Urteil des VG Gelsenkirchen vom 02.10.2009

VG Gelsenkirchen (aufschiebende wirkung, slowakei, richtlinie, antragsteller, ewg, verwaltungsgericht, gerichtshof, wohnsitz, tag, verfügung)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 929/09
Datum:
02.10.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 929/09
Schlagworte:
Anerkennung eines EU-Führerscheins; unbestreitbare Informationen aus
dem Ausstellerstaat; anderslautende Erklärung
Normen:
FeV n.F. § 28 Abs. 4 S. 2; 3. EU-Führerscheinrichtlinie; StVG § 3
Tenor:
1. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster
Instanz bewilligt und Rechtsanwalt L. aus I1. beigeordnet.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 3778/09
gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. August
2009 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
3. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
4. Der Beschlusstenor soll den Parteien vorab zugefaxt werden.
G r ü n d e :
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Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt
L. aus I. ist zu entsprechen, da die erforderlichen wirtschaftlichen und sachlichen
Voraussetzungen gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. §§
114 ff der Zivilprozessordnung - ZPO - vorliegen.
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 3778/09 gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. August 2009 wiederherzustellen bzw.
anzuordnen,
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ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet. Die im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des
Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung mit großer
Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist.
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Die hier getroffene Feststellung, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, in
Deutschland fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge zu führen, lässt sich nicht auf § 28 Abs. 4
S. 2 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV - in der Fassung vom 7. Januar 2009 stützen.
Diese am 19. Januar 2009 in Kraft getretene Vorschrift steht in engem Zusammenhang
mit dem Inkrafttreten des Art. 11 Abs. 4 der 3. Europäischen Führerscheinrichtlinie
(Richtlinie 2006/126/EG) am 19. Januar 2009 (Art. 18 S. 2 der Rili) und vermag für die
vor diesem Datum erteilten ausländischen Fahrerlaubnisse keine kraft Gesetzes
eintretende und nur noch deklaratorisch festzustellende Unwirksamkeit herbeizuführen.
Für die bis zum 19. Januar 2009 erworbenen EU-/EWR-Fahrerlaubnisse verbleibt es
vielmehr dabei, dass sie dem vom Europäischen Gerichtshof in ständiger
Rechtsprechung geforderten Anerkennungsautomatismus unterfallen.
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vgl. zu § 28 Abs. 4 S. 2 FeV n.F.: OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 3009 - 16 A 3373/07 -,
juris, Rdnr. 25 ; zur 3. Führerscheinrichtlinie auch : BVerwG, Urt. vom 11. Dezember
2008, - 3 C 26/07 -, juris, Rdnr. 16.
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Der Antragsteller erwarb aber seine Fahrerlaubnis in der Slowakei bereits am 5. Februar
2008.
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Auch eine etwaige Umdeutung der Verfügung in eine solche auf Aberkennung des
Rechts, von der EU-Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, scheidet aus.
Der Antragsgegner ist nach geltendem Gemeinschaftsrecht gehalten, die slowakische
Fahrerlaubnis des Antragstellers anzuerkennen. Dies folgt aus Art. 1 Abs. 2 der im
Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis im Februar 2008 geltenden Richtlinie
91/439/EWG (vgl. nunmehr Art. 2 Abs. 1 der 3. EU-Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG),
die den Mitgliedsstaat grundsätzlich verpflichtet, eine in einem anderen Mitgliedstaat der
EU erworbene Fahrerlaubnis ohne weitere (eigene) Nachprüfung anzuerkennen. Dazu
hat der EuGH in seiner einschlägigen Entscheidung
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- Urteil vom 26. Juni 2008 - Rs C-329/06 und C-343/06 - (Wiedemann u.a.), juris;
entsprechend auch Urteil vom gleichen Tag in Sachen Zerche u.a. - Rs C - 334/06 u.a. -
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klargestellt, dass die Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen für eine Fahrerlaubnis
grundsätzlich den Behörden des Mitgliedstaates obliegt, in dem die Fahrerlaubnis erteilt
wird. Die Behörden der übrigen Mitgliedstaaten sind nicht befugt, die diesbezüglichen
Entscheidungen des Ausstellungsstaates zu überprüfen (a.a.O., Rdnr. 52 f.). Sie sind
infolgedessen selbst dann gehindert, fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen gegen den
Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis zu ergreifen,
wenn dem Betreffenden nach dem innerstaatlichen Recht eine Fahrerlaubnis nicht
erteilt werden könnte oder wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass die
Erteilungsvoraussetzungen tatsächlich nicht vorgelegen haben (a.a.O., Rdnr. 54 f.).
Fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaates kommen danach
u.a. nur in Betracht, wenn die neue Fahrerlaubnis ein Verhalten des Betreffenden nach
dem Erwerb der Fahrerlaubnis eine solche Maßnahme veranlasst (a.a.O., Rdnr. 59).
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Etwas anderes gilt allerdings in Fällen des Missbrauchs der gemeinschaftsrechtlich
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garantierten Freizügigkeit, namentlich beim sog. "Führerschein-Tourismus". Ein solcher
ist dann anzunehmen, wenn sich auf der Grundlage der Eintragungen im Führerschein
selbst oder von anderen vom Ausstellungsstaat herrührenden unbestreitbaren
Informationen feststellen lässt, dass die in Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe b Richtlinie
91/439/EWG aufgestellten Wohnsitzvoraussetzungen im Zeitpunkt der
Fahrerlaubniserteilung nicht erfüllt waren (a.a.O., Rdnr. 67 ff.).
In Ergänzung dazu hat der Europäische Gerichtshof nunmehr in seiner Entscheidung
vom 9. Juli 2009
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Rechtssache C-445/08, Wierer, juris, Rdnr. 54-56
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weiter klargestellt, dass auch Erklärungen oder Informationen, die der
Führerscheininhaber im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren in
Erfüllung einer Mitwirkungspflicht abgegeben hat, den Mitgliedsstaat nicht berechtigen,
von dem vorstehend beschriebenen Anerkennungsautomatismus abzuweichen.
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Ausgehend von dieser das erkennende Gericht bindenden Auslegung des EU-Rechts
ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung gegen die Bestimmungen der Richtlinie
91/439/EWG verstößt, da sich aus der eingeholten Bescheinigung der Slowakei vom 31.
Dezember 2008 ausdrücklich ergibt, dass der Antragsteller zum Tag der Erteilung der
Fahrerlaubnis und der Herausgabe des Führerscheins seinen festen Wohnsitz mit einer
längeren Dauer als 185 Tage in der Slowakei hatte. Im Führerscheindokument ist kein
Wohnsitz eingetragen. Somit handelt es sich um die vom EuGH geforderten
unbestreitbaren Dokumente des Ausstellerstaates, die die Anerkennung des
slowakischen Dokuments erfordern. Nachträgliche Umstände, die eine Entziehung der
Fahrerlaubnis nach hiesigem Recht rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
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Der Umstand, dass der Kläger in der Zeit seines angeblichen Wohnsitzes in der
Slowakei Leistungen der ARGE bezogen und später erklärt hat, in der Slowakei im
Jahre 2008 nur einen Scheinwohnsitz unterhalten zu haben (BA Bl. 40), reicht hierfür
nicht aus. Ob darauf Bedenken hinsichtlich der charakterlichen Eignung gestützt werden
können und ggf. Anlass zur Aufklärung besteht, lässt die Kammer offen.
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Anzumerken ist allerdings, dass der Kammer die Heranziehung der aus dem
Führungszeugnis ersichtlichen Straftaten, aus denen der Antragsgegner
Eignungszweifel ableitet, bedenklich erscheint, da gem. § 29 Abs. 8 S. 1 StVG
grundsätzlich nur Eintragungen im Verkehrszentralregister im
Fahrerlaubnisentziehungsverfahren verwertbar sind, hier aber solche nicht vorliegen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und
entspricht der neuen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen
Rechtsschutzverfahren, vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 -, nrwe.de.
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