Urteil des VG Gelsenkirchen vom 22.01.2009

VG Gelsenkirchen: aufschiebende wirkung, marihuana, verdacht, entziehung, strafbarkeit, fahreignung, geruch, rechtswidrigkeit, beifahrer, fahren

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 1531/08
Datum:
22.01.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 1531/08
Schlagworte:
Entziehung, Fahrerlaubnis, Cannabiskonsum, gelegentlich,
geringfügiger Cannabisbesitz
Normen:
FeV §§ 11, 14
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 6440/08 des Antragstellers
gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12. November
2008 wird wiederhergestellt bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung
angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 6440/08 des Antragstellers gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12. November 2008 wiederherzustellen
bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen,
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ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig und
begründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende
Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus, weil die
Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit
rechtswidrig ist.
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Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage nicht in § 3 Abs. 1 S. 1
des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis- Verordnung (FeV),
weil der Antragsteller sich nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen
erwiesen hat. Insbesondere durfte der Antragsgegner hier nicht gem. § 46 Abs. 3 i.V.m.
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§ 11 Abs. 8 FeV aus der Weigerung des Antragstellers, das mit Schreiben vom 29.
September 2008 geforderte Drogenscreening vorzulegen, auf dessen Nichteignung
schließen. Diese Anordnung ist nämlich voraussichtlich zu Unrecht erfolgt. Denn es
fehlte an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten, die Bedenken gegen die
Eignung des Antragstellers begründen könnten.
Für einen Marihuana-Eigenkonsum des Antragstellers ist nach Aktenlage festgestellt,
dass er zum einen am 3. Mai 2006 in einem Bistro in S. ein Tütchen mit 0,5 g Marihuana
dabei hatte. Zum anderen war er am 12. Februar 2008 als Fahrer eines PKW aus den
Niederlanden kommend im Besitz eines Tütchens mit 0,4 g Marihuana. Diese beiden im
Abstand von gut 21 Monaten festgestellten Fakten rechtfertigen das angeordnete
Drogenscreening voraussichtlich nicht, denn ein Verdacht auf möglicherweise
regelmäßigen Cannabiskonsum lässt sich daraus nicht ableiten. Die jeweils
aufgefundenen Mengen ermöglichten nur einen einmaligen Konsum. Anhaltspunke für
einen regelmäßigen Konsum ergeben sich daraus nicht und ein gelegentlicher Konsum
ist für die Fahreignung - unabhängig von der Strafbarkeit des Besitzes - nicht relevant.
Auch ein Zusammenhang mit dem Straßenverkehr ist vorliegend nicht feststellbar, da
der Antragsteller als Fahrer des PKW am 12. Februar 2008 offenbar nicht unter dem
Verdacht stand, unter Cannabiseinwirkung zu fahren; Marihuana-Geruch war nur auf der
Beifahrerseite wahrzunehmen.
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Davon ausgehend bestehen auch bei Anwendung des sog. Drogenerlasses (i. d. F. vom
18.12.2002 - Ziff. 6.1.2 Auffälligkeiten „ohne Bezug zum Straßenverkehr") keine
hinreichenden Verdachtsmomente für die Anordnung eines Drogenscreenings. Denn
sonstige Verdachtsmomente i.S. Ziff. 6.1.1 dieses Erlasses sind ebenfalls nicht
ersichtlich. So gehört der Antragsteller mit seinen 44 Jahren nicht zu einer besonders
gefährdeten Personengruppe, auch wenn er schon länger arbeitslos ist; jedenfalls hat
die Kammer keine insoweit verwertbaren Erkenntnisse. Auch ein regelmäßiger Kontakt
zur „Szene" lässt sich nicht feststellen, da die Bekanntschaft oder Freundschaft mit
einem langjährigen Haschkonsumenten dazu nicht gehört. Auch die Tatsache, dass der
Antragsteller sicherlich über den Sinn der Fahrt nach Eindhoven informiert war - er hat ja
auch ausgesagt, dass er sein Tütchen zum Feiern mitgebracht habe -, kann zusätzliche
Verdachtsmomente im Sinne des Erlasses nicht begründen. Möglicherweise kann sogar
aus der Tatsache, dass er selbst „nur" 0,4 g Marihuana dabei hatte, obwohl er sich wie
sein Beifahrer auch mit größeren Mengen hätte eindecken können, geschlossen
werden, dass für ihn persönlich kein höherer Bedarf bestanden hat. Andere verwertbare
und einschlägige Anhaltspunkte kann die Kammer nicht erkennen. Deshalb dürfte nach
Aktenlage davon auszugehen sein, dass mehr als gelegentlicher Marihuana-Konsum
und ein Zusammenhang mit dem Straßenverkehr nicht belegt sind und deshalb ein
Verdacht auf regelmäßigen Konsum nicht begründbar ist.
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Durfte aber ein Drogenscreening nicht angeordnet werden, kann nicht gemäß § 11 Abs.
8 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden.
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Wegen der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der Grundverfügung finden weder die
hiervon abhängende Anordnung, den Führerschein bei dem Antragsgegner abzuliefern,
noch die Zwangsgeldandrohung ihre Rechtsgrundlagen in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47
Abs. 1 Satz 1 FeV bzw. §§ 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
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auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetz. Dabei ist im
Hauptsacheverfahren gemäß ständiger Rechtsprechung bei einer Fahrerlaubnis der
Klasse B von 5.000,00 Euro und in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von der
Hälfte dieses Betrages auszugehen.
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