Urteil des VG Gelsenkirchen vom 04.03.2008

VG Gelsenkirchen: innere sicherheit, ausländer, charta der vereinten nationen, genfer flüchtlingskonvention, verbrechen gegen die menschlichkeit, entlassung aus der haft, organisation, widerruf

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 14a K 3288/06.A
Datum:
04.03.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
14a. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14a K 3288/06.A
Schlagworte:
Asylrecht, Widerruf, Asylunwürdigkeit, Ausschlussgrund, Ziele und
Grundsätze der Vereinten Nationen, Wiederholungsgefahr, PKK-
Funktionär
Normen:
AsylVfG § 3 Abs. 2, AsylVfG § 73 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 8,
AufenthG § 60 Abs. 8 Satz 2
Tenor:
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.
Oktober 2006 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann
die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor
in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T A T B E S T A N D :
1
Der 1961 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer
Volkszugehörigkeit. Von 1979 bis 1981 hielt er sich bereits einmal in der
Bundesrepublik Deutschland auf. Die Entscheidung über seinen in dieser Zeit gestellten
Asylantrag wartete er nicht ab, sondern kehrte in sein Heimatland zurück (die
entsprechende Verfahrensakte ist bereits vernichtet).
2
Ausweislich seiner Angaben reiste er im Februar 1994 auf dem Luftweg erneut in das
Bundesgebiet ein. Zur Begründung seines sodann gestellten Asylantrages gab er
anlässlich seiner Vorprüfung vor dem früheren Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge, nunmehr Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bundesamt), im Wesentlichen an:
3
Er habe während seines ersten Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland die PKK
4
kennengelernt und sei seit dieser Zeit deren Sympathisant. Er habe von 1983 bis 1984
in der Türkei Militärdienst geleistet. Von 1985 bis 1986 habe er sich in Saudi-Arabien
aufgehalten, wo er Mitglied der ERNK geworden sei. Nach seiner Rückkehr in die
Türkei habe er sich für diese, die HEP sowie DEP in vielfacher Weise engagiert,
insbesondere Propagandaaktivitäten für die PKK geleitet. Er habe dem Kreiskomitee
von U. angehört. Erstmalig sei er im März 1987 verhaftet und nach schwerer Folter erst
vom Staatssicherheitsgericht freigelassen worden. Insgesamt sei er viermal inhaftiert
gewesen, zuletzt von September bis Dezember 1993. Dabei sei er schwerer Folter
unterzogen worden. Er sei wiederum dem Staatssicherheitsgericht vorgeführt und erneut
freigelassen worden; das Verfahren gegen ihn sei aber weitergeführt worden. Nachdem
im Januar 1994 sein Bruder als °°°°-Kommandant von U. und I. von Sicherheitskräften
getötet worden sei und in diesem Zusammenhang zahlreiche Milizangehörige
festgenommen worden seien, sei er unter Folter verraten und erneut
sicherheitsbehördlich gesucht worden. Auf Anraten von Parteifreunden habe er
daraufhin die Türkei verlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der umfänglichen Angaben des Klägers sowie der von
diesem überreichten zahlreichen Unterlagen in Gestalt von ihn namentlich
erwähnenden Zeitungsausschnitten und Anklageschriften des Staatssicherheitsgerichts
F. aus dem Jahre 1993 u.a. wird auf Blatt 12 bis 50 der Beiakte Heft 2 Bezug
genommen.
5
Mit Bescheid vom 28. Februar 1994 erkannte das Bundesamt den Kläger als
Asylberechtigten an und stellte zugleich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 Ausländergesetz - AuslG - fest.
6
Im Mai 1994 wurde ihm ein Reiseausweis sowie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis
erteilt. Im März 1997 zog er mit Ehefrau und Kindern nach H. .
7
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 30. Dezember 1997 - 10 Cs 10 Js 45141/97 A
(38 VRs) -, rechtskräftig seit dem 10. März 1998, wurde der Kläger wegen
gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur
Bewährung ausgesetzt wurde. Gegenstand des Strafverfahrens war eine von der PKK
angeordnete Disziplinierung eines PKK-Aktivisten, der sich von dieser lossagen wollte.
Dieser stürzte, als ihn der Kläger zusammen mit fünf weiteren Tätern am °°. °°°° 1997
„vor das Volk" bringen wollte, ohne dass die Umstände und die Ursache geklärt werden
konnten, aus dem Wohnzimmerfenster auf die Pflasterung. Der Geschädigte wurde
anschließend auf die Ladefläche eines Kleinbusses verladen, um ihn gegen seinen
Willen wegzutransportieren.
8
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2002 bat das Bundeskriminalamt (BKA) das Bundesamt
unter Hinweis auf „§ 51 Abs. 3 AuslG n.F." bezugnehmend auf einen beigefügten
Vermerk gleichen Datums um Einleitung eines Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens,
da die dem Kläger vorgeworfenen Tathandlungen nach Bewertung des BKA in der
Gesamtheit der Erkenntnisse eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland darstellten und den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung zuwider liefen. In dem Vermerk wird unter Verweis auf die vorgenannte
Verurteilung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
9
Im Rahmen der Ermittlungen gegen die Führungsorganisation der PKK (seit April 2002
10
KADEG) sei der Kläger bekannt geworden. Dieser sei nach dortigen Erkenntnissen als
sogenannter Halbprofessioneller der PKK tätig. Er habe unmittelbar vor seiner
Übernahme als professioneller Kader gestanden. Allein die Position eines Kaders
dokumentiere die herausgehobene Stellung der Person in der Partei. Der Kläger sei zu
bestimmten Zeiten de facto einem Kader gleichgestellt. Er sei 1985 in Saudi-Arabien
Mitglied der PKK/ERNK geworden, deren Ziele er auch ab 1986 in der Türkei weiter
verfolgt habe, u.a. als Vorsitzender des Kreiskomitees der PKK in U. . In der
Bundesrepublik Deutschland sei er während des Zeitraums von Februar bis Juni 1999
als Raumverantwortlicher I1. tätig gewesen und habe im Februar 1999 übergangsweise
in Personalunion auch die Verantwortlichkeit für das Gebiet E. wahrgenommen. Als
Gebietsverantwortlicher habe er, wie jeder professionelle Kader, der von der PKK-
Führungsebene mit Führungsaufgaben betraut sei, stets deren Anweisungen gekannt.
Er habe die Planungen der Europaführung umgesetzt, wozu die Vorbereitung und
Durchführung von Veranstaltungen, der Ausbau und die Festigung der
Gebietsstrukturen sowie die Wahrung der Parteidisziplin gehörte. Anlässlich der
Festnahme des B. P. in O. am 15. Februar 1999 habe der Kläger u.a. die gewalttätige
Besetzung des griechischen Konsulats E1. am 16. Februar 1999 koordiniert. Einige
Wochen später habe er einen Untergebenen mit der Durchführung einer Kurierfahrt von
B1. nach E. und der damit verbundenen Einfuhr von 2,6 kg Plastiksprengstoff beauftragt.
Darüber hinaus habe er sich aktiv an der Durchführung weiterer sogenannter
„heimatgerichteter" Aktivitäten, also der Beschaffung, Verfälschung bzw. Verwendung
von Reisedokumenten für die Ein- und Ausreise von PKK- Kadern beteiligt. Nach
dortiger Bewertung impliziere die herausragende Position des Klägers als langjähriges
Mitglied der PKK/ERNK und Gebietsverantwortlicher eine umfassende
Mitverantwortung für alle internen und externen Geschehensabläufe der Partei, wozu in
ganz besonderem Maße die terroristischen Aktivitäten der PKK-Guerilla in der Türkei mit
offiziell weit über 30.000 Todesopfern zählten. Nicht wegzudenken seien auch die
Aktivitäten der Partei in Europa zur Unterstützung dieses Guerilla-Kampfes mit all ihren
Facetten (Hausfriedensbrüchen, Landfriedensbrüchen, Brandstiftungen,
Freiheitsberaubungen, Erpressungen, körperlichen Züchtigungen bis hin zu Mord).
Wegen der im vorgenannten Bericht genannten Beteiligung an der Besetzung der
griechischen Botschaft in E1. im Februar 1999 wurde der Kläger mit rechtskräftig
gewordenem Urteil des Landgerichts E1. vom 21. Januar 2003 - IV 30/02 80 Js 5038/02
- wegen Anstiftung zum schweren Hausfriedensbruch in Tateinheit mit
Landfriedensbruch und Zuwiderhandlung gegen ein vereinrechtliches
Betätigungsverbot sowie wegen eines weiteren Verstoßes gegen ein vereinsrechtliches
Betätigungsverbot zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
11
Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen in diesem Urteil wurde der Kläger in der
Türkei wegen seiner dortigen - näher dargelegten - Aktivitäten für die PKK/ERNK, HEP
und DEP nach Erlass eines Haftbefehls u.a. vom 14. September 1993 vom
Staatssicherheitsgericht F1. am 27. Dezember 1993 (erneut) freigesprochen und nach
abermaliger Auseinandersetzung der ARGK-Guerilla mit dem türkischen Militär im
Januar 1994 erneut mit Haftbefehl gesucht. Anschließend habe die ERNK seine
Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland organisiert.
12
Der Kläger habe nach der Festnahme P1. im Februar 1999 als kommissarischer Leiter
des PKK-Gebiets E. einen Auftrag erhalten, die Besetzung des griechischen
Generalkonsulats in E1. in die Wege zu leiten. Dazu habe er durch Telefonketten eine
13
größere Anzahl von PKK- Aktivisten mobilisiert und mit der Besetzung des Gebäudes
beauftragt. Nach Stürmung des Gebäudes gegen 4.20 Uhr durch etwa 20 mit
Eisenstangen, Knüppeln und einer Axt bewaffneten Kurden und nach Eintreffen weiterer
Aktivisten und Sympathisanten der PKK vor dem Gebäude habe es dem nicht in der
Botschaft anwesenden Kläger oblegen, sowohl in eigener Verantwortung Weisungen
zum Ablauf der Aktion zu erteilen als auch die Weisungen der übergeordneten Kader an
die Besetzer weiterzuleiten. Dabei sei es, wie er gewusst habe, insbesondere darauf
angekommen, dass die Steuerung der Besetzung durch die PKK deutlich wurde. Ferner
habe er die Weisung erteilt, das Gebäude zu umzingeln, so dass die Polizeikräfte sich
nicht haben nähern und die Besetzung auflösen können. Bei der Strafzumessung sei
zugunsten des Klägers neben seinem umfassenden und von Reue getragenen
Geständnis zu berücksichtigen gewesen, dass mit der Festnahme des PKK-Führers P.
in L. eine für seine Anhänger als dramatisch empfundene Ausnahmesituation
aufgetreten sei. Auch habe er sich als Angehöriger einer militärisch straff geführten
Organisation dem von dieser ausgehenden Gruppendruck nur schwer entziehen
können. Des Weiteren falle zu seinen Gunsten ins Gewicht, dass er seit dieser
annähernd vier Jahre zurückliegenden Tat nicht mehr straffällig geworden sei, in
geordneten sozialen Verhältnisse lebe und fast drei Monate in Untersuchungshaft
(Dezember 2001 bis März 2002) verbracht habe. Zu seinen Lasten sei indes seine
Vorstrafe zu berücksichtigen, die ebenfalls im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten als
PKK-Anhänger stehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Urteilsabdruck (Blatt 9 bis 23 der Beiakte
Heft 1) verwiesen.
14
Zu welchem Zeitpunkt genau das Bundesamt von dieser Verurteilung Kenntnis erhielt,
lässt sich dem Verwaltungsvorgang nicht entnehmen. Das Urteil ist einer
Erkenntnismitteilung des Polizeipräsidiums H. , Abteilung Staatsschutz, vom 29.
November 2005 nachgeordnet, ausweislich derer der Kläger dort als Straftäter
hinsichtlich politisch motivierter Ausländerkriminalität/VEMO PKK-Unterstützer geführt
werde und außer den vorgenannten Straftaten weiterhin am 11. September 1996 wegen
des Verdachts des Einbruchs und der Spendengelderpressung in C. kriminalpolizeilich
in Erscheinung getreten sei.
15
Im Anschluss an einen internen Vermerk vom 21. Juni 2006, wonach die
Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl- und Abschiebungsschutz nicht mehr
vorlägen, hörte das Bundesamt den Kläger mit Schreiben vom 11. Juli 2006 zum
beabsichtigten Widerruf gem. § 73 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) an.
16
Der frühere Prozessbevollmächtigte bat daraufhin nach erfolgter Akteneinsicht um eine
Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 29. September 2006. Eine solche erfolgte
indessen nicht.
17
Mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 wiederrief das Bundesamt die Anerkennung des
Klägers als Asylberechtigter vom 28. Februar 1994 (Ziff. 1.) und die in dem Bescheid
vom 28. Februar 1994 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG vorliegen (Ziff. 2.) und stellte darüber hinaus fest, dass die Voraussetzungen
des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) offensichtlich nicht vorliegen (Ziff.
3.) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4.).
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt:
18
Die Feststellung der Asylberechtigung und des Vorliegens der Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG seien gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu widerrufen. Es seien
Umstände eingetreten, die die Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG rechtfertigten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schließe § 51 Abs. 3 AuslG
(nun § 60 Abs. 8 AufenthG) nicht nur den Anspruch auf Abschiebungsschutz aus,
sondern beschränke auch den Asylanspruch. Hier sei der Ausschlusstatbestand des §
60 Abs. 8 Satz 1, 1. Alt. AufenthG erfüllt. Der Kläger stelle aus schwerwiegenden
Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Er habe
eine für die Umsetzung der Ziele der verbotenen PKK/ERNK unerlässliche Funktion
innerhalb der Organisation ausgeübt. Auch die für das Vorliegen eines
Ausschlussgrundes nach § 60 Abs. 8 Satz 1 1. Alt. AufenthG erforderliche Prognose,
dass der Ausländer seine die Sicherheit des Staates gefährdende Betätigung in Zukunft
mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen werde, sei hier zu bestätigen. Der Kläger habe
insbesondere nicht die Gelegenheit genutzt darzutun, ob eine Distanzierung von der
PKK erfolgt sei oder nicht.
19
Der Widerruf werde zusätzlich auf den Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 2 3. Alt.
AufenthG gestützt, weil schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass sich
der Kläger Handlungen zu Schulden habe kommen lassen, die den Zielen und
Grundsätzen der Vereinten Nation zuwiderlaufen, indem er durch sein jahrelanges
Tätigwerden den bewaffneten Kampf der PKK als einer terroristischen Vereinigung aktiv
unterstützt habe. Insoweit bedürfe es nicht der Prüfung einer Wiederholungsgefahr.
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Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, über die erstmalig zu entscheiden sei,
lägen offensichtlich nicht vor, weil gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG ein Asylantrag
unabhängig von seiner materiell rechtlichen Begründetheit als offensichtlich
unbegründet abzulehnen sei, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG, wie
hier, vorlägen. Schließlich lägen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis
7 AufenthG vor. Angesichts der in der Türkei durchgeführten Reformen sowie der
bislang gemachten Erfahrung der letzten Jahre im Zuge der „Null-Toleranz-Politik"
gegenüber Folter und Misshandlung könne nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
prognostiziert werden, dass der Kläger im Rückkehrfall Opfer von Folter oder
Misshandlungen werde. Dies gelte umso mehr, als gegen den Kläger ein Haftbefehl
ergangen sei und aus den Auskünften und Gutachten sich kein substanziierter
Anhaltspunkt dafür entnehmen lasse, dass im Rahmen von gerichtlich angeordneter
Haft überhaupt in der Vergangenheit Folter oder unmenschliche Behandlung jemals
konkret zu befürchten gewesen sei. Auch kämen nach Angaben des in B2. ansässigen
Projektleiters des Europarats für Strafvollzugsangelegenheiten in türkischen
Gefängnissen keine Fälle von Folter oder Misshandlungen mehr vor.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des umfassend begründeten Bescheides wird auf
Blatt 49 bis 61 der Beiakte Heft 1 verwiesen.
22
Der Kläger hat am 2. November 2006 Klage erhoben. Er führt zur Begründung aus:
23
Die Widerrufsvoraussetzungen gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG lägen nicht vor, da
sich die maßgeblichen Umstände seit seiner Asylanerkennung nicht nachträglich
geändert hätten. Insbesondere sei die für die Zuerkennung von Asyl tragende
Feststellung im bundesamtlichen Bescheid vom 28. Februar 1994, es sei davon
auszugehen, dass er auf Grund seiner mit friedlichen Mitteln durchgeführten Aktivitäten
für die PKK im Rückkehrfall erneut politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen
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ausgesetzt sein werde, nicht nachträglich entfallen. Auch lägen die Voraussetzungen
der Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vor. Ungeachtet der
Veränderungen in der Türkei könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine
menschenrechtswidrige Behandlung durch türkische Sicherheitsorgane in der Praxis
unterbleibe. Das gelte umso mehr, als die gewalttätigen Auseinandersetzungen
zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften erneut aufgeflammt seien.
Angesichts der gegen ihn durch die türkischen Sicherheitsorgane erhobenen Vorwürfe
und seines durch das Urteil des Landgerichts E1. vom 21. Januar 2003 festgestellten
Einsatzes für die PKK im Bundesgebiet bestehe im Falle seiner Ausweisung eine
gesteigerte Gefahr, im Zuge von Vernehmungen Misshandlungen oder Folter
ausgesetzt zu sein.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG lägen nicht vor. Neuerliche
Erkenntnisse über eine Tätigkeit für die PKK seien in dem angegriffenen Bescheid nicht
vorgetragen worden. Allein die Verurteilung zu einer zweijährigen Haftstrafe stelle keine
den Anforderungen des § 60 Abs. 8 AufenthG genügende neue Tatsache dar, weil
hierfür eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren erforderlich sei.
Dahinstehen könne, ob seine Verurteilung Anhaltspunkte für seine Gefährlichkeit und
damit für die Belange der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland begründen könne.
Es fehle jedenfalls an der erforderlichen Erheblichkeit und an der notwendigen
konkreten Wiederholungsgefahr. Letzteres ergebe sich aus der durch das Landgericht
E1. attestierten günstigen Sozialprognose. Seine Lebensführung sei seit den
abgeurteilten Taten straffrei. Er habe sich schon vor Erlass des angefochtenen
Bescheides vollständig von den Zielen und Methoden der PKK distanziert. Er führe ein
normales Familienleben und sei sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Er habe
keinerlei Kontakte mehr zu Mitgliedern und Sympathisanten der PKK. Mehrere seiner
Kinder seien in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Er sei mit seiner Familie
seit fast 13 Jahren in den Lebensverhältnissen der Bundesrepublik Deutschland
verwurzelt. Einer Abschiebung in seinen Heimatstaat stehe deswegen auch Art. 8
ERMK entgegen.
25
Auf die gerichtliche Aufforderung, die vorgetragene Distanzierung von der PKK durch
Übersendung einer detaillierten Erklärung des Klägers zu substanziieren, hat dieser
zunächst nicht reagiert. Nach Erlass einer gerichtlichen Betreibensaufforderung vom 24.
Juli 2007 hat der Kläger mit Schriftsätzen seiner aktuellen Verfahrensbevollmächtigten
vom 6. und 21. August 2007 ergänzend Folgendes ausgeführt:
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Einschneidendes Ereignis für seine schon vor längerer Zeit erfolgte Distanzierung von
der PKK sei seine mehrmonatige Untersuchungshaft von Ende 2001 bis März 2002. In
dieser Zeit sei in ihm die Überzeugung gereift, dass der von ihm bisher eingeschlagene
Weg der aktiven Unterstützung der PKK nicht zu dem gewünschten Ziel führen würde.
Auch sei er hierdurch unterstützt worden von seiner Ehefrau, die eine Beendigung der
Ehe in Erwägung gezogen habe für den Fall, dass er weiterhin für die PKK arbeite,
verbunden mit dem Risiko einer erneuten Inhaftierung. Der „Prozess" der Distanzierung
sei über einen mehrmonatigen Zeitraum gereift. So habe er anlässlich der
Hauptverhandlung vor dem Landgericht im Januar 2003 ein auch nach gerichtlicher
Bewertung umfassendes und von Reue getragenes Geständnis abgelegt. Er bekenne
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland und habe seit seiner Inhaftierung keine Bestrebung
verfolgt oder unterstützt, die hiergegen bzw. gegen den Bestand oder die Sicherheit des
Bundes oder eines Landes gerichtet sei. Die Voraus-setzungen eines
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Ausschlussgrundes gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 sowie des Satzes 2 AufenthG erfülle er
deshalb nicht. Dass es sich bei seinen Erklärungen nicht lediglich um bloße
Lippenbekenntnisse handele, werde durch die eingeholten Auskünfte gestützt. Soweit
die Beklagte unter Hinweis auf § 3 Abs. 2 AsylVfG n. F. das Erfordernis einer
Wiederholungsgefahr negiere, gehe das fehl, weil es für die erhobene
Anfechtungsklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des
Bescheides im Oktober 2006 ankomme.
Der Kläger beantragt,
28
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Oktober 2006
aufzuheben,
29
hilfsweise,
30
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung der Ziffer 3. des angefochtenen
Bescheides festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den
Kläger hinsichtlich der Türkei erfüllt sind,
31
hilfsweise,
32
unter Aufhebung von Ziffer 4. des angefochtenen Bescheides festzustellen, dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich der Türkei gegeben
sind.
33
Die Beklagte betragt,
34
die Klage abzuweisen.
35
Sie führt ergänzend aus: Die Ausschlusstatbestände des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG a.
F. seien mit Wirkung vom 28. August 2007 aus rechtssystematischen Gründen in § 3
Abs. 2 Satz 1 AsylVfG aufgenommen worden. Diese Ausschlussklauseln stellten
sowohl nach Art. 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) als auch nach Art. 12 Abs.
2 der Qualifikationsrichtlinie negative Tatbestandsvoraussetzungen der
Flüchtlingseigenschaft dar. Die Ausschlussklauseln seien daher bereits im Rahmen der
Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ( § 3 Abs. 1 und 2 AsylVfG) zu prüfen. Soweit
Ausschlusstatbestände vorlägen, habe ein Ausländer nicht die Rechtstellung nach der
GFK und erhalte daher auch nicht den flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutz.
Durch § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG werde ausdrücklich klargestellt, dass die
Ausschlussgründe nicht nur für Täter, sondern auch für sonstige Beteiligte an den
genannten Straftaten oder Handlungen Geltung beanspruchten. Insoweit sei ihre schon
zu § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG a. F. vertretene Auffassung, dass es keiner Prüfung
einer Wiederholungsgefahr bedürfe, nunmehr durch den Gesetzgeber ausdrücklich
bestätigt worden, wie sich aus den einschlägigen Gesetzesmaterialien ergebe. Die
Flüchtlingseigenschaft sei hiernach aus Gründen der Asylunwürdigkeit ausgeschlossen,
wenn der Ausländer entsprechende Taten begangen habe. Eine (zukünftige)
Gefährdung der Sicherheit Deutschlands oder der Bevölkerung sei nicht erforderlich.
36
Auf entsprechende gerichtliche Anfrage hat das Bundeskriminalamt unter dem 26. April
2007 mitgeteilt, es lägen keine aktuellen Erkenntnisse über eine Tätigkeit des Klägers
für die PKK vor. Das Polizeipräsidium H. , Abteilung Staatsschutz, hat unter dem 19.
37
April 2007 bzw. 18. Februar 2008 ausgeführt, dass über den Kläger seit Oktober 2002
weder allgemeinkriminalpolizeiliche, noch staatsschutzrelevante Erkenntnisse bekannt
geworden seien und gerichtsverwertbare Hinweise zu Aktivitäten für die PKK und deren
Nachfolgeorganisation bzw. pro-kurdische Tätigkeiten allgemein nicht vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der
Ausländerakte des Klägers Bezug genommen.
38
Entscheidungsgründe :
39
Die zulässige Klage ist im gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung hauptantraglich begründet. Der angefochtene Bescheid der
Beklagten vom 23. Oktober 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten ( § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40
Als Ermächtigungsgrundlage für den ausgesprochen Widerruf sowohl der
Asylberechtigung als auch der Feststellung, dass für den Kläger ein
Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs. 1 AufenthG) besteht,
kommt nur § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der mangels besonderer Übergangsregelung
zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung vom 19. August 2007
(BGBl. I S. 1970), in Kraft getreten am 28. August 2007, in Betracht.
41
Nach dieser Regelung sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für
sie nicht mehr vorliegen. Diese Bestimmung ermächtigt, ebenso wie die
Vorgängerregelung, auch zum Widerruf einer positiven Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 1990.
42
Die Widerrufsvoraussetzungen liegen indessen nicht vor.
43
Der angefochtene Bescheid unterliegt allerdings in formeller Hinsicht keinen Bedenken.
Das Bundesamt hat dem Kläger entsprechend den Anforderungen des § 73 Abs. 4
AsylVfG mit Schreiben vom 11. und 25. Juli 2006 Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben. Das Unverzüglichkeitserfordernis besteht nur im öffentlichen Interesse. Ein
etwaiger Verstoß hiergegen führte nicht zur Rechtswidrigkeit des Widerrufs. Die in § 73
Abs. 2 a AsylVfG normierte Drei- Jahres-Frist war zum Zeitpunkt des Erlasses des
Widerrufsbescheides noch nicht abgelaufen. Denn diese Frist beginnt in Altfällen, wie
dem vorliegenden, erst vom 1. Januar 2005 an zu laufen. Die Jahresfrist des § 49 Abs. 2
Satz 2, 48 Abs. 4 VwVfG gilt in Fällen, in denen, wie hier, die Anerkennung innerhalb
der Drei- Jahres-Frist widerrufen wird, nicht.
44
Vgl. zum Vorstehehenden: BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2007 - 10 C 24.07 -, InfAuslR
2007, 401.
45
Der Widerruf ist aber materiell rechtswidrig.
46
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind erfüllt, wenn die
für die Anerkennungs- und Feststellungsentscheidung maßgebenden Voraussetzungen
nachträglich entfallen sind, wenn also die Anerkennung als Asylberechtigter oder die
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG nunmehr
47
ausgeschlossen ist.
Das ist hier nicht der Fall. Der Widerruf kann weder auf eine Änderung der Sachlage,
noch auf eine Änderung der Rechtslage gestützt werden.
48
1. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG/§ 51 Abs. 1 AuslG a. F. liegen im
Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn sich die für
die Schutzgewährung maßgebliche Sachlage geändert hat. Voraussetzung ist in diesen
Fällen, dass sich die für die Beurteilung der Anerkennungsvoraussetzungen
maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben; eine Änderung der
Erkenntnislage oder deren abweichende Würdigung genügt nicht.
49
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 9 C 12.00 -, BVerwGE 112, 80 und vom
20. März 2007 - 1 C 21.06 -, juris, OVG NRW, Urteil vom 4. April 2006 - 9 A 3590/05.A -,
juris und nunmehr § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG.
50
Entgegen der - jedenfalls im Zusammenhang mit der (Nicht-) Gewährung von
Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vertretenen - Annahme der
Beklagten haben sich die für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr des Klägers
maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei nicht geändert. Da der Kläger ausweislich der
Würdigung im Anerkennungsbescheid vom 28. Februar 1994, die weder von der
Beklagten in Zweifel gezogen wird, noch sonst in Frage steht, vorverfolgt ausgereist ist,
kommt es darauf an, ob er nunmehr vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher wäre.
51
Das ist nicht der Fall.
52
Nach der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer ist im Einklang mit der
Bewertung des OVG NRW anhand der über die Türkei vorliegenden zahlreichen
Erkenntnisse davon auszugehen, dass es dort trotz der umfassenden
Reformbemühungen, insbesondere der „Null-Toleranz- Politik" gegenüber Folter,
weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen asylerheblicher Art und Intensität kommt, die dem
türkischen Staat zurechenbar sind. Vorverfolgt ausgereiste Asylbewerber sind deshalb
auch gegenwärtig vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher. Solche Personen,
die durch Nachfluchtaktivitäten als exponierte und ernstzunehmende Gegner des
türkischen Staates in Erscheinung getreten sind und sich dabei nach türkischem
Strafrecht strafbar gemacht haben, müssen darüber hinaus im Fall ihrer Rückkehr in die
Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Übergriffen rechnen.
53
Wegen der weiteren Einzelheiten der Bewertung der Entwicklung in der Türkei und der
hieraus erwachsenen Verfolgungsgefahr wird auf die in das Verfahren eingeführten, die
Erkenntnislage umfassend auswertenden Urteile der erkennenden Kammer vom 16.
Januar 2007 - 14a K 1219/06.A - und 2. April 2007 - 14a K 2238/06.A sowie das Urteil
des OVG NRW vom 27. März 2007 - 8 A 4728/05.A -, veröffentlicht in www.nrwe.de,
verwiesen, zumal diese Fragen nicht im Vordergrund des vorliegenden Rechtsstreits
stehen. Hieran ist angesichts der in jüngster Zeit wieder aufgeflammten bewaffneten
Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften ohne
Einschränkung festzuhalten.
54
Da der Kläger nicht nur vorverfolgt ausgereist ist, sondern überdies aufgrund seiner
jedenfalls durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts E1. vom 21. Januar 2003
55
nach Außen sichtbar gewordenen exponierten exilpolitischen Tätigkeiten mit
offenbarem PKK-Bezug mit großer Sicherheit in das Blickfeld der türkischen
Sicherheitskräfte geraten und für diese als „Auskunftsperson" weiterhin „interessant" ist,
besteht für ihn im Rückkehrfall die Gefahr asylrelevanter Übergriffe, wozu auch
Misshandlungen zählen, die nicht als Folter zu bezeichnen sind, (sogar) mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit.
2. Der Widerruf ist auch nicht aufgrund der nach seiner Asylanerkennung ausgeübten
exilpolitischen Aktivitäten bzw. Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland in
Verbindung § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG und/oder § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG in seiner
von Januar 2005 bis 27. August 2007 gültigen Fassung, nunmehr ersetzt durch die
Regelung in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 AsylVfG,
gerechtfertigt.
56
Die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung bzw. die Gewährung politischen
Abschiebungsschutzes liegen im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch dann nicht
mehr vor, wenn durch eine nachträgliche Änderung der Rechtslage keine
Asylgewährung mehr möglich ist. Denn zu den „Voraussetzungen" im Sinne des § 73
Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zählt nicht nur die Gefahr politischer Verfolgung im
Herkunftsstaat, sondern unter anderem auch, dass keine der Gewährung von Asyl und
politischem Abschiebungsschutz entgegenstehenden Tatbestände verwirklicht sind. Ob
allerdings ein Widerruf der verfassungsrechtlich verbürgten Anerkennung als
Asylberechtigter überhaupt auf eine Änderung einfachen Gesetzesrechts gestützt
werden kann, erscheint zweifelhaft.
57
Ausdrücklich offengelassen vom OVG NRW, Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 5118/05.A -,
S. 17 des amtlichen Entscheidungsabdrucks (nicht rechtskräftig); vgl. allg. zur Änderung
der Rechtslage BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 9 C 12.00 -, a. a. O..
58
Das bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Voraussetzungen keiner der insoweit in
Betracht kommenden Widerrufsnormen sind in der Person des Klägers erfüllt.
59
Gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG findet Abs. 1 dieser Bestimmung keine
Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist (1. Alternative) oder eine
Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders
schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren
verurteilt worden ist (2. Alternative). Nach § 60 Abs. 8 Satz 2 findet § 60 Abs. 1 AufenthG
ferner dann keine Anwendung, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs.
2 des Asylverfahrensgesetzes erfüllt.
60
Insoweit ist zu § 51 Abs. 3 AuslG in der Fassung vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I, 2584
(AuslG 1997) bzw. zu § 51 Abs. 3 Satz 1 AuslG 2002 geklärt, dass diese Vorschrift nicht
nur entsprechend ihrem Wortlaut den einfach gesetzlichen Anspruch auf
Abschiebungsschutz für politische Flüchtlinge betrifft, sondern auch - wegen der darin
zum Ausdruck gebrachten verfassungsimmanenten Schranken - den Asylanspruch nach
Art. 16 a GG beschränkt.
61
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 - 9 C 31.98 -, BVerwG 109, 1; OVG NRW,
Beschluss vom 4. Dezember 2003 - 8 A 3766/03.A -, NWVBl. 2004, 231.
62
Für die aktuelle Fassung des § 60 Abs. 8 AufenthG einschließlich der Erweiterung
durch dessen Satz 2 kann im Grundsatz nichts anderes gelten (vgl. auch § 30 Abs. 4
AsylVfG).
63
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 5118/05.A -, S. 19 des amtlichen
Abdrucks; vgl. BayVGH, Urt. v. 23. Oktober 2007 - 14 B 05.30975 -, Juris.
64
a) Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 1. Alternative AufenthG liegen in der
Person des Klägers indessen nicht vor. Zu der Frage, wann der Ausländer aus
schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland anzusehen ist, kann auf die zu der insoweit wortgleichen Regelung des §
51 Abs. 3 AuslG a. F. ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgegriffen
werden.
65
Hiernach umfasst die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne
dieser Vorschrift den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner
Einrichtungen und insbesondere die Gewährleistung des Gewaltmonopols, das tangiert
ist, wenn gewalttätige Auseinandersetzungen verschiedener Volksgruppen in die
Bundesrepublik Deutschland verlagert werden, wie es bei dem Vorgehen der
verbotenen terroristischen bzw. jedenfalls kriminellen PKK in Deutschland mindestens
in den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts der Fall war. Angesichts der Bedeutung
dieses Ausschlussgrundes sind dessen tatbestandliche Voraussetzungen eng
auszulegen. In diesem Zusammenhang kommt es allerdings nicht darauf an, ob
Ausländer mit in Deutschland begangenen Gewalttätigkeiten berechtigte Belange
gegenüber der Regierung des Heimatstaates wahrnehmen oder wahrnehmen wollen.
Eine Gefahr für die innere Sicherheit kann der Ausländer vornehmlich dadurch
bedeuten, dass er selbst beispielsweise Straftaten im Sinne der §§ 80 ff. StGB oder
andere Straftaten von entsprechendem Gewicht und ähnlicher Zielsetzung begeht. Er
kann aber auch dadurch zu einer solchen Gefahr werden, dass er eine Organisation
unterstützt, die ihrerseits die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
gefährdet, namentlich dann, wenn die Organisation aus diesem Grund nach den
Vorschriften des Vereinsrechts verboten ist. Dabei reicht die bloße Zugehörigkeit zu
einer derartigen Organisation für sich genommen noch nicht aus, vielmehr muss sich die
von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers
konkretisieren. Hiernach reicht es noch nicht aus, dass er einfaches Mitglied einer
derartigen terroristischen Organisation ist oder sie finanziell oder durch Teilnahme an
Veranstaltungen unterstützt. Ein Ausländer kann vielmehr im Allgemeinen erst dann aus
schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz
1 1. Alternative AufenthG bedeuten, wenn er eine die Sicherheit des Staates
gefährdende Organisation in qualifizierter Weise, insbesondere durch eigene
Gewaltbeiträge oder als Funktionär, unterstützt. Das kann sich daraus ergeben, dass er
durch eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder -Bereitschaft für die Ziele der Organisation
eintritt oder dass er durch seine strukturelle Einbindung in die Organisation, etwa durch
Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, deren Gefährdungspotential mitträgt.
66
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 - 9 C 31.98 -, S. 11 f. des amtlichen Abdrucks.
67
In Anwendung dieser Grundsätze spricht vieles dafür, dass der Kläger sowohl aufgrund
seiner von ihm nicht bestrittenen Funktionärstätigkeit für die verbotene PKK (Raum- und
kommissarischer Gebietsverantwortlicher in I1. bzw. E. u.a.), wie sie insbesondere in
dem im Tatbestand wiedergegebenen Bericht des Bundeskriminalamts vom 25. Oktober
68
2002 und den tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts
E1. vom 21. Januar 2003 wiedergegeben und vom Kläger nicht in Abrede gestellt
werden - der aktenkundige Verdacht der Beteiligung an der Einfuhr von
Plastiksprengstoff und des Einbruchs bzw. von Spendengelderpressung war allerdings
zu keiner Zeit Verfahrensgegenstand -, als auch seiner in diesem Zusammenhang in der
Bundesrepublik Deutschland verübten, rechtskräftig abgeurteilten Straftaten die Ziele
dieser Organisation qualifiziert unterstützt sowie deren Taten mitverantwortet hat und
sich seine Einbindung in die PKK aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dargestellt hat.
Das Vorstehende bedarf jedoch keiner Vertiefung. Denn ein Ausschluss nach § 60 Abs.
8 Satz 1 AufenthG setzt (für beide Alternativen) voraus, dass von dem Ausländer
weiterhin Gefahren ausgehen, wie sie sich in seinem früheren Verhalten manifestiert
haben. Dafür sprechen allerdings regelmäßig frühere Aktivitäten für eine
terroristische/kriminelle Vereinigung, es sei denn, der Ausländer hat sich glaubhaft und
endgültig aus diesem Umfeld gelöst, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist.
69
Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Mai 1998 - 1 C 17.97 - und vom 30. März 1999 - 9 C 31.98 -,
S. 14 des amtl. Abdrucks.
70
Eine von dem Kläger ausgehende (mindestens konkrete) Wiederholungsgefahr in
diesem Sinne ist zur gerichtlichen Abschlussüberzeugung nicht zu besorgen.
71
Die erkennende Kammer ist auf der Grundlage der Auswertung des Akteninhalts
einschließlich der im vorstehenden Verfahren eingeholten Auskünfte der deutschen
Sicherheitsbehörden und des persönlichen Eindrucks des Klägers anlässlich seiner
intensiven Befragung in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass dieser
eine die Sicherheit des Staates gefährdende Betätigung schon in der Vergangenheit
seit vielen Jahren nicht fortgesetzt hat und erst Recht nicht in Zukunft fortsetzen wird. Es
bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich der Kläger nochmals in
vergleichbarer Weise in die PKK oder eine andere kurdische extremistische
Organisation einbringen bzw. an vergleichbaren Taten beteiligen wird.
72
Der Kläger hat während des Klageverfahrens durchgängig vorgetragen, sich schon vor
Erlass des streitbefangenen Bescheides vollständig von den Zielen und Methoden der
PKK distanziert und keinerlei Kontakte mehr zu deren Mitgliedern und Sympathisanten
zu haben, sondern einer regelmäßigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
nachzugehen und ein normales Familienleben zu führen.
73
Die sich aus dem Verhalten des Klägers im Widerrufsverfahren nach Aktenlage
ergebenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vortrags hat er in der mündlichen
Verhandlung überzeugend auszuräumen vermocht. Insbesondere hat er einen
plausiblen Grund dafür angeführt, warum er Entsprechendes nicht bereits auf die
Anhörung vom 11. Juli 2006 gegenüber dem Bundesamt vorgetragen und auch im
Gerichtsverfahren sein anfänglich eher vages Vorbringen erst nach Erlass einer
Betreibensaufforderung substanziiert hat. Er hat insoweit in einer keinen berechtigten
Zweifeln unterliegenden Weise „finanzielle Probleme" mit seinem früheren
Verfahrensbevollmächtigten verdeutlicht.
74
Darüber hinaus war der Kläger in der mündlichen Verhandlung in der Lage, seine
Abkehr von der PKK auf gerichtliche Nachfrage vertiefend darzustellen. Insoweit
75
entstand nicht der Eindruck, dass es sich um bloße verfahrenstaktische
Lippenbekenntnisse handelt. So hat er ergänzend, aber ohne Widerspruch zu dem
anwaltlichem Vorbringen erläutert, dass er sich während seiner dreimonatigen
Untersuchungshaft gegenüber ihm selbst Rechenschaft abgelegt und dabei festgestellt
habe, dass er sich über Jahre hin nicht um seine Familie gekümmert habe. Seine Kinder
seien in Deutschland zur Schule gegangen und hätten sich hier integrieren wollen; drei
von ihnen seien deutsche Staatsangehörige. Deshalb habe er sich entschlossen, nicht
weiter politisch tätig zu sein, sondern einer Arbeit nachzugehen, um die wirtschaftliche
Existenz seiner Familie abzusichern. Seit seiner Entlassung aus der Haft habe er
keinen Kontakt mehr zur PKK.
Die letzte Aussage hat der Kläger zwar im nachhinein relativiert. Das spricht aber nicht
gegen seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags, sich von der PKK
dauerhaft abgewandt zu haben. Denn auf die gerichtliche Nachfrage, ob seine
Entscheidung so ohne Weiteres von der PKK akzeptiert und nicht zu Schwierigkeiten
mit seinen ehemaligen PKK- Genossen geführt habe, hat er ohne zu zögern eingeräumt,
dass er sich nach seiner Haftentlassung „natürlich mit Freunden unterhalten" habe, eine
Einlassung, die angesichts der (früheren) Einbindung des Klägers in diese
hierarchische Organisation mindestens naheliegend ist. Seine spontane Erläuterung, in
diesem Gespräch bekundet zu haben, in Zukunft nichts mehr mit Politik zu tun haben zu
wollen und dies damit begründet zu haben, dass eine wirtschaftliche Unterstützung
(durch die PKK) für seine Familie ausgeblieben und dies von der PKK akzeptiert
worden sei, zumal er kein professioneller Kader gewesen sei, erscheint plausibel und
erhärtet zur gerichtlichen Überzeugung, dass der Kläger von wirklich erlebten
Geschehnissen berichtet.
76
Die Glaubhaftigkeit seines Vortrags wird darüber hinaus dadurch gestützt, dass das
Landgericht E1. in dem Urteil vom 21. Januar 2003 bei der Bemessung der
festzusetzenden Strafe wegen der durch den Kläger organisierten Besetzung der
griechischen Botschaft in E1. im Anschluss an die Inhaftierung P1. in der in diesem
Zusammenhang für vertretbar erachteten Strafaussetzung zur Bewährung zu Gunsten
des Klägers neben seiner seit Februar 1999 straffreien Lebensführung sein
umfassendes und „von Reue getragene(s) Geständnis" und sein einsichtsvolles
Verhalten in dem Hauptverhandlungstermin berücksichtigt hat. An diese vor mehr als
fünf Jahren erfolgte strafgerichtliche Würdigung bzw. Bewertung ist das erkennende
Gericht im Rahmen der im vorstehenden Zusammenhang zu treffenden eigenständigen,
eine längerfristige Gefahrenprognose erfordernden asyl- und ausländerrechtlichen
Beurteilung zwar rechtlich nicht gebunden, eine indizielle Wirkung kann dem aber
gleichwohl zugemessen werden.
77
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2000 - 9 C 6.00 -, BVerwGE 112, 185 zu § 51
Abs. 3 Satz 1 2. Alternative AuslG a. F..
78
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung des Weiteren, wie von einem ehemals
politisch aktiven Funktionär auch erwartet werden darf, verdeutlicht, dass er sich
weiterhin mit der „Kurdenfrage" beschäftigt. Er sei persönlich zu der Überzeugung
gelangt, dass diese nicht mit Gewalt, sondern im Rahmen der europäischen Normen zu
lösen sei und dazu vornehmlich die Kriterien von Kopenhagen beitragen könnten. Seine
glaubhafte Abkehr von einer gewaltsamen Lösung der Kurdenfrage wird schließlich
durch seinen (teilweise durch den Akteninhalt erhärteten) Hinweis untermauert, dass im
Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen in der Vergangenheit allein aus seiner
79
Familie bislang sieben bis acht Personen durch türkische Sicherheitskräfte getötet
worden seien. Die von ihm nach wie vor befürwortete gerechte Lösung der
„Kurdenfrage" durch eine friedliche Lösung beinhaltet keine Unterstützung der PKK.
Die Glaubhaftigkeit der Distanzierung des Klägers von dieser Organisation und zu
seinem auch Gewalt nicht ausschließenden Eintreten zur Lösung der „Kurdenfrage"
wird schließlich entscheidend dadurch erhärtet, dass sicherheitsrelevante polizeiliche
und staatsschutzrechtliche Erkenntnisse über den Kläger seit 1999 nicht vorliegen,
obwohl er, wie das Tätigwerden des BKA in dieser Sache und die aktuellen
Stellungnahmen des Polizeipräsidiums H. , Abteilung Staatsschutz, zeigen, unter deren
Beobachtung stand. Wenn sich hiernach der Kläger seit mehr als neun Jahren in der
Bundesrepublik Deutschland völlig unauffällig verhalten hat, belegt dies nachdrücklich,
dass seine Erklärungen in der mündlichen Verhandlung, sich - bei aller Identifikation mit
dem kurdischen Volk - nicht mehr politisch aktiv für dessen Ziele einzusetzen,
insbesondere Gewalt nicht mehr als ein taugliches Mittel anzusehen, seiner wirklichen
Überzeugung entsprechen und er keine taktisch motivierten Erklärungen abgegeben
hat. Diese grundsätzliche Einstellungsänderung spiegelt sich in der aktuellen
Lebenssituation des Klägers wieder. Er geht seit Jahren einer
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Mehrere seiner Kinder sind nach
dem unwidersprochenen Vortrag zwischenzeitlich deutsche Staatsbürger.
80
Der Widerruf kann hiernach mangels vom Kläger ausgehender Wiederholungsgefahr
nicht auf § 60 Abs. 8 Satz 1 1. Alt. AufenthG gestützt werden. Dessen 2. Alternative ist
tatbestandlich von vornherein nicht einschlägig. Hierauf stützt die Beklagte den Widerruf
auch nicht.
81
b) Aber auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 3 Abs. 2
AsylVfG liegen nicht vor.
82
Nach Satz 1 dieser im Wesentlichen mit § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG a. F.
inhaltsgleichen Bestimmung des Asylverfahrensgesetzes in der seit dem 28. August
2007 anzuwendenden Fassung ist ein Ausländer nicht Flüchtling (im Sinne des
Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge bzw. nach § 60 Abs. 1 AufenthG),
wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
83
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die
ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
84
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nicht politische Straftat außerhalb des
Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit
ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
85
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nation zu widergehandelt hat.
86
Die Voraussetzungen der auch nach Auffassung der Beklagten einzig in den Blick zu
nehmenden Ausschlussmöglichkeit des § 3 Abs. 2 Satz 1 3. Möglichkeit AsylVfG liegen
in der Person des Klägers nicht vor.
87
Nach der Rechtsprechung des OVG NRW zu der insoweit nahezu inhaltsgleichen
Vorgängerregelung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG in der vom 1. Januar 2005 bis zum
88
27. August 2007 gültigen Fassung ist diese Bestimmung - ebenso wie die beiden
anderen Ausschlussgründe der Nummern 1 und 2 - in Anlehnung an die Empfehlungen
des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) restriktiv
auszulegen. Die Ausschlussklausel diene dem Schutz der Ziele und Grundsätze der
Vereinten Nationen. Darunter seien nach der Auffassung des UNHCR ausschließlich
die in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen
verankerten Ziele und Grundsätze zu verstehen. Diese Bestimmung der UN-Charta
enthielten eine Aufzählung von fundamentalen Grundsätzen, von denen sich die
Mitgliedsstaaten im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zur Völkergemeinschaft
leiten lassen sollen. Daraus folge, dass solche Handlungen von einer Einzelperson nur
begangen werden können, wenn diese Person eine gewisse Machtposition in einem
Mitgliedsstaat besitze und zu einer Verletzung dieser Grundsätze durch ihren Staat
direkt beigetragen habe. Anwendungsfälle für die Ausschlussklausel habe es nach der
Einschätzung des UNHCR bislang kaum gegeben. Da diese Fallgruppe „besonders
verabschauungswürdige Verbrechen" erfasse, halte der UNHCR eine gesonderte
Verhältnismäßigkeitsprüfung in der Regel nicht für notwendig.
OVG NRW, in das Verfahren eingeführtes Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 4728/05.A -, S.
31 ff. (36) des amtlichen Abdrucks.
89
Wenn auch in der vorzitierten Entscheidung des OVG NRW - ebenso wie in dem Urteil
selben Datums zum Aktenzeichen 8 A 5118/05.A - entscheidungserheblich allein auf
die 2. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG a. F. (= § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AsylVfG n.F.) abzustellen war und die vorstehend wiedergegebene Auslegung des
UNHCR zu § 60 Abs. 8 Satz 2 3. Alternative AufenthG - inhaltsgleich mit dem hier zu
prüfenden Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG - folglich nicht
ausdrücklich als zutreffend bewertet worden ist, spricht der Gesamtkontext dieser
Entscheidungen, vornehmlich der Hinweis auf die „maßgebliche Auslegungshilfe" der
Empfehlungen des UNHCR beim Verständnis der Voraussetzungen des § 60 Abs. 8
Satz 2 AufenthG (a. F.) dafür, dass das OVG NRW (auch) in Bezug auf die vorliegend
einschlägige Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG die dargelegte
Auslegung des UNHCR teilt. Dieser Auslegung des UNHCR schließt sich jedenfalls die
erkennende Kammer an.
90
Entgegen der durchaus mit beachtlichen Argumenten vertretenen Auffassung der
Beklagten in dem angefochten Bescheid ist dieser Ausschlusstatbestand hiernach für
den Kläger nicht zu bestätigen. Denn es steht außer Zweifel, dass dieser als
Vorsitzender des Kreiskomitees der PKK in U. und seiner sonstigen Einbindung in die
PKK/ERNK bzw. seiner Funktionärstätigkeit in Deutschland nicht die (erforderliche)
„gewisse Machtposition" in dem Staat inne hatte und nicht zu einer Verletzung der
geschützten fundamentalen Grundsätze der Vereinten Nationen durch den Staat direkt
beigetragen und kein „besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen" im Sinne
dieser Ausschlussklausel begangen hat.
91
Die aus rechtssystematischen Gründen erfolgte Aufnahme der in § 60 Abs. 8 Satz 2
AufenthG a. F. enthaltenen Ausschlussklauseln in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG und die
damit einhergehende Ergänzung durch § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG gebieten keine
andere Bewertung.
92
Danach gelten die Ausschlussgründe des Satzes 1 auch für Ausländer, die andere zu
den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger
93
Weise daran beteiligt haben. Diese Bestimmung ist in Umsetzung von Art. 12 Abs. 3 der
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (RL) in das Asylverfahrensgesetz
aufgenommen worden. Eben diese Norm des Art. 12 Abs. 3 RL hat indessen bereits das
OVG NRW seinen Ausführungen zur restriktiven Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 2
AufenthG a. F. zu Grunde gelegt.
Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 4728/05.A -, S. 38 und 41 des amtlichen Abdrucks.
94
Eine grundlegend andere Auslegung von § 3 Abs. 2 AsylVfG ist deshalb nicht
angezeigt.
95
Für den Fall, dass der vom erkennenden Gericht befürworteten einschränkenden
Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nicht gefolgt, vornehmlich eine gewisse
Machtposition des Handelnden im Staatsgefüge nicht für erforderlich erachtet würde,
würde diese Ausschlussklausel für den Kläger gleichwohl nicht greifen.
96
Denn wenn die Tatbestandsvoraussetzungen dieses Ausschluss- bzw.
Widerrufsgrundes soweit herabgesetzt würden, wie es die Beklagte für richtig erachtet,
also bereits eine zeitweilige Unterstützung der Ziele der terroristischen PKK in der
Vergangenheit auf einer vergleichsweise untergeordneten Funktionärsebene als eine
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufende Handlung
bewertet würde, wäre eine weitere gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung
unerlässlich. Im Rahmen einer solchen einzelfallbezogenen Gefahrenprognose wäre
mit anderen Worten eine Wiederholungsgefahr zu prüfen. Nur wenn eine solche bejaht
würde, könnte der Ausschlussgrund im Ergebnis greifen. Das ergibt sich sowohl aus
den europarechtlichen Vorgaben als auch insbesondere den verfassungsrechtlichen
Anforderungen, wie sie das OVG NRW in den vorbezeichneten Urteilen vom 27. März
2007 im Einzelnen überzeugend zu § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG a.F. entwickelt hat und
die nach wie vor Gültigkeit beanspruchen. Das macht sich die erkennende Kammer zu
eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
97
Entgegen der Ansicht der Beklagten folgt aus der Neufassung des § 3 Abs. 2 AsylVfG
nicht, dass eine solche einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung
(Wiederholungsgefahr) keine Rechtsmäßigkeitsvoraussetzung der Ausschlussklauseln
ist. Dies schon deshalb, weil der Wortlaut des § 3 Abs. 2 AsylVfG - ebenso wie der des §
60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG a.F. - insoweit nicht eindeutig, sondern auslegungsbedürftig
ist. Insbesondere hat der Gesetzgeber gerade nicht zweifelsfrei klargestellt, dass die
Rechtsfolgen des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG bereits dann eintreten, wenn der Ausländer
die tatbestandsmäßigen Verfehlungen in der Vergangenheit begangen hat, ohne dass
es auf eine weitergehende zukunftsbezogene Einzelfallwürdigung ankäme. Er hat
vielmehr, wie schon ausgeführt, die frühere Regelung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG
a. F. im Wesentlichen unverändert in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG übernommen (sieht man
von geringen, insoweit nicht ausschlaggebenden Modifizierungen vornehmlich in Satz 1
Nr. 2 ab) und lediglich um Satz 2 ergänzt.
98
Einzuräumen ist der Beklagten allerdings, dass ausweislich der Gesetzesbegründung
einiges dafür sprechen könnte, dass der Gesetzgeber eine solche
Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr für erforderlich, sondern die in § 3 Abs. 2
AsylVfG statuierte „Asylunwürdigkeit" bereits dann als gegeben erachtet, wenn der
Ausländer die Tatbestandsmerkmale (irgendwann) in der Vergangenheit verwirklicht
hat. So heißt es zu § 3 AsylVfG:
99
„Abs. 2 enthält die negativen Tatbestandsmerkmale der Flüchtlingseigenschaft, bei
deren Vorliegen der betreffende Ausländer nicht Flüchtling im Sinne der Genfer
Flüchtlingskonvention ist....Es handelt sich um Fälle der Asylunwürdigkeit. Die
Flüchtlingseigenschaft ist ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe für die
Annahme sprechen, dass die bezeichneten Straftaten begangen wurden. Eine
Gefährdung der Sicherheit Deutschlands oder der Bevölkerung ist nicht erforderlich.";
BT-Drucksache 16/5065 vom 23. April 2007, S. 187, 213 ff..
100
Es hätte dem Gesetzgeber, zumal vor dem Hintergrund der divergierenden
Auffassungen in der Rechtsprechung zum Verständnis des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG
a.F., indessen oblegen, es im aktuellen Gesetzestext eindeutig klar zu stellen, wenn er
eine individuelle Gefahrenprognose für den Ausländer hätte ausschließen wollen. Das
ist nicht geschehen. Aus den vom OVG NRW zu § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG a.F.
aufgezeigten, für § 3 Abs. 2 AsylVfG mindestens entsprechend geltenden Gründen,
vornehmlich dem - völkerrechtlichen - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ist mithin eine
einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung auch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Satz
1 Nr. 3 AsylVfG jedenfalls dann geboten, wenn - entgegen der vom erkennenden
Gericht vertretenen Auffassung - dieser Fallgruppe nicht ohnehin ausschließlich
besonders verabscheuungswürdige Verbrechen unterfallen, die der Kläger nicht
begangen hätte.
101
Eine solche Einzelfallwürdigung fiele/fällt zu Gunsten des Klägers aus. Das ergibt sich
aus den obigen Ausführungen zur - nicht gegebenen - Wiederholungsgefahr beim
Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 1 1. Alternative AufenthG. Hiernach ist in
gleicher Weise prognostisch auszuschließen, dass der Kläger zukünftig den Zielen und
Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderhandeln wird.
102
Es bedarf deshalb keiner Entscheidung mehr, ob dem Widerruf möglicherweise die
Bestimmung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegenstünde, weil der Kläger sich
aufgrund seiner in der Türkei glaubhaft erlittenen, intensiven Folter auf seiner Rückkehr
entgegenstehende „zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende" Gründe berufen
könnte, was er allerdings selbst so nicht geltend gemacht hat.
103
Die nach allem rechtswidrige Widerrufsentscheidung zu Art. 16 a GG bzw. zu § 51 Abs.
1 AuslG a.F./§ 60 Abs. 1 AufenthG kann nicht in eine - ebenfalls nicht im Ermessen
stehende - Rücknahme gemäß § 73 Abs. 2 AsylVfG umgedeutet werden. Der Kläger hat
seine Asylanerkennung nicht auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge
Verschweigens wesentlicher Tatsachen erhalten. Er hat vielmehr durchgängig
vorgetragen, die PKK als örtlicher Funktionär unterstützt zu haben.
104
Wegen des Erfolgs des Hauptantrags bedarf es einer Entscheidung über die
Hilfsanträge nicht.
105
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
106
107