Urteil des VG Gelsenkirchen vom 16.09.2008

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 L 818/08
Datum:
16.09.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 818/08
Leitsätze:
Zur Pflicht des Dienstherrn, die tragenden Auswahlerwägungen (hier:
Eignungsvorsprung aufgrund einer inhaltlichen Ausschöpfung von
dienstlichen Beurteilungen) zu dokumentieren, so dass diese einem
unterlegenen Stellenbesetzungsbewerber zumindest durch die
Möglichkeit der Akteneinsicht zugänglich ist.
Tenor:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
aufgegeben, die Stelle des stellvertretenden Schulleiters (A 15 FN 7
BBesO) am G. -vom-T. -Gymnasium in S. nicht mit dem Beigeladenen zu
besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Stelle des
stellvertretenden Schulleiters (A 15 FN 7 BBesO) am G1. -vom-T. - Gymnasium in S.
nicht mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist,
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hat Erfolg.
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Der Antragsteller hat gemäß § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 ZPO
neben dem regelmäßig in mit Beförderungsentscheidungen einhergehenden Verfahren
gegebenen Anordnungsgrund auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs
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glaubhaft gemacht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Rechte des Antragstellers
ist dann gerechtfertigt, wenn die Verletzung seines Rechts auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung über das Beförderungsbegehren glaubhaft gemacht ist und die
Möglichkeit besteht, dass die noch zu treffende rechtmäßige Auswahlentscheidung zur
Besetzung der Stelle mit dem Antragsteller führen kann.
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Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, DÖD 2003, 17, und
vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 -, NVwZ 2007, 1178; OVG NRW, Beschluss vom 13.
September 2001 - 6 B 1776/00 -, DÖD 2001, 316.
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Beförderungsentscheidungen sind grundsätzlich an Hand einer Bestenauslese zu
treffen. Der Dienstherr hat Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber zu
bewerten und zu vergleichen (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 Abs. 1 LBG). Ist ein Bewerber
besser qualifiziert, darf er nicht übergangen werden. Für die Auswahl sind dabei in
erster Linie die aktuellen Beurteilungen maßgebend, die den aktuellen Leistungsstand
wiedergeben.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01-, DÖD 2003, 200, und vom
27. Februar 2003 - 2 C 16.02 -, DÖD 2003, 202, jeweils mit weiteren Nachweisen; s.
auch OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2004 - 6 B 2451/03 -, NVwZ-RR 2004,
626.
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Demgemäß hat der Antragsgegner im Rahmen des Auswahlverfahrens sowohl für den
Antragsteller als auch für den Beigeladenen aktuelle dienstliche Beurteilungen
eingeholt. Sowohl die dienstliche Beurteilung des Antragstellers vom 3. Mai 2007 als
auch die Beurteilung des Beigeladenen vom 15. April 2008 schließen mit dem
Gesamturteil „Die Leistungen übertreffen die Anforderungen". Auf dieser Grundlage geht
der Antragsgegner im Ausgangspunkt zutreffend zunächst von einem qualitativen
Gleichstand des Antragstellers und des Beigeladenen aus. Die Entscheidung zu
Gunsten des Beigeladenen begründet er sodann mit einem „Eignungsvorsprung", den
er aufgrund einer i n h a l t l i c h e n A u s s c h ö p f u n g der vorliegenden
Beurteilungen, die sich in Anbetracht diverser Einzelfeststellungen in der Tat durchaus
aufdrängt, herleitet.
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Bei einer solchen Würdigung von Einzelfeststellungen einer Beurteilung kommt dem
Dienstherrn ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.
Diese Würdigung kann nicht durch das Gericht selbst getroffen werden, kann aber von
diesem auf Beurteilungsfehler hin überprüft werden. Vor diesem Hintergrund ist es von
besonderer Bedeutung, dass zumindest die tragenden Auswahlerwägungen
ausreichend d o k u m e n t i e r t werden. Darüber hinaus muss auch die
Konkurrentenmitteilung gegenüber einem unberücksichtigt gebliebenen Bewerber
geeignet sein, diesen in die Lage zu versetzen, sachgerecht darüber befinden zu
können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte
für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner
Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen
will. Zumindest muss sich der Betroffene aber durch eine ihm zusätzlich ermöglichte
Einsichtnahme in die Verwaltungs- bzw. Personalakten die erforderliche Kenntnis von
den maßgeblichen Auswahlerwägungen des Dienstherrn in dem für das Betreiben
eines Eilverfahrens notwendigen Umfang verschaffen können. Auch das schließt die
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Verpflichtung des Dienstherrn ein, die maßgeblichen Auswahlerwägungen schon im
Rahmen des Verwaltungsverfahrens über die Stellenbesetzung schriftlich
niederzulegen. Die Annahme, solches könne erstmals in einem
verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren geschehen bzw. noch zu jenem Zeitpunkt dürften
die die Auswahl tragenden Gründe erst offengelegt werden, würde die
Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen in unzumutbarer Weise mindern und ist
daher nicht gerechtfertigt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 -, NVwZ 2007, 1178; nunmehr
in dieser Deutlichkeit ebenso OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2008 - 1 B
910/08 -, juris.
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Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner nicht in ausreichendem Maße Rechnung
getragen. In der Konkurrentenmitteilung vom 30. Juni 2008 hat er den Antragsteller
weder über die tragenden Auswahlerwägungen in Kenntnis gesetzt noch hat er ihm
ausdrücklich die Möglichkeit einer Einsichtnahme in die Verwaltungs- bzw.
Personalakten eingeräumt (vgl. Bl. 139 des Verwaltungsvorgangs/Beiakte Heft 1). Wie
der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung selbst einräumt, hat er den Antragsteller
(„infolge eines Büroversehens") nicht einmal darüber unterrichtet, dass seine
Nichtberücksichtigung aus „Qualifikationsgründen" erfolgt sei. Auch aus den
beigezogenen Verwaltungsvorgängen sind die tragenden Auswahlerwägungen nicht
ersichtlich. Dies gilt auch mit Blick auf sowohl das Vorlageschreiben an die
Schulkonferenz vom 26. Mai 2008 (Bl. 98 f. des Verwaltungsvorgangs/Beiakte Heft 1)
als auch das Schreiben an den Personalrat für Lehrer an Gymnasien und
Weiterbildungskollegs vom 25. Juni 2008 (Bl. 107 f. des Verwaltungsvorgangs/Beiakte
Heft 1). In letzterem heißt es lediglich, dass der Beigeladene einen „Eignungsvorsprung"
besäße. Woraus dieser Vorsprung abgeleitet wird, wird nicht mitgeteilt. Keine anderen
Informationen folgen im Übrigen aus der E-Mail des Herrn S1. an Frau L. vom 18. April
2008 (Bl. 96 des Verwaltungsvorgangs/Beiakte Heft 1). Auch hierin wird lediglich von
einem nicht näher begründeten „Eignungsvorsprung" gesprochen. Schließlich hat der
Antragsgegner - ungeachtet der Tatsache, dass in Anbetracht der zitierten
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine nachträgliche Offenlegung der
Gründe ohnehin nicht mehr ausreichend sein dürfte - auch im laufenden
Gerichtsverfahren seine Auswahlentscheidung nicht hinreichend nachvollziehbar
gemacht. In der Antragserwiderung heißt es lediglich, dass der Beigeladene „in allen
Punkten der Beurteilung einen mehr oder minder deutlichen Qualifikationsvorsprung"
aufweise. In seiner Beurteilung fänden sich „aus den Formulierungen erkennbare
bessere Bewertungen der Unterpunkte sowie deutlich hervorhebende
Zusatzbewertungen". Erläutert werden diese recht pauschalen Aussagen hingegen
nicht. Vor allem werden keine konkreten Beispiele genannt. Auch auf die recht
ausführliche persönliche Stellungnahme des Antragstellers vom 23. Juli 2008, an das
Gericht übersandt mit Schriftsatz vom 12. August 2008, hat der Antragsgegner innerhalb
der ihm gesetzten Frist zur Stellungnahme nicht mehr erwidert.
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Der Vollständigkeit halber weist die Kammer darauf hin, dass im vorliegenden Fall auch
nicht auf eine Dokumentation der durch die inhaltliche Ausschöpfung gewonnenen
Auswahlerwägungen etwa deshalb hätte verzichtet werden können, weil der behauptete
Eignungsvorsprung des Beigeladenen derart offensichtlich wäre, dass der
Beurteilungsspielraum des Antragsgegners bereits auf Null reduziert gewesen wäre. So
heißt es zwar in der Beurteilung des Beigeladenen unter II. 4. am Ende: „Vor dem
Hintergrund der Langzeitbeurteilung durch den Leistungsbericht des Schulleiters und
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der Bewertung der bisher ausgeübten Leistungs- und Koordinationstätigkeiten sind die
einzelnen Elemente dieser dienstlichen Beurteilung im oberen Bereich des unter Punkt
V. formulierten Gesamturteils anzusiedeln." Eine solche ausdrückliche Würdigung ist in
der Beurteilung des Antragstellers nicht enthalten. Andererseits bedeutet diese fehlende
Erwähnung („oberer Bereich") noch nicht zwingend, dass das Gesamtergebnis der
dienstlichen Beurteilung des Antragstellers angesichts der immerhin ebenfalls äußerst
positiven Einzelfeststellungen nicht ebenso als „im oberen Bereich" einzuordnen sein
könnte. Ob dies allerdings der Fall ist, obliegt - wie eingangs bereits gesagt - nicht dem
Gericht, sondern dem Antragsgegner.
Nach alledem ist der Antragsgegner dazu gehalten, erneut eine inhaltliche
Ausschöpfung der vorliegenden Beurteilungen vorzunehmen und dabei die tragenden
Erwägungen - etwa in einem Vermerk - zu dokumentieren und dem Antragsteller
mitzuteilen oder zumindest durch Akteneinsicht zugänglich zu machen. Es ist nicht
auszuschließen, dass im Rahmen diesbezüglicher Überlegungen der Antragsgegner
seine Auswahlentscheidung - zu Gunsten des Antragstellers - überdenkt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da er keinen
Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko nicht unterworfen hat (§ 154 Abs. 3
VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 des
Gerichtskostengesetzes.
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