Urteil des VG Gelsenkirchen vom 23.07.2002

VG Gelsenkirchen: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, vwvg, vollziehung, versiegelung, zwangsmittel, datum, zufall, behörde, verwaltungsakt

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 1489/02
Datum:
23.07.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 1489/02
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen
die Ordnungsverfügung des Antragsgegner vom 7./10. Juni 2002 wird
insoweit angeordnet, als darin unter Ziffer 3 der unmittelbare
Verwaltungszwang festgesetzt worden ist; insoweit wird der
Antragsgegner angewiesen, die Versiegelung zu entfernen. Im Übrigen
wird der Antrag abgelehnt. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der
Antragsteller zu 4/5 und der Antragsgegner zu 1/5. Der Streitwert wird
auf 5.000,00 ( festgesetzt.
Gründe:
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 10. Juni 2002 gegen die mündliche
Ordnungsverfügung vom 7. Juni 2002, schriftlich bestätigt mit Datum vom 10. Juni 2002,
wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Festsetzung des unmittelbaren Zwanges
anzuordnen,
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ist zulässig, aber nur im Umfang der Tenorierung begründet. Dabei bleibt dahingestellt,
welche weiteren rechtlichen Folgen sich daraus ergeben, dass vorliegend parallel
neben der Ordnungsverfügung des Antragsgegners, die nach Aktenlage gegenüber
dem Antragsteller erst nach der am 6. Juni 2002 erfolgten Versiegelung bei einer
Vorsprache im Amt am 7. Juni 2002 mündlich ausgesprochen wurde, auch polizeiliche
Maßnahmen auf der Grundlage des Polizeigesetzes erfolgt sind.
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Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - haben Widerspruch
und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung. Diese
Wirkung entfällt, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige
Vollziehung im öffentlichen Interesse anordnet, oder bei Maßnahmen in der
Verwaltungsvollstreckung von Gesetzes wegen, §§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, 8 Satz 1 des
Ausführungsgesetzes zur VwGO - AG VwGO -. Das Gericht kann jedoch gemäß §§ 80
Abs. 5 VwGO, 8 Satz 2 AG VwGO die aufschiebende Wirkung auf Antrag des
Betroffenen wiederherstellen bzw. anordnen. Ein derartiger Antrag hat Erfolg, wenn das
private Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Das ist der Fall, wenn der
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angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, weil ein überwiegendes
öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen
Bescheides nicht bestehen kann, oder wenn das private Interesse des Antragstellers
aus sonstigen Gründen überwiegt.
Die Ordnungsverfügung zu Ziffer 1, die dem Antragsteller den Betrieb der
Wettannahmestelle B. Straße 311 untersagt und ihn auffordert, den Betrieb ohne
Fristsetzung einzustellen, ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Bei der im
Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage
spricht vielmehr alles für ihre Rechtmäßigkeit. Dabei kann in der Sache offenbleiben, ob
die Annahme von Sportwetten vorliegend nach § 14 Abs. 1 des
Ordnungsbehördengesetzes - OBG - oder nach § 15 Abs. 2 Satz 1 der Gewerbeordnung
- GewO - zu untersagen ist. Denn jedenfalls wirkt der Antragsteller durch den Betrieb der
Wettannahmestelle an der Durchführung eines öffentlichen Glücksspieles mit, ohne
dass er oder die ausländische Firma, für die die Sportwetten vermittelt werden sollen,
über eine behördliche Erlaubnis verfügt; er erfüllt damit (ggfs. durch Beihilfe) den
Straftatbestand des § 284 Abs. 1 StGB.
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ODDSET-Wetten sind Glücksspiele, weil der Erfolg zumindest überwiegend vom Zufall
abhängt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht mit ausführlicher Begründung, der die
Kammer folgt, entschieden.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2001 - 6 C 2/01 - NJW 2001 2648 ff., GewArchiv 2001,
334 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 14. März 2002 - I ZR 279/99, NJW 2002, 2175 f. und
OVG Sachsen- Anhalt, Beschluss vom 28.01.2002 - 1 M 2/02 -, GewArchiv 2002, S. 199
f.
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Soweit strafgerichtliche erstinstanzliche Entscheidungen
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AG Karlsruhe-Durlach, Urteil vom 13.07.2000 - 1 Ds 26 Js 31893/98 -, NStZ 2001, 254
ff.; LG Bochum, Urteil vom 26.02.2002 - 22 KLs 10 Js 12101 I 49/01 -, soweit ersichtlich
nicht veröffentlicht
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zu anderen Einschätzungen kommen, ist dies nicht überzeugend. Vielmehr erscheint es
so, dass auch bei Sportwetten der Erfolg zumindest überwiegend vom Zufall abhängt
und dem Zufallselement gegenüber den vom Spieler zu beeinflussenden Umständen
ein deutliches Übergewicht zukommt. Der von den erstinstanzlichen Strafgerichten
bemühte Vergleich mit Börsengeschäften führt schon mangels Vergleichbarkeit der
Tatbestände nicht weiter. Ober- oder gar höchstrichterliche Entscheidungen, die
Sportwetten nicht als Glücksspiel einstufen, sind offenbar bislang nicht ergangen.
Deshalb folgt die Kammer - jedenfalls für das vorliegende Eilverfahren - der
überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
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Die britische Gesellschaft, für die die Sportwetten vermittelt werden sollen, ist - ebenso
wie der Antragsteller - nicht im Besitz einer Genehmigung nach §§ 1, 2 des nordrhein-
westfälischen Sportwettengesetzes (WettG NRW), so dass die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 284 Abs. 1 StGB vorliegen. Der Antragsgegner durfte damit
grundsätzlich ordnungsrechtlich gegen den Antragsteller einschreiten und den Betrieb
der Wettannahmestelle untersagen. Eine andere Entscheidung ist auch nicht im
Hinblick auf die vom Antragsteller geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit
des Sportwettengesetzes und den Umstand, dass gegen das Urteil des
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Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2001 (a. a. O.) Verfassungsbeschwerde beim
Bundesverfassungsgericht eingelegt wurde - 1 BvR 1054/02 -, geboten. Zum einen hält
die Kammer bei der gebotenen summarischen Rechtsprüfung die gegen die
Verfassungsmäßigkeit eingeführten Einwände im Ergebnis nicht für durchschlagend
und geht von der Verfassungsmäßigkeit des WettG NRW aus. Zum anderen muss -
außer ggf. in Fällen eines offensichtlichen Verfassungsverstoßes - derjenige, der nach
der bestehenden Rechtslage einer behördlichen Erlaubnis bedarf, diese entweder
erstreiten oder aber mit der Aufnahme der erlaubnispflichtigen Tätigkeit so lange warten,
bis das Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wird.
Allein die Geltendmachung verfassungsrechtlicher Bedenken kann nicht dazu führen,
dass die Aufnahme der an sich erlaubnispflichtigen Tätigkeit auch ohne Erlaubnis
seitens der zuständigen Behörde hingenommen werden muss. Zudem kann in
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht
abschließend geklärt werden.
Auf dieser Grundlage konnte der Antragsgegner ermessensfehlerfrei - die konkreten
Ermessenserwägungen sind in der streitigen Ordnungsverfügung ausreichend
begründet - den Betrieb auch ohne weitere Fristsetzung untersagen. Die insofern
erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung ist ausreichend begründet und in der
Sache nicht zu beanstanden.
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Die gemäß Ziffer 3 verfügte Festsetzung des unmittelbaren Zwangs ist demgegenüber
offensichtlich rechtswidrig, so dass dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs insoweit stattzugeben ist. Dies ergibt sich schon daraus,
dass gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen - VwVG NW - unmittelbarer Zwang nur angewendet werden darf,
wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen
oder unzweckmäßig sind. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung der Kammer
offensichtlich nicht gegeben. Denn nach der Vorkorrespondenz zwischen dem
Antragsgegner und dem Antragsteller persönlich sowie seinem
Prozessbevollmächtigten, in denen in mehrfachen Schriftsätzen über die Frage der
Glücksspieleigenschaft der Sportwetten die unterschiedlichen Standpunkte dargelegt
worden sind, ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller eine
Untersagungsverfügung nicht befolgen würde bzw. die Androhung eines Zwangsgeldes
nicht zum Erfolg hätte führen können.
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Vgl. dazu: OVG Berlin, Beschluss vom 14.05.1997 - 2 S 6/97 -, NVwZ-RR 98, 412 f.
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Im Übrigen hätte das Zwangsmittel in jedem Falle auch angedroht werden müssen, §§
63, 64 VwVG NW, da die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG NW weder vom
Antragsgegner angenommen worden sind noch in der Sache vorgelegen haben.
Angesichts der Tatsache, dass über mehrere Monate über die Frage der Legalität der
Wettannahmestelle schriftsätzlich gestritten worden war, lagen erkennbar die
Voraussetzungen eines Sofortvollzuges gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NW nicht vor. Die
bereits erfolgte Versiegelung ist deshalb rückgängig zu machen (§ 80 Abs. 5 Satz 3
VwGO), soweit sie vom Antragsgegner vorgenommen worden ist.
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Die Kostenquotelung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO und folgt daraus, dass der
Antrag in der Hauptsache abgelehnt worden ist und nur hinsichtlich des Zwangsmittels
Erfolg hatte. Die Streitwertfestsetzung beruht darauf, dass in gewerberechtlichen
Klageverfahren von einem Streitwert von 10.000,00 ? auszugehen ist, der im
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Eilverfahren auf die Hälfte zu reduzieren ist (vgl. §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 des
Gerichtskostengesetzes).