Urteil des VG Gelsenkirchen vom 17.07.2009

VG Gelsenkirchen: ausstellung, ausländer, pass, auslandsvertretung, staatsangehörigkeit, heimatstaat, unzumutbarkeit, asyl, unterschutzstellung, anerkennung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 9 K 2813/08
Datum:
17.07.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 K 2813/08
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus E. wird abgelehnt.
Gründe:
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Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die
Rechtsverfolgung nicht die nach § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO erforderliche
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Der Kläger dürfte keinen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises haben, da
die Voraussetzungen nach §§ 5, 6 AufenthVO hierfür wohl nicht vorliegen (§ 113 Abs. 5
Satz 1 VwGO).
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Nach §§ 5 Abs. 1, 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthVO kann einem Ausländer, der nachweislich
keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann,
nach Maßgabe bestimmter weiterer Voraussetzungen im Inland ein Reiseausweis für
Ausländer ausgestellt werden.
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Derzeit ist nicht ausgeschlossen, dass es dem Kläger zumutbar ist, sich zunächst um
die Ausstellung eines türkischen Nationalpasses zu bemühen und diese Bemühungen
zu belegen. Welche Anforderungen an die Zumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich
grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalles. Im Hinblick auf den mit der
Ausstellung eines Reisedokuments regelmäßig verbundenen Eingriff in die
Personalhoheit eines anderen Staates ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn
die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung
eines Nationalpasses durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines
Reiseausweises für Ausländer erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen
nachweislich ohne Erfolg geblieben sind. Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die
Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt daher nur in
Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind von
dem Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Dabei ist bei den Anforderungen an den
Nachweis zu differenzieren: Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten
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Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus
resultierenden Unzumutbarkeit.
Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. Februar 2005 - 11 PA 345/04 -; VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 29. Februar 1996 - 11 S 2744/95 -, InfAuslR 1996, (304), beide
zitiert nach juris.
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Nach diesen Maßgaben haben der minderjährige Kläger bzw. seine gemäß § 80 Abs. 4
AufenthG zur Beantragung eines Passes verpflichteten Eltern zumutbare
Anstrengungen für die Ausstellung eines Nationalpasses bzw. die Eintragung des
Klägers in den Pass seiner Mutter nicht dargelegt. Für nicht hinreichende Bemühungen
des Vaters des Klägers, die dem Kläger nach § 80 Abs. 4 AufenthG zuzurechnen sind,
spricht bereits, dass dieser - entgegen der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten
des Klägers - nicht selbst beim türkischen Generalkonsulat die Erteilung eines Passes
für den Kläger beantragt hat, sondern dort lediglich die Mutter des Klägers
vorgesprochen hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass es dem Vater des Klägers nicht
zumutbar wäre, die Auslandsvertretung seines Heimatstaates persönlich aufzusuchen.
Von einer Unzumutbarkeit könnte auszugehen sein, wenn der Vater die Feststellung
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Bescheid vom 25. April 2002, dass
bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG)
vorliegen, verlieren könnte. Dies ist jedoch deshalb ausgeschlossen, weil es vorliegend
nur um die Erteilung eines Passes für den Kläger geht. Unzumutbar wäre das
Aufsuchen der türkischen Auslandsvertretung für den Vater des Klägers auch, wenn
dies für ihn oder Dritte (etwa Familienmitglieder im Heimatstaat) mit Gefahren
verbunden wäre, insbesondere solchen, vor denen das Grundrecht auf Asyl schützen
soll. Es ist allerdings nicht erkennbar, dass dem Vater des Klägers derartige Gefahren
drohten, falls er das türkische Generalkonsulat aufsucht, um einen Nationalpass für den
Kläger zu beantragen. Auf das subjektive Empfinden des Vaters des Klägers kommt es
insoweit nicht an; hier ist ein objektivierender Maßstab zugrunde zu legen.
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Dass der Kläger bislang noch nicht alle zumutbaren Bemühungen zur Beschaffung
eines Nationalpasses unternommen hat, ergibt sich ferner aus dem Umstand, dass er
sich nicht unmittelbar an die Behörden des Herkunftsstaates - etwa unter Einschaltung
einer Mittelsperson im Heimatland - gewandt hat, um einen entsprechenden Pass zu
erlangen. Ein solches Vorgehen erscheint nicht von vornherein aussichtslos, da
insbesondere der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 38 des
Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 keinen Formvorschriften unterliegt
(vgl. hierzu den Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Republik
Türkei [Stand: Juli 2008] des Auswärtigen Amtes vom 11. September 2008, S. 34).
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Die offenbar auf Erfahrungen der Mutter des Klägers anlässlich des Besuchs im
türkischen Generalkonsulat beruhende Behauptung, die Erteilung eines Nationalpasses
des Heimatstaates sei nur möglich, wenn gültige türkische Papiere der Kindeseltern
vorlägen, ist demnach nicht hinreichend für die Darlegung unzumutbarer
Erteilungsvoraussetzungen.
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Es wird ferner darauf hingewiesen, dass es dem Vater des Klägers auch zumutbar sein
dürfte, sich einen gültigen türkischen Pass - der nach dem Vortrag des Klägers
Voraussetzung für die Erteilung seines Passes sein soll - zu beschaffen. Denn ein dazu
erforderliches persönliches Aufsuchen des türkischen Generalkonsulats lässt
insbesondere seine Stellung als Flüchtling unberührt. Zwar erlischt nach § 72 Abs. 1 Nr.
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1 AsylVfG die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder
Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz
des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt. Diese Voraussetzungen
sind im Fall des Vaters des Klägers indes nicht erfüllt, weil der Tatbestand des § 72 Abs.
1 Nr. 1 AsylVfG nämlich von Seiten des Asylberechtigten nicht nur die Annahme des in
der Passerlangung oder - verlängerung durch den Heimatstaat regelmäßig liegenden
„Vorteils" voraussetzt, sondern darüber hinaus, dass die Passerlangung objektiv als
eine Unterschutzstellung in Bezug auf das Verfolgerland zu werten ist.
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Februar 1996 - 25 A 2570/94 -, zitiert
nach juris.
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Dass es an einer solchen Unterschutzstellung fehlt, wenn Personalpapiere zwecks
Entlassung aus der Staatsangehörigkeit beantragt und ausgestellt werden oder die
Ausstellung zum Zwecke der Eheschließung vor der Auslandsvertretung erfolgt, ist in
der Rechtsprechung anerkannt,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1991 - 9 C 126.90 -, zitiert nach juris; OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Februar 1996, a.a.O.
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Gleiches gilt, wenn der Flüchtling mit der Passverlängerung allein den Zweck verfolgt,
im Anschluss ein gültiges Ausweispapier für sein Kind zu erhalten. Denn auch dieses
Verhalten lässt erkennen, dass mit der Beantragung des Nationalpasses gerade keine
Wiedererlangung des vollen diplomatischen Schutzes bezweckt ist,
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vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Februar 1996, a.a.O.
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