Urteil des VG Gelsenkirchen vom 25.09.2001

VG Gelsenkirchen: fristlose kündigung, libanon, erlass, ehevertrag, glaubhaftmachung, bräutigam, vermieter, besitz, scheidung, heirat

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 17 L 1669/01
Datum:
25.09.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 L 1669/01
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der Antrag,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den
Antragstellern Hilfe zum Lebensunterhalt nach den gesetzlichen Bestimmungen zu
gewähren,
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hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist bereits unzulässig, soweit die Antragsteller die Gewährung der Hilfe zum
Lebensunterhalt in vollem Umfang begehren. Dem steht bereits das Verbot der
Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der
Kammer und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW), dass zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzes für erwachsene Antragsteller grundsätzlich nur das zum
Lebensunterhalt Unerlässliche erstritten werden kann. Dies wird bei laufenden
Leistungen mit etwa 80 % der regelmäßigen Unterstützung angesetzt.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. März 1997 - 8 B 1/97 -.
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Soweit der Antrag danach zulässig ist, erweist er sich als unbegründet.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese
Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um
wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Danach kann
eine einstweilige Anordnung erlassen werden, wenn ein Anordnungsgrund, d. h. die
besondere Eilbedürftigkeit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, und das
Bestehen des geltend gemachten Anspruches (sog. Anordnungsanspruch) glaubhaft
gemacht worden sind (§ 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Daran fehlt es
hier.
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Soweit sich der Antrag auf den Zeitraum vor der Antragstellung bezieht, ist er nach der
sozialhilfegerichtlichen Rechtsprechung im Lande Nordrhein-Westfalen von vornherein
mangels Vorliegens eines Anordnungsgrundes unbegründet.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 1991 - 8 B 830/91 -.
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Gleiches gilt in Bezug auf den Zeitraum nach Ergehen der gerichtlichen Entscheidung.
Für den verbleibenden, hier allein entscheidungserheblichen Zeitraum vom 30. August
2001 (Antragstellung bei Gericht) bis 30. September 2001 haben die Antragsteller
hinsichtlich der Kosten der Unterkunft - soweit diese überhaupt Gegenstand des
Verfahrens sind - schon einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Denn nach
der Rechtsprechung des OVG NRW ist in einem auf die Gewährung laufender Kosten
für die Unterkunft gerichteten einstweiligen Anordnungsverfahren ein Anordnungsgrund
(erst) dann gegeben, wenn der jeweilige Hilfe Suchende glaubhaft macht, dass er ohne
den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Ablauf des - aus der Sicht der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung - nächstfolgenden Fälligkeitszeitpunktes für die
Zahlung des Mietzinses ernsthaft mit einer Kündigung und Räumungsklage rechnen
muss. Das setzt voraus, dass einerseits ohne die beantragte einstweilige Anordnung
zum nächsten Fälligkeitszeitpunkt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 554 BGB für
eine fristlose Kündigung durch den Vermieter eintreten würden, andererseits aber auch
ernsthaft erwartet werden muss, dass der Vermieter nicht nur von seinem
Kündigungsrecht, sondern auch von der Möglichkeit der Räumungsklage Gebrauch
machen wird. Erst eine dergestalt unmittelbar und ernsthaft drohende Kündigung und
Räumungsklage begründen eine aktuelle Notlage, die den Erlass einer einstweiligen
Anordnung zur Wahrung wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes erfordern kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Dezember 1994 - 8 B 2650/94 -, NWVBl. 1995,
140, vom 20. September 1996 - 24 B 1874/96 - und vom 16. März 2000 - 16 B 308/00 -,
NWVBl. 2000, 392 = NJW 2000, 2523.
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Die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen qualifizierten Mietrückstandes liegen
nicht vor. Denn, worauf der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin in seiner
Antragserwiderung hingewiesen hat und was daraufhin trotz einer zuvor in die
gegenläufige Richtung zielenden Äußerung der Prozessbevollmächtigten der
Antragsteller von dieser zugestanden wurde, haben die Antragsteller ihre Miete für die
Monate Juli und August 2001 gezahlt.
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Darüber hinaus haben die Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht.
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Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - ist Hilfe zum
Lebensunterhalt demjenigen zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt
nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, vor allem aus seinem
Einkommen oder Vermögen, beschaffen kann. Daraus folgt, dass derjenige keinen
Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat, der in der Lage ist, den Bedarf an
notwendigem Lebensunterhalt entweder aus seinem Einkommen oder aus seinem
Vermögen zu decken. Da das Vorhandensein eigener bzw. zurechenbarer Mittel
(negatives) Tatbestandsmerkmal für einen Anspruch auf Sozialhilfe ist, muss der Hilfe
Suchende beweisen, dass er seinen Lebensunterhalt nicht durch eigenes oder ihm
zurechenbares Einkommen oder Vermögen sicherstellen kann. Die Nichtaufklärbarkeit
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dieses anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals geht zu Lasten desjenigen, der
das Bestehen des Anspruchs behauptet, also des jeweiligen Hilfebedürftigen.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. März 1997 - 8 B 1/97 - vom 22. Dezember 1994 - 8
B 3119/94 - und vom 12. September 2000 - 16 B 725/00 -.
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Die dem Anspruch entgegen stehenden Zweifel rühren zum Einen daher, dass die
Kammer den Antragstellern ihr Vorbringen über die Finanzierung der Flüge des
Antragstellers zu 1. in den Libanon, in dem sich der Antragsteller zu 1. vom 9.
September bis zum 7. November 2000 und vom 9. Januar bis zum 9. März 2001
aufgehalten hat, nicht ohne weiteres abnimmt. So wird in der Widerspruchsbegründung
vom 16. August 2001 erklärt, die Reisen seien zum Großteil von der Tochter finanziert
worden, der Rest von 200 DM sei vom Sohn beigesteuert worden. In diese Richtung
geht auch die Erklärung der Tochter des Antragstellers zu 1., T. E. , vom 9. August 2001,
die ihrem Vater insgesamt 1700 DM für Flugtickets und die Aufenthalte im Libanon
„geliehen" haben will, eine kleine Summe in Höhe von 200 DM habe ihr Bruder X. J. aus
C. beigesteuert. Sie hatte allerdings zuvor am 19. Juni 2001 gegenüber der
Antragsgegnerin erklärt, sie habe ihrem Vater (nur) 1400 DM für die Flüge gegeben, den
Rest habe ihr Bruder aus C. gezahlt; sie habe das Geld ihrem Vater in bar gegeben.
Demgegenüber hatte der Antragsteller zu 1. am 8. Mai 2001 bei der Antragsgegnerin
bekundet, die Reisen habe sein Sohn, der in C. wohne, bezahlt. Er habe ihm das Geld
in bar übergeben, wovon er - der Antragsteller zu 1. - sich dann die Tickets gekauft
habe. In seinem Widerspruch hat er dagegen angeben, der Preis für das Flugticket sei
bar von seiner Tochter bei dem Reisebüro bezahlt worden (Nr. 3). Diese gravierenden
Widersprüche, die die Herkunft des Geldes und damit die Finanzierung der
vorgenannten Flüge des Antragstellers zu 1. in den Libanon völlig im Dunkeln lassen,
sind nicht durch die lapidare Äußerung der Antragsteller im Schriftsatz vom 11.
September 2001 ausgeräumt worden, der Antragsteller zu 1. sei siebzig Jahre alt, er
habe keine genaue Kenntnis über die finanziellen Verhältnisse seiner Kinder; insoweit
sei das Missverständnis mit der Erklärung der Tochter des Antragstellers zu 1.
ausgeräumt. Dies gilt umso mehr, als eine Glaubhaftmachung weder durch eine
Dokumentation der Zahlungsflüsse noch durch eidesstattliche Versicherungen der dem
Antragsteller zu 1. verwandtschaftlich nahestehenden Kinder erfolgt ist. Die
Einschätzung der Kammer zu den unklaren Einkommens- und Vermögensverhältnissen
der Antragsteller wird durch die zunächst irreführenden Angaben in diesem Verfahren
zu den Mietzahlungen erhärtet. So ist mit der Antragsschrift und der Beifügung des
Schreibens der Neuen N. Baugesellschaft mbH vom 19. Juni 2001, wonach das
Mietkonto einen Rückstand von 60,25 Euro aufweise, versucht worden, den Eindruck zu
vermitteln, die Antragsteller seien hilfsbedürftig und könnten die laufenden Kosten nicht
begleichen. Erst auf den Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin im
Schriftsatz vom 17. September 2001, wonach die Mieten für die Monate Juli und August
bereits gezahlt worden seien, konzedierten die Antragsteller diese Tatsache. Wer sich
wie die Antragsteller derart im Grenzbereich der Unwahrheit aufhält - mag es auch trotz
deutscher Staatsangehörigkeit durch ein unterschiedliches kulturelles Verständnis
bedingt sein - vermag seinem auf die Glaubhaftmachung von Tatsachen basierenden
Anspruch kein ausreichendes Fundament zu verleihen. Die Zweifel an den
Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Antragsteller folgen zum Anderen aus
der Tatsache, dass sich der 1931 geborene Antragsteller zu 1. anlässlich der Heirat der
1960 geborenen Antragstellerin zu 2. im Libanon im Ehevertrag vom 7. Februar 2001 zu
einer „verzögerten Mitgift" in Höhe von 10000 US-Dollar verpflichtet hat. Wer sich derart
vertraglich in Bezug auf seinen Ehepartner bindet, erweckt den Eindruck, dass er über
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Vermögensreserven verfügt, die er zu gegebener Zeit aktivieren kann. Soweit der
Antragsteller zu 1. vor allem in seinem Widerspruch versucht, seine „Verpflichtung" mit
dem Hinweis zu relativieren, es handele sich um einen spezifischen islamischen
Vertrag auf der Basis des Koran zur Absicherung der Ehefrau im Falle einer Trennung,
es bedeute nicht, dass die Brautgabe treuhänderisch hinterlegt worden sei, vermag
diese Einlassung allein nicht ohne weiteres die sich aus dem Ehevertrag ergebende
Vermutung vorhandenen Vermögens zu widerlegen. Sie wird im Gegenteil durch die
von den Antragstellern zum Verfahren gereichte Erklärung des islamischen Theologen
der Union e.V. vom 15. August 2001 eher noch verstärkt. Zwar wird danach bei der
Hochzeit durch den Imam keine Prüfung eingeleitet, um festzustellen, ob der Bräutigam
tatsächlich im Besitz der angegebenen Summe ist; die Brautgabe hat aber durch die
Verankerung im Koran Sure Bakara Vers 236 mit der Absicherung der Ehefrau nach der
Scheidung ein solches Gewicht, dass der Bräutigam nach den Regeln des Korans
gezwungen ist, die vertraglich festgehaltene Summe zu zahlen. Dass der Antragsteller
zu 1. sich von vornherein bewusst über die religiösen Vorgaben des Korans
hinweggesetzt, ihn sogar in dieser Beziehung ignoriert hat, lässt sich nicht mit der
schlichten keineswegs substantiierten Erklärung erläutern, er habe den Betrag
jedenfalls nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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