Urteil des VG Gelsenkirchen vom 21.08.2000

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 11 K 5859/98
Datum:
21.08.2000
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 5859/98
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens,
für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Die Kostenentscheidung
ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der im Jahre 1939 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebt seit Januar
1963 in der Bundesrepublik Deutschland und arbeitete hier als Bergarbeiter. Im März
1996 erlitt er in der Türkei einen Unfall. Seitdem ist der Kläger querschnittsgelähmt und
auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen.
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Das Versorgungsamt F. erkannte einen Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 100
an; von der Bundesknappschaft bezieht der Kläger Pflegegeld der Pflegestufe III in
Höhe von monatlich 1.300 DM. Die Pflege des Klägers übt nach eigenen Angaben
seine ebenfalls zu 100 vH behinderte Ehefrau aus, die an Epilepsie leidet und keinen
Führerschein besitzt.
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Mit beim Beklagten am 22. Januar 1997 eingegangenem Antrag begehrte der Kläger die
Übernahme der Umrüstungskosten für seinen vorhandenen Pkw Typ Mercedes Benz
124 D mit einer Zentralgasringanlage. Hierbei wird das Gaspedal über eine Elektronik
und einen Stellmotor gesteuert. Die Bedienung erfolgt über einen Ring auf dem
Lenkrad. Eine mit der Hand zu bedienende Betriebsbremse wird unterhalb des
Lenkrades montiert.
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Die Einbaukosten beliefen sich ausweislich des nachgereichten Kostenvoranschlags
der Firma S. GmbH vom 27. März 1997 auf insgesamt 5.025,00 DM zuzüglich
Mehrwertsteuer. Hinsichtlich der Notwendigkeit des Einsatzes seines Wagens trug der
Kläger vor, er benötige das Auto, um Kontakte mit früheren Arbeitskollegen und
befreundeten türkischen Mitbürgern zu pflegen. Er habe eine besondere Freude am
Autofahren. Seit seinem Unfall könne der Wagen nicht mehr genutzt werden.
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Neben der Ehefrau lebte auch die gemeinsame, berufstätige Tochter im Haushalt des
Klägers.
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Im Rahmen des vom Beklagten veranlaßten Hausbesuchs einer Bediensteten des
Jugendamtes des Oberbürgermeisters der Stadt F. am 19. September 1997 erklärte der
Kläger, dass er das Auto benötige, um einmal etwas anderes zu sehen, mit seiner Frau
einzukaufen, Besuche und Spazierfahrten zu machen. Der Außendienst befürwortete
die Umrüstung des Wagens. Der Kläger könne so ein kleines Stück der verlorenen
Unabhängigkeit zurückerhalten. Er sowie seine Frau hätten die Möglichkeit, zumindest
tageweise ohne Hilfe der Kinder auszukommen.
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Mit Bescheid vom 3. März 1998 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da der
Kläger zum Zwecke der Eingliederung nicht auf ein Kraftfahrzeug angewiesen sei.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und wies ergänzend darauf hin,
dass das Einkaufen von Getränken und ähnlichem ohne Auto nicht möglich sei. Zudem
könne er nicht mehr zu Freunden und Verwandten sowie türkischen Einrichtungen
gelangen.
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Am 23. Juni 1998 zogen der Kläger, seine Ehefrau und Tochter in das Haus Seestraße
17 in F. um, in dem bereits ein Sohn des Klägers mit dessen Familie lebte. Ein weiterer
Sohn des Klägers wohnt im Stadtgebiet von F. .
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Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 1998 wies der Beklagte den Widerspruch
des Klägers nach Beteiligung sozial erfahrener Personen zurück.
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Daraufhin hat der Kläger am 21. September 1998 unter Wiederholung und Vertiefung
seiner bereits im Verwaltungsverfahren gemachten Ausführungen die vorliegende Klage
erhoben. Ergänzend trägt er vor, sein Sohn N. fahre, soweit er es beruflich einrichten
könne, für ihn das Fahrzeug.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 3. März 1998 in der Fassung
seines Widerspruchsbescheides vom 19. August 1998 zu verpflichten, dem Kläger die
Kosten für den Einbau einer Zentralgasringanlage entsprechend dem
Kostenvoranschlag der Firma S. GmbH vom 26. März 1997 im Wege der
Eingliederungshilfe zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Kläger könne für Fahrten, die mit dem Auto durchzuführen seien, den
Behindertenfahrdienst in Anspruch nehmen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakte
Heft 1) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom
3. März 1998 in der Fassung seines Widerspruchsbescheides vom 19. August 1998 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten ( § 113 Abs. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO-).
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung der Kosten für den
Einbau einer Zentralgasringanlage aus Mitteln der Sozialhilfe gegenüber dem
Beklagten gemäß §§ 39 Abs. 1 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 2, 47 des
Bundessozialhilfegesetzes -BSHG-, § 9 Abs. 2 Nr. 11 der
Eingliederungshilfeverordnung - EingliederungshilfeVO- nicht zu.
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Der Beklagte ist bezüglich dieses Anspruchs gemäß §§ 100 Abs. 1 Nr. 2, 81 Abs. 1 Nr. 3
BSHG, § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 81 Abs. 1 Nr. 3 BSHG passiv
legitimiert. Gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 2 BSHG ist der Beklagte als überörtlicher Träger der
Sozialhilfe zuständig u.a. für die Versorgung Behinderter mit größeren anderen
Hilfsmitteln. Der Kläger ist Behinderter in diesem Sinne, da ihm ein GdB in Höhe von
100 vom Versorgungsamt zuerkannt worden ist. Bei dem vom Kläger begehrten
Hilfsmittel handelt es sich um ein größeres, da dessen Kosten ausweislich des
Kostenvoranschlags der Firma S. vom 26. März 1997 mehr als 350 DM betragen.
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Der Kläger erfüllt aber nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Übernahme
der begehrten Einbaukosten. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist Personen, die nicht
nur vorübergehend körperlich wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu
gewähren. Der Kläger gehört diesem Personenkreis an. Seine Bewegungsfähigkeit ist
durch eine Beeinträchtigung des Stütz -oder Bewegungssystems in erheblichem
Umfang eingeschränkt. Der Kläger ist seit einem Unfall im März 1996
querschnittsgelähmt und auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Dieser
Personenkreis wird durch § 1 Nr. 1 EingliederungshilfeVO erfaßt.
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BSHG-Lehr- und Praxiskommentar, 5. Aufl., 1998, § 39 Rdn 4.
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Die vom Kläger erstrebte Hilfe gehört auch zu den in § 40 Abs. 1 BSHG aufgeführten
Maßnahmen der Eingliederungshilfe, und zwar zu der durch § 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG
erfaßten Versorgung mit anderen Hilfsmitteln. Denn gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 11
EingliederungshilfeVO gehören zu den anderen Hilfsmitteln auch besondere
Bedienungseinrichtungen und Zusatzgeräte für Kraftfahrzeuge. Der Kläger begehrt die
Übernahme der Kosten zum Einbau einer Zentralgasringanlage mit handbedienter
Betriebsbremse, wodurch die Aufgaben, die Gas- und Bremspedale wahrnehmen, durch
Einbau technischer Hilfsmittel zum Lenkrad verlegt werden, da der Kläger wegen der
Querschnittslähmung nicht mehr in der Lage ist, Pedale mit den Füßen zu bedienen.
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Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für derartige Hilfemittel besteht aber nur dann,
wenn der Behinderte wegen Art und Schwere seiner Behinderung auf ein Kraftfahrzeug
angewiesen ist ( Merkmal der Notwendigkeit). Die Kammer ist auf Grund der mündlichen
Verhandlung und dem vom Kläger im Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Verfahren
Vorgetragenen zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger im maßgeblichen
Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides
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-vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt bei einmaligen Beihilfen: Oberverwaltungsgericht für
das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. August 1985 -8 A 2620/83-, mit weiteren
Nachweisen-
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eine derartige Notwendigkeit der Benutzung eines Wagens nicht vorlag.
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Die Beantwortung der Frage, ob der Behinderte auf die Benutzung eines Autos
angewiesen, d.h., ob dessen Benutzung für seine Eingliederung notwendig ist, bemißt
sich auch im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem allgemeinen Ziel der
Sozialhilfe, eine Hilfe in einer Art, Form und einem Maß zu gewährleisten, dass
verhindert wird, dass die Menschenwürde Schaden nimmt ( § 1 Abs. 2 BSHG), und dass
dem Hilfesuchenden durch die Hilfe ermöglicht wird, in der Umgebung von
Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben. Einer Gewährung steht nicht
entgegen, wenn der Hilfesuchende nicht regelmäßig auf die Benutzung des eigenen
Kraftfahrzeuges angewiesen ist.
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Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 20. Dezember 1990 -5 B 113/89-, Neue
Zeitschrift für Verwaltungsrecht -Rechtsprechungs-Report- 1991,561
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Der vom Kläger geltend gemachte Fahrbedarf macht nach Überzeugung der Kammer
aber nicht einmal ein gelegentliches Benutzen eines eigenen Wagens notwendig. Denn
auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges ist der Behinderte dann nicht angewiesen,
wenn der Fahrbedarf anders als durch den Einsatz eines eigenen Autos gedeckt
werden kann, so durch den Einsatz eines Krankenfahrzeugs, die Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel oder eines Mietwagens.
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Soweit der Kläger erklärt, er benötige das Auto, weil er eine besondere Freude am
Autofahren habe, ist dieser geltend gemachte Bedarf angesichts der persönlichen
Lebensumstände des Klägers verständlich. Das Herumfahren mit einem selbst
gelenkten Kraftfahrzeug mag zwar auch als subjektive Verbesserung seiner
Gesamtsituation empfunden werden, diese Möglichkeit wird jedoch von den Zielen der
Eingliederungshilfe, die gemäß § 39 Abs. 3 BSHG u.a. darin bestehen, dem
Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen sowie ihn
soweit als möglich unabhängig von der Pflege zu machen und damit eine objektive
Verbesserung der behinderungsbedingten Folgen erfordern, nicht mehr umfaßt.
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Soweit der Kläger vorträgt, dass er das Kraftfahrzeug für Einkäufe brauche, da seine
Ehefrau auf Grund der eigenen Behinderung nicht in der Lage sei, diese allein zu
bewältigen, ist der Kläger auf in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung gelegene
Geschäfte zu verweisen. Denn dort befinden sich nach Kenntnis der Kammer, der die
Örtlichkeiten des Stadtteils von F. , in dem der Kläger seit Juni 1998 wohnt, bekannt
sind, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Wohnung des Klägers je eine Filiale der
Einzelhandelsketten Plus und Edeka sowie ein Drogeriemarkt. Hier kann der tägliche
Bedarf gedeckt werden. Der Kläger kann seine Ehefrau in seinem ihm durch die
Bundesknappschaft zur Verfügung gestellten Rollstuhl begleiten und Einkäufe mit dem
Rollstuhl zu seiner Wohnung transportieren. Soweit der Kläger darüber hinaus geltend
macht, er müsse sein Kraftfahrzeug beim Kauf von Getränken einsetzen, kann dieser
Einkauf von der nach wie vor im Haushalt des Klägers lebenden Tochter als ihr Beitrag
zur gemeinsamen Haushaltsführung durchgeführt werden.
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Bei den allgemein geltend gemachten Besuchen von „Verwandten" ist zu
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berücksichtigen, dass kein Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden sind, dass
bestehende Kontakte nicht auch in der Weise aufrecht erhalten werden könnten, dass
diese Personen ihrerseits den Kläger besuchen; im übrigen wohnten im maßgeblichen
Zeitpunkt der Entscheidung eine Tochter im Haushalt des Klägers und ein Sohn im
selben Haus. Für eventuelle Besuchsfahrten zu den übrigen Familienmitgliedern oder
sonstigen Verwandten kann der Behindertenfahrdienst in Anspruch genommen werden.
Nach den unwidersprochenen Ausführungen des Beklagten, deren Richtigkeit vom
Deutschen Roten Kreuz -DRK- der Berichterstatterin telefonisch bestätigt worden ist,
steht der Fahrdienst der Stadt F. unter Federführung des DRK. Es werden von diesem
für behinderte Bürger der Stadt F. Fahrten im Stadtgebiet von F. und angrenzenden
Städten durchgeführt. Die Fahrten sind einen Tag vorher anzumelden und werden zu
folgenden Zwecken durchgeführt: Teilnahme am kulturellen Leben, Kontakte zu
Verwandten, Arztbesuche, medizinische Behandlungen, sonstiges. Pro Fahrt ist eine
Pauschale in Höhe von 10 DM zu zahlen. Der Fahrdienst steht auch für Fahrten
außerhalb des Stadtgebietes zur Verfügung. Für derartige Fahrten fällt allerdings eine
Pauschale in Höhe von 2 DM pro Kilometer an. Gründe, weshalb der Kläger diesen
Fahrdienst nicht in Anspruch nehmen kann, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Entsprechendes gilt für den unsubstantiiert geltend gemachten Bedarf an Fahrten zu
türkischen Einrichtungen und früheren Arbeitskollegen. Die durch die notwendige
Inanspruchnahme des Fahrdienstes entstehenden Kosten kann der Kläger gegenüber
dem Oberbürgermeister der Stadt F. als Kosten der Eingliederungshilfe geltend machen,
soweit seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine eigenen Kostentragung
ausschließen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch hinsichtlich der
vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708
Nr. 11, 711 der Zivilprozeßordnung.
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