Urteil des VG Gelsenkirchen vom 24.07.2008
VG Gelsenkirchen: jordanien, aufenthaltserlaubnis, sicherungshaft, verwaltungsrecht, duldung, ausländer, rückführung, abschiebung, anhörung, eltern
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 11 L 878/08
Datum:
24.07.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 878/08
Normen:
§ 123 VwGO, § 60 AufenthG, Art. 6 GG
Tenor:
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird auf Kosten
des Antragstellers abgelehnt.
2. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Der im Jahr 1976 geborene Antragsteller ist jordanischer Staatsangehöriger. Er
gelangte erstmals im Jahre 1985 zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern ins
Bundesgebiet. Nach Ablehnung eines Asylantrages kehrte er zusammen mit seinen
Eltern im Jahre 1993 in sein Heimatland zurück.
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Nachdem er im Jahre 2000 in Jordanien nach dortigem Ortsrecht die deutsche
Staatsangehörige N. T. aus S. geheiratet hatte, reiste er im Dezember 2000 mit einem
Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung erneut in das Bundesgebiet ein. Auf
seinen Antrag erhielt er am 9. Januar 2001 eine bis zum 1. Februar 2002 befristete
Aufenthaltserlaubnis. Seinen am 4. Februar 2002 gestellten Antrag auf Verlängerung
der Aufenthaltserlaubnis beabsichtigte der Antragsgegner abzulehnen, weil er
Informationen erhalten hatte, dass der Antragsteller und seine Ehefrau seit August 2001
getrennt lebten und die Ehefrau die Scheidung der Ehe anstrebte. Mit den früheren
Bevollmächtigten des Antragstellers zugestelltem Bescheid vom 29. August 2003 lehnte
der Antragsgegner die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab, forderte den
Antragsteller auf, das Bundesgebiet binnen eines Monats zu verlassen, und drohte ihm
für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Jordanien an. Der gegen diesen
Bescheid beim erkennenden Gericht erhobene Antrag auf Regelung der Vollziehung (8
L 2527/04) wurde mit - rechtskräftig gewordenem - Beschluss vom 24. Februar 2004
abgelehnt. Der Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid wurde mit -
bestandskräftig gewordenem - Widerspruchsbescheid des Landrats des Kreises S. vom
20. August 2004 zurückgewiesen. Die beabsichtigte zwangsweise Rückführung des
Antragstellers scheiterte, da dieser im Bundesgebiet untergetaucht war.
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Am 31. Juli 2007 wurde der Antragsteller im Rahmen einer behördlichen Kontrolle auf
einer Baustelle in X. von der Polizei festgenommen; er gab an, sich die letzten drei
Jahre illegal im Bundesgebiet aufgehalten zu haben. Aus einer zunächst angeordneten
Sicherungshaft wurde der Antragsteller im Oktober 2007 entlassen, da nicht
sichergestellt werden konnte, dass kurzfristig Passersatzpapiere hätten beschafft und
der Antragsteller sodann aus der Haft heraus hätte abgeschoben werden können. Dem
Antragsteller wurden sodann befristete Duldungen ausgestellt, zuletzt unter dem 16.
April 2008 bis zum 16. Juli 2008.
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Nachdem die jordanische Botschaft in Berlin unter dem 13. Mai 2008 die Ausstellung
eines "Laissez Passer" für den Antragsteller in Aussicht gestellt hatte und ein Flug für
die Rückführung nach Jordanien für den 29. Juli 2008 gebucht worden war, ordnete das
Amtsgericht S. auf Antrag des Antragsgegners mit Beschluss vom 9. Juli 2008 erneut
Sicherungshaft an.
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Mit Schreiben vom 22. Juli 2007 begehrt der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen
Anordnung mit dem Antrag,
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dem Antragsgegner Abschiebungsmaßnahmen bis zur Eheschließung des
Antragstellers mit der deutschen Staatsangehörigen H. D. zu untersagen.
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Er trägt hierzu vor, er sei mit Urteil des Amtsgerichts S. vom 3. November 2004 von Frau
N. T. geschieden worden. Frau D. werde noch in dieser Woche beim Standesamt in S.
zur Anmeldung der Eheschließung vorsprechen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er ist der Ansicht, die Eheschließung stehe nicht unmittelbar bevor. Zwar hätten
Außendienstmitarbeiter Ende Mai 2008 festgestellt, dass der Antragsteller sich
möglicherweise bei Frau H. D. in S. , I. Straße 119, aufgehalten habe; denn beider
Namen hätten sich auf dem Klingelschild und dem Briefkasten der Wohnung der Frau D.
befunden. In der dem Beschluss betreffend Sicherungshaft zu Grunde liegenden
Anhörung habe der Antragsteller jedoch ausdrücklich eine Partnerschaft mit Frau D.
bestritten und behauptet, bei ihr handele es sich um (nur) eine gute Bekannte. Diese
habe dann erstmals am 16. Juli 2008 beim Standesamt vorgesprochen und sich nach
den Formalitäten für eine Eheschließung erkundigt; sie habe dabei jedoch noch nicht
einmal die Staatsangehörigkeit (Palästinenser, Libanese, Jordanier ?) des
Antragstellers gekannt; auch habe sie keine Angaben zu der Frage machen können, ob
der Antragsteller in Jordanien noch als verheiratet registriert sei. Am 23. Juli 2008 habe
sie erneut beim Standesamt vorgesprochen; der Leiter des Standesamtes habe ihre
Anmeldung zur Eheschließung auf Grund unvollständiger Unterlagen nicht
angenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts-
und die beigezogenen Behördenakten (Beiakten Hefte 1 und 2) Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Die Kammer legt das Begehren des Antragstellers dahingehend aus, dass dieser im
Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) die Erteilung einer Duldung wegen der geplanten Eheschließung erstrebt.
Dafür fehlt es jedoch nach summarischer Prüfung an einem Anordnungsanspruch.
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Der unstreitig ausreisepflichtige Antragsteller hat voraussichtlich keinen Anspruch
darauf, dass sein Aufenthalt geduldet wird.
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Zwar kann eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung einen Anspruch auf
Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die
Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet -
Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vermitteln
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vgl. z. B. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Beschluss vom 4. Juli 2006 -
24 CE 06.1415 -, juris.
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Sogar die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Ermessensvorschrift des § 25
Abs. 4 Satz 1 AufenthG kommt in einem solchen Fall in Betracht, seit der Neufassung
der Vorschrift durch Art. 1 Nr. 17 c des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970)
allerdings nur, wenn der Ausländer nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist.
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Nach herrschender Meinung ist, um die seitens des Antragstellers angenommene
Vorwirkung der Eheschließung und damit den Schutz aus Art. 6 des Grundgesetzes
(GG) annehmen zu können, das unmittelbare Bevorstehen der Eheschließung durch
einen zeitnahen Heiratstermin zu belegen.
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Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller selbst bislang entsprechende Handlungen
nicht vorgenommen. Zwar befindet er sich seit dem 9. Juli 2008 in Haft zur Sicherung
der Abschiebung. Eine Heiratsabsicht, die er bereits vorher hätte geltend machen
können, hat er aber auch zuvor nirgendwo belegbar angemeldet.
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Entsprechende Handlungen hat auch Frau D. - die in ihrer eidesstattlichen Versicherung
vom 14. Juli 2007 vom Antragsteller als ihrem "Verlobten" spricht, während dieser noch
bei seiner Anhörung vor Anordnung der Sicherungshaft am 9. Juli 2008 ausdrücklich
eine Partnerschaft mit Frau D. bestritten und behauptet hatte, bei ihr handele es sich
(nur) um eine gute Bekannte - bisher nicht vorgenommen. Ausweislich der
Stellungnahmen des Standesamtes S. vom 16. Juli 2008 und vom 23. Juli 2008 wurde
durch Frau D. lediglich mündlich über die Anmeldung zur Eheschließung angefragt,
ohne dass vollständige Unterlagen vorgelegt worden wären.
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Damit fehlt es bereits an dem unmittelbarsten Verfahrensakt, nämlich der Anmeldung fär
eine Eheschließung.
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Weitere Fragestellungen, inwieweit noch weitere Schritte notwendig wären, wie z. B. die
Beibringung vollständiger Unterlagen - mit Rücksicht auf den Umstand, dass der
Antragsteller im Jahre 2000 in Jordanien vor einem Sharia-Gericht geheiratet hatte,
dürfte auch von dort eine Ehefähigkeitsbescheinigung beizubringen sein - sowie eine
nachfolgende Überprüfung der Urkunden durch den Standesbeamten oder
gegebenenfalls ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung des
Ehefähigkeitszeugnisses beim Präsidenten des zuständigen Oberlandesgericht
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vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Februar 2007
- 3 S 5.07 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report
Verwaltungsrecht (NVwZ-RR) 2007, 634; vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 4.
April 2007 - 3 Bs 28/07 -, Schnelldienst Ausländer- und Asylrecht (AuAS) 2007, 148, wo
lediglich das Befreiungsverfahren in der Zuständigkeit des OLG-Präsidenten noch nicht
abgeschlossen war,
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und ob es sich bei der beabsichtigten Eheschließung um eine Scheinehe handelt - wie
der Antragsgegner meint -, können daher vorliegend dahinstehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §
53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. dem
Streitwertkatalog.
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