt zu
ermöglichen. Erst mit Erweiterungsabkommen vom 14. Oktober 2003 wurden die EU-
Beitrittsstaaten (u.a. Polen) in den EWR aufgenommen. Dieses Abkommen trat zum 1.
Mai 2004 (also mit dem Beitritt Polens zu EU) in Kraft. Erst ab diesem Zeitpunkt ist
Polen zum Europäischen Wirtschaftsraum zu zählen.
41
Die Summe der Versorgungsbezüge und der Rente übersteigen die in § 55 Abs. 2
BeamtVG bezeichnete Höchstgrenze. Die Berechnung der Höchstgrenze ist nicht zu
beanstanden, ebenso wenig die in Ansatz gebrachten Rentenbeträge, die entsprechend
42
den jeweiligen Umrechnungskursen (ca. 35 Euro) ermittelt wurden. Beides wurde vom
Kläger auch nicht in Frage gestellt.
Das LBV hat zu Recht die Erstattung der in der Zeit vom 1. August 2002 bis 30. April
2004 zu viel gezahlten Versorgungsbezüge verlangt.
43
Die Rückforderung zu viel gezahlter Versorgungsbezüge regelt sich gemäß § 52 Abs. 2
Satz 1 BeamtVG nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die
Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit - wie hier - gesetzlich nichts
anderes bestimmt ist. Dass für den Zeitraum von August 2002 bis April 2004
Versorgungsbezüge zu viel gezahlt worden sind, folgt aus den obigen Ausführungen.
Auf den Wegfall der Bereicherung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, da
einem eventuellen Vertrauensschutz bereits entgegensteht, dass die früheren
Festsetzungen der Versorgungsbezüge den Hinweis auf das Eingreifen der Ruhens-
regelungen bei Rentenzahlungen enthielten.
44
II. Der Bescheid des LBV vom 25. Mai 2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007 ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten.
45
Der Bescheid enthält die Regelung, dass der Bescheid über die Festsetzung der
Versorgungsbezüge teilweise aufgehoben und der Ruhegehaltssatz neu auf 63,58 v.H.
festgesetzt werde; Vordienstzeiten, die im Ermessen des Dienstherrn stünden, könnten
nicht mehr anerkannt werden, da ansonsten die in § 55 BeamtVG bezeichnete
Höchstgrenze überschritten würde.
46
Diese Entscheidung über die Aberkennung von Vordienstzeiten in der freien Wirtschaft,
die der Kläger zwischen 1966 und 1976 absolviert hat, begegnet zwar keinen
durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken, die pauschale Ermessenspraxis des
LBV erweist sich jedoch als ermessensfehlerhaft.
47
Es ist unschädlich, dass in den Bescheiden des LBV vom 24. August 1987, vom 16.
Februar 1998 sowie im Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 10. Juni 2002 die nun im
Streit stehenden Vordienstzeiten bereits anerkannt worden sind. Eine Rücknahme oder
ein Widerruf dieser Bescheide war nicht erforderlich. Denn die Änderung im Hinblick auf
die Anerkennung von Vordienstzeiten beruht auf einem wirksam verfügten Vorbehalt.
48
Eine später einsetzende Rentenzahlung fällt allerdings nicht schon unter den
gesetzlichen Vorbehalt des Gleichbleibens der Rechtslage nach § 49 Abs. 2 Satz 2 2.
Halbsatz BeamtVG. Die gesetzliche Grundlage für die Anerkennung von
Vordienstzeiten hat sich mit der Bewilligung einer Rente nicht geändert. Es sind
vielmehr nachträglich tatsächliche Umstände eingetreten, die die im Rahmen der
Anerkennung von Vordienstzeiten getroffene Ermessensentscheidung nunmehr
rechtswidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsänderung, auf die sich der gesetzliche
Vorbehalt allein bezieht, ist damit nicht bewirkt worden.
49
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1972- II C 2. 71 -, BVerwGE 40, 65; OVG NRW, Urteil
vom 7. Juni 2006 - 21 A 3747/02 -, juris (dort Rn. 63); Schmalhofer, a.a.O., § 11
BeamtVG, Erl. 12a, Ziffer 3.4; a.A. OVG NRW, Urteil vom 21. Oktober 1994 - 1 A
1668/90 -, Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, ES/C III 1.3 Nr.
19.
50
Aus § 49 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BeamtVG folgt aber nicht, dass Vorabent-
scheidungen über die Berücksichtigung von Zeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit nur
im Falle einer nachträglichen Änderung der Rechtslage geändert werden dürften.
51
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1985 - 2 C 40.82 -, Buchholz 232.5 § 12
BeamtVG Nr. 6.
52
Vielmehr ist eine Änderung auch dann zulässig, wenn ein wirksamer "Rentenvorbehalt"
verfügt worden ist. Dies ist hier der Fall. Die Bescheide über die Anerkennung von
Vordienstzeiten vom 24. August 1987, 16. Februar 1998 sowie der Bescheid über
Versorgungsbezüge vom 10. Juni 2002 waren mit einem Vorbehalt verknüpft worden,
bei dem es sich um einen solchen wirksamen "Rentenvorbehalt" handelt und der hier
zum Tragen kommt. Auf Seite 2 des Bescheides vom 16. Februar 1998 heißt es: "Sollte
neben der beamtenrechtlichen Versorgung eine Rente aus den gesetzlichen
Rentenversicherungen, auch von Stellen außerhalb des Bundesgebietes [...], gezahlt
werden, stehen die Versorgungsbezüge neben den Renten nur bis zu der in § 55 Abs. 2
BeamtVG bezeichneten Höchstgrenze zu". Fast wortgleich ist die Formulierung im
Bescheid vom 24. August 1987. In der Berechnung der Versorgungsbezüge vom 10.
Juni 2002 heißt es "Vorbehalt: [...] Insbesondere ist ggf. eine Neufestsetzung oder
Regelung der Versorgungsbezüge erforderlich, wenn neben einer beamtenrechtlichen
Versorgung eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder aus einer
zusätzlichen Alters- oder Hinterbliebenenversorgung zusteht."
53
Die ausgesprochenen Vorbehalte beziehen generell alle Renten aus einer zusätzlichen
Alters- oder Hinterbliebenenversorgung ohne die Beschränkung auf einen Ursprung im
öffentlichen Dienst ein und greifen nur auf die Höchstgrenze in § 55 Abs. 2 BeamtVG
zurück, ohne die Vorschrift im einzelnen zu übernehmen. Der Kläger musste sich somit
auf die Möglichkeit einstellen, dass er Versorgungsbezüge neben einer zusätzlichen
Versorgungsleistung welcher Art auch immer nur bis zu einer Höchstgrenze - § 55 Abs.
2 BeamtVG - erhalten werde.
54
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Juni 2006 - 21 A 3747/02 -, juris (dort Rn. 64), zu einem
dem Bescheid vom 16. Februar 1998 inhaltsgleichen Vorbehalt.
55
Ein solcher Rentenvorbehalt besagt, dass die Festsetzungsbehörde, ohne den
Bescheid über Versorgungsbezüge ändern zu müssen, bei der Festsetzung der
Versorgungsbezüge im Sinne des Vorbehalts verfahren darf, ohne an die
Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen oder den Widerruf eines
rechtmäßigen Verwaltungsakts (§§ 48, 49 VwVfG NRW) gebunden zu sein.
56
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Juni 2006 - 21 A 3747/02 -, juris (dort Rn. 65); a.A. Stadler,
in: Fürst, GKÖD, Band I, O Rn. 27 zu § 49 BeamtVG.
57
Denn mit einem solchen Vorbehalt bringt das LBV zum Ausdruck, dass die
Anerkennung von Vordienstzeiten nicht endgültig ist, sondern davon abhängt, dass sich
die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf den Bezug von Renten oder sonstigen
Versorgungsleistungen nicht ändert. Die Regelung und die auf ihr beruhenden
Zahlungen sind von vorneherein nur vorläufig. Der Vorbehalt entspricht damit einer
auflösenden Bedingung mit dem Unterschied, dass die bei Eintritt dieser Bedingung zu
leistenden Versorgungsbezüge erst neu berechnet und festgesetzt werden müssen.
58
Vgl. Schmalhofer, a.a.O., § 11 BeamtVG, Erl. 12a, Ziffer 3.3.; VG Münster, Urteil vom 14.
September 2004 - 4 K 519/01 -, juris (dort Rn. 33 ff.).
59
Die Möglichkeit, von einer einmal getroffenen Anerkennung von Vordienstzeiten bei
Eingreifen eines Vorbehaltes abzuweichen, besteht nicht nur bei der erstmaligen
Festsetzung der Versorgungsbezüge, sondern solange, wie der Bescheid, mit dem der
Vorbehalt verbunden ist, Bestand hat.
60
Aus den Hinweisen ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass der Vorbehalt nicht
auf Ruhensregelungen nach §§ 53 bis 57 BeamtVG beschränkt ist und jedwede
Leistung, die der Versorgungsempfänger neben seinen Versorgungsbezügen erhält,
Auswirkungen auf die Festsetzung der Versorgungsbezüge, also auch auf die
Anerkennung von Vordienstzeiten haben kann. Damit war für den Kläger erkennbar,
dass die Festsetzung der Versorgungsbezüge auch dann geändert werden konnte,
wenn er Versorgungsleistungen beziehen würde, die nicht einer Ruhensregelung
unterfallen.
61
Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für eine (teilweise)
Rücknahme oder einen Widerruf der Bescheide vom 24. August 1987, 16. Februar 1998
und 10. Juni 2002 vorlagen.
62
Dem LBV war eine neue Ermessensentscheidung eröffnet, da der im Vorbehalt
umschriebene Sachverhalt eingetreten ist. Der Kläger bezieht eine Rente aus Polen, die
seit dem 1. Mai 2004 nicht von § 55 Abs. 8 BeamtVG erfasst wird. Durch die Verordnung
(EG) Nr. 1606/98 sind die "Sonderversorgungssysteme für Beamte und ihnen
gleichgestellte Personen" mit Wirkung vom 25.10.1998 in den Anwendungsbereich der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 (ABl. EG Nr. L 149 vom
06.07.1971, S. 2) über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern, einbezogen worden. Mit dem In-Kraft-Treten der
Verordnung (EG) Nr. 1606/98 dürfen seit dem 25.10.1998 auf Grund von Art. 46 b der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 grundsätzlich keine gleichartigen mitgliedstaatlichen
Leistungen auf die deutsche Beamtenversorgung mehr angerechnet werden.
Gleichartige Leistungen liegen gemäß Art. 46 a Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr.
1408/71 vor, wenn sie sich aus dem Versicherungsverlauf ein und derselben Person
herleiten, also etwa dann, wenn eine Altersrente aus einem Mitgliedsstaat mit der
deutschen Beamtenversorgung zusammentrifft. Die Einbeziehung der Beamten in den
Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 hatte daher zur Folge, dass die
Ruhensregelung des § 55 Abs. 8 BeamtVG beim Zusammentreffen gleichartiger
Leistungen nicht mehr angewendet werden darf. Die Nichtanwendbarkeit der
Ruhensregelung gilt seit dem 1. Mai 2004 durch den EU-Beitritt Polens auch für
gleichartige ausländische Rentenleistungen aus Polen.
63
Die Ermessensentscheidung des LBV, auf Grund der polnischen Rente die vom Kläger
in Deutschland geleisteten Zeiten in der freien Wirtschaft nicht mehr als
ruhegehaltsfähig anzuerkennen, begegnet jedoch Bedenken, da sie der Besonderheit
des Einzelfalls nicht ausreichend Rechnung trägt.
64
Nach §§ 11, 12 und 67 Abs. 2 Satz 4 BeamtVG können bzw. sollen bestimmte
Vordienstzeiten als ruhegehaltsfähig anerkannt werden. Im Rahmen des durch diese
65
Normen eröffneten Ermessens hat das LBV eine Vergleichsberechnung nach Tz. 11.0.5.
BeamtVGVwV vorgenommen, die nach Tz. 12.0.2 und 67.2.4 BeamtVGVwV auch im
Rahmen von §§ 12 und 67 BeamtVG vorzunehmen ist. Diese Vergleichsberechnung
soll sicherstellen, dass Zeiten nach §§ 11, 12 BeamtVG in Fällen, in denen
Versorgungsleistungen im Sinne der Tz. 11.0.10 Satz 2 BeamtVGVwV bezogen
werden, nur teilweise oder überhaupt nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeit
berücksichtigt werden, wenn sich durch ihre Berücksichtigung eine höhere
Gesamtversorgung (beamtenrechtliche Versorgung zuzüglich Renten) als die in § 55
Abs. 2 BeamtVG bezeichnete Höchstgrenze ergeben würde. Im Rahmen dieser
Vergleichsberechnung hat das LBV unter Bezugnahme auf die Runderlasse des
Finanzministeriums NW vom 11. Oktober 2001 (B 3003 - 22 - IV - C.3) und 24. Oktober
2002 (B 3003 - 22 IV A 1) die Versorgungsleistungen, die der Kläger aus der polnischen
Rentenversicherung erhält, berücksichtigt und die vom Kläger im Zeitraum zwischen
1966 und 1976 in der freien Wirtschaft geleisteten Zeiten als ruhegehaltsfähige
Vordienstzeiten aberkannt.
Die herangezogenen Erlasse bestimmen in Abschnitt II Ziffer 3, dass ausländische
(mitgliedstaatliche) Beschäftigungs- und sonstige Zeiten zur Verhinderung einer
Überversorgung nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten zu berücksichtigen sind, wenn
für sie im Ausland (Mitgliedstaat) eine Anwartschaft oder ein Anspruch auf
Alterssicherung besteht. Gemäß Satz 2 gilt das Gleiche im Hinblick auf entsprechende
inländische (deutsche) Zeiten (Vordienstzeiten).
66
Die dadurch vorgegebene Ermessenspraxis, an der sich das LBV orientiert hat, ist
rechtswidrig. Die schematische Nichtanerkennung von Vordienstzeiten ist mit Wortlaut
und Zweck der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften nicht vereinbar.
67
Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, so hat sie das Ermessen
entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen
des Ermessens einzuhalten (§ 40 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -). Insoweit
unterliegt die Ermessensentscheidung der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte
(§ 114 Satz 1 VwGO). Danach muss eine Ermessensentscheidung über die
Anerkennung berücksichtigungsfähiger Vordienstzeiten auf Erwägungen gestützt sein,
die im Hinblick auf den Wortlaut und den Zweck der gesetzlichen Regelung sachgerecht
sind.
68
Die Berücksichtigung von Vordienstzeiten stellt eine Ausnahme von dem
versorgungsrechtlichen Grundsatz dar, dass (nur) die im Beamtenverhältnis abgeleistete
Dienstzeit ruhegehaltfähig ist. Die Entscheidung über eine solche Ausnahme nach den
hier maßgeblichen Vorschriften der §§ 11, 12 und 67 BeamtVG wird angesichts der
weiten Ermessensgrenzen von jeder Erwägung getragen, die im Hinblick auf den
Wortlaut und den Zweck dieser Vorschriften sachgerecht erscheint. Sinn und Zweck der
Anrechnungsvorschriften ist es, einem erst im vorgerückten Lebensalter in das
Beamtenverhältnis berufenen Beamten annähernd die Versorgung zu ermöglichen, die
er erhalten würde, wenn er sich während der fraglichen Zeit, in der er die besondere
Eignung für die Wahrnehmung seines späteren Amtes erlangt hat, bereits im
Beamtenverhältnis befunden hätte.
69
BVerwG, Urteil v. 16. Juli 2009 - 2 C 43/08 -; OVG Lüneburg, Urteil v. 9. Dezember 2008
- 5 LC 204/07 - m.w.N.
70
Es ist daher nicht ermessensfehlerhaft, auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit der
Beamte anderweitige Versorgungsleistungen erhält; insoweit besteht keine
Veranlassung, das aus dem Beamtenverhältnis zustehende Ruhegehalt durch
Anrechnung von Vordienstzeiten zu erhöhen und dadurch einen Ausgleich zu
gewähren. Denn im Rahmen der Ermessensentscheidung geht es um eine annähernde
Gleichstellung in der Versorgung mit derjenigen eines "Nur-Beamten".
71
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1982 - 6 C 92.78 -; OVG NRW, Urteil vom 25. April
2007 - 21 A 4438/04 -; OVG NRW Urteil vom 4. Juni 2008 - 21 A 2454/06 - m.w.N.
72
Daher ist eine Ermessensausübung vom Zweck der gesetzlichen
Anrechnungsvorschriften gedeckt, die darauf angelegt ist, eine versorgungsrechtliche
Schlechterstellung der Beamten mit berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten
gegenüber "Nur-Beamten" zu vermeiden. Folgerichtig bietet die Ermessensausübung
eine Handhabe zu verhindern, dass Beamte aufgrund der Berücksichtigung von
Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig und deren zusätzlicher Anrechnung in einem
anderen System der Alterssicherung eine höhere Gesamtversorgung aus öffentlichen
Mitteln erhalten, als wenn sie diese Zeiten im Beamtenverhältnis abgeleistet hätten.
Umgekehrt überschreitet der Dienstherr den gesetzlich eröffneten Ermessensspielraum
durch eine pauschale Ermessenspraxis, die eine Schlechterstellung der Beamten mit
berücksichtigungsfähigen Vordienstzeiten gegenüber "Nur-Beamten" bewusst in Kauf
nimmt, indem sie eine andere Versorgungsleistung ohne Rücksicht auf deren Grund und
Höhe zum Anlass nimmt, die Ruhegehaltsfähigkeit der Zeiten ohne Berücksichtigung
des Einzelfalls abzulehnen.
73
BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 - 2 C 63/08 -; Urteil vom 16. Juli 2009 - 2 C
43/08 -, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 2 C 38.03 - OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom
13. März 2008 - 4 B 18.07 - (juris).
74
So liegt der Fall hier. Bei der pauschalen Aberkennung der Vordienstzeiten des Klägers
bleibt unberücksichtigt, dass die Versorgungsanwartschaft in Polen mit einer eventuell
anzuerkennenden Vordienstzeit in keinem Zusammenhang steht, sondern sie parallel
zur aktiven Dienstzeit im Rahmen einer genehmigten Nebentätigkeit erworben wurde.
Die daraus resultierende Rente in Höhe von ca. 35 Euro/Monat führt zur Aberkennung
einer mehrjährigen (deutschen) Vordienstzeit, obwohl die aus dieser Vordienstzeit
resultierende Rentenzahlung der Deutschen Rentenversicherung bereits über § 55
BeamtVG zu einem Ruhen der Versorgungsleistung in entsprechender Höhe führt.
75
Zwar kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Rentenanwartschaft bereits
innerhalb der in Frage stehenden Vordienstzeit erworben wurde bzw. ob die
berücksichtigungsfähigen Kann-Vordienstzeiten mit rentenrechtlichen
Versicherungsjahren zusammenfallen.
76
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1982 - 6 C 92.78 -, BVerwGE 66, 65 (zu §§ 116, 116 a
BBG a.F.), Beschluss vom 24. September 1991 - 2 B 111.91 -, ZBR 1992, 84 (zu §§ 11,
12 BeamtVG), Urteil vom 16. Juli 2009 - 2 C 43.08 -, NVwZ-RR 2009, 848 f.; OVG NRW,
Urteile vom 4. September 2003 - 1 A 3835/01 -, 25. April 2007 - 21 A 4438/04 - (zu § 12
BeamtVG), 4. Juni 2008 - 21 A 2454/06 -; Schmalhofer, in: Stegmüller/
Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz, Erl. 12 a zu § 11 BeamtVG.
77
Um dem Angleichungsgedanken Rechnung zu tragen, muss es sich jedoch um eine
78
Rente handeln, die ein "Nur-Beamter" nicht hätte erwerben können. Dass deshalb der
Grund der weiteren Rentenleistung nicht völlig unberücksichtigt bleiben kann, zeigt der
Fall des Klägers: Auch einem "Nur-Beamten" wäre es möglich gewesen, eine
Nebentätigkeit in Polen wahrzunehmen und dadurch mitgliedstaatliche (zusätzliche)
Rentenansprüche zu erwerben. Die Erhöhung der Altersversorgung des Klägers
(Ruhegehalt und polnische Rente) beruht letztlich nicht auf rentenrelevanten
Vordienstzeiten, in denen ein "Nur-Beamter" keine Rentenansprüche hätte
erwirtschaften können, sondern auf einer überobligatorischen (vom Dienstherrn
gewünschten) Zusatzleistung des Klägers, die jeder andere Beamte - unabhängig von
Vordienstzeiten - gleichermaßen hätte erbringen können. Die schematische Anwendung
des Runderlasses des Finanzministeriums vom 24. Oktober 2002 - B 3003 - 22- IV A 1 -
führt deshalb in diesem Einzelfall zu einer Schlechterstellung des Klägers gegenüber
einem vergleichbaren "Nur-Beamten", dem die polnische Rente neben der
Beamtenversorgung erhalten bliebe. Ähnlich wie im Fall von Versorgungsleistungen,
die der Beamte weit überwiegend aus eigenen Mitteln finanziert hat,
vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 - 2 C 63/08 - (juris, Rn. 28), m.w.N.
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ist auch hier der Dienstherr gehindert, den Beamten, der durch die Wahrnehmung
(genehmigter) Nebentätigkeiten weitere Altersvorsorge betrieben hat, durch die
Nichtberücksichtigung anrechenbarer Vordienstzeiten schlechter zu stellen. Die durch
den Erlass vorgegebene starre Ermessenspraxis hält keine Möglichkeit offen, dem
besonderen Einzelfall des Klägers Rechnung zu tragen und erweist sich deshalb als
rechtswidrig.
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Es kann daher dahinstehen, ob sich eine Rechtswidrigkeit der Ermessenspraxis auch
daraus ergibt, dass sie die unbedingte Nichtanerkennung von Vordienstzeiten auch
unabhängig von der Höhe der Versorgungsansprüche vorsieht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die hälftige Kostenteilung
entspricht dem aus dem Tenor ersichtlichen teilweisen Obsiegen / Unterliegen des
Klägers bzw. des Beklagten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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