Urteil des VG Gelsenkirchen vom 09.11.2004

VG Gelsenkirchen: unbeteiligter dritter, firma, eltern, sozialhilfebehörde, zukunft, verlobte, geschäftsführer, verfügung, niederlassung, heilbehandlung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 L 2288/04
09.11.2004
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
19. Kammer
Beschluss
19 L 2288/04
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird auf Kosten des
Antragstellers abgelehnt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e:
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des maßgeblichen Regelsatzes und der
Kosten der Unterkunft von monatlich 880 Euro ab Oktober 2004 zu bewilligen und zudem
die Kosten einer erforderlichen zahnärztlichen Heilbehandlung zu übernehmen,
hat keine Aussicht auf Erfolg.
Zu Gunsten des Antragstellers ist der Antrag gem. §§ 122 Abs. 1, 88 der Verwal-
tungsgerichtsordnung -VwGO- dahingehend auszulegen, dass er die Kosten der Unterkunft
beginnend mit dem Monat Oktober 2004 laufend zum Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens machen will und nicht (wie wörtlich beantragt) nur für den Monat Oktober 2004.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Nach §
123 Abs. 1 VwGO darf eine die Entscheidung vorwegnehmende einstweilige Anordnung
auf Gewährung von Sozialhilfe nur ergehen, wenn es - im Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung - aus den in § 123 Abs. 1 VwGO aufgeführten besonderen Gründen
notwendig ist, dass dem Begehren sofort entsprochen wird. Der geltend gemachte
Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit
der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen
(§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ein Anordnungsgrund besteht (nur) bei
drohenden wesentlichen Nachteilen. Die erstrebte Regelung muss der Abwendung einer
unaufschiebbaren gegenwärtigen Notlage dienen, etwa der Sicherung der
Existenzgrundlage des Hilfe Suchenden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Mai 1999 - 16 B 681/99 -.
1. Soweit es dem Antragsteller um die vorläufige Bewilligung von Regelsatzleistungen für
die Zeit vor Antragseingang bei Gericht und nach dem Ende des Monats der gerichtlichen
Entscheidung geht -sein Antrag ist insoweit zeitlich nicht beschränkt- , fehlt es regelmäßig
an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Sozialhilfe ist keine rentengleiche
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Dauerleistung. Sie dient lediglich zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage und wird
daher von der Sozialhilfebehörde jeweils nur für einen bestimmten Zeitraum, in der Regel
für einen Monat, bewilligt, weil sich die Anspruchsvoraussetzungen (z.B. hinsichtlich der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse, aber auch wegen der Unterkunftsverhältnisse)
ändern können. Dies muss von der Sozialhilfebehörde, soweit es darauf ankommt, bei der
Entscheidung über die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt berücksichtigt
werden. Dabei ist die Sozialhilfebehörde verpflichtet, den jeweiligen Sozialhilfefall von
Amts wegen unter Kontrolle zu halten. Deshalb kann grundsätzlich davon ausgegangen
werden, dass der Träger der Sozialhilfe den Erlass einer einstweiligen Anordnung, der sich
nicht über den Monat der gerichtlichen Entscheidung hinaus in die Zukunft erstreckt, zum
Anlass nimmt, den Sozialhilfefall für die weitere Zeit unter Zugrundelegung dieser
gerichtlichen Entscheidung zu regeln, so dass eine Notwendigkeit für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung durch das Gericht über das Ende des Monats der gerichtlichen
Entscheidung hinaus regelmäßig nicht besteht. Da das Anordnungsverfahren nur der
Abwendung gegenwärtig drohender wesentlicher Nachteile dient, bietet es regelmäßig
auch keine Regelungsmöglichkeiten für bereits in der Vergangenheit liegende Notlagen.
Vgl. ständige Rechtsprechung des OVG NRW, z.B. Beschlüsse vom 16. Januar 1995 - 24
B 3336/94 - und vom 12. Mai 1999 - 16 B 681/99 - .
Hiernach ist für den Zeitraum vor Antragseingang bei Gericht ( 15. Oktober 2004 ) und ab
Dezember 2004 bereits ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, soweit es um die
regelsatzmäßigen Leistungen in voller Höhe geht, die einen täglich zu deckenden Bedarf
erfassen.
2. Für den verbleibenden Zeitraum vom 15. Oktober bis 30. November 2004 fehlt es
ebenfalls bereits an einem Anordnungsgrund, soweit der Antragsteller mehr als 80 % der
maßgeblichen Regelsatzleistung erstreben sollte. Nach ständiger Rechtsprechung des
OVG NRW,
vgl. z.B. Beschluss vom 12. Mai 1999 - 16 B 681/99 -,
ist es in der Regel zur Vermeidung wesentlicher Nachteile ausreichend, wenn einem
erwachsenen Hilfe Suchenden 80 v.H. des maßgeblichen sozialhilferechtlichen
Regelsatzes zur Verfügung stehen.
3. Für den verbleibenden Zeitraum und in verbleibender Höhe hat der Antragsteller einen
Anordnungsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gem. § 11 des
Bundessozialhilfegesetzes -BSHG- bzw. auf Krankenhilfe gem. § 37 BSHG nicht glaubhaft
gemacht. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt (nur) dem zu
gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen
kann. Dabei ist das Nichtvorhandensein eigener Mittel gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG
negatives Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Der Hilfe
Suchende muss beweisen bzw. im hier gegebenen Verfahren gemäß § 123 Abs. 3 VwGO
in Verbindung mit § 920, § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft machen, dass er
seinen Bedarf nicht durch eigenes oder ihm zurechenbares Einkommen oder Vermögen
sicherstellen kann. Die Nichtaufklärbarkeit dieses anspruchsbegründenden
Tatbestandsmerkmals geht zu Lasten desjenigen, der das Bestehen des Anspruchs
behauptet, also des jeweiligen Hilfe Begehrenden.
Siehe BVerwG, Urteil vom 2. Juni 1965 - V C 63.64 -, BVerwGE 21, 208; OVG NRW, Urteil
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vom 20. Februar 1998 - 8 A 5181/95 -, NWVBl. 1998, 329.
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers sind derart zweifel- haft,
dass mit der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendigen Wahr-
scheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass er hilfebedürftig i.S.d. § 11
BSHG ist. Die Unklarheiten hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse
rühren insbesondere daher, dass der Antragsteller einer der Geschäftführer der Fa. U. Q.
Limited mit Sitz in Birmingham ist, eine am 7. Januar 2004 nach englischem Recht
gegründete private Kapitalgesellschaft. Diese unterhält in Bochum, Hattinger Str. 385 eine
unselbständige Zweigstelle mit dem Geschäftszweig ​Elektroinbetrieb- nahmen". Als
Gewerbetreibende sind der zuständigen Abteilung des Antragsgegners der Antragsteller
und Herr Michael Peth -der weitere Geschäftsführer der U. Q. M. - bekannt. Die Anmeldung
erfolgte am 18. März 2004. Ob und in welcher Höhe der Antragsteller Einnahmen aus
seiner Tätigkeit bezieht, ist unbekannt. Zwar behauptet dieser im Schriftsatz vom 3.
November 2004 (und versichert die Richtigkeit seiner Angaben zudem an Eides Statt), die
Firma habe keine Aufträge, sie befinde sich immer noch in der Eröffnungsphase und es
existiere nicht einmal ein Konto. Diese Einlassung hat er jedoch durch geeignete
Unterlagen nicht belegt. Solche müssten aber existieren, da die Niederlassung offenbar
über Geschäftsräume verfügt, die fixe Kosten verursachen und die buchungstechnisch
erfasst werden müssen. Auch ist unklar, wer die hierfür erforderlichen Mittel aufbringt.
Einzelheiten zu seiner Geschäftstätigkeit hat der Antragsteller nicht mitgeteilt. Zusätzlich in
Frage gestellt werden die Angaben des Antragstellers durch die Überweisung eines
Betrages von 500 Euro durch Herrn Armin Müller auf das Konto des Antragstellers. Herr
Armin Müller ist der Verwaltungssekretärs der Fa. U. Q. M. und dürfte personengleich sein
mit dem früheren Geschäftspartner des Antragstellers, mit dem er die im August 1995 in
Konkurs gefallende Fa. Q1. & N. GmbH, B. K. 45, C. betrieben hat. Der Antragsteller
behauptet hierzu, der Betrag sei ein privates Darlehn für rückständige Energiekosten. Er
konnte jedoch nur die Verwendung eines kleinen Teils für diesen Zweck belegen.
Die Erklärungen des Antragstellers insgesamt zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen
unterliegen weiterhin vor allem deshalb durchgreifenden Zweifeln, weil er sich als
unglaubwürdig erwiesen hat. Der Antragsteller hat den Antragsgegner über die wahren
Verhältnisse bezüglich der Fa. U. Q. bewusst getäuscht. Seit Jahresbeginn legte er immer
wieder Schreiben dieser Firma vor, die ein in naher Zukunft beginnendes Arbeitsverhältnis
zwischen dem Antragsteller und dieser Firma suggerieren sollten. Die Schreiben sind ganz
bewusst so gefasst, dass der Eindruck entsteht, der Antragsteller stehe der Firma als
unbeteiligter Dritter gegenüber: So wurde z.B. mit Schreiben vom 29. März 2004 (Blatt B 11
der Beiakte/Heft 2), mit dem der geschlossene Arbeitsvertrag ​vorläufig beendet" wurde,
ausgeführt: ​ Für den Fall, dass Ihrerseits kein Interesse mehr besteht, oder Sie anderweitig
involviert sein werden, wünschen wir Ihnen alles Gute für die Zukunft". Unterzeichnet ist
das Schreiben vom Geschäftsführer Herr Q2. . Was angesichts dieses Verhaltens von der
Einlassung des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 3. November 2004 zu halten ist, er
sei davon ausgegangen, dass der Antragsgegner informiert gewesen sei, da die Stadt C.
die Anmeldung der Niederlassung vorliegen habe, liegt auf der Hand.
Bestätigt wird diese Einschätzung vom Wahrheitsgehalt der Angaben des Antragstellers
noch durch weitere Ungereimtheiten. So mietete er ab April 2004 eine Wohnung (ca. 110
qm) zu einer Gesamtmiete von 860 Euro an (660 Euro Kaltmiete zuzüglich 200 Euro
Betriebskostenvorauszahlung). Obwohl der Antragsgegner die Unterkunftskosten für Mai
2004 nur anteilig übernommen hat und erst ab Juni -aufgrund des angeblich
bevorstehenden Arbeitsbeginns- die vollständige Miete darlehnsweise bewillgte- sind mit
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Ausnahme der Zeit ab Ablehnung der Hilfegewährung durch den Antragsgegner (ab
Oktober 2004) Mietrückstände nicht bekannt. Der Antragsteller behauptet zwar, für April
hätten ihm seine Eltern die Miete zur Verfügung gestellt. Das diesbezügliche
Bestätigungsschreiben (Blatt B 32 der Beiakte/Heft2) der Mutter des Antragstellers
unterliegt aber deutlichen Zweifeln hinsichtlich der Echtheit. Zum einen erschließt sich
nicht, warum die Mutter ihren Sohn in diesem Schreiben siezt (​Sehr geehrter Herr Q1. , auf
Grund ihrer Aussage, die Sie mir im März 2004 gemacht haben, dass Sie im April 2004
einer erneute Arbeit in England anfangen wollen, habe sich mich bereit erklärt, Ihnen ein
Überziehungskredit meines Kontos einzuräumen."). Zum anderen zeigt der
Unterschriftszug deutliche Ähnlichkeit mit dem des Antragstellers.
Die ungeklärten Verhältnisse setzten sich weiter fort -wie der Antragsgegner zu Recht
ausführt- in dem Umstand, dass der Antragsteller - zumindest seit Juni 2004 (Blatt B 51 der
Beiakte/Heft 2) mit seiner Verlobten zusammenwohnt, die nach seinen Angaben über kein
Einkommen verfügt, um ihren Lebensunterhalt in der Bundesrepublik sicherzustellen. Hilfe
zum Lebensunterhalt hat diese jedoch nicht beantragt. Ob die Verlobte sich einige Zeit in
ihrem Heimatland aufgehalten hat, mag hier dahinstehen, es ist jedenfalls unglaubhaft,
dass beide Personen auch nur zeitweise von nur einem Regelsatz leben können. Für den
Fall der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeit wäre auch nicht nachvollziehbar, warum nur der
Antragsteller Hilfeleistungen bezieht, seine Partnerin aber auf Zuwendungen/Mahl- zeiten
durch Verwandte angewiesen ist. Zudem hat er zu den Personen und dem Ausmaß der
Unterstützung durch Verwandte unterschiedliche Angaben gemacht. So hat er am 28. Juli
2004 - unterschriftlich bestätigt - erklärt, seine zukünftige Ehefrau werde ​überwiegend von
meinen Verwandten (Eltern, Geschwister) unterhalten". Anfang Oktober hat er angegeben
bzw. sich bescheinigen lassen, er und seine ​Verlobte" hätten ​seit Mai 2004 regelmäßig"
bzw. ​täglich" bei seinen Eltern gegessen. Schließlich liegt eine eidesstattliche
Versicherung der Frau W. trotz Hinweises des Gerichts nicht vor. Insgesamt hat der
Antragsgegner nach den vorstehenden Ausführungen ein völlig unklares Bild seiner ihrer
Einkommens- und Vermögensverhältnisse gezeichnet, das auch die Gründe von
Krankenhilfe in Form einer zahnärztlichen Heilbehandlung gemäß § 37 BSHG ausschließt,
vgl. § 28 Abs. 1 BSHG.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO.