Urteil des VG Gelsenkirchen vom 02.06.2009

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 10 K 1825/08
Datum:
02.06.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 1825/08
Schlagworte:
Bebauungsplan, textliche Festsetzung, Öko-Pflaster,
Bodenversiegelung, Befreiung, Grundzüge der Planung,
Durchlässigkeitsbeiwert, vorläufiger Insolvenzverwalter
Normen:
§ 31 Abs. 2 BauGB; § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB; § 1a Abs. 2 Satz 1
BauGB; § 240 Satz 2 ZPO; § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO
Tenor:
Die Klage wird, soweit sie nicht zurückgenommen und das Verfahren
insoweit eingestellt wurde, abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Befreiung der Klägerin von Festsetzungen des
Bebauungsplanes.
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Unter dem 8. August 2005 erteilte die Beklagte der Klägerin die Baugenehmigung zur
Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 11 Wohneinheiten und 13 Stellplätzen in X. ,
I.----straße 51 (Gemarkung X. , Flur 0, Flurstück 0000). In der der Baugenehmigung
zugrundeliegenden Baubeschreibung heißt es, dass Zufahrten und Stellplätze in
wasserdurchlässigem Pflaster erstellt werden.
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Unter Ziffer 8.9 der textlichen Festsetzungen des für das Vorhabengrundstück
maßgeblichen Bebauungsplanes Nr. 00 „T. N. „ - 2. vereinfachte Änderung - heißt es,
dass Stellplätze und ihre Zufahrten sowie Zufahrten zu Garagen in wasserdurchlässiger
Bauweise, z.B. Porenstein, Rasengittersteine, breitfugiges Pflaster oder
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wassergebundene Decke, auszuführen und auf das notwendige Maß zu beschränken
seien.
Die Beklagte stellte die Stellplätze und die Zufahrten in Verbundsteinpflaster her. Sie
beantragte am 6. September 2007 bei der Beklagten die Befreiung von der Festsetzung
Nr. 8.9 des Bebauungsplanes mit der Begründung, der Untergrund im Bereich des
Bauvorhabens sei wasserundurchlässig. Sie fügte ihrem Antrag eine Stellungnahme
des geotechnischen Büros Dr. Q. C. GmbH vom 21. August 2007 bei, in der es im
wesentlichen heißt, die Einleitung des auf den Stellplätzen anfallenden Wassers über
ein Ökopflaster mit Verrieselung sei im vorliegenden Fall wegen der relativ geringen
Durchlässigkeit der oberflächennahen Schichten sehr problematisch. In einem
ergänzenden hydrogeologischen Gutachten desselben vom 29. Oktober 2007, dessen
Auftraggeberin die Klägerin war, führt der Gutachter abschließend aus, dass nach dem
üblichen Sprachgebrauch der Boden als sehr schwach durchlässig zu bezeichnen sei.
Eine Verrieselung von Oberflächenwasser werde üblicherweise nur dann praktiziert,
wenn der Durchlässigkeitsbeiwert um mindestens zwei 10er Potenzen höher liege, also
das 100fache der auf dem Vorhabengrundstück gemessenen Werte erreiche. In seinem
hydrogeologischen Gutachten für das gesamte Baugebiet N. , dass er vor ca. 10 Jahren
erstellt habe, sei noch eine Flächenversickerung für möglich gehalten worden. Nach der
neuen Fassung des ATV-Arbeitsblattes A138 und allgemeiner praktischer Erfahrung
werde die Flächenversickerung nicht mehr als auf Dauer zuverlässige Verrieselungsart
angesehen, da sich die Poren in den Pflastersteinen und Zwischenfugen nach relativ
kurzer Zeit zusetzen könnten. Im vorliegenden Fall ergebe sich zusätzlich das Problem,
dass das Wasser nicht bzw. nicht schnell genug in den Untergrund abfließen könne,
was die Verschlammung noch beschleunige. Daher sollte man in solchen Fällen auf die
Verlegung von Öko-Pflaster verzichten und das Wasser von vorne herein in den
Regenwasserkanal einleiten.
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Nach entsprechender Anhörung der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.
Februar 2008 den Antrag auf Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplanes ab.
Zur Begründung heißt es u.a., dass auf entsprechenden Flächen für Stellplätze in der
Umgebungsbebauung bereits seit Jahren eine dem Bebauungsplan entsprechende
wasserdurchlässige Pflasterung verbaut sei und keine Probleme verursache. Es sei
nicht nachzuvollziehen, aus welchem Grunde gerade im Bereich des
Vorhabengrundstücks die Versickerungsfähigkeit nicht gegeben sein soll.
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Mit der am 25. März 2008 erhobenen Klage wiederholt und vertieft die Klägerin ihr
bisheriges Vorbringen.
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Nach Rücknahme des auch gegen den Gebührenbescheid der Beklagten vom 20.
Februar 2008 gerichteten Klageantrags in der mündliche Verhandlung vom 25. März
2009 beantragt die Klägerin vorliegend,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. Februar 2008 zu verpflichten,
der Klägerin eine Befreiung von den textlichen Festsetzungen Nr. 8.9 des
Bebauungsplanes der Stadt X. Nr. 00 „T. N. „ zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens,
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die Klage abzuweisen.
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Das Gericht hat durch Beschluss vom 25. März 2009 das Ruhen des Verfahrens bis zum
30. April 2009 angeordnet. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer weiteren
mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Das Amtsgericht Münster hat unter dem 15. April 2009 in dem
Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Klägerin einen vorläufigen
Insolvenzverwalter bestellt und u.a. angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin
über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen
Insolvenzverwalters wirksam sind.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten Hefte 1 bis 6) ergänzend
verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer entscheidet gemäß §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO durch den
Einzelrichter und im Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche
Verhandlung.
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Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung vom 25.
März 2009 steht einer streitigen Entscheidung nicht entgegen, weil im Einvernehmen
der Beteiligten das Verfahren nur bis zum 30. April 2009 ruhen sollte.
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Ebenso steht das Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Klägerin einer
gerichtlichen Entscheidung nicht im Wege. Eine Unterbrechung des Gerichtsverfahrens
nach §§ 173 VwGO, 240 Satz 2 ZPO hat nicht stattgefunden, weil trotz Einleitung des
Insolvenzeröffnungsverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das
Vermögen der Klägerin nicht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen ist,
sondern gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative InsO lediglich angeordnet wurde, dass
Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters
wirksam sind. In diesem Falle ohne Bestimmung eines allgemeinen
Verfügungsverbotes für die Schuldnerin wird der Rechtsstreit ohne Unterbrechung durch
die Schuldnerin fortgeführt.
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Vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 12. Mai 2005 - 5 U 132/05 -, Juris.
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Die nach Rücknahme noch verbleibende Verpflichtungsklage auf Erteilung einer
Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplanes ist zwar zulässig, aber
unbegründet.
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Die Voraussetzungen des hier einschlägigen § 31 Abs. 2 BauGB liegen nicht vor. Nach
dieser Vorschrift kann von den Festsetzungen des Bebauungsplanes befreit werden,
wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und 1. Gründe des Wohls der
Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder 2. die Abweichung städtebaulich vertretbar
ist oder 3. die Durchführung des Bebauungsplanes zu einer offenbar nicht
beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung
nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
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Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung noch einen als
Minus in dem Verpflichtungsbegehren enthaltenen Anspruch auf erneute Bescheidung.
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Ein Befreiungsanspruch wäre nur gegeben, wenn das Ermessen der Beklagten auf Null
reduziert wäre. Das ist nicht der Fall. Vielmehr hat die Beklagte die Ablehnung
ermessensfehlerfrei ausgesprochen.
Eine Befreiung von der textlichen Festsetzung Nr. 8.9 des Bebauungsplanes Nr. 00
würde Grundzüge der Planung berühren.
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Das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung soll sicherstellen, dass die
Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht beliebig durch Verwaltungsakt außer Kraft
gesetzt werden. Der Änderung eines Bebauungsplans obliegt der Gemeinde und nicht
der Bauaufsichtsbehörde. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der
jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem
planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das
Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung
der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der Umplanung möglich ist. Die
Befreiung kann nicht dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische
Regelung beiseite zu schieben.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. März 1999 - 4 B 5.99 -, NVwZ 1999, 1110.
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Das planerische Grundkonzept liegt nach der Begründung der 1. Fassung des
Bebauungsplanes Nr. 00 der Stadt X. in der Reduzierung der versiegelten Flächen,
einem Anliegen, das in § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB ebenso wie in § 1a Abs. 2 Satz 1
BauGB Ausdruck gefunden hat. Bodenversiegelungen sind auf das notwendige Maß zu
begrenzen. Grundzüge der Planung wären hier nur dann nicht berührt, wenn im Falle
der Klägerin besondere Gründe für eine Befreiung von der textlichen Festsetzung Nr.
8.9 des Bebauungsplanes Nr. 00 vorlägen, die den allgemeinen Planungszweck nicht
ad absurdum führen würden. Besondere Gründe könnten hier in der mangelnden
Versickerungsfähigkeit des Bodens gerade auf dem Vorhabengrundstück der Klägerin
im Gegensatz zu allen anderen Grundstücken im Plangebiet liegen. Das ist aber nicht
der Fall.
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Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten C. vom 29. Oktober 2007 lässt nicht
schlüssig erkennen, dass abweichend von der dem Bebauungsplan
zugrundeliegenden, auf dem Gutachten desselben Gutachters vom 25. Juni 1996 zur
Sickerfähigkeit des Untergrundes im Planungsgebiet N. in X. beruhenden, Annahme
einer noch hinreichenden Versickerungsfähigkeit des Bodens auch im Bereich des
klägerischen Grundstücks nunmehr im Einzelfall eine die Versickerung ausschließende
Situation vorliegt. Der Bereich des klägerischen Grundstücks war bereits Gegenstand
des Gutachtens C. vom 25. Juni 1996 (Sonderungspunkt D1). Damals wurde ein die
Versickerungsgeschwindigkeit beschreibender Durchlässigkeitsbeiwert von 4 x 10-8
m/s festgestellt. In dem hier von der Klägerin vorgelegten Gutachten C. vom 29. Oktober
2007 wurden an zwei Sondierbohrlöchern mit jeweils drei Messungen bei der
Sondierung 1 im Durchschnitt Durchlässigkeitsbeiwerte von 5,16 x 10-8 m/s gemessen
und bei der Sondierung 2 Durchlässigkeitsbeiwerte bei drei Messungen im Bereich von
10-7. Dies alles sind Werte, die sogar günstiger liegen als der im Gutachten vom 25.
Juni 1996 festgestellte Beiwert von 4 x 10-8. Zwar hatte schon das damalige Gutachten
den Boden im Baugebiet als gering wasserdurchlässig bezeichnet und als ungünstig für
eine Verrieselung von Oberflächenwasser angesehen. Dafür seien ein hoher
Grundwasserspiegel und eine relativ geringe Wasserdurchlässigkeit des Untergrundes
verantwortlich. Dennoch hat das für die textliche Festsetzung Nr. 8.9 des
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Bebauungsplanes einflussgebende Gutachten eine Flächenverrieselung im Plangebiet
nicht ausgeschlossen. Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten C. vom 29. Oktober
2007 nimmt keine von der allgemeinen Bodenbeschaffenheit im Plangebiet im Falle des
klägerischen Grundstücks wesentlich abweichende tatsächliche Situation an mit der
Schlussfolgerung, dass ausnahmsweise abweichend von dem übrigen Plangebiet im
Falle der Klägerin eine Verrieselung ausgeschlossen sei. Vielmehr stellt das Gutachten
C. vom 29. Oktober 2007 auf neuere allgemeine Erkenntnisse ab, die im wesentlichen
darauf gründen, dass sich die Zwischenfugen bei einer wasserdurchlässigen
Oberflächenversiegelung zusetzen können, was im Zusammenwirken mit einem
verzögerten Wasserabfluss die Verschlammung beschleunige. Im Ergebnis sieht das
Gutachten C. vom 29. Oktober 2007 eine Verrieselung auch nicht als ausgeschlossen
an, sondern spricht lediglich davon, dass man hier auf die Verlegung von Öko-Pflaster
verzichten sollte.
Die Zulassung einer von den Festsetzungen des Bebauungsplanes abweichenden
wasserundurchlässigen Pflasterung der Stellplätze und Zufahrten auf dem Grundstück
der Klägerin würde hier nach allem den planerischen Absichten deutlich zuwiderlaufen
und wäre allein im Wege einer Umplanung und nicht durch Verwaltungsakt zu
verwirklichen.
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Ein Befreiungsanspruch ist damit ausgeschlossen. Aber auch eine Neubescheidung
kommt nicht in Betracht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB -
wie aufgezeigt - nicht sämtlich vorliegen.
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Nach allem ist die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge
abzuweisen. Der Anspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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