Urteil des VG Gelsenkirchen vom 26.07.2010

VG Gelsenkirchen (bewerber, beförderung, beurteilung, beteiligung, verwaltungsgericht, bewerbung, zusage, anordnung, antrag, zustimmung)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 L 502/10
Datum:
26.07.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 502/10
Schlagworte:
Beförderung, Ausschärfung, Beamter, Lehrer, Personalrat,
Gleichstellungsbeauftragte, Kausalität, Verfahrensmangel
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2, LGG § 17, LPVG § 72, VwGO § 123 Abs. 1
Tenor:
Gemäß § 65 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) werden
beigeladen, da ihre rechtlichen Interessen durch die Entscheidung
berührt werden.
2. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die neun im
Bewerbungsgebiet der Stadt F. zu besetzenden Planstellen der Besoldungsgruppe A 13
BBesO/Entgeltgruppe 13 TV-L nicht mit den Beigeladenen zu besetzen, bis erneut über
die Bewerbung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
entschieden worden ist,
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hat keinen Erfolg.
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Die Antragstellerin hat nicht gemäß § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO
glaubhaft gemacht, dass ihr neben einem Anordnungsgrund auch der geltend gemachte
Anordnungsanspruch zusteht.
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Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin
ist dann gerechtfertigt, wenn die Verletzung ihres Rechts auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung über das letztlich mit der einstweiligen Anordnung verfolgte
Stellenbesetzungsbegehren glaubhaft gemacht ist und die Möglichkeit besteht, dass die
noch zu treffende rechtmäßige Auswahlentscheidung zur Besetzung der Stelle mit der
Antragstellerin führen kann. Für den Erfolg des Antrags genügt mithin jeder Fehler,
einschließlich möglicher Fehler in den dabei zugrunde gelegten Beurteilungen, der für
das Auswahlergebnis kausal gewesen sein kann. Ist die getroffene
Auswahlentscheidung fehlerhaft, kann die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes
nur dann in Betracht kommen, wenn es ausgeschlossen erscheint, dass die
Antragstellerin nach Beseitigung des Mangels den Vorzug vor den Mitbewerbern
erhalten wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, DÖD 2003, 17; OVG
NRW, Beschlüsse vom 4. September 2001 - 1 B 205/01 - und vom 13. September 2001 -
6 B 1776/00 -, DÖD 2001, 316.
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Die streitgegenständliche Auswahlentscheidung leidet nicht an Fehlern, die für das
Auswahlergebnis zu Lasten der Antragstellerin kausal gewesen sein könnten. Die von
dem Antragsgegner beabsichtigte Beförderung der Beigeladenen auf die neun zu
besetzenden Stellen der Besoldungsgruppe A 13 BBesO/Entgeltgruppe 13 TV-L
begegnet aus der für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Sicht der Antragstellerin
keinen rechtlichen Bedenken.
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Zu Recht hat der Antragsgegner bei seiner Auswahlentscheidung das Prinzip der
Bestenauslese zum Ausgangspunkt genommen. Bei der Entscheidung darüber,
welchem von mehreren in Betracht kommenden Beamten eine Beförderungsstelle
übertragen wird, hat der Dienstherr Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der
Bewerber zu bewerten und zu vergleichen (Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes - GG -, §
20 Abs. 6 des Landesbeamtengesetzes - LBG -, § 9 des Beamtenstatusgesetzes -
BeamtStG -). Ist ein Bewerber besser qualifiziert, darf er nicht übergangen werden.
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Für die Auswahl sind in erster Linie aktuelle Beurteilungen maßgebend, die den
aktuellen Leistungsstand wiedergeben.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31/01 -, DÖD 2003, 200 ff. m.w.N.
und vom 27. Februar 2003 - 2 C 16/02 -, DÖD 2003, 202 f. m.w.N.; OVG NRW,
Beschluss vom 27. Februar 2004 - 6 B 2451 / 03 -, NVwZ-RR 2004, 626.
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Die aktuellen dienstlichen Beurteilungen der Beigeladenen enden mit dem
Gesamtergebnis "Die Leistungen übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße".
Im Vergleich zu dieser Spitzennote, die die Beigeladenen in den aus Anlass dieser oder
einer früheren Bewerbung erstellten Beurteilungen erreicht haben, weist die Beurteilung
der Antragstellerin vom 3. November 2009 nur die zweitbeste Note "Die Leistungen
übertreffen die Anforderungen" auf. Somit erkennt der Antragsgegner zutreffend einen
qualitativen Vorrang der Beigeladenen vor der Antragstellerin. Denn die vorliegenden
Anlassbeurteilungen, die sämtlich noch hinreichend aktuell sind, hat er zu Recht der
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Auswahlentscheidung zugrunde gelegt. Die Antragstellerin erhebt gegen ihre eigene
Beurteilung vom 3. November 2009 keine einzelfallbezogenen Einwendungen und ihre
generellen Einwendungen gegen das gesamte Beurteilungssystem greifen nicht durch.
Die dezentrale Beurteilung von Lehrern durch eine Vielzahl verschiedener Beurteiler,
der jeweils zuständigen Schulleiter, ist - insbesondere im Hinblick auf die einheitliche
Anwendung der zugrunde liegenden Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der
Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und
Studienseminaren vom 2. Januar 2003 (ABl. NRW Seite 7) - rechtlich nicht zu
beanstanden.
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OVG NRW, Beschlüsse vom 10. November 2009 - 6 B 1254/09 - und vom 30. Mai 2007
- 6 B 509/07 -.
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Aus der Vergabe von 22 Spitzennoten im Bewerberkreis und aus deren Verteilung auf
die betroffenen Schulen lassen sich keine Schlüsse auf eine sachfremde, insbesondere
nicht leistungsgerechte Benotung ziehen. Angesichts fast ebenso vieler Bewertungen
mit der zweitbesten Note und einer Bewertung mit der drittbesten Note weist das
Bewerberfeld keine Auffälligkeiten auf, die zu Zweifeln an einer an Art. 33 Abs. 2 GG
orientierten Beurteilungspraxis Anlass geben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das
Bewerberfeld nur einen sehr kleinen Ausschnitt aller potentiell zu beurteilenden
Realschullehrer in F. darstellt. Es ist naheliegend, dass gerade die potentiellen
Bewerber, die angesichts ihrer bisher erbrachten Leistungen nicht mit der Erteilung der
Spitzennote oder der zweitbesten Note rechnen konnten, von einer Bewerbung
abgesehen haben.
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Ob der Antragsgegner seiner Verpflichtung, eine inhaltliche Ausschärfung ernsthaft in
Betracht zu ziehen, genügt hat, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner
abschließenden Klärung. Bei gleichlautenden Gesamturteilen der aktuellen
Beurteilungen von Bewerbern, deren Zahl - wie hier - die Zahl der zu vergebenden
Stellen übersteigt, ist der Dienstherr auch bei Lehrkräften, deren Beurteilungen
freiformulierte Textpassagen enthalten, zu einer inhaltlichen Ausschärfung der
dienstlichen Beurteilungen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, eine solche
zumindest ernsthaft in Betracht zu ziehen.
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OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Juli 2005 - 6 B 679/05 - nrwe, juris, und vom 13. April
2005 - 6 B 2711/04 - juris, ständige Rechtsprechung; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom
15. Juli 2010 - 1 L 547/10 -.
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Ob der Besetzungsvermerk vom 22. Februar 2010 dieser Verpflichtung entspricht, kann
dahinstehen, weil ein Verstoß gegen die Ausschärfungsverpflichtung den
Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin nicht berühren würde, da sie nicht
zu dem Kreis der 22 Bewerber mit der Spitzennote gehört und der mögliche Verstoß
deshalb nicht kausal für ihre Nichtberücksichtigung sein kann.
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Der Antragstellerin ist auch keine rechtswirksame Zusage der Beförderung gemacht
worden. Die mündlichen Erklärungen des früheren und des derzeitigen Schulleiters
halten die nach § 38 Abs. 1 VwVfG erforderliche Form nicht ein. Den vom Antrags-
gegner zunächst erteilten Konkurrentenmitteilungen, die unzutreffend die Beförderung
der Antragstellerin ankündigen, kommt der Erklärungswert einer an die Antragstellerin
gerichteten Zusicherung nicht zu. Abgesehen davon, dass sich diese Schreiben nicht an
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die Antragstellerin richten, beinhalten sie keine Beförderungs-zusage. Derartige in
diesem Verfahrensstadium an erfolglose und gegebenenfalls auch entsprechend an die
ausgewählten erfolgreichen Bewerber gerichtete Schreiben stehen - unabhängig von
etwa auftretenden haushaltsrechtlichen Risiken - insbesondere unter dem Vorbehalt,
dass keiner der unterlegenen Mitbewerber innerhalb der eingeräumten zwei- bis
dreiwöchigen Frist einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 123 Abs. 1 VwGO in Anspruch
nimmt. Die Antragstellerin war damit bisher nicht Adressatin eines begünstigenden
Verwaltungsakts in Form einer Beförderungs-zusage, von der sich der Antragsgegner
nur nach erneuter Beteiligung des Personalrats hätte lösen können.
Gemäß dem der Kammer vorliegenden Aktenmaterial fehlt es allerdings an einer
erneuten Zustimmung des Personalrats und einer erneuten Beteiligung der
Gleichstellungsbeauftragten zu der nunmehr vom Antragsgegner beabsichtigten
Beförderung der neun Beigeladenen. Nach Aktenlage hat eine Beteiligung der
Gleichstellungsbeauftragten gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 LGG lediglich zu der ursprünglich
getroffenen Auswahlentscheidung, bei der die Beigeladene zu 1. nicht, wohl aber die
Antragstellerin berücksichtigt werden sollte, stattgefunden. Eine Zustimmung des
Personalrats liegt nur für die erste Korrektur der Auswahlentscheidung vor, nach der die
Antragstellerin und nicht die Beigeladene zu 9. berücksichtigt werden sollte. Für die
nunmehr maßgebliche zweite Korrektur der Auswahlentscheidung lässt sich dem
vorliegenden Aktenmaterial weder eine Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten
noch eine Zustimmung des Personalrats (§ 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LPVG) entnehmen. In
dem in Kopie vorgelegten Verwaltungsvorgang des Antragsgegners findet sich insoweit
lediglich eine unter dem unzutreffenden Datum des 24.2.2010 ergangene Mitteilung des
Personalrats, dass der Vorlage vom 16. April 2010 nicht zugestimmt und um Erörterung
gebeten werde. Diese Verfahrensmängel verhelfen dem einstweiligen
Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin nicht zum Erfolg, weil es angesichts ihrer
schlechteren aktuellen Beurteilung ausgeschlossen ist, dass sie bei Beseitigung der
Mängel den Vorzug vor den Beigeladenen erhält.
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Vgl. zu derartigen Kausalitätsüberlegungen bei Verfahrensmängeln: OVG NRW,
Beschlüsse vom 16. Februar 2010 - 1 B 1483/09 - juris, vom 20. März 2009 - 6 B 3/09 -
juris, und vom 2. April 2009 - 1 B 1833/08 - juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16.
Oktober 2008 - 13 L 970/08 - nrwe, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15.
Dezember 2008 - 1 L 1422/08 - nrwe.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie bislang
nicht am Verfahren beteiligt waren, keinen Antrag gestellt und sich damit dem
Kostenrisiko nicht unterworfen haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 des Gerichts-
kostengesetzes.
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