Urteil des VG Gelsenkirchen vom 18.05.2010

VG Gelsenkirchen (öffentliche ordnung, versammlung, öffentliche sicherheit, deutschland, sicherheit, auflage, stgb, kläger, begründung, ausländer)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 14 K 5459/08
Datum:
18.05.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 5459/08
Schlagworte:
Auflage, Bestimmtheit, Fahnen, NPD, Nazijargon, öffentliche Sicherheit,
öffentliche Ordnung, öffentlicher Frieden, Versammlung,
Volksverhetzung
Normen:
§ 15 VersG, § 37 VwVfG, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, § 130 StGB
Leitsätze:
Zur Rechtmäßigkeit beschränkender Verfügungen (Auflagen bei einer
stationären NPD-Versammlung.
Zum Verbot von Meinungsäußerungen im Vorfeld einer Versammlung
(hier: Deutschland den Deutschen).
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Auflagen in dem Bescheid des Beklagten
vom 6. Oktober 2008 rechtswidrig gewesen sind, soweit
in Ziffer 2. Abs. 7 die Verwendung von Fahnen - außer der Bundesflagge
und den aktuellen Flaggen der bestehenden deutschen Bundesländer
und der Flagge der Europäischen Union, deren Einsatz unbeschränkt
bleibt - lediglich im Umfang von einer Fahne pro 50 Teilnehmer der
Versammlung gestattet wurde,
es in Ziffer 3. Abs. 2 heißt: "Verboten sind somit mündliche und
schriftliche Aussagen wie "Deutschland den Deutschen" und
"Deutschland uns Deutschen",
es in Ziffer 3. Abs. 5 heißt: "Ebenfalls verboten ist der Gebrauch
nationalsozialistischen Propagandajargons bzw. nationalsozialistisch
geprägter Begriffe und die sinnunterstützende Sprechweise, die an
nationalsozialistische Demagogen erinnert."
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger, Landesverband NRW der NPD, meldete, vertreten durch seinen
Vorsitzenden, mit Telefax vom 1. Oktober 2008 bei dem Beklagten eine Versammlung in
Form einer Mahnwache für den 8. Oktober 2008 in der Zeit von 11.00 bis 14.00 Uhr in
der H. Innenstadt (C.------straße Höhe T.--------straße ) mit dem Thema "Deutsche wehrt
Euch - gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!" an. Als
verantwortlicher Leiter wurde der anmeldende Landesvorsitzende benannt, als
Hilfsmittel wurden Fahnen, Transparente, Flugblätter am Infotisch und als
voraussichtliche Teilnehmerzahl 10 Personen angegeben.
2
Nach Durchführung eines Kooperationsgespräches am 6. Oktober 2008 bestätigte der
Beklagte mit Bescheid vom selben Tag gegenüber dem Kläger die angemeldete
Versammlung, machte diese nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetzt - VersG - jedoch
von zahlreichen Auflagen abhängig.
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In den vorliegend streitbefangenen Auflagen heisst es:
4
Ziffer 2. "Uniformverbot/Erscheinungsbild/Waffentrageverbot:
5
Abs. 7
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"Die Verwendung von Fahnen - außer der Bundesflagge und den aktuellen Flaggen der
bestehenden deutschen Bundesländer und der Flagge der Europäischen Union, deren
Einsatz unbeschränkt bleibt - wird mit der Maßgabe gestattet, dass höchstens eine
Fahne pro 50 Teilnehmer der Versammlung mitgeführt werden darf.
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Ziffer 3. "Meinungskundgabe-Redebeiträge/Parolen/Transparente":
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Abs. 1:
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Alle Reden haben den öffentlichen Frieden zu wahren. Zum Hass gegen die
Bevölkerung oder Bevölkerungsteile darf nicht aufgestachelt oder zu Gewalt oder
Willkürmaßnahmen darf nicht aufgerufen werden. Die Menschenwürde anderer darf
nicht verletzt werden, indem Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich
gemacht oder verleumdet werden.
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Abs. 2:
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Verboten sind somit mündliche und schriftliche Aussagen wie "Deutschland den
Deutschen" und Deutschland uns Deutschen" ebenso wie "Ausländer raus".
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Abs. 3:
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Aussagen (in mündlicher oder in Schriftform) haben zu unterbleiben, die
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- das NS-Regime, seine Organisationen und deren (auch selbst ernannte)
Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren
Nachfolge- und Ersatzorganisationen glorifizieren, verharmlosen oder sonst
wiederbeleben,
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- in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise die nationalsozialistische Gewalt-
und Willkürherrschaft billigen, verherrlichen oder rechtfertigen,
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- sich mit der verbotenen "Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschland (FAP)" befassen.
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Abs. 4:
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Insoweit untersage ich das Rufen von Parolen und das Zeigen von Transparenten mit
dem Inhalt "Ruhm und Ehre der Waffen-SS".
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Abs. 5 :
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Ebenfalls verboten ist der Gebrauch nationalsozialistischen Propagandajargons bzw.
nationalsozialistisch geprägter Begriffe und die sinnunterstützende Sprechweise, die an
nationalsozialistische Demagogen erinnert.
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Unter Ziffer 5. wurde die Benutzung von Megaphonen/Lautsprechern untersagt.
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Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO
angeordnet. Zur Begründung der vorstehend zitierten Auflagen wird im Wesentlichen
ausgeführt:
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(Ziff. 2) Die Beschränkung der Anzahl der Fahnen sei geeignet, keine Erinnerungen an
nationalsozialistische Kundgebungen und Aufzüge, für die das massenweise
Verwenden von Fahnen typisch gewesen sei, entstehen zu lassen. Unabhängig von der
Gestaltung der Fahnen könne durch deren massenweisen Einsatz ein solcher Eindruck
hervorgerufen werden, der darüber hinaus auch geeignet sei, Gegner der Veranstaltung
bishin zu wechselseitigen Gewalttaten zu provozieren.
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(zu Ziff. 3.) Bestrebungen, welche die nationalsozialistische Diktatur verharmlosen und
in ein falsches Licht rücken oder ihre führenden Vertreter oder Symbolfiguren
verherrlichen, gefährdeten die öffentliche Ordnung, auch wenn damit die Schwelle der
Strafbarkeit noch nicht erreicht sein sollte. Gleiches gelte für besondere Formen des
Auftretens in der Öffentlichkeit, die vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte
geeignet seien, Unruhe und Ängste in der Bevölkerung hervorzurufen.
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Wegen der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei es
den Rednern auch untersagt, Äußerungen zu tätigen, die geeignet seien, den
öffentlichen Frieden zu stören, die zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelten
und die Menschenwürde anderer verletzten, selbst wenn die Grenze zur Strafbarkeit
noch nicht überschritten sein sollte. Das Rufen z. B. der Parolen "Deutschland den
Deutschen" und "Deutschland uns Deutschen" würde hier nicht nur als in besonderem
Maße provozierend empfunden werden, sondern auch geeignet sein, ganze
Bevölkerungsteile einzuschüchtern und Ängste zu schüren. Um den Sinn und Zweck
der verfügten Beschränkungen zu gewährleisten, sei es auch erforderlich, phonetisch
ähnlich klingende und somit offenkundig in missbräuchlicher Weise skandierte Parolen
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zu untersagen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des
angefochtenen Bescheides (Blatt 16 bis 23 der Gerichtsakte) verwiesen.
27
Mit Faxschreiben vom 6. Oktober 2008 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers um
Erläuterung einiger nach seiner Meinung offengebliebener Punkte sowie die
Zusicherung, dass die Aussage "kriminelle Ausländer raus" nicht unter das Verbot falle.
Dazu nahm der Beklagte unter dem 7. Oktober 2008 Stellung, ohne die begehrte
Zusicherung abzugeben.
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Am 8. Oktober 2008 fand die Versammlung nach Maßgabe des vorgenannten
Bestätigungsschreibens vom 6. Oktober 2008 statt. Nach dem unwidersprochen
gebliebenen Beklagtenvorbringen beteiligten sich auf Seiten des Klägers sieben
Teilnehmer.
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Der Kläger hat am 22. Oktober 2008 Klage erhoben, mit der er sich zunächst gegen die
Auflage Ziffer 3. Abs. 2 wendet. Am 4. November 2008 hat er die Klage hinsichtlich der
unter Ziffer 2. Abs. 7 und Ziffer 3. Abs. 5 verfügten Auflagen erweitert.
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Er führt zur Begründung im Wesentlichen aus:
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Er habe unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse
an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der benannten Einschränkungen, da er auch in
den kommenden Monaten und Jahren Veranstaltungen mit dem thematischen Inhalt: "
Gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität" durchführen werde.
Darüber hinaus beinhalte ein rechtswidriger Grundrechtseingriff eine sowohl
stigmatisierende als auch diskriminierende Maßnahme, so dass ein
Rehabilitationsinteresse anzuerkennen sei. Die Klage sei auch begründet, weil die
angefochtenen Auflagen ihn in seinen Grundrechten aus Art. 8 Abs.1 sowie 5 Abs. 1 GG
verletzten. Die Voraussetzungen zum Erlass beschränkender Verfügungen gemäß § 15
Abs. 1 VersG lägen nicht vor.
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Bei den in Ziffer 3. Abs. 2 untersagten Aussagen handele es sich um Slogans bzw.
Parolen , die als grundsätzlich zulässige Meinungsäußerung nicht strafbar und
insbesondere nicht unter § 130 StGB zu subsumieren seien. Sie wiesen einen
unmittelbar veranstaltungsspezifischen Bezug auf. Er, der Kläger, habe zu dem
Veranstaltungsthema Informationsmaterial und Flugblätter produzieren lassen.
Großflächige Verteilaktionen hätten in zahlreichen Städten stattgefunden. Das
Versammlungsthema stehe im Zusammenhang mit einer von ihm im September 2008
begonnenen landesweiten Kampagne; öffentliche Versammlungen seien in Dortmund,
Essen, Köln, Düsseldorf u.a. durchgeführt worden. Zudem werde zu dem Thema eine
eigene Internetdomain (www.Ausländerstop-NRW.de) betrieben, unter der der
Grundinhalt der Kampagne näher erläutert werde. Die Wahl eines Versammlungsmottos
und/oder die Verwendung spezifischer Slogans unterfalle grundsätzlich der Autonomie
des Veranstalters. Deren Untersagung stelle mithin einen schwerwiegenden Eingriff in
das Veranstalterrecht dar. Allein die bloße Verwendung der Aussage "Deutschland den
Deutschen" o.ä. sei in (straf-)rechtlicher Hinsicht als neutral zu werten, anders als
möglicherweise die Slogans "Die Niederlande den Deutschen" oder "Die Insel Mallorca
den Deutschen". Soweit der Beklagte darauf hinweise, die in Rede stehenden Slogans
seien abstrakt dazu geeignet, eine " Stimmung" zu erzeugen, reiche das zur
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Begründung einer Strafbarkeit nicht aus; davon gehe wohl auch der Beklagte nicht aus.
Soweit die Verbotsfolgen in gleicher Weise für die mündliche und schriftliche
Verwendung gelten solle, werde die unterschiedliche Wirkungsintensität beider
Varianten verkannt. Das dokumentiere den völligen Ausfall irgendwelcher
Ermessenserwägungen. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht zu der Frage der
Mottoverwendung ("Nationaler Widerstand", "Ausländerückführung") bereits
grundsätzlich Stellung genommen.
Das Verbot der Slogans könne keinesfalls aus Gründen einer Gefahr für die öffentliche
Ordnung hergeleitet werden. Eine an den Inhalt von Meinungsäußerungen anknüpfende
beschränkende Verfügung sei nur dann zu rechtfertigen, wenn die Gefahr aus der Art
und Weise der Äußerung resultiere. Die insoweit gegebene Begründung halte den
verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand. Es werde nicht angegeben, auf
welche konkreten Ereignisse oder Begleitumstände sich die Prognose stütze, dass sich
durch das laute Rufen der Slogans/Parolen die behauptete Einschüchterungs- und/oder
Provokationswirkung und/oder Ängste ergeben sollten. Das Bundesverfassungsgericht
habe ausdrücklich entschieden, dass das gemeinsame laute Skandieren von Parolen
eine versammungstypische Ausdrucksform sei, die dem Schutz der Versammlungsfreit
unterfalle. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Beschränkung von
Meinungsäußerungen im versammlungsspezifischen Kontext genüge das auferlegte
Verbot erst recht nicht, soweit nonverbale Verbreitungsformen untersagt worden seien.
Namentlich die angeführten "Ängste" könnten sich durch die Verbreitung von
Flugblättern und Informationsschriften nicht manifestieren.
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Bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar sei, warum ihm unter Ziffer 2. Abs. 7 nur die
Verwendung einer eigenen Fahne gestattet werde. Zahlenmäßige Gründe hierfür
dürften nicht ausschlaggebend sein, da er von der Bundesflagge beispielsweise 1000
Exemplare hätte mitnehmen dürfen. Gemäß dem Wortlaut der angegriffenen Auflage
dürfe nicht einmal die Fahne seiner eigenen Jugendorganisation (JN) mitgeführt
werden. Das stelle einen schwerwiegenden Eingriff in sein Recht zur Selbstdarstellung
dar. Tatsächliche Anhaltspunkte für ein aus der Verwendung mehrerer Fahnen
folgendes Gefahrenpotential würden nicht benannt, auch nicht, soweit der Beklagte
darauf verweise, der "Zweck" der Veranstaltung könne mit nur einer Fahne erreicht
werden. Auch mit dieser Argumentation werde der Beklagte der
bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht gerecht, zumal das
Bundesverfassungsgericht (in einem Eilverfahren) entschieden habe, dass die
Verwendung von mindestens 10 Fahnen zu genehmigen gewesen sei.
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Soweit klageerwidernd auf einen einschlägigen Beschluss des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen verwiesen werde, liege ihm, dem Kläger, dieser nicht vor; außerdem
basiere dieser in einem Eilverfahren ergangene Beschluss offenbar auf einer bloß
summarischen Prüfung.
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Die in dem Auflagenbescheid unter Ziffer 3. Abs. 5 enthaltene Regelung sei wegen
völliger Unbestimmtheit als nichtig zu bewerten. Bei einem Verbot müsse
unmissverständlich festgestellt werden, welche Handlungen untersagt seien. Das sei
hier nicht der Fall. Auch in der Begründung werde nicht erläutert, welcher "Jargon",
welche "Begrifflichkeiten" sowie welche "Sprechweisen" gemeint seien. Klarstellende
Zusätze sowie namensmäßige Angaben, wen der Beklagte selbst als "Demagoge"
ansehe, fehlten ebenso wie Erläuterungen zu vermeintlichen "Gestiken" und den
insoweit zu unterlassenden Körperhaltungen. Aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit
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sei die Frage, ob der Tatbestand der Auflage als erfüllt angesehen werde, quasi in jeder
Richtung ausdeutbar. Damit handele es sich um eine sogenannte Blankettvorschrift, die
über § 25 VersG zum Zwecke der strafrechtlichen Kriminalisierung funktionalisiert
werden könne und offenbar auch solle. Dadurch sei er, der Kläger, ungeachtet dessen
beschwert, dass es ihm nicht darum gehe, auf seinen Veranstaltungen
nationalsozialistische Äußerungen o.ä. zu verbreiten. Vielmehr wolle er sich keiner
Äußerungen und/oder Verhaltensweisen bemühen, die einen NS-Bezug aufwiesen.
Gerade deshalb habe er jedoch ein rechtliches Interesse daran, feststellen zu lassen,
dass er nicht in unzulässiger Weise unter den Verdacht einer Art von
"Wiederbetätigung" im NS-Sinne gesetzt werde, wie das bei einer rechtswidrigen
Auflage aufgrund der damit verbundenen Stigmatisierung der Fall wäre. Überdies sei
der vom Beklagten im Wege der nachschiebenden Begründung angeführte Verweis auf
die "Demagogen" materiell rechtlich nicht eingrenzbar, da diese Personen sicherlich
auch unverfängliche Begriffe verwendet hätten (wie z. B. "Guten Tag").
Gesamtwürdigend sei gänzlich unklar, wann eine Meinungskundgabe nach Auffassung
des Beklagten als unbedenklich bzw. bedenklich zu qualifizieren wäre. Dies umso
mehr, als zur Beurteilung dieser Frage allein das Wissen und die historische Kenntnis
des Polizeibeamten vor Ort maßgeblich sei.
Soweit der Beklagte klageerwidernd vornehmlich unter Hinweis auf die - vorliegend
nicht streitbefangene - Auflage Ziffer 2. Abs. 4 die Meinung vertrete, Verwaltungsakte
bedürften dann keiner Begründung, wenn der Empfänger den Sinn erahnen oder über
das Internet "ergooglen" könne, sei dem nicht zu folgen. Wenn der Beklagte den
klägerischen Vortrag zu den (untersagten) "Gestiken" nicht nachvollziehen könne, habe
er sich offensichtlich mit dem Inhalt seiner eigenen Auflage in Ziffer 3. Abs. 5 nicht
auseinandergesetzt. Schließlich werde seine, des Klägers, Auffassung durch ein Urteil
des VG Aachen vom 14. Januar 2009 und aktuelle bundesverfassungsgerichtliche
Rechtsprechung bestätigt.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass die Auflagen in dem Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2008
rechtswidrig gewesen sind, soweit
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es in Ziffer 3. Abs. 2 heißt: "Verboten sind somit mündliche und schriftliche Aussagen
wie "Deutschland den Deutschen" und "Deutschland uns Deutschen",
41
in Ziffer 2. Abs. 7 die Verwendung von Fahnen - außer der Bundesflagge und den
aktuellen Flaggen der bestehenden deutschen Bundesländer und der Flagge der
Europäischen Union, deren Einsatz unbeschränkt bleibt - lediglich im Umfang von einer
Fahne pro 50 Teilnehmer gestattet wurde,
42
es in Ziffer 3. Abs. 5 heißt: "Ebenfalls verboten ist der Gebrauch nationalsozialistischen
Propagandajargons bzw. nationalsozialistisch geprägter Begriffe und die sinn-
unterstützende Sprechweise, die an nationalsozialistische Demagogen erinnert."
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
45
Er führt zur Begründung unter Bezugnahme auf den Inhalt des angefochtenen
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Bescheides aus: Die gemäß Ziffer 3. Abs. 2 des Auflagenbescheides untersagten
Aussagen seien vom Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt. Wenn jemand
die Aussage propagiere "Deutschland den Deutschen" oder "Deutschland uns
Deutschen", müsse es folgerichtig weiter heißen: Ausländer oder eben nicht Deutsche
hätten in Deutschland nichts verloren oder mit anderen Worten "Ausländer raus". Wenn
der Kläger mit seiner Versammlung auf - aus seiner Sicht - bestehende Missstände
hinweisen wolle, sei dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden. Durch eine kollektive
und entsprechend lautstarke Äußerung der untersagten Aussagen durch die
Versammlungsteilnehmer, würde, gerade im Zusammenhang mit dem gewählten
Versammlungsthema, jedoch eine aggressive und fremdenfeindliche Stimmung erzeugt,
die geeignet sei, zum Hass aufzustacheln oder zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen
gegen Teile der Bevölkerung aufzufordern. Dadurch wäre der Tatbestand des § 130
Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2007 beziehe sich auf eine insoweit
nicht vergleichbare andere Parole.
Eine gleichlautende Auflage wie in Ziffer 2. Abs. 7 sei vom erkennenden Gericht bereits
für rechtmäßig erachtet worden. Die einschlägige Begründung mache sich der Beklagte
zu eigen. Überdies sei nicht generell das Mitführen von Fahnen der eigenen
Parteiorganisation untersagt worden. Durch die zahlenmäßige Beschränkung der
Fahnen der NPD sowie deren Jugendorganisationen, die eindeutig Symbole rechten
Gedankenguts darstellten, haben Assoziation zu nationalsozialistischen
Versammlungen verhindert werden sollen. In Anbetracht der letztendlich sehr kleinen
Zahl von Versammlungsteilnehmern sei eine NPD-Fahne völlig ausreichend, um die
Versammlung als eine Aktion dieser Partei auszuweisen. Der Zweck der Versammlung
sei durch die beschränkende Verfügung in keiner Weise geschmälert worden.
Außerdem sei ein wesensmäßiger Bezug der Fahnen zum Versammlungsmotto nicht
ersichtlich.
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Die Regelung unter Ziffer 3. Abs. 5 des Bescheides sei nicht unbestimmt. Diese Auflage
stehe in einem unmittelbaren Sinnzusammenhang mit dem im Übrigen unter Ziffer 3.
verfügten Auflagentext und dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Es sei davon
auszugehen, dass dem Empfänger des Auflagenbescheides als Vorsitzender des NPD-
Landesverbandes NRW die Geschichte des Dritten Reichs und deren wichtigste
handelnde Personen zumindest in den wichtigsten Ansätzen bekannt seien. Insofern sei
es müßig, in dem Bescheid einzelne "Demagogen" wie Hitler, Goebbels oder Göring
namentlich zu benennen. Die angegriffene Auflage solle verdeutlichen, dass auch von
dem Gebrauch nationalsozialistischen Propagandajargons bzw. nationalsozialistisch
geprägter Begriffe die Erinnerung an das NS-Regime ausgehe. Der Sinngehalt solcher
Begriffe werde durch eine - die Politiker des NS-Staats imitierende - Vortragsart und -
weise (schneidender Tonfall u.a.) noch verstärkt. Es habe gegolten, dies zu verhindern.
Wenn sich der Kläger ohnehin keiner Äußerung und/oder Verhaltensweise habe
bemühen wollen, die einen NS-Bezug aufweise, werde er durch die Auflage im Übrigen
nicht beschwert. Auch folge unmittelbar aus diesem Vorbringen die Widersprüchlichkeit
der klägerischen Argumentation hinsichtlich einer Unverständlichkeit oder
Unbestimmtheit der Auflagen. Denn danach müsse ein entsprechendes geschichtliches
Grundwissen über die Zeit des Nationalsozialismus bei dem Kläger vorhanden sein. Die
vom Prozessbevollmächtigten propagierte - schon erschreckende - Ahnungslosigkeit
des Klägers sei nicht nachvollziehbar. Ein Verbot von "Gestiken" sei nicht verfügt
worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie des vorgelegten Verwaltungsvorgangs des Beklagten (BA 1) Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO
statthaft und auch im übrigen zulässig. Insbesondere besteht ein berechtigtes Interesse
des gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähigen Klägers in Form der sog.
Wiederholungsgefahr. Der Kläger hat substantiiert geltend gemacht, durch
voraussichtlich ergehende Auflagen gleichen Inhalts bei zukünftigen Versammlungen in
Gelsenkirchen in gleicher Weise möglicherweise in seiner Meinungsfreiheit bzw.
seinem versammlungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt zu
werden. Ob daneben ein besonderes Feststellungsinteresse wegen der möglichen
Grundrechtsbetroffenheit zu bestätigen wäre,
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vgl. zu den Voraussetzungen im einzelnen: BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2004 - 1 BvR
461/03 -, NJW 2004, 2510-2513,
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wofür vieles spricht, weil die streitbefangenen Auflagen über Regelungen bloßer
Modalitäten der Versammlungsdurchführung hinausgehen dürften, bedarf keiner
Entscheidung.
53
Der Kläger ist als Adressat der belastenden Ordnungsverfügung in Gestalt der
beanstandeten Auflagen auch insoweit einschränkungslos klagebefugt, als er
sinngemäß geltend macht, er beabsichtige der Auflage Ziff. 3 Abs. 5 (Nazijargon)
unterfallende Äußerungen ohnehin nicht.
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Vgl. VG Aachen, Urteil vom 14. Januar 2009 - 6 K 374/08 -, www.nrwe.de, RdNr. 99 ff
m.w.Nw.
55
Die Klage ist auch begründet. Die mit der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 6.
Oktober 2008 angeordneten Auflagen sind in dem vorliegend angefochtenen Umfang
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
56
Beschränkungen der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung greifen
regelmäßig in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ein. Das gilt insbesondere wenn,
wie vorliegend, versammlungstypische Äußerungsformen, wie Aufrufe, gemeinsame
Lieder oder Transparente oder die Verwendung von öffentlichkeitswirksamen Symbolen
wie Fahnen behindert bzw. untersagt werden. Beschränkungen in der Kombination des
Inhalts und der versammlungsspezifischen Ausdrucksformen von Meinungen greifen
zudem in die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG ein.
57
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671
und juris, RdNr. 14 ff.
58
Für den Eingriff ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich (Art 8 Abs. 2 GG). Als solche
kommt hier allein § 15 VersG in Betracht.
59
Hiernach kann die zuständige Behörde - hier der Beklagte - eine Versammlung oder
einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach
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den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges
unmittelbar gefährdet ist. Auflagen dienen vornehmlich dazu, Versammlungen zu
ermöglichen, die aus rechtlichen Gründen ansonsten nicht zugelassen werden könnten.
Demzufolge müssen auch durch eine Auflage Gründe der unmittelbaren Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung abgewehrt werden. Die in § 15 Abs. 1 VersG
angesprochenen Auflagen dienen daher auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
indem durch sie regelmäßig verhindert wird, dass eine Versammlung aus Gründen
verboten wird, die durch ein den Betroffenen weniger belastendes Mittel abgewehrt
werden können. Auflagen dürfen nicht verfügt werden, um damit den Zweck einer
Versammlung zu vereiteln oder die mit der Versammlung selbst nicht mehr im
Zusammenhang stehen.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834 und
vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, a.a.O., Dietel/Gintzel/Kniesel,
Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 15. Auflage, § 15, RdNr. 45 ff.
61
Der unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit ist inhaltsgleich mit dem des
allgemeinen Polizeirechts; er umfasst die Individualrechtsgüter Dritter, die Integrität der
Rechtsordnung, Bestand- und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen
sowie die tragenden Prinzipien seiner verfassungsmäßigen Ordnung.
62
Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln
verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt
des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als
unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens
innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Mehrheitsanschauungen allein
reichen zur Bestimmung des Gehalts der öffentlichen Ordnung nicht. Art. 8 GG ist für die
Freiheitlichkeit der demokratischen Ordnung besonders wichtig als
Minderheitenschutzrecht. Die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG ist daher auch bei
der Bestimmung der Reichweite des Begriffs der öffentlichen Ordnung zu
berücksichtigen.
63
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es hiernach, dass § 15 VersG gemäß § 20 VersG
Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, darunter auch zur Abwehr von Gefahren für
die öffentliche Ordnung, erlaubt, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der
Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung
folgen. So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich
unbedenklich, die ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes
Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der
Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Die öffentliche
Ordnung kann auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem
speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust
dienenden Feiertag/Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise
Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger
erheblich beeinträchtigen. Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein
Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen
totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. In solchen
Fällen ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu klären,
durch welche Maßnahmen die Gefahr abgewehrt werden kann. Dafür kommen in erster
64
Linie Auflagen in Betracht. Reichen sie zur Gefahrenabwehr nicht aus, kann die
Versammlung verboten werden.
Soweit Beschränkungen allein mit dem Inhalt der die Versammlung betreffenden
Meinungsäußerungen begründet werden, ist hingegen die besondere Gewährleistung
der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG zu berücksichtigen. Der Inhalt von
Meinungsäußerungen, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf,
kann auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das
Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. Unerheblich ist, ob die Meinungsäußerung
"wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", emotional oder rational begründet ist.
Der Gesetzgeber hat in den allgemeinen Gesetzen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG, insbesondere
den Strafgesetzen, Beschränkungen von Meinungsäußerungen an nähere
tatbestandliche Voraussetzungen gebunden; eine Berufung auf das
Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Ordnung ist insofern nicht vorgesehen. Die
Strafrechtsordnung ermöglicht die Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die
etwa durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Werden die
entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin
eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit; eine so begründete Gefahr kann deshalb
durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf
Versammlungen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 ff
(Brokdorf), Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, DVBl 2001, S. 558,
Beschluss vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2071>; Beschluss
vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 und 1 BvQ 18/01 -, NJW 2001, S. 2072 <2074>;
Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, S. 90 <91>>,
Beschluss des 1. Senats vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 - NJW 2004, 2814 und
Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, a.a.O..
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Die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und/oder
Ordnung setzt voraus, dass der Schadenseintritt bei Durchführung der Versammlung
oder des Aufzuges mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Erforderlich ist jeweils
eine auf die konkrete Versammlung bezogene Gefahrenprognose, die auf erkennbaren
Umständen beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen
Erkenntnissen. Bloße Spekulationen im Hinblick auf einen Schadenseintritt reichen
nicht aus (ständige Rechtsprechung des BVerfG).
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Bei Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben sind die angefochtenen
Auflagen rechtswidrig gewesen. Der Beklagte hat keine hinreichenden Tatsachen oder
sonstige Erkenntnisse benannt, die die von ihm prognostisch angenommene
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in bezug auf die hier in Rede
stehende Versammlung am 8. Oktober 2008 in Gelsenkirchen tragen.
68
1. In Bezug auf das in Ziff. 3 Abs. 2 verfügte Verbot der mündlichen oder schriftlichen
Aussagen "Deutschland den Deutschen" und "Deutschland uns Deutschen" ist schon
unklar, ob sich der Beklagte auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und/oder
der öffentlichen Ordnung stützen wollte.
69
Es spricht vieles dafür, dass insoweit keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
abgewehrt werden sollte. Denn in der Begründung zu Ziff. 3 heisst es mehrfach "auch"
bzw. "selbst wenn die Schwelle bzw. Grenze zur Strafbarkeit noch nicht erreicht bzw.
70
überschritten sein sollte". Irgendwelche Straftatbestände, z.B. § 130 StGB, werden nicht
benannt oder gar subsumiert. Im Zusammenhang mit den hier streitigen Aussagen heißt
es (lediglich), diese würden nicht nur als in besonderem Maße provozierend empfunden
werden, sondern auch geeignet sein, ganze Bevölkerungsteile einzuschüchtern und
Ängste zu schüren.
Derartige Erwägungen allein erfüllten keinen Straftatbestand, sondern stehen allem
Anschein nach im Zusammenhang mit einem vom Beklagten aufgrund einer
vermeintlichen Provokationswirkung angenommenen Verstoß gegen die öffentliche
Ordnung.
71
Die vorrangig auf Ziff. 3 Abs. 1 bezogene teilweise Wiedergabe des Wortlauts des § 130
Abs. 1 Nr. 1 StGB auch im Rahmen der Begründung (....Äußerungen untersagt, die
geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, zu Hass....aufstacheln und die
Menschenwürde anderer verletzen...) stellt einen allgemeinen, abstrakten Hinweis
darauf dar, dass derartige Äußerungen verboten sind, ohne darzulegen, dass die
konkreten, streitbefangenen Aussagen diese Voraussetzungen erfüllen. Bloße Hinweise
auf die Rechtslage bedürfen im übrigen keiner besonderen gesetzlichen Grundlage.
72
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, a.a.O., juris, RdNr. 19.
73
Erstmals in der Klageerwiderung begründet der Beklagte das Verbot ausdrücklich mit
einem seiner Meinung nach gegebenen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit in
Gestalt einer Strafbarkeit gemäß § 130 Abs. 1 StGB. Es ist indessen zweifelhaft, ob die
Auflage nach ihrem Erlass noch tragfähig mit derartigen Erwägungen begründet werden
könnte. Denn das käme einem bedenklichen Auswechseln der Begründung und einer
Veränderung des Wesens des Verwaltungsakts nahe.
74
Vgl. VG Aachen, Urteil vom 14. Januar 2009, a.a.O., RdNr. 125.
75
Das bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn selbst wenn die Klageerwiderung als
zulässige lediglich ergänzende bzw. vertiefende Begründung bewertet würde, weil der
Wortlaut des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB schon in der Ordnungsverfügung jedenfalls
teilweise wiedergegeben und in der Begründung zu Ziff. 3 ausdrücklich eine
"unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" angesprochen wird
sowie der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zudem erklärt hat, der
Aspekt der öffentlichen Sicherheit sei mit Blick auf § 130 StGB Grundlage der
Entscheidung geworden, könnte das Verbot nicht tragfähig darauf gestützt werden.
76
a) Ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit ist nicht mit der gebotenen
Verlässlichkeit feststellbar.
77
Da die untersagten Aussagen eine Meinungskundgabe betreffen, wäre ein solcher
Verstoß nur dann gegeben, wenn diese gegen allgemeine Gesetze, insbesondere
Strafgesetze verstoßen würden. Insoweit könnte vorliegend auch nach Meinung des
Beklagten allein § 130 Abs. 1 StGB (Volksverhetzung) einschlägig sein. Diese
Bestimmung lautet:
78
Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
79
1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder
80
Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung
beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
81
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
82
Es ist nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass
bei Skandieren der genannten Parolen dieser Tatbestand verwirklicht worden wäre. Für
diese Beurteilung ist Folgendes wesentlich:
83
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es der
verfassungsrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit, die allgemeinen Gesetze und so
auch § 130 StGB in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung ihrerseits
einschränkend auszulegen. Ebenfalls ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung
von aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums zu
bewertenden Äußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Im Falle
mehrdeutiger Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem
sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen. Diese insbesondere für die
Anwendung der §§ 185 ff. StGB entwickelten Grundsätze gelten entsprechend, wenn es
um die Subsumtion einer Äußerung oder eines Verhaltens unter die
Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB geht.
84
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2008 - 1 BvQ 43/08 -, juris, RdNr. 21 m.w.Nw.,
zum Motto "Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung! Gedenkt der deutschen
Opfer! sowie Beschluss vom 4. Februar 2010 - 1 BvR 369/04 u.a. -, juris, zu einer
Plakatierung für "Aktion Ausländerrückführung"; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25. Juni
2008 - 6 C 21/07 -, NJW 2009, 98 und juris, RdNrn. 35, 39 "Gedenken an Rudolf Hess".
85
Der Kläger ist Landesverband einer zugelassenen politischen Partei, die seinerzeit
landesweit eine Kampagne durchgeführt hat (und in ähnlicher Form aktuell betreibt), mit
der eine seiner Meinung nach voranschreitende "Überfremdung" thematisiert worden ist.
Das ist näher unter der von ihm (seinerzeit) betriebenen Internet-Domain
www.Ausländerstopp-NRW dargelegt worden. Wegen der Einzelheiten wird insoweit
auf den vom Kläger in der Klagebegründung zitierten damals einschlägigen Aufruf (Bl. 4
d.A.) verwiesen. Bedenken an der Authentizität der dortigen Ausführungen bestehen
nicht. Solche hat der Beklagte auch nicht angemeldet. Vor diesem Hintergrund muss zu
Gunsten des Klägers angenommen werden, dass auch die vom Beklagten untersagten
Aussagen eine im weiteren Sinne politische Meinungsäußerung beinhalten. Gerade
wenn bestimmte "Redebeiträge", noch dazu von politischen Parteien, untersagt werden
sollen, sind wegen der Meinungsfreiheit und des Parteienprivilegs in Art. 21 Abs. 1 Satz
2 GG an die "Gefahrenprognose" strenge Anforderungen zu stellen.
86
Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 15, RdNr. 48.
87
Hiervon ausgehend ist auf der Grundlage des vom Beklagten benannten und im übrigen
erkennbaren Erkenntnismaterials die Prognose, der Kläger hätte sich bei Skandieren
der Parolen gemäß § 130 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, nicht tragfähig.
88
Der Begriff der Menschenwürde i.S.d. - hier vorrangig in den Blick zu nehmenden - §
130 Abs. 1 Nr. 2 StGB bezeichnet den besonderen Wert- und Achtungsanspruch, der
89
dem Menschen wegen seines Menschseins zukommt und der es verbietet, ihn zum
bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die
seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Allein der Angriff auf die Ehre einer
Person ist nicht als ein Angriff auf die Menschenwürde einzuordnen. Vielmehr ist
erforderlich, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige
Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges
Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde
ausmachenden Kern der Persönlichkeit, nicht lediglich gegen einzelne
Persönlichkeitsrechte, richten.
BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010, a.a.O, juris, RdNr. 31, BVerwG, Urteil vom 25.
Juni 2008, a.a.O., juris, RdNr. 46 ff, BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07 -, juris,
RdNr. 17.
90
In Übereinstimmung mit der (strafgerichtlichen) Rechtsprechung stellen allein Aussagen
wie "Deutschland den Deutschen" bzw. "Deutschland uns Deutschen" regelmäßig
selbst dann keinen Angriff auf die Menschenwürde der in der Bundesrepublik
Deutschland wohnenden Ausländer dar, wenn sie im Kontext mit der weiteren -
vorliegend mangels Anfechtung nicht streitbefangenen - Aussage "Ausländer raus"
stehen.
91
Vgl. AG Rathenow, Beschluss vom 13. April 2006 - 2 Ds 496 Js 37539/05 (301/05), juris,
zum Abspielen einer Textzeile "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus", vgl.
dazu und zu anderen einschlägigen Entscheidungen zu Äußerungsdelikten, Stegbauer,
Rechtsprechungsübersicht zu den Propaganda- und Äußerungsdelikten, NStZ 2010,
129 und NStZ 2008, 73; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010, a.a.O., juris,
RdNr. 31 und OLG Brandenburg, Urteil vom 28. November 2001 -1 Ss 52/01-, das eine
Strafbarkeit des Skandierens der Parolen "Sieg Heil", Ausländer raus" "Hoch die
nationale Solidarität" und "Deutschland den Deutschen" angenommen hat.
92
Hiernach sind allein die Verwendung der Begriffe "Deutscher" und als
Gegenüberstellung "Ausländer" nicht geeignet, die Menschenwürde anderer zu
verletzen, weil eine solche Gegenüberstellung nur das wieder gebe, was gesetzlich
definiert sei (Art. 116 Abs. 1 GG, § 2 Abs. 1 AufenthG). Ohne weitere äußere Anzeichen
der Bereitschaft zu Übergriffen oder Gewalttätigkeiten gegenüber ausländischen
Miteinwohnern könne nach der verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung auch
lediglich eine politische Meinungsäußerung getätigt worden sein, die in der
Bevölkerung vorhandene Vorbehalte und Ängste zum Ausdruck bringe. Selbst das
alleinige Bestreiten des Aufenthaltsrechts der Ausländer an sich stelle keinen Angriff auf
die Menschenwürde dar.
93
AG Rathenow, Beschluss vom 13. April 2006, a.a.O., juris, RdNr. 20 ff.
94
So liegt es auch hier.
95
So sehr eine in den untersagten Parolen sowie im vorliegend einschlägigen
Versammlungsthema "Deutsche wehrt Euch - gegen Überfremdung, Islamisierung und
Ausländerkriminalität!" zum Ausdruck kommende, ausländerfeindliche Grundrichtung
der für die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegenden Erwartung einer
Toleranz der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern widerspricht,
96
vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 - a.a.O.,
97
so sind gleichwohl auch ausländerfeindliche Äußerungen als solche nicht strafbewehrt,
sondern unterliegen grundsätzlich der Meinungsfreiheit.
98
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010, a.a.O., juris, RdNr. 36.
99
Das gilt für die hier zu Grunde zu legende Konstellation auch deshalb, weil es an einer
expliziten, durch Parolen skandierten Gegenüberstellung des beanstandeten Aufrufs
"Deutschland den Deutschen" bzw. "Deutschland uns Deutschen" gegenüber
Ausländern, vornehmlich an der Forderung "Ausländer raus" fehlt - selbst wenn eine
solche Gegenüberstellung angesichts des Versammlungsthemas offenkundig weiterhin
intendiert ist und auch "unausgesprochen" für ein unvoreingenommenes verständiges
Publikum deutlich würde.
100
Die streitbefangenen Aussagen können insbesondere vor dem Hintergrund des mit dem
Motto der Versammlung gewählte Themas auch so verstanden werden, dass
ungeachtet einer ausländerfeindlichen Grundrichtung auf eine politische Ablehnung der
bislang tatsächlich oder mutmaßlich praktizierten "Einwanderungspolitik" und allgemein
gegenüber der bisherigen Politik gegenüber Ausländern/Nichtdeutschen abgezielt wird
- zumal diese Thematik von einer nicht verbotenen politischen Partei propagiert wird.
101
Eine solche Deutung wird erhärtet durch die Veröffentlichung unter der schon
benannten internet-domain, wonach die NPD "versuchen (wird), das Thema
Überfremdung und die damit verbundenen Folgen landesweit an die Bürgerinnen und
Bürger heranzutragen." Dass die NPD bzw. der Kläger insoweit maßgeblich auf
vermeintliche Ängste der Bevölkerung rekurrieren, indem u.a. darauf abgehoben wird,
dass in den Städten des Ruhrgebiets systematisch "Ghettos" entstanden seien, die
vorwiegend von Ausländern bewohnt würden und sich "Deutsche in den Abendstunden
in vielen dieser Gegenden kaum noch ohne Angst vor Überfällen auf die Straße
(trauen)" und "Täglich ...Deutsche Opfer krimineller Ausländerbanden (werden) und in
vielen deutschen Städten...eine Moschee schon heute zum Erscheinungsbild (gehört)",
lässt nicht allein die Schlussfolgerung zu, dass mit den vorliegend untersagten
Aussagen das Lebensrecht der Ausländer als gleichwertige Persönlichkeit in der
staatlichen Gemeinschaft abgesprochen werden soll. Entsprechendes hat auch der
Beklagte nicht angeführt. Derartige Standpunkte müssen und können vielmehr in der
politischen Auseinandersetzung bekämpft werden
102
Vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 13. September 2002 - 4 B 228/02 -, juris, zu
dem Versammlungsthema: "Schluss mit der Masseneinwanderung russischer Juden,
Deutschland uns Deutschen" und vorgehend VG Potsdam, Beschluss vom 12.
September 2002 - 3 L 892/02 -, juris.
103
Dass darüber hinaus gehende besondere äußere oder innere Anzeichen
tatsachengestützt zu erwarten waren, die die Würdigung zulassen könnten, dass mit der
Skandierung der untersagten Parolen ein Angriff auf die Menschenwürde der Ausländer
in Deutschland verbunden sein könnte, hat der Beklagte weder in der angefochtenen
Verfügung noch nachfolgend benannt. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
104
Ob das Skandieren der Parolen ein Beschimpfen, also eine nach Inhalt und Form
besonders herabsetzende Kundgabe der Missachtung, bzw. eine böswilliges
105
verächtlich machen oder verleumden i.S.d. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB beinhaltete, ist
ebenfalls zweifelhaft. Insbesondere ist nicht ersichtlich und vom Beklagten auch nicht
angeführt worden, dass unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder verbreitet
würden, die das Ansehen eines Bevölkerungsteils wider besseren Wissens
herabsetzen oder (auch bloß wertende) Äußerungen verlautbart würden, durch die
jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt würde.
Vgl. zu diesen Tatbestandsmerkmalen: BGH, Urteil vom 3. April 2008, a.a.O., juris,
RdNr. 17.
106
Fraglich erscheint desweiteren, ob unter den konkreten hier zu erwartenden
versammlungsrechtlichen Gegebenheiten am 8. Oktober 2008 (stationärer Charakter,
geringe Teilnehmerzahl) das Skandieren der Parolen geeignet war, den öffentlichen
Frieden zu stören,
107
zu diesem Begriff vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008, a.a.O., juris, RdNr. 51 ff und
BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 - NJW 2010, 47 und juris,
RdNr. 93 ff.
108
Das bedarf keiner Entscheidung, weil die Aussagen, wie dargelegt, jedenfalls keinen
Angriff auf die Menschenwürde beinhalten. Eine Strafbarkeit gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2
StGB stand hiernach prognostisch nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit
zu erwarten.
109
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die untersagten Äußerungen den
Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt hätten.
110
Mit einem Aufstacheln zum Hass gegen Teile der Bevölkerung im Sinne der ersten
Tatbestandsalternative ist nach verbreiteter Auffassung eine verstärkte, auf die Gefühle
des Aufgestachelten gerichtete, über eine bloße Ablehnung oder Verachtung hinaus
gehende Form des Anreizens zu einer emotional gesteigerten feindseligen Haltung
gemeint. Eine unmittelbare Aktion braucht nicht beabsichtigt zu sein
111
Vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 28. November 2001 a.a.O., juris, RdNr. 9 m. w.
Nachw.; vgl. auch OVG Brandenburg, Beschl. vom 13. September 2002 - 4 B 228/02 -,
a.a.O..
112
Aus den hier untersagten Aussagen kann selbst dann nicht ausschließlich eine solche
feindselige, verächtlich machende Haltung entnommen werden, wenn bei dieser
Würdigung zugleich das Versammlungsmotto und die einschlägigen (Internet-)
Verlautbarungen des Klägers berücksichtigt würden. Denn angesichts deren
dargelegter Mehrdeutigkeit können die untersagten Parolen nicht notwendigerweise nur
als bereits strafbewehrtes Aufstacheln gegen Teile der Bevölkerung verstanden werden,
sondern, wie ausgeführt, auch als politische Meinungskundgabe.
113
Aus den gleichen Erwägungen erfüllen die untersagten Äußerungen auch nicht die
Handlungsalternative "Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen". Diese läge vor,
wenn der Täter durch seine Erklärung nicht nur eine Handlung befürwortet, sondern auf
die Erklärungsempfänger mit dem Ziel einzuwirken versucht, in ihnen den Entschluss
hervorzurufen, derartige Maßnahmen gegen den durch § 130 StGB geschützten
Personenkreis zu ergreifen.
114
Vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 28. November 2001 a.a.O., juris, RdNr. 10 und -
insoweit zur der Formulierung "Ausländer raus"-, BGH, Urteil vom 14. März 1984 - 3 StR
36/84 -, BGHSt 32, 310 und juris, RdNr. 19.
115
Dass die Parolen "Deutschland den Deutschen" und "Deutschland uns Deutschen"
ausschließlich in diesem Sinne gemeint waren, lässt sich auch unter Würdigung des
Versammlungsmottos "Deutsche wehrt Euch..." (Hervorhebung durch das Gericht) bei
Anwendung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vertreten. Auch diese
Äußerungen können und müssen zu Gunsten des Klägers als Forderung, sich "politisch
zu wehren", verstanden werden.
116
Eine andere Bewertung gebietende besondere Begleitumstände, die die Annahme
einer Tatbestandsverwirklichung des § 130 Abs. 1 StGB begründen könnten, und wie
sie etwa dem vorzitierten Urteil des OLG Brandenburg vom 28. November 2001 zu
Grunde lagen, sind vom Beklagten auch insoweit weder benannt worden, noch sind
solche sonst ersichtlich.
117
Derartige besonderen Umstände hat das OLG Brandenburg vor dem Hintergrund der
(seinerzeit) zu beklagenden, allgemein bekannten gewalttätigen Ausschreitungen
gegen Ausländer in der betroffenen Stadt und darin gesehen, dass die Parolen von
größeren, teilweise mit Bomberjacken und Springerstiefeln und anderen eindeutig der
rechtsextremen Szene zuzuordnenden Erkennungsmerkmalen gekennzeichneten,
durch die Straßen laufenden, Fahnen schwenkenden größeren Personengruppen in der
Neujahrsnacht gegrölt worden waren. Zudem wurde u.a. die Parole "Sieg Heil" gerufen.
118
Derartige oder ähnliche Umstände liegen hier nicht vor bzw. waren prognostisch nicht
zu erwarten.
119
Insbesondere wären die Äußerungen anlässlich einer stationären Versammlung von nur
wenigen Teilnehmern und zudem tagsüber verlautbart worden. Auch wären (wegen des
ausgesprochenen Verbots) Parolen wie "Ausländer raus" nicht gerufen worden und
stand nicht tatsachengestützt zu erwarten, dass eindeutige, auf eine
nationalsozialistische Gesinnung schließen lassende Parolen wie "Sieg Heil" skandiert
worden wären.
120
Allein eine nationale bzw. rechtsextreme Gesinnung, wie sie durch die in Rede
stehende NPD-Veranstaltung und die untersagten Parolen offenkundig zum Ausdruck
kommt bzw. gekommen wäre, begründet derartige besondere, die Strafbarkeitsschwelle
überschreitenden zusätzlichen Anhaltspunkte nicht, solange die NPD als zugelassene
Partei agieren kann.
121
Ebenfalls können aus einem ggf. lauten und gemeinsamen Skandieren der streitigen
Parolen keine "besonderen", das Versammlungsrecht bzw. die Meinungsfreiheit
beschränkenden, eine Strafbarkeit begründenden Umstände abgeleitet werden, weil
hierdurch eine versammlungstypische Ausdrucksform umgesetzt würde, wie
nachfolgend unter 1. b) noch vertiefend darzustellen ist.
122
Aus den vorbenannten Gründen kann deshalb auch in Bezug auf die
Tatbestandsalternativen des § 130 Abs.1 Nr. 1 StGB offen bleiben, ob die untersagten
Aussagen geeignet wären, den öffentlichen Frieden zu stören und ist der Tatbestand
123
des § 130 Abs.1 StGB auch (erst recht) nicht einschlägig, soweit eine schriftliche
Verlautbarung der in Rede stehenden Aussagen untersagt worden ist.
Bei dieser Würdigung berücksichtigt die Kammer schließlich, dass mit der streitigen
Auflage Äußerungen im Vorfeld einer Versammlung untersagt worden sind. Regelmäßig
ist eine (hinreichend verlässliche) strafrechtliche Beurteilung von Äußerungsdelikten
erst unter Würdigung aller Umstände des Falles, insbesondere der äußeren
Gegebenheiten und der Art und Weise der Äußerung möglich, wie sich aus den
vorstehenden Darlegungen ergibt. Ist aber eine derartige, auch vor dem Hintergrund des
§ 25 Ziff. 2 VersG strafrechtlich relevante Beurteilung erst im nachhinein möglich, ist es
mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kaum vereinbar, Äußerungen, deren Tatbestandsmäßigkeit
sich erst im nachhinein aufgrund der konkreten Art und Weise und den konkreten
Umständen der Äußerung beurteilen lässt, bereits im Vorfeld, d.h. bevor sie getätigt
sind, zu verbieten. Denn dann bestünde die Gefahr, dass auch solche Äußerungen, die
die Schwelle der Strafbarkeit noch nicht überschreiten und damit von der
Meinungsfreiheit umfasst sind, von vornherein untersagt werden.
124
Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. März 2006 - 2 M 156/06 -, juris, RdNr.3.
125
Die Versammlungsbehörden sind deshalb gehalten, besonders sorgsam zu prüfen, ob
Äußerungen bereits im Vorfeld einer Versammlung wegen einer angenommenen
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit/Strafbarkeit durch beschränkende Verfügungen
untersagt werden können. Lässt sich die strafbarkeitsrelevante Tatbestandsmäßigkeit,
wie vorliegend, vor Durchführung der Versammlung nicht hinreichend sicher
tatsachengestützt belegen, sind die Versammlungs- bzw. die zuständigen
Strafverfolgungsbehörden darauf zu verweisen, anlässlich der durchgeführten
Versammlung tatsächlich getätigte, ihrer Meinung nach strafrechtlich relevante
Äußerungen einer Strafverfolgung zuzuführen oder ggf. nach Maßgabe des § 15 Abs. 3
VersG die Versammlung aufzulösen.
126
b) Das Verbot der Parolen kann auch nicht auf einen Verstoß gegen die öffentliche
Ordnung gestützt werden.
127
Wie ausgeführt entspricht es gesicherter verfassungsrechtlicher Rechtsprechung, dass
die öffentliche Ordnung als Grundlage beschränkender Verfügungen ausscheidet,
soweit sie im Inhalt von Äußerungen gesehen wird. Überschreiten - wie hier - die zu
erwartenden Meinungsäußerungen nicht die Schwelle der Strafbarkeit, sind
beschränkende Verfügungen nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich
die prognostizierte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der Art und
Weise der Durchführung der Versammlung ergibt.
128
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, a.a.O, juris, RdNr. 30 ff.
129
Der Beklagte hat weder in der beschränkenden Verfügung noch nachfolgend
hinreichend verlässliche Tatsachengrundlagen benannt, die eine solche
Prognoseentscheidung in bezug auf die hier in Rede stehende Versammlung
rechtfertigten.
130
Die Begründung im Bescheid vom 6. Oktober 2008 stellt im wesentlichen darauf ab,
dass durch das Rufen der Parolen eine Provokationswirkung bzw. das Schüren von
Ängsten in der Bevölkerung und Erinnerungen an den Nationalsozialismus
131
hervorgerufen würden. Damit hebt der Beklagte auf den Inhalt der Äußerungen ab. Ein
Verstoß gegen die Öffentliche Ordnung ist damit nicht tragfähig zu begründen.
Selbst wenn ergänzend darauf abgestellt würde, dass der Beklagte (auch) in diesem
Zusammenhang eine Einschüchterungswirkung bspw. durch das wiederholte Rufen der
Parolen und/oder ein gemeinsames, offenbar der rechtsextremen Szene zuzuordnendes
Erscheinungsbild der Versammlungsteilnehmer und/oder durch das Schwenken von
Fahnen herleiten wollte, wird damit eine verfassungsrechtlich tragfähige
Provokationswirkung nicht dargetan.
132
Denn das gemeinsame laute Skandieren von Parolen ist eine versammlungstypische
Ausdrucksform, die am Schutz der Versammlungsfreiheit teilhat. Mit der Bedeutung der
Versammlungsfreiheit wäre es zu Folge der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts unvereinbar, bereits aus derartigen Formen gemeinsamer
Meinungskundgabe, wie dem lauten gemeinsamen Rufen oder Skandieren sowie der
Verwendung von Transparenten oder Flugblättern, jene versammlungsspezifischen
Wirkungen ableiten zu wollen, die zu der bloßen Äußerung bestimmter Meinungsinhalte
hinzutreten müssen, um Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf
die öffentliche Ordnung zu rechtfertigen. Von Verfassungs wegen muss für die
Zulässigkeit der Beschränkung durch Auflagen das in § 15 Abs. 1 VersG formulierte
Erfordernis erfüllt sein, dass die öffentliche Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der
Verfügung erkennbaren, zu der Nutzung versammlungstypischer Kundgabeformen
hinzutretenden Umständen durch die Art und Weise der Durchführung der Versammlung
unmittelbar gefährdet ist.
133
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007, a.a.O., juris, RdNr. 38.
134
Tatsächliche Anhaltspunkte für ein in diese Sinne darüber hinaus erforderliches, etwa
aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes, ein Klima der
Gewaltbereitschaft erzeugendes Verhalten des Klägers bzw. der
Versammlungsteilnehmer hat der Beklagte für die konkrete Versammlung nicht benannt.
Solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt, soweit der Beklagte sich
darauf berufen sollte, dass die Veranstaltung sich ihrem Gesamtgepräge nach mit der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifizieren könnte.
135
Gegen die Annahme des Vorliegens besonderer, zu der bloßen Meinungsäußerung
hinzutretender Umstände, die einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung begründen
könnten, spricht hier in besonderer Weise die Ausgestaltung der konkreten
Versammlung. Diese sollte nicht nur stationär, sondern bereits ausweislich der
Anmeldung mit einer sehr geringen Teilnehmerzahl durchgeführt werden. Statt der
angekündigten zehn Teilnehmer haben an der Versammlung letztlich nur sieben
Teilnehmer mitgewirkt. Ein "Einschüchterungseffekt" oder gar ein Klima der
Gewaltbereitschaft war unter diesen Gegebenheiten um so weniger zu erwarten. Zudem
hätte dem o.w. durch ein entsprechendes Polizeiaufgebot wirksam entgegen gewirkt
werden können.
136
2. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hat der
Beklagte auch nicht in einer den genannten Anforderungen genügenden Weise
dargetan, soweit er gemäß Ziff. 2 Abs. 7 des Bescheides dem Kläger bei der
Versammlung nur eine ("eigene") Fahne pro 50 Teilnehmer erlaubt hat.
137
Der Beklagte macht selbst nicht geltend, dass diese Auflage aus Gründen der
öffentlichen Sicherheit geboten gewesen wäre. Entsprechendes ist auch nicht
ersichtlich.
138
Aus den vorstehenden Darlegungen unter 1. b zu dem - für die konkrete Versammlung -
nicht belegbaren Einschüchterungs-/Provokationseffekt folgt desweiteren, dass die
Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG auch nicht vorliegen, soweit der Beklagte
einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung annimmt.
139
Er hat insoweit zur Begründung der Auflage im wesentlichen ausgeführt, dass die
Beschränkung der Anzahl der Fahnen geeignet sei, keine Erinnerungen an
nationalsozialistische Kundgebungen und Aufzüge, für die das massenweise
Verwenden von Fahnen typisch gewesen sei, entstehen zu lassen; unabhängig von der
Gestaltung der Fahnen könne durch deren massenweisen Einsatz ein solcher Eindruck
hervorgerufen werden, der darüber hinaus auch geeignet sei, Gegner der Veranstaltung
bis hin zu wechselseitigen Gewalttaten zu provozieren.
140
Dies Erwägungen werden der hier zu beurteilenden, stationären Versammlung schon
deshalb nicht gerecht, weil bei einer angemeldeten Teilnehmerzahl von nur zehn
Versammlungsteilnehmern die Formulierung "höchstens eine Fahne pro 50 Teilnehmer"
schon vom Tatsächlichen her nicht zielführend war und überdies eine "massenweise"
Verwendung von Fahnen von vornherein ausschied.
141
Unabhängig davon ist nicht tatsachengestützt dargelegt worden und auch nicht ernstlich
zu erwarten gewesen, dass durch das Mitführen von mehr als einer Fahne des Klägers -
einer politisch zugelassenen Partei - bei einer stationären Versammlung von
voraussichtlich nur zehn Versammlungsteilnehmern die Prognose gerechtfertigt war,
dass die genannten Gefahren mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit eintreten
würden.
142
Mit dieser Bewertung setzt sich die Kammer nicht in Widerspruch zu ihrer Entscheidung
im Beschluss vom 3. Dezember 2007 - 14 L 1256/07 -, auf die sich der Beklagte im
Klageverfahren ergänzend berufen hat.
143
Die Kammer hat bereits in jenem Beschluss unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, dass
144
"...im Hinblick auf die Art der Fahnen, deren Verwendung dem Antragsteller durch die
angefochtene Auflage untersagt wird, keine tatsächlichen Umstände erkennbar sind, die
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung erwarten lassen. Weder das für den Aufzug des Antragstellers angemeldete
Zeigen von schwarz-weiß-roten Fahnen noch das Mitführen von Fahnen der NPD sind
gesetzlich verboten. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung kann zwar
auch dann gegeben sein, wenn bestimmte mitgeführte, nicht schon verbotene Fahnen
allgemein als Ersatzsymbole des Nationalsozialismus zu verstehen sind. Schwarz-
weiß-rote Fahnen haben aber keine eindeutig vornehmlich auf den Nationalsozialismus
bezogene Symbolik
145
vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. März 2002 - 1BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983 f. .
146
Auch allein die Tatsache, dass das Zeigen dieser Fahne häufig mit einer bestimmten
147
politischen Haltung in Verbindung gebracht wird, begründet noch keine unmittelbare
Gefahr für die öffentliche Ordnung. Dies gilt auch für die Fahnen der NPD, die zwar
eindeutig der durch sie repräsentierten - rechtsextremistischen - politischen Gesinnung
zuzuordnen sind, deren Zeigen in der Öffentlichkeit aber, solange es sich bei der NPD
um eine zugelassene Partei handelt, als solches weder gegen die öffentliche Sicherheit
noch gegen die öffentliche Ordnung verstößt."
Die Auflage wurde ausschließlich unter Würdigung des in jenem Verfahren
tatsachengestützt zu erwartenden "martialischen Eindrucks" des konkreten
Demonstrationszuges - an dem Aufmarsch wurden ca. 150 Teilnehmer der NPD
erwartet - als angemessen beurteilt.
148
"Die Kammer folgt allerdings der vom OVG Berlin wiederholt
149
vgl. Beschluss vom 30. April 2004 - OVG 1S 27.04 -
150
vertretenen Auffassung, dass eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Ordnung
bei einem massenweisen Verwenden von Fahnen bei öffentlichen Aufzügen besteht,
wenn dadurch die Erinnerung an nationalsozialistische Aufmärsche hervorgerufen wird.
Denn ebenso wie das Tragen von Waffen und Uniformen als Ausdruck einer
gemeinsamen politischen Gesinnung wegen ihrer damit demonstrierten organisierten
Gewaltbereitschaft verboten sind (§§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 1 VersG), sind auch andere
Formen martialischen Auftretens wegen des dadurch erzeugten Klimas der
Gewaltbereitschaft und der damit verbundenen, den inneren Frieden gefährdenden
Einschüchterung der Bevölkerung nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt
151
OVG Berlin, Beschlüsse vom 11. März 2000 - OVG 1 SN 20.00/OVG 1 S 3.00 - und vom
30. April 2003 - OVG 1 S 30.03 -.
152
Gerade aber das Mitführen einer größeren Zahl von Fahnen, die nicht Länder-, Bundes-
oder EU-Flaggen sind, sondern Symbole nichtstaatlicher Organisationen oder
Gruppierungen, erscheint unter Berücksichtigung der sonstigen äußeren Umstände
eines Demonstrationszuges wie des vorliegend streitigen geeignet, den martialischen
Eindruck auf Dritte besonders zu betonen. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie hier -
schwarz-weiß-rote Fahnen neben NPD-Fahnen als eindeutigen Symbolen
rechtsextremistischen Gedankengutes mitgeführt werden sollen und jedenfalls aus
dieser Kombination heraus Assoziationen zu nationalsozialistischen Aufmärschen
erwachsen. Dieser Gefahr kann durch die vom Antragsgegner ausgesprochene
Beschränkung der Zahl der mitgeführten Fahnen begegnet werden. Durch die
Beschränkung auf drei Fahnen für eine Demonstration von bis zu 150 Teilnehmer sowie
eine weitere Fahne für jeweils 50 weitere Teilnehmer ist aber auch hinreichend
gewährleistet, dass die Antragstellerin ihr Demonstationsanliegen zum Ausdruck
bringen kann."
153
Mit einer solchen Situation ist die vorliegend in Rede stehende, eher unbedeutende
stationäre Kundgabe vom 8. Oktober 2008 nicht vergleichbar.
154
Angesichts der nicht dargelegten Gefährdung der öffentlichen Ordnung/Sicherheit ist
unerheblich, ob das Versammlungsanliegen des Klägers auch mit nur einer Fahne
verwirklicht werden konnte. Vielmehr ist angesichts des Selbstbestimmungsrechts des
Veranstalters unter den hier gegebenen Umständen eine zahlenmäßige Beschränkung
155
auf faktisch nur eine Fahne des Klägers verfassungsrechtlich nicht haltbar.
(Auch) die Frage, unter welchen Umständen und in welcher Form eine (andere)
zahlenmäßige Beschränkung der Fahnen des Klägers rechtmäßig verfügt werden
könnte, ist nur unter Würdigung der jeweiligen spezifischen Besonderheiten einer jeden
Versammlung einzelfallbezogen zu beurteilen und vorliegend nicht abstrakt zu
entscheiden.
156
3. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist schließlich
nicht hinreichend belegt, soweit unter Ziff. 3 Abs. 5 des Bescheides der Gebrauch
"nationalsozialistischen Propagandajargons" u.a. verboten worden ist.
157
Diese Auflage wurde in dem Bescheid vom 6. Oktober 2008 nicht konkret begründet.
Soweit der Beklagte diese in der Klageerwiderung - nachvollziehbar - in
Zusammenhang mit den übrigen in Ziff. 3 verfügten Auflagen stellt und damit wiederum
als zur Verhinderung eines Einschüchterungs-/Provokationseffekts notwendig gewertet
wissen will, fehlt es auch insoweit an einer entsprechenden Tatsachengrundlage, dass
ein solcher Effekt angesichts der hier in Rede stehenden Versammlung eintreten
könnte, also derartige Gefahren konkret zu befürchten waren.
158
Die spezifischen Umstände der vorliegenden Veranstaltung sprechen wiederum
eindeutig gegen die Tragfähigkeit eine solchen Prognose.
159
Darüber hinaus bestehen durchgreifende Bedenken an der Bestimmtheit der Regelung.
160
Das Bestimmtheitsgebot des § 37 VwVfG erfordert, dass die durch den Verwaltungsakt
getroffene Regelung in der Sache selbst hinreichend klar, verständlich und in sich
widerspruchsfrei sein muss. Der Entscheidungsinhalt muss in diesem Sinne für den
Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich sein und den Adressaten
in die Lage versetzen, zu erkennen, was genau von ihm gefordert wird bzw. was in der
ihn betreffenden Sache geregelt oder verbindlich durch den Verwaltungsakt gefordert
wird.
161
Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. März 2006 a.a.O., juris, RdNr. 8.
162
Was im Einzelfall unter einem "nationalsozialistischen Propagandajargon" bzw. unter
"nationalsozialistisch geprägter Begriffe" und einer "sinnunterstützende Sprechweise,
die an nationalsozialistische Demagogen erinnert", konkret zu verstehen ist, ist
schwerlich in diesem Sinne hinreichend eindeutig, auch wenn dem Beklagten darin
zuzustimmen ist, dass bei dem Kläger bzw. seinem Vorsitzenden als
Versammlungsleiter ein entsprechendes Wissen über den einschlägigen
"Propagandajargon" und über die Sprechweise der Nazidemagogen vorausgesetzt
werden kann.
163
Insoweit muss zudem wiederum beachtet werden, dass die Grenze für
Meinungsäußerungen allein die allgemeinen (Straf-) Gesetze bilden. Solche
Meinungskundgaben können nach den oben (unter 1.) aufgezeigten Grundsätzen im
Vorfeld einer Versammlung nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen untersagt
werden. Soweit nicht ausnahmsweise durch die Art und Weise der Art der Äußerungen
Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung begründbar sind - was
hier nicht hinreichend belegt ist -, ist es um so weniger möglich, im Vorfeld einer
164
Versammlung tatsachengestützt zu beurteilen, ob bestimmte Äußerungen einen
strafbaren "nationalsozialistischen Propagandajargon" beinhalten oder eine
"sinnunterstützende Sprechweise" strafrechtsrelevant "an Nazi-Demagogen erinnert",
zumal es gerade auf die konkrete Äußerungsweise in der Versammlung ankommt.
Da der Beklagte mithin keine hinreichenden Tatsachen oder sonstige Erkenntnisse
benannt hat, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit der
erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit erwarten ließen, durften (auch) derartige
unkonkretisierte Äußerungen nicht vorab durch Auflagen untersagt werden und ist der
Beklagte bei einem etwaigen Tätigen derartiger Äußerungen in der Versammlung ggf.
auf eine nachträgliche Strafverfolgung und/oder auf eine Auflösung der Versammlung zu
verweisen. Wegen der Rechtswidrigkeit der Auflage in Ziff. 3. Abs. 5 kann offen bleiben,
ob dadurch auch bestimmte "Gestiken" von Nazidemagogen verboten worden sind, oder
nicht.
165
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
166
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
167