Urteil des VG Gelsenkirchen vom 27.09.2007

VG Gelsenkirchen: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, verfügung, fachhochschule, universität, vollziehung, interessenabwägung, disziplinarverfahren, verwaltungsakt

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 12 L 914/07
Datum:
27.09.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 L 914/07
Schlagworte:
Abordnung, amtsangemessene Tätigkeit, Kanzler, aufschiebende
Wirkung, Interessenabwägung. Disziplinarverfahren
Normen:
BRRG § 126 Abs. 3 Nr. 3, VwGO § 80 Abs. V, LBG § 29
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung vom 17. August
2007 des staatlichen Beauftragten des Rektorats der Fachhochschule H. herzustellen,
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ist dahin zu konkretisieren (vgl. §§ 122 Abs. 1, 88 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -
), dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 24. August
2007 gegen die in der angefochtenen Verfügung geregelte Abordnung begehrt wird.
Denn vorliegend entfällt die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs von Gesetzes
wegen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 126 Abs. 3 Nr. 3
Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG).
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Dieser Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht auf Antrag in den Fällen,
in denen der Widerspruch gegen einen belastenden Verwaltungsakt abweichend von §
80 Abs. 1 Satz 1 VwGO gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-3 VwGO keine aufschiebende
Wirkung entfaltet, die aufschiebende Wirkung anordnen. Voraussetzung hierfür ist, dass
das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des Verwaltungsakts
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verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts
überwiegt.
Bei der hiernach erforderlichen Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Diese Prognose über die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren kann nur mit den Mitteln
des Eilverfahrens getroffen werden; im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
können in der Regel weder schwierige Rechtsfragen ausdiskutiert noch komplizierte
Tatsachenfeststellungen getroffen werden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. September 1993 -16 B 2069/93 -, NVwZ 1994, 198;
Beschluss vom 15. August 2002 - 9 B 1068/02 -.
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Ist wie hier durch § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG die aufschiebende Wirkung des
Rechtsbehelfs ausgeschlossen, so spricht schon von Gesetzes wegen eine Vermutung
für ein das private Interesse überwiegendes öffentliches Interesse. Eine Anordnung der
aufschiebenden Wirkung § 80 Abs. 5 VwGO kommt deshalb nur in Frage, wenn das
Individualinteresse des Antragstellers aus besonderen Gründen diesem öffentlichen
Interesse ausnahmsweise vorgeht. Das ist der Fall, wenn bei überschlägiger Prüfung
der Antragsteller in der Hauptsache offensichtlich Erfolg haben wird oder bei offener
Erfolgsaussicht besonders gewichtige Gründe zu seinen Gunsten sprechen.
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Das ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr überwiegt bei der hiernach vom Gericht
vorzunehmenden eigenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der
Vollziehung der angefochtenen Abordnungsverfügung das private Interesse des
Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Denn die
Abordnung erweist sich aufgrund der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen
summarischen Prüfung nicht als offensichtlich rechtswidrig. Darüber hinaus geht auch
eine allgemeine Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus. Denn es ist ihm
ohne weiteres zuzumuten, die Folgen aus der sofortigen Vollziehbarkeit der befristeten
Abordnungsverfügung hinzunehmen.
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Die Abordnung findet ihre Rechtsgrundlage - wie in der Verfügung benannt - in § 29
Abs. 2, 3 i.V.m. 5 Landesbeamtengesetz (LBG).
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In formeller Hinsicht bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfügung
der Antragsgegnerin vom 17. August 2007. Durch Verfügungen des Ministeriums für
Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen
vom 22. u. 23. März 2007 ist ein Staatsbeauftragter für Rektor und Rektorat der
Fachhochschule H. i.S.v. § 76 Abs. 3 S. 2 u. 3 Hochschulgesetz (HG) bestellt worden,
der nach Art. 7 § 1 Abs. 2 Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) bis zur endgültigen
Bestandskraft der Übernahme der Beamten der Hochschule anstelle des Rektors auch
Dienstvorgesetzter (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 LBG) des Antragstellers ist.
Verfahrensfehler sind nicht offenkundig. Zwar ordnet die Verfügung vom 17. August
2007 einerseits ausdrücklich die Abordnung an und räumt andererseits zugleich auch
Gelegenheit zur Stellungnahme ein. So heißt es: „Sollte bis zum 24. August 2007
Ihrerseits keine Reaktion erfolgen, gehe ich davon aus, dass sie keine Stellungnahme
beabsichtigen." Ungeachtet der Frage, ob damit schon dem Anhörungserfordernis des §
29 Abs. 4 LBG genüge getan ist, wäre selbst dann, wenn von der Notwendigkeit einer
gesonderten Anhörung auszugehen ist, ein etwaiger Anhörungsmangel durch
Nachholung etwa im Widerspruchsverfahren heilbar, vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
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Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Das wegen der aus §§ 1 Abs. 2; 2 HG
folgenden Dienstherrnfähigkeit sowohl der abgebenden als auch der aufnehmenden
Hochschule nach § 29 Abs. 5 LBG erforderliche schriftliche Einverständnis der
Universität C. ist aktenkundig und hat in der Abordnungsverfügung Ausdruck gefunden.
Schließlich drängt sich eine Mitbestimmungsbedürftigkeit der Personalangelegenheit
zum einen schon wegen der hier nur zweimonatigen Dauer der streitbefangenen
Abordnung des Antragstellers und zum anderen wegen der
Personalentscheidungskompetenz des Kanzlers (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 1
Landespersonalvertretungsgesetz) nicht derart auf, dass ohne weiteres von einer
Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Personalrats der abgebenden oder
aufnehmenden Dienststelle auszugehen ist.
Auch in materieller Hinsicht erweist sich die Abordnungsverfügung unter
Berücksichtigung der vom Antragsteller vorgebrachten Einwände und der hierauf
bezogenen Erwiderungen der Antragsgegnerin nicht als offensichtlich rechtswidrig. Eine
Abordnung des Antragstellers für eine nicht seinem Amt entsprechende Tätigkeit setzt
gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 LBG tatbestandlich dienstliche Gründe sowie die
Zumutbarkeit einer Wahrnehmung der neuen Tätigkeit aufgrund der Vorbildung oder
Berufsausbildung des Beamten voraus. Zwar rechtfertigt ein laufendes
Disziplinarverfahren nicht ohne weiteres eine Abordnung. Jedoch ist vorliegend zu
berücksichtigen, dass es während der laufenden Ermittlungen in der Fachhochschule H.
zu Beeinträchtigungen und Spannungen im Verwaltungsbetrieb käme, wenn der
Hauptverwaltungsbeamte der Hochschule zugegen wäre. Einerseits ist das
Vertrauensverhältnis zwischen der jetzigen Leitung der Antragsgegnerin und dem
Antragsteller belastet, wie sich nicht zuletzt im vom Gericht durchgeführten
Erörterungstermin gezeigt hat. Andererseits setzen die Untersuchungen im
Disziplinarverfahren eine Kooperation zwischen dem MIWFT NRW und dem staatlichen
Beauftragten voraus, die auf die Gewinnung und Überlassung von Informationen und
Verwaltungsvorgängen gerichtet ist. Im Falle der Anwesenheit des Antragstellers als
Leiter der Verwaltung sind insoweit sowohl Loyalitätskonflikte der Mitarbeiter der
Fachhochschule H. als auch Zuständigkeitsprobleme zwischen der Verwaltungsführung
des Antragstellers und der des staatlichen Beauftragten zu gewärtigen. Insofern ist zu
berücksichtigen, dass die den Auslöser und Hintergrund bildenden Geschehnisse im
Zusammenhang mit dem sog. Inkubator-Zentrum an der Fachhochschule H. dem
Antragsteller als Kanzler und Beauftragter des Haushalts eine besondere Stellung
zuweisen, und zwar ungeachtet persönlicher Schuld. Der Aufklärung hinderlich könnte
die dienstliche Anwesenheit und Tätigkeit des Antragstellers sein. Sachlich und zeitlich
begrenzt sind diese in der Funktion des Kanzlers, nicht in seiner Person wurzelnden
dienstlichen Gründe aber durch Ermittlungen vor Ort. Einwände gegen die Zumutbarkeit
der nicht amtsentsprechenden Tätigkeit sind nicht evident, da es sich bei der Befassung
an der Universität C. um (Rechts-)Fragen aus dem Aufgabenfeld eines Kanzlers
handeln dürfte. Schließlich sind keine die offensichtliche Rechtswidrigkeit der
angefochtenen Verfügung begründenden Ermessensfehler erkennbar. Insbesondere ist
nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin schwerwiegende persönliche Gründe, die
gegen eine (weitere) Abordnung nach C. sprechen, außer Acht gelassen hat.
Angesichts der Umstände, dass der Antragssteller seinen Wohnsitz in C. hat und an die
dortige Universität bereits zuvor für drei Monate abgeordnet war, ist das nach § 29 Abs.
2 Satz 1 LBG eingeräumte Ermessen nicht evident fehlerhaft ausgeübt worden.
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Mag nach alledem auch die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung, insbesondere
im Hinblick auf das Vorliegen eines dienstlichen Grundes, noch nicht in Gänze geklärt
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sein und ihr voraussichtlicher Bestand im Hauptsacheverfahren noch offen erscheinen,
so ergibt eine allgemeine Interessenabwägung, dass das öffentliche Vollzugsinteresse
das private Aussetzungsinteresse überwiegt.
Insofern ist unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Regel-
Ausnahme-Verhältnisses zu bewerten, welche nachteiligen Auswirkungen es für den
Antragsteller hat, wenn der Verwaltungsakt vollzogen wird, und welche Folgen
eintreten, wenn der Verwaltungsakt während des Rechtsbehelfsverfahrens nicht
vollzogen werden kann. Entscheidendes Gewicht erlangt dabei schon die Wertung des
§ 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG, wonach u.a. der Widerspruch gegen eine Abordnung keine
aufschiebende Wirkung hat. Zudem hat der Antragsteller keine eigenen überwiegenden
persönlichen Belange vorgebracht, die das vom Gesetzgeber grundsätzlich als
vorzugswürdig erachtete öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der sofortigen
Vollziehung zurücktreten ließe.
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Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Vollziehung einer vorübergehenden
Maßnahme mit einer Laufzeit von nur zwei Monaten streitbefangen ist. Deshalb kann
der Sofortvollzug einer Abordnung den Beamten überhaupt nur in seltenen
Ausnahmefällen unzumutbar belasten. Da hier zudem keine Abordnung mit dem Ziel
der Versetzung an die Universität C. in Streit steht, können diejenigen privaten
Interessen des Antragstellers, die einer späteren Versetzung entgegenstehen könnten,
keine Beachtlichkeit erlangen. Denn das in einer E-Mail des Kanzlers der Universität C.
vom 20. August 2007 erklärte Einverständnis zur Abordnung des Antragstellers ist
unzweifelhaft zeitlich begrenzt, wenn es heißt: „Ich bitte aber um Verständnis, dass ich
damit definitiv eine weitere Verlängerung ausschließe." Ungeachtet dessen sind auch
die dienstlichen Gründe, die allein die Abordnung zu tragen vermögen, sachlich durch
die Ermittlungen vor Ort im laufenden Disziplinarverfahren definiert und begrenzt. Da
diesbezüglich - nach der Aussage des Vertreters der Antragsgegnerin - mit einer
Entscheidung im November dieses Jahres zu rechnen ist dürfte sich nach Ablauf der
angefochtenen Abordnung ohnehin eine neue Sachlage ergeben. Deshalb ist die vom
Antragsteller befürchtete Schaffung vollendeter Tatsachen in Bezug auf die
Personalplanung an der Fachhochschule H. jedenfalls während der Dauer der
Abordnung nicht zu erwarten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird dabei
lediglich der hälftige Regelstreitwert in Ansatz gebracht.
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