Urteil des VG Gelsenkirchen vom 13.12.2010
VG Gelsenkirchen (aufschiebende wirkung, abstraktes gefährdungsdelikt, antragsteller, cannabis, wert, verwaltungsgericht, konsum, antrag, fahrtüchtigkeit, land)
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 1238/10
Datum:
13.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 1238/10
Schlagworte:
Fahrerlaubnis, Cannabis, Fahren, Grenzwert
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
2. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 4518/10 gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 29. September 2010 wiederherzustellen
bzw. anzuordnen,
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ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig, aber
unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende
Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung
bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Hinsichtlich der
Voraussetzungen für die vorliegende Fahrerlaubnisentziehung verweist die Kammer zur
Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in der angegriffenen Verfügung
des Antragsgegners (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).
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Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Antragsteller hat am 26. Februar 2010 ein
Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss geführt. Dadurch hat er bewiesen, dass er
zwischen Konsum von Cannabis und Fahren nicht trennen kann.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Beschlüsse vom 15. Dezember 2003 - 19 B 2493/03 -, 7. Februar 2006 - 16 B 1392/05 -,
9. Juli 2007 - 16 B 907/07 - und 1. August 2007 - 16 B 908/07.
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Der im Blut des Antragstellers nach dem Ergebnis des rechtsmedizinischen Gutachtens
des Prof. Dr. N. (Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Bonn) vom 18.
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März 2010 festgestellte THC-Wert von 1,2 ng/ml überschreitet den Grenzwert von 1 ng/g
bzw. ml, den die Grenzwertkommission, eine fachübergreifende Arbeitsgruppe, in ihrem
Beschluss vom 20. November 2002 - bestätigt durch Beschluss vom 22. Mai 2007 - für
die Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes des § 24 a Abs. 2 Satz 1 und 2 des
Straßenverkehrsgesetzes - StVG - zu den in der Anlage zu § 24 a StVG genannten
Substanzen angenommen hat.
Vgl. Eisenmenger, Drogen im Straßenverkehr - Neue Entwicklungen, NZV 2006, 24, 25;
Verwaltungsgericht (VG) Köln, Urteil vom 14. Juni 2010 - 11 K 1059/10 -, juris.
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Danach wird im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts bereits von einer
Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit durch Cannabis ausgegangen, wenn der bei einem
Fahrzeugführer festgestellte THC-Wert bei 1 ng/g bzw. ml liegt. Diesen Wert hat auch
das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zugrunde gelegt und dazu ausgeführt,
festgestellt werden müsse eine Konzentration, die es entsprechend dem Charakter der
Vorschrift des § 24 a StVG als abstraktes Gefährdungsdelikt als möglich erscheinen
lasse, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen habe,
obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt gewesen sei.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 - mit zahlreichen
Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur, juris.
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Dabei ist anzunehmen, dass das BVerfG von einem Wert von 1 ng/g bzw. ml im
Blutserum und nicht im Vollblut (1 ng/ml im Vollblut entsprächen 2 ng/ml im Blutserum)
ausgegangen ist. Dafür spricht, dass ausweislich der Richtlinie der Gesellschaft für
Toxikologie und Forensische Chemie (GFTCh) zur Qualitätssicherung bei forensisch-
toxikologischen Untersuchungen (Stand: 1. Juni 2009) die forensisch-toxikologischen
Blutuntersuchungen zur Feststellung des Cannabiskonsums innerhalb Deutschlands im
Blutserum erfolgen.
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Vgl. Richtlinie der GFTCh zur Qualitätssicherung bei forensisch-toxikologischen
Untersuchungen, Ziff. 2.1, www.gtfch.org.
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Das Überschreiten des Grenzwertes rechtfertigt danach die Annahme eines zeitnahen
Konsums - dieser wird seitens des Antragstellers auch nicht bestritten - mit
entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Das Erreichen dieses
Grenzwertes ist für die Annahme relevanten Cannabiseinflusses somit erforderlich, aber
auch ausreichend.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -; VG Köln, Urteil vom
14. Juni 2010 - 11 K 1059/10 -, juris.
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Es kann dahinstehen, ob der Antragsgegner im Ergebnis zu Recht von einer
regelmäßigen Cannabiseinnahme des Antragstellers ausgegangen ist.
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Vgl. zu den Voraussetzungen, unter denen ein regelmäßiger Cannabiskonsum
angenommen werden kann: OVG NRW, Beschluss vom 1. Juni 2010 - 16 B 428/10 -.
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In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass sich eine solche allein
aus dem festgestellten THC-COOH-Wert von 13,9 ng/ml im Gutachten nicht ergibt.
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Allerdings lässt sich aus dem Umgang des Antragstellers mit Cannabis jedenfalls ein
gelegentlicher Konsum herleiten. Einen solchen hat der Antragsteller selbst eingeräumt.
Insofern kommt es nicht darauf an, ob es zutrifft, dass der Antragsteller, wie er
gegenüber der Polizei eingeräumt haben soll, vier Mal wöchentlich Marihuana
konsumiert (vgl. Verkehrsordnungswidrigkeitenanzeige vom 26. Februar 2010, Bl. 11
des Verwaltungsvorgangs). Denn selbst wenn man zu seinen Gunsten die von ihm im
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren getätigten Angaben zu Grunde legt und davon
ausgeht, dass er maximal vier Mal jährlich Cannabis konsumiert, liegt ebenfalls ein
gelegentlicher Konsum vor.
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Angesichts seiner danach feststehenden Ungeeignetheit - bei diesem Sachverhalt steht
die Entziehung nicht im Ermessen der Behörde - bestehen auch keine Bedenken an der
Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung. Etwaige damit
verbundene Schwierigkeiten - auch mit Blick auf seine Ausbildung - hat der
Antragsteller hinzunehmen, weil gegenüber seinen Interessen das Interesse am Schutz
von Leib, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer eindeutig überwiegt. Es ist
auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis
inzwischen nicht mehr vorliegen.
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Der hilfsweise gestellte Antrag,
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den Antragsgegner unter Anordnung der aufschiebenden Wirkung der oben genannten
Klage anzuweisen, bezüglich des Antragstellers ein Gutachten zur Beurteilung der
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen anzufordern,
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hat mit Blick auf die nach den vorstehenden Ausführungen feststehende Ungeeignetheit
des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ebenfalls keinen Erfolg. Es bleibt
dem Antragsteller unbenommen, den für die Wiedererlangung der Kraftfahrereignung
erforderlichen Nachweis in einem späteren Wiedererteilungsverfahren durch eine
medizinisch-psychologische Untersuchung zu führen, die zwingend vorgeschrieben ist
(vgl. § 14 Abs. 2 FeV).
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Angesichts dessen ist auch die Zwangsgeldandrohung nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der
aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen
Rechtsschutzverfahren.
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