Urteil des VG Gelsenkirchen vom 08.12.2006

VG Gelsenkirchen: chemie, praktikum, numerus clausus, medizin, beschränkung, universität, fakultät, studienordnung, besuch, satzung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 4 L 1690/06
Datum:
08.12.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 1690/06
Schlagworte:
Praktikum der Chemie; Praktikum; Chemie; Zulassung;
Lehrveranstaltung; Studiengang; Kapazität
Normen:
§ 82 Abs. 1 Abs. 1 HG NRW (2000), § 71 Abs. 1 HG NRW (2000), § 13
EinschreibeO (RU Bochum), § 5 StudO (Medizin Bochum)
Leitsätze:
Einzelfall einer Zulassung zum Praktikum der Chemie für Mediziner für
Studierende der Chemie
Tenor:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis
zum rechtskräftigen Abschluß eines Hauptsacheverfahrens zum
"Praktikum der Chemie für Mediziner" zuzulassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
2. Der Streitwert wird auf 2500,- Euro festgesetzt.
3. Die Entscheidung soll den Beteiligten vorab per Telefax bekannt
gegeben werden.
Gründe:
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Die Antragstellerin hat gemäß § 123 Abs.3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs.2, 294
der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Zulassung
zum Praktikum der Chemie für Mediziner zusteht.
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Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 des Hochschulgesetzes für das Land Nordrhein- Westfalen -
HG - haben Studierende einer Hochschule das Recht, Lehrveranstaltungen auch
außerhalb des von ihnen gewählten Studiengangs zu besuchen. Die Antragstellerin ist
an der Ruhr-Universität C. als Zweithörerin im Studiengang Chemie zugelassen. Das
bedeutet, dass sie im Sinne des § 71 Abs. 1 HG NRW und § 13 der
Einschreibungsordnung der Antragsgegnerin berechtigt ist, im Studiengang Chemie
Lehrveranstaltungen zu besuchen und studienbegleitende Prüfungen abzulegen. Damit
hat sie den Status einer Studierenden der RUB und ist mithin grundsätzlich Inhaberin
des dargestellten Rechts zum Besuch von Veranstaltungen auch außerhalb des
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Studiengangs Chemie.
Eine ausdrückliche Ausnahme von diesem Anspruch normiert § 82 Abs. 2 HG NRW,
wonach das Recht zum Besuch von Lehrveranstaltungen außerhalb des gewählten
Studiengangs durch den Fachbereich beschränkt werden kann, wenn ohne die
Beschränkung eine ordnungsgemäße Ausbildung der für einen Studiengang
eingeschriebenen Studierenden nicht gewährleistet werden kann. Die Antragstellerin
begehrt den Besuch der Lehrveranstaltung "Praktikum der Chemie für Mediziner". Nach
§ 5 Abs. 1 Satz 3 der Studienordnung der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität
C. (nachfolgend: StudO) i. V. m. § 4 StudO handelt es sich bei dem Praktikum der
Chemie für Mediziner um eine Pflichtveranstaltung des vorklinischen Studienabschnitts,
also um eine Lehrveranstaltung außerhalb des Studiengangs Chemie, ungeachtet, dass
die Lehrleistung der Lehreinheit Chemie zuzurechnen ist.
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Eine konkrete zahlenmäßige Beschränkung der Teilnehmerzahl am "Praktikum der
Chemie für Mediziner" "durch den Fachbereich" - wie von § 82 Abs. 2 HG NRW
vorgesehen - ist nicht ersichtlich. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 HG NRW wäre insoweit
eine Satzung des Fakultätsrates der Medizinischen Fakultät der RUB erforderlich, durch
die die Teilnehmerzahl beschränkt wird: Die Studienordnung der Medizinischen
Fakultät der RUB, die als Satzung des Fakultätsrates im obigen Sinne in Betracht
gezogen werden könnte, enthält keine konkrete Beschränkung der Teilnehmerzahl am
"Praktikum der Chemie für Mediziner". Soweit § 5 Abs. 1 StudO sinngemäß bestimmt,
dass bei allen in § 4 aufgeführten praktischen Übungen und Seminaren die
Teilnehmerzahl gemäß § 82 Abs. 2 und 3 HG NRW begrenzt werden kann, beinhaltet
das eine entsprechende Ermächtigung an den Fakultätsrat, stellt jedoch keine
vollziehbare Beschränkung dar; § 5 Abs. 5 StudO regelt lediglich das
Zulassungsverfahren bei Bewerberüberhang.
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Auch der Umstand, dass es sich u.a. beim "Praktikum der Chemie für Mediziner" um
eine sog. "Lehrveranstaltung mit begrenzter Teilnehmerzahl" handelt, indiziert keine
objektivierbare Zulassungsbeschränkung. Es folgt aus der Lehrveranstaltungsart
"Praktikum", dass der Lernerfolg nur bei einer begrenzten Teilnehmerzahl gewährleistet
ist. Das macht jedoch eine Konkretisierung auf eine bestimmte Teilnehmerzahl nicht
überflüssig, die die Studienordnung weder bestimmt noch antizipiert.
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Ohne eine Beschränkung auf eine bestimmte Teilnehmerzahl ist es grundsätzlich nicht
möglich, einen Bewerber für die Veranstaltung unter Hinweis auf die Erschöpfung der
Aufnahmekapazität abzulehnen.
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Allerdings ergibt sich eine absolute Kapazitätsgrenze aus dem Umstand, dass es sich
beim Studiengang Medizin um ein sog. absolutes Numerus-clausus-Fach handelt. Da
das "Praktikum der Chemie für Mediziner" gemäß § 4 Abs. 5 StudO eine
Pflichtveranstaltung ist, die gemäß Studienplan (Anlage zur Studienordnung) im ersten
Studiensemester zu absolvieren ist, wird im Wintersemester 2006/07 die
Aufnahmekapazität des Praktikums somit durch die Aufnahmekapazität des
vorklinischen Studiengangs begrenzt, weil davon auszugehen ist, dass alle
festgesetzten Studienplätze vergeben werden und jeder der aufgenommenen
Studierenden entsprechend dem Studienplan das Praktikum der Chemie für Mediziner
besuchen wird. Die festgesetzte Zulassungszahl liegt nach der Verordnung über die
Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen im ersten
Fachsemester für das Studienjahr 2006/07 vom 6. Juli 2006 (GV NW S. 295) bei 306
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Studienplätzen. Soweit die Ruhr-Universität C. zum Wintersemester 2006/07
erklärtermaßen nur 266 Interessenten für das "Praktikum der Chemie für Mediziner"
zugelassen hat, erschöpft sie die aufgezeigte Aufnahmekapazität somit nicht, so dass
die Antragstellerin einen Anspruch darauf hat, ebenfalls das Praktikum der Chemie für
Mediziner zu besuchen.
Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung eine Aufnahmekapazität von nur
266 Praktikumplätzen damit begründet, dass von der Gesamtaufnahmekapazität der
Vorklinik 42 Studienplätze für den Modellstudiengang Medizin vorbehalten worden
seien, so rechtfertigt das - abgesehen von einem offensichtlich vorliegenden
Rechenfehler - eine Beschränkung des Zulassungsrechts im Sinne des § 82 Abs. 2 HG
NW nicht. Nach der Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die
Vergabe von Studienplätzen im ersten Fachsemester für das Studienjahr 2006/07 hat -
wie in den Vorjahren - für den Studiengang Medizin eine einheitliche
Kapazitätsermittlung stattgefunden. Soweit dem Gericht - in anderem Zusammenhang -
teilweise die Kapazitätsberechnungsunterlagen der Ruhr- Universität C. für die
vorklinische Medizin vorliegen, finden sich darin ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine
nach medizinischen Studiengängen differenzierte Kapazitätsberechnung. Es handelt
sich vielmehr um eine einheitliche Berechnung, bei der z. B. der von der Lehreinheit
Chemie berücksichtigte Fremdanteil am Lehrangebot mit 0,16 gegenüber den Vorjahren
unverändert geblieben ist. Wenn innerhalb der Lehreinheit Vorklinische Medizin eine
Aufteilung des Lehrangebots in der geschehenen Weise erfolgt ist, so kann an dieser
Stelle dahin stehen, inwieweit das grundsätzlich oder konkret zulässig ist. Die nach § 82
Abs. 2 HG NRW erforderliche Beschränkung des Rechts zum Besuch einer
Lehrveranstaltung lässt sich damit jedenfalls nicht mehr normativ aus der
Höchstzahlenverordnung ableiten, so dass es eines Beschlusses des Fakultätsrates der
Medizinischen Fakultät bedurft hätte, der ausspricht und im Sinne des § 82 Abs. 2 HG
NRW begründet, dass bei einer Zulassung von mehr als 266 (264?) Studierenden zum
Praktikum der Chemie für Mediziner eine "ordnungsgemäße Ausbildung der für den
Studiengang eingeschriebenen Studierenden nicht gewährleistet werden" könne.
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Dem Anspruch der Antragstellerin steht schließlich nicht entgegen, dass sie als
Zweithörerin gemäß § 5 Abs. 6 StudO von einer Zulassung zu Pflichtveranstaltungen
der Vorklinik ausgeschlossen sein könnte. Insoweit geht die Kammer im Rahmen des
vorläufigen Rechtsschutzes von der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin
aus, wonach sie an der Universität Münster als ordentliche Studentin im Studiengang
Chemie/Physik, als nicht im Studiengang Medizin, eingeschrieben ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt
aus §§ 53 Abs.3, 52 Abs.1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
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