Urteil des VG Gelsenkirchen vom 21.12.2006

VG Gelsenkirchen: grundsteuer, grundstück, vermietung, eigentum, erfüllung, stadt, minderung, verfügung, vergleich, gerichtsakte

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5 K 5651/02
Datum:
21.12.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 5651/02
Schlagworte:
Grundsteuererlass, struktureller Leerstand, atypische Umstände,
Modernisierung, Renovierung, Umbau
Normen:
GrStG § 33, BewG § 21
Leitsätze:
1. Die tatsächliche Dauer des Leerstandes eines Objekts stellt ein
wichtiges Indiz für die Frage dar, ob ein strukturell bedingter Leerstand
vorliegt.
2. Auf Renovierungs- oder Moderniesierungsmaßnahmen beruhende
zeitweise Leerstände sind typischwerweise zwangsläufig mit der
Vermietung von langlebigen Wohnobjekten verbunden und fallen, auch
wenn sie im Interesse einer wirtschaftlich effektiven Nutzung der
Grundstücke ojektiv unumgänglich sind, in den Risikoberecih des
Eigentümers und stellen keinen Erlassgrund im Sinne des § 33 GrStG
dar.
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen
worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt den teilweisen Erlass der Grundsteuer für das Jahr 2001.
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Sie ist Eigentümerin der Gebäude B. . 10, N. Str. 48/50, B1. T. 10, 16, 18, 20, 22, C.---
weg 11/13, I. . 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31, 33, 35, 37, F. . 5, 9, 13, 15, H. . 3,
10 und 11. Die Einheitswerte dieser Grundstücke wurden vom Finanzamt nach dem
Ertragswertverfahren ermittelt. Mit Bescheiden vom 27. Januar 2001 setzte der Beklagte
die Grundsteuer für das Jahr 2001 für diese Grundstücke auf insgesamt 12.174,81 DM
fest.
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B1. 25. März 2002 beantragte die Klägerin einen teilweisen Grundsteuererlass nach §
33 GrStG für das Kalenderjahr 2001 für diese Objekte, da diese aufgrund von
Modernisierungen, Um- und Ausbauten, Sanierungen und vorübergehenden
Nichtvermietungen teilweise leer gestanden hätten. Die Ertragsminderungen aufgrund
der Leerstände lagen zwischen 17,31 % (I. . 37) und 100 % (N. Str. 50). Insgesamt
entspreche der zu erlassende Betrag von 4.668,75 EUR vier Fünfteln der
Ertragsminderung. Dem Antrag war eine Aufstellung über sämtliche Wohnungen der
Klägerin in den genannten Häusern mit den jeweiligen Jahresrohmieten, den
Leerstandszeiten und den entsprechenden Mietminderungen beigefügt.
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Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 22. April 2002 ab. Nach dem Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 4. April 2001 - 11 C 12.00 - scheide ein
Grundsteuererlass aus, wenn der Leerstand von Wohnungen und Geschäftsräumen
Folge der nachhaltigen, strukturell bedingten fehlenden Mieternachfrage im Stadtgebiet
sei. In Gelsenkirchen bestehe seit geraumer Zeit ein Überangebot an Wohnungen und
Geschäftsräumen, das auf den Rückgang der Einwohnerzahl in den letzten Jahren um
ca. 20.000 zurückzuführen sei. Die Ursache dieses Rückgangs sei wiederum die
Arbeitslosenquote, die am Landesdurchschnitt gemessen in Gelsenkirchen mit Abstand
am höchsten sei. Der Ertragsrückgang sei somit Folge einer Verschlechterung der
Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage in Gelsenkirchen und begründe deshalb keinen
Anspruch auf Gewährung eines Grundsteuerteilerlasses. Davon abgesehen komme bei
eigengewerblich genutzten Grundstücken ein Erlass nur in Betracht, wenn die Erhebung
der Grundsteuer nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betriebs unbillig wäre. Für
bebaute Grundstücke, die im Eigentum von Immobiliengesellschaften ständen, sei eine
eigengewerbliche Nutzung anzunehmen, da die Grundstücke in der Regel allein der
Erfüllung des gesellschaftlichen Vermietungszweckes dienten. Da die wirtschaftliche
Situation der Klägerin insgesamt als positiv zu bewerten sei, könne keine Unbilligkeit
erkannt werden.
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Hiergegen erhob die Klägerin am 15. Mai 2002 Widerspruch. Sie wies darauf hin, dass
es sich ausschließlich um Leerstände aufgrund von Modernisierungen und nicht wegen
Unvermietbarkeit aufgrund strukturell bedingter mangelnder Mieternachfrage handele.
Die Entscheidung des BVerwG beziehe sich nur auf längerfristige Leerstände wegen
Unvermietbarkeit, die nicht atypisch seien, und deshalb die Voraussetzungen des § 33
GrStG nicht erfüllten. Die Bedingungen in den neuen Bundesländern mit den
Plattenbausiedlungen, die nie eine Chance auf Weitervermietung hätten, seien ganz
andere. Der Begriff „eigengewerblich" werde von ihr anders definiert als vom Beklagten.
Eigengewerblich genutzt sei ein Grundstück lediglich, wenn es zu eigenen (z. B.
Verwaltungs-) Zwecken genutzt werde, nicht aber Grundstücke, die sich zu
Vermietungszwecken in ihrem Besitz befänden.
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Nach Zurückweisung des Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober
2002 hat die Klägerin am 15. November 2002 Klage erhoben. Sie hält daran fest, dass
in den betroffenen Liegenschaften wesentliche Ertragsminderungen aufgrund von
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Modernisierungsmaßnahmen, Um- und Ausbauten und Sanierungen beständen. Diese
Modernisierungsmaßnahmen seien zur Erhaltung der Bausubstanz und Erhöhung der
Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt unbedingt erforderlich gewesen. Teilweise seien
Objekte komplett modernisiert worden, d. h. komplette Erneuerung der Elektro- und
Sanitärinstallation, Wärmedämmung der Fassaden, Änderung der Grundrisse incl.
Ausbau der Dachgeschosse. In keinem dieser Fälle seien Kündigungen ausgesprochen
worden, vielmehr seien in allen geeigneten Fällen alternative Lösungen angeboten
worden. Was die eigengewerbliche Nutzung angehe, so halte sie an ihrer Position fest.
Aber selbst wenn man eine eigengewerbliche Nutzung annehmen würde, käme man zu
einem Erlassanspruch, weil die Einziehung der Grundsteuer nach den wirtschaftlichen
Verhältnissen - ausgerichtet an steuerbilanzlichen Bewertungsmaßstäben - unbillig sei.
Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2006 hat die Klägerin die Klage zurückgenommen,
soweit mit ihr mehr als 2.387,09 EUR geltend gemacht worden waren.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. April 2002 und des
Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2002 zu verpflichten, die Grundsteuer für das
Jahr 2001 in Höhe von 2.387,09 EUR zu erlassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertritt nach wie vor die Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine eigengewerbliche
Nutzung anzunehmen sei. Bebaute Grundstücke, die im Eigentum von
Immobiliengesellschaften ständen, dienten in der Regel allein der Erfüllung des
gesellschaftlichen Vermietungszwecks, so dass bereits durch die Vermietung eine
eigengewerbliche Nutzung vorliege. Im Rahmen der Billigkeitsfrage seien die
wirtschaftlichen Verhältnisse nicht isoliert für den Steuergegenstand Grundstück
sondern im Zusammenhang des Gesamtbetriebs zu betrachten. Unbilligkeit sei deshalb
erst dann anzunehmen, wenn das Gesamtunternehmen im Erlasszeitraum ein negatives
Ergebnis erzielt habe und die Position Grundsteuer innerhalb des Aufwandes von nicht
nur geringfügigem Gewicht sei. Dieses Gewicht erhalte die Position Grundsteuer erst,
wenn ihr Anteil an den Betriebsausgaben mindestens ein Prozent betrage. Deshalb
könne im vorliegenden Fall von einer Unbilligkeit nicht ausgegangen werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der vom
Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie den Geschäftsbericht 2001 der
Klägerin Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92
Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - einzustellen.
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Die zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache im Übrigen keinen Erfolg.
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Die Ablehnung des Grundsteuererlasses durch den angefochtenen Bescheid des
Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5
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VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen teilweisen Grundsteuererlass für
das Jahr 2001.
Nach § 33 Abs. 1 des GrStG besteht bei bebauten Grundstücken ein Rechtsanspruch
auf Grundsteuererlass, wenn der normale Rohertrag des Grundstücks um mehr als 20 %
gemindert ist und der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrages nicht zu vertreten
hat. § 33 Abs. 1 Satz 2 GrStG ist dagegen entgegen der Auffassung des Beklagten
schon deshalb nicht anwendbar, weil die Klägerin auf den Grundstücken, für die sie
einen Grundsteuererlass begehrt, keine eigengewerbliche Nutzung betreibt. Zwar geht
die Oberfinanzdirektion Berlin in ihrer Verfügung vom 22. Dezember 1998,
19
ZKF 2002, 89,
20
davon aus, dass bebaute Grundstücke, die im Eigentum von Immobiliengesellschaften
stehen, allein der Erfüllung des gesellschaftlichen Vermietungszwecks dienten, so dass
eine eigengewerbliche Nutzung gegeben sei. Nach der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung ist allerdings darauf abzustellen, ob der Steuerpflichtige auf dem
Grundstück selbst tatsächlich eine gewerbliche Tätigkeit ausübt.
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Vgl. BverwG, Urteil vom 15. April 1983 - 8 C 150781 -, BVerwGE 67, 123; Bayerischer
Verwaltungsgerichtshof - BayVGH -, Urteil vom 3. September 1990 - 4 B 87.636 -, ZKF
1991, 16; OVG Lüneburg, Urteil vom 16. Januar 1991 - 13 OVG A 94/98 -, ZKF 1991,
228; Drosdzol, KStZ 2001, 183 ff.
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Die Grundstücke der Klägerin werden jedoch sämtlich ausschließlich zu Wohnzwecken
genutzt; eine eigene gewerbliche Tätigkeit übt die Klägerin dort nicht aus. Die
Vermietung auch dieser Grundstücke ist zwar Teil des Gewerbebetriebs der Klägerin;
sie übt indessen ihr Gewerbe nicht auf diesem Grundstück aus.
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Ebenso für Immobiliengesellschaften VG Braunschweig, Urteil vom 24. August 2004 - 5
A 425/02 -.
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Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG scheidet ein Grundsteuererlass für das Grundstück I. . 37
allerdings schon deshalb aus, weil die Minderung des Rohertrags im Jahre 2001 hier
nur 17,31 % betrug. Da die Erlassvoraussetzungen immer grundstücksbezogen sind,
müssen sie für jedes Grundstück gesondert vollständig vorliegen.
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Aber auch für die übrigen Grundstücke kommt ein Erlass nach § 33 GrStG nicht in
Betracht. Zwar war hinsichtlich der übrigen Grundstücke der normale Rohertrag jeweils
um mehr als 20 % gemindert. Die Voraussetzungen für einen Grundsteuererlass wegen
Minderung des normalen Rohertrags können jedoch nur erfüllt sein, wenn der (geringe)
Ertrag des Grundstücks auf vorübergehend vorliegende Umstände zurückgeht, die im
Vergleich zu den vom Gesetz erfassten Regelfällen atypisch sind. Umständen, die den
normalen Rohertrag mindern und als solche für den Einheitswert erheblich sind, soll im
Rahmen der Einheitsbewertung und nicht im Wege des Grundsteuererlasses Rechnung
getragen werden.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Mai 1991 - 8 C 13.89 -, ZKF 1992, 58 und vom 4. April 2001
- 11 C 12.00 -, BVerwGE 114, 132.
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Die Kammer folgt dieser Auffassung des BVerwG trotz der an ihr in der Literatur sowie
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vom Bundesfinanzhof - BFH - geübten beachtlichen Kritik.
Vgl. Drosdzol, KStZ 2001, 183; Martini, BayVBl 2006, 329; BFH, Beschluss vom 13.
September 2006 - II R 5/05 -, Juris-Dokument.
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Denn die Auffassung des BVerwG beruht auf dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 GrStG, der
an den normalen Rohertrag anknüpft und dem deshalb erkennbar die Vorstellung des
Gesetzgebers zugrunde liegt, dass der Grundsteuererlass nur bei atypischen
Situationen in Betracht kommt. Ihr ist deshalb die Verwaltungsgerichtsbarkeit soweit
ersichtlich ohne Ausnahme gefolgt.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG NRW -,
Beschluss vom 20. Oktober 2005 - 14 A 2722/02 -; BayVGH, Urteil vom 12. Januar 2006
- 4 B 04.1628 -, BayVBl 2006, 350; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Dezember
2001 - 2 S 1450/01 -, DÖV 2002, 580; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Mai 2002 - 16 K
3966/99 -.
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Allerdings vermag die Kammer nicht der Auffassung des Beklagten in den
angefochtenen Bescheiden zu folgen, dass vorliegend schon deshalb keine atypischen
Umstände zu der Ertragsminderung bei der Klägerin geführt haben, weil der Leerstand
Folge der nachhaltigen, strukturell bedingten fehlenden Mieternachfrage im Stadtgebiet
sei. Zwar hat das BVerwG in seinem Urteil vom 4. April 2001 (a.a.O.) die Auffassung
vertreten, dass bei einem Wohnungsleerstand, der nicht lediglich zufällig und
vorübergehend, sondern Folge der nachhaltigen, strukturell bedingten fehlenden
Mieternachfrage und damit einer Veränderung der Wertverhältnisse sei, ein
Grundsteuererlass mangels vorübergehender (atypischer) Umstände ausscheide;
derartige nachhaltige Veränderungen der Wertverhältnisse seien vielmehr gemäß § 33
Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GrStG bei der Ermittlung der Jahresrohmiete zu berücksichtigen.
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Vorliegend ist für die Kammer jedoch bereits die Voraussetzung einer derartig
nachhaltigen, strukturell bedingten fehlenden Mieternachfrage nicht feststellbar. Zur
Bestimmung der Nachhaltigkeit von Veränderungen in diesem Sinne hat sich das
BVerwG (a.a.O., BVerwGE 114, 132, (139)) an dem Zeitraum von sechs Jahren
orientiert, den § 21 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes - BewG - für die grundsätzlich
regelmäßig vorgesehene Hauptfeststellung der Einheitswerte vorsieht. Dieser Wertung
entsprechend seien Veränderungen der allgemeinen Wertverhältnisse gemäß § 33 Abs.
1 Satz 3 Nr. 2 GrStG bei der Ermittlung der Jahresrohmiete zu berücksichtigen, sobald
hinreichend verlässlich zu prognostizieren ist, dass sie über einen Zeitraum von etwa
sechs Jahren Bestand haben. Von diesem Ansatz, dem die erkennende Kammer folgt,
ausgehend, ergibt sich für die Beurteilung des vorliegenden Falles Folgendes:
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Von einem strukturellen Leerstand, wie er der Entscheidung des BVerwG vom 4. April
2001 zugrunde lag, kann in Ansehung des Wohnungsbestandes der Klägerin keine
Rede sein. Die Situation ist mit derjenigen, die das BVerwG zu beurteilen hatte, in
wesentlichen Punkten nicht vergleichbar. Dem dortigen Urteil lag eine
Plattenbausiedlung in der Stadt Stendal zugrunde, einer Stadt im heutigen Sachsen-
Anhalt, die nach Auflösung der DDR einen Bevölkerungsrückgang von 50.717
Einwohnern im Jahre 1989 über 40.101 in 1999 zu ca. 38.000 im Jahre 2004 zu
verzeichnen hatte.
34
www.stendal.de
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Diese Plattenbauten waren aufgrund ihres unattraktiven Baustils und ihrer besonderen
Probleme (Wärme- und Lärmisolierung) die ersten, die bei einem derart dramatischen
Bevölkerungsrückgang, der in zehn Jahren bei 20 % lag, freigezogen wurden und
mangels Nachfrage selbst bei Renovierungen auf Jahre hinaus kaum eine Chance
hatten, wieder bezogen zu werden.
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Ein derartiger struktureller Leerstand ist im Falle der Klägerin jedoch nicht ansatzweise
erkennbar. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Leerstand strukturell durch fehlende
Mieternachfrage bedingt ist, bedarf es umfassenden statistischen Materials betreffend
Bevölkerungsentwicklung, Entwicklung des Wohnungsbestandes, aber auch zu
weiteren Parametern wie durchschnittliche Wohnungsbelegungszahlen, Zahl der
Single-Haushalte etc, das vom Beklagten erst auf entsprechende Anfrage des Gerichts
zum Teil erbracht worden ist. Danach ging die Bevölkerung der Stadt H1. zwischen
1991 und 2001 (vom Zeitraum her insoweit mit Stendal vergleichbar) um lediglich ca.
6,13 % zurück. Hieraus allein kann auf einen strukturell bedingten Leerstand kaum
hinreichend sicher geschlossen werden. Ein wichtiges Indiz stellt nach Überzeugung
der Kammer in diesem Zusammenhang aber die tatsächliche Dauer des Leerstandes
eines Objekts dar. Insoweit fällt im vorliegenden Verfahren auf, dass der weitaus größte
Teil der ca. 120 Wohnungen, bezüglich derer ein Teilerlass beantragt wurde, lediglich
über einen Zeitraum von wenigen Monaten bis zu 1 ½ Jahren leer stand. Lediglich in
wenigen Fällen dauerte ein Leerstand länger, in Einzelfällen bis zu maximal drei
Jahren. Vor und nach den von der Klägerin durchgeführten Sanierungs- und
Umbaumaßnahmen (vor 1999 und nach 2002) waren die Wohnungen durchweg
vermietet. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass die Annahme eines strukturellen
Leerstandes über einen Zeitraum, der dem von sechs Jahren im Sinne des § 21 Abs. 1
BewG nahe kommt, im vorliegenden Fall fern liegt.
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Gleichwohl kommt die Kammer im Ergebnis zu der Überzeugung, dass die
Ertragsminderung der Grundstücke der Klägerin nicht auf Umstände zurückgeht, die im
Vergleich zu den vom Gesetz erfassten Regelfällen atypisch sind. Dabei ist
Ausgangspunkt die Erkenntnis, dass die Grundsteuer grundsätzlich eine
ertragsunabhängige Objektsteuer ist. Sämtliche Leerstände im Wohnungsbestand der
Klägerin sind dadurch begründet, dass die Wohnungen, die sich in bis zu 100 Jahre
alten Häusern befinden, modernisiert, zum Teil grundlegend saniert und umgebaut
wurden, zum Teil verbunden mit Grundrissveränderungen, Dachgeschossausbauten,
Erneuerung der Sanitär- und Elektroinstallation sowie Wärmedämmung. Ziel dieser
Modernisierungen ist sicherlich, den Mietern gut ausgestattete, zeitgemäßen
Ansprüchen genügende Wohnungen zur Verfügung zu stellen, auch um längerfristigen
Leerständen wegen Nichtvermietbarkeit vorzubeugen. In der Folge dürften diese
Maßnahmen, wie die Klägerin dies für einige Wohnungen ausdrücklich vorträgt
(Schriftsatz vom 4. Dezember 2006, Bl. 131 ff der Gerichtsakte), zu Mieterhöhungen für
alle Wohnungen in unterschiedlichem, z. T. nicht unerheblichem Umfang führen. Die
Situation aber, dass ein Immobilienunternehmen seinen zum Teil sehr alten
Wohnungsbestand umfassend marktgerecht modernisiert, um ihn auch weiterhin einer
möglichst effektiven wirtschaftlichen Verwertung zuführen zu können, fällt aber
keineswegs als außergewöhnlich aus dem Rahmen und ist typischerweise mit einem
teilweisen Leerstand verbunden.
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Vgl. schon BayVGH, Urteil vom 31. März 2005 - 4 B 01.1818 -, NJW 2006, 936.
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Denn ebenso wie regelmäßig erforderlich werdende Renovierungen wie
Auswechselung der Wandbeläge, Anstriche und/oder Oberböden - diese auch schon
wegen der in der Regel zu kurzen Dauer eines etwaigen Leerstandes - zu einem
erlassfähigen Leerstand führen können, weil diese Maßnahmen typischerweise bei
einem jeden Mietobjekt notwendig werden, ist dies auch bei umfassenderen
Modernisierungsmaßnahmen anzunehmen. Auch die Erforderlichkeit derart
umfassender Maßnahmen gehört zum normalen und damit typischerweise
einzukalkulierenden Lauf der Dinge, wenn ein Wohngebäude über viele Jahrzehnte auf
dem Wohnungsmarkt zur Vermietung angeboten wird. Denn im Laufe der Jahrzehnte
ändern sich sowohl die Wohnbedürfnisse als auch die technischen Anforderungen an
Wohnungen zum Teil erheblich, so dass - wenn auch in längeren Abständen -
umfassendere Modernisierungsmaßnahmen erforderlich werden. Auf solchen
Maßnahmen beruhende zeitweise Leerstände sind typischerweise zwangsläufig mit der
Vermietung von langlebigen Wohnobjekten verbunden und fallen, auch wenn sie im
Interesse einer wirtschaftlich effektiven Nutzung der Grundstücke objektiv unumgänglich
sind, in den Risikobereich des Eigentümers und stellen keinen Erlassgrund im Sinne
des § 33 GrStG dar.
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Im Ergebnis ebenso BayVGH, Urteil vom 31. März 2005, a.a.O. und VG München, Urteil
vom 27. April 2000 - M 10 K 99.3111 -, Juris-Dokument, die hier zwar keine Typizität des
Leerstandes, wohl aber ein Vertretenmüssen der Ertragsminderung annehmen; vgl.
auch BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1960 - VII C 238.59 -, KStZ 1960, 151 zur etwas
anders lautenden Regelung der §§ 10, 11 Abs. 2 der Grundsteuererlassverordnung.
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Dem steht nicht entgegen, dass dem Eigentümer im Rahmen des Vertretenmüssens u.
U. vorgehalten wird, wenn er die Wohnung mangels Renovierungs- o. ä. Maßnahmen
nicht in einem viermietungsfähigen Zustand gehalten hat.
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Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14. August 1986 - 16 K 2033/85 -, VG Meiningen,
Urteil vom 4. März 2004 - 8 K 582/00.Me -, Juris-Dokumente; Troll/Eisele, GrStG, 8.
Auflage, § 33 Rdnr. 12, S. 467 f.
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Auch wenn diese Auffassung richtig ist, zwingt sie nicht zu dem Umkehrschluss, dass
der Leerstand, der der Durchführung von Renovierungsmaßnahmen dient, erlassfähig
sein muss. Denn die Erhaltung der Vermietbarkeit einer Wohnung obliegt dem
Eigentümer schon in seinem ureigensten Interesse.
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Nach alledem muss ein Grundsteuererlass nach § 33 GrStG im vorliegenden Fall
ausscheiden.
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Die Klage ist deshalb abzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 155
Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167
VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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Die Berufung war zuzulassen, weil der Rechtssache namentlich hinsichtlich der Frage,
ob bei einem Leerstand infolge Modernisierungs- oder Renovierungsmaßnahmen eine
atypische Ertragsminderung vorliegt, die einen Grundsteuererlass nach § 33 Abs. 1
GrStG rechtfertigt, grundsätzliche Bedeutung zukommt.
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