Urteil des VG Gelsenkirchen vom 23.04.2004

VG Gelsenkirchen: bestattungskosten, ausschlagung der erbschaft, stadt, erbe, sozialhilfe, beerdigung, auskunft, nachlass, unzumutbarkeit, beweislast

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 K 5130/02
Datum:
23.04.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 K 5130/02
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des
gerichtskostenfreien Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten
vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abzuwenden, soweit nicht der Beklagte vorher
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger begehrt vom Beklagten die Übernahme der Kosten für die Bestattung der
Frau F. I. . Der Kläger war testamentarisch von der am 25. November 2000 verstorbenen
Frau F. I. , zuletzt wohnhaft in einem Alten- und Pflegeheim in Hattingen, zu ihrem
Alleinerben eingesetzt worden und nahm ausweislich der am 29. November 2000 bei
der Stadt Hattingen gefertigten Niederschrift das Erbe an. Nachdem ein Versuch des
Klägers gescheitert war, das Erbe nachträglich auszuschlagen, wurde ihm vom
Amtsgericht Hattingen am 21. Februar 2002 ein Erbschein ausgestellt. Der Kläger
wickelte die Beerdigung ab und wendete hierfür insgesamt 1.161,66 EUR auf. Von der
Stadt Hattingen erhielt der Kläger zudem einen Gebührenbescheid vom 11. Dezember
2000 über 1.114,62 EUR für Graberwerb/Verlängerung und Beerdigung auf dem
städtischen Friedhof. Auf die vom Kläger übernommenen Kosten waren 617,47 EUR
anzurechnen, die zum Todestag der Verstorbenen an Bargeld vorhanden waren und
dem Kläger inzwischen zugeflossen sind. Da aus dem Nachlass der Verstorbenen kein
nennenswertes Vermögen vorhanden war, beantragte er mit Schreiben vom 29.
November 2000 beim Beklagten, die ungedeckten Bestattungskosten der Frau I. aus
Sozialhilfemitteln zu übernehmen. Am 11. April 2002 wurde der Kläger vom Beklagten
gebeten, den erforderlichen Antragsvordruck auszufüllen sowie Auskunft über seine
wirtschaftlichen Verhältnisse zu geben. Unter dem 18. April 2002 sandte der Kläger
lediglich den Vordruck zur Auskunft über die Bestattungsangelegenheit zurück. Der
Antrag auf Kostenübernahme wurde durch Bescheid vom 12. Juli 2002 mit der
Begründung abgelehnt, die Verstorbene sei aufgrund ihrer Rente und der Leistung der
Pflegekasse im Sterbemonat nicht Hilfeempfängerin gewesen, mit der Folge, dass nicht
der Sozialhilfeträger für die Übernahme der Bestattungskosten zuständig sei, der
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Sozialhilfe gewährt habe, sondern derjenige, in dessen Bereich der Sterbeort liege.
Hiergegen legte der Kläger am 25. Juli 2002 Widerspruch ein, über den noch nicht
entschieden worden ist.
Der Kläger hat am 15. Oktober 2002 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, dass es auf eine
Auskunft über seine wirtschaftlichen Verhältnisse für die Übernahme der
Bestattungskosten nicht ankomme. Die Unzumutbarkeit der Kostentragung ergebe sich
schon daraus, dass er zwar Alleinerbe sei, aber zu der Verstorbenen in keiner
verwandtschaftlichen Beziehung gestanden habe. Das Verhältnis habe sich darauf
beschränkt, Frau I. im Umgang mit Behörden behilflich zu sein. Darüber hinaus reiche
der Nachlass nicht zur Deckung des Bestattungsaufwandes aus, so dass ihm eine
Kostentragung - wenn überhaupt - nur im Rahmen des Nachlasswertes zumutbar sei.
Der Kläger behauptet, dass die Durchführung der Bestattung durch ihn mit Mitarbeitern
der Stadt Hattingen und der Stadt Bochum abgesprochen worden sei, um den an sich
zuständigen Behörden diese Aufgabe abzunehmen. Im Rahmen eines Gesprächs am
29. November 2000 bei der Stadt Hattingen sei telefonisch durch einen Mitarbeiter des
Beklagten die Übernahme der Bestattungskosten zugesagt worden. Im Vertrauen auf
diese vermeintlich bindende Absprache habe der Kläger das Erbe angenommen und
die Beerdigung organisiert.
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Der Kläger beantragt, 1. den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger unter Aufhebung
des Bescheides vom 12. Juli 2002 544,19 EUR nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz zu zahlen, 2. den Beklagten zu verpflichten, den Kläger unter Aufhebung
des Bescheides vom 12. Juli 2002 von sämtlichen Ansprüchen der Stadt Hattingen im
Zusammenhang mit der Beerdigung von Frau F. I. , geboren am 12. März 1920,
verstorben am 25. November 2000, freizustellen.
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Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Im Rahmen des Klageverfahrens hat der Beklagte eingeräumt, dass die Verstorbene
auch im Sterbemonat einen Anspruch auf Sozialhilfe gehabt hätte, weil ihr Einkommen
nicht ausgereicht hätte, um die Heimpflegekosten vollständig zu decken, und er deshalb
für die Übernahme der Bestattungskosten örtlich zuständig sei. Der Beklagte meint,
dass eine Feststellung darüber, ob dem Kläger die Tragung der Bestattungskosten
zuzumuten ist, solange nicht getroffen werden könne, wie er nicht Auskunft über seine
wirtschaftlichen Verhältnisse gebe. Aufgrund seiner Tätigkeit als Kriminalkommissar bei
der Polizeiinspektion Witten sei nämlich anzunehmen, dass er in der Lage sei, die
Aufwendungen aus seinem Einkommen und/oder Vermögen zu tragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO)
zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
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Dem Kläger standen weder im Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung noch
im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Ansprüche
gemäß § 15 BSHG auf Übernahme der aus Eigenmitteln bestrittenen Bestattungskosten
über 544,19 EUR und auf Freistellung von den durch die Stadt Hattingen erhobenen
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Gebührenforderungen i.H.v. 1.114,62 EUR zu. Nach § 15 BSHG sind die erforderlichen
Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht
zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Der Anspruch aus § 15 BSHG ist daher
ein Anspruch des Verpflichteten. Die Beantwortung der Frage, inwieweit ihm die
Tragung der Bestattungskosten zuzumuten ist, richtet sich ausschließlich nach den
Verhältnissen desjenigen Verpflichteten, der einen Anspruch geltend macht. OVG NRW,
Urteil vom 30. Oktober 1997 - 8 A 3515/95 -. Der beklagte Träger der Sozialhilfe muss
die Kosten der Bestattung von Frau I. nicht übernehmen, weil der Kläger nicht dargelegt
hat, dass die Kostentragung für ihn unzumutbar ist. Vielmehr weigert er sich,
irgendwelche Angaben über seine Einkommens- und Vermögenslage zu machen.
Diese Unaufklärbarkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse geht zu Lasten des Klägers.
Denn im Falle der Nichtaufklärbarkeit eines anspruchsbegründenden
Tatbestandsmerkmals trifft die materielle Beweislast denjenigen, der sich auf das
Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale beruft. OVG NRW, Urteil
vom 30. Oktober 1997, a.a.O. Darlegungspflichtig ist hinsichtlich des genannten hier
maßgeblichen Tatbestandsmerkmals der Unzumutbarkeit der Kostentragung der Kläger.
Der Kläger ist als Erbe gem. § 1688 BGB zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet
und deshalb Hilfe Suchender i.S.d. § 15 BSHG. Die Ausschlagung der Erbschaft ist vom
Amtsgericht als nicht wirksam gewertet worden. Es ist deshalb seine Aufgabe, dem
Sozialamt die den Anspruch auf Sozialhilfe begründenden Umstände zur Kenntnis zu
geben und auf Verlangen in geeigneter Weise zu belegen, wie aus § 60 Abs. 1 Nrn. 1
und 3 SGB I folgt. Bestehen im Einzelfall Zweifel daran, dass ein Hilfe Suchender
hilfebedürftig ist, gehört es zu seinen Obliegenheiten, diese Zweifel durch Darlegung
geeigneter Tatsachen auszuräumen. Fehlt es bereits an einem ausreichenden
Sachvortrag, ist es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, den Anspruch durch eine
Beweisaufnahme schlüssig zu machen. Der Kläger ist verpflichtet, zur Beurteilung der
Zumutbarkeit Angaben über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu
machen. Sofern die Bestattungskosten - wie hier - nicht durch den Nachlass gedeckt
sind, hat der Träger der Sozialhilfe die Zumutbarkeit entsprechend den allgemeinen
Grundsätzen des sozialhilferechtlichen Einkommens- und Vermögenseinsatzes (§§ 79
bis 88 BSHG) zu beurteilen, da besondere Kriterien in der anzuwendenden Vorschrift
des § 15 BSHG fehlen. OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 1976 - 8 A 1074/75 -, FEVS 25,
33 (35); Urteil vom 30. Oktober 1997, a.a.O., und vom 14. März 2000 - 22 A 3975/99 -,
NDV-RR 2001, 115. Im Zeitpunkt der Hilfegewährung muss nach den tatsächlichen
Verhältnissen grundsätzlich ein aktuelles Bedürfnis auf Übernahme von
Bestattungskosten aus Sozialhilfemitteln bestehen, etwa weil der Verpflichtete sich
mangels zumutbar einsetzbarer eigener Mittel nicht i.S.d. § 2 Abs. 1 BSHG selbst helfen
kann. OVG NRW, Urteil vom 14. März 2000, a.a.O.; Urteil der Kammer vom 25. Oktober
2002 - 19 K 1238/01 -. Bei der Prüfung, inwieweit bei der Übernahme von
Bestattungskosten vom Verpflichteten die Kostentragung verlangt werden kann, ist nicht
vom vollen Einsatz der Mittel i.S.d. § 11 Abs. 1 BSHG auszugehen, sondern zunächst
auf die Besonderheit des Einzelfalles abzustellen. Bei der Frage der Zumutbarkeit sind
vor allem die Höhe des Nachlasses und des (voraussichtlichen) Bestattungsaufwandes,
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Verpflichteten und etwaige
besonders enge persönliche Verbindungen zum Verstorbenen zu berücksichtigen.
Dauber, in: Mergler/Zink, BSHG, Loseblatt- Kommentar, Stand Mai 2003, § 15 Rn. 18.
Das Merkmal der Zumutbarkeit zwingt mithin dazu, neben den wirtschaftlichen
Verhältnissen auch gewisse subjektive Momente mit einzubeziehen. Die soziale Nähe
des Verstorbenen zum Verpflichteten ist dabei mit zu berücksichtigen. Je enger das
Verwandtschaftsverhältnis war, desto höher ist in der Regel der Einkommens- und
Vermögenseinsatz, der zugemutet werden kann. Birk, in: LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 15
Rn. 5. Stehen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verpflichteten hiernach im
Mittelpunkt der Prüfung, ist seine Mitwirkung insoweit unumgänglich. Dieser
Gesichtspunkt ist hier auch nicht deshalb außer Betracht zu lassen, weil der Kläger
durch Mitarbeiter der Stadt Hattingen nach telefonischer Rücksprache beim Beklagten
zur Durchführung der Bestattung aufgefordert worden ist. Zwar bestätigt eine
Gesprächsniederschrift der Stadt Hattingen vom 29. November 2000, dass der Kläger
die Bestattung organisieren und die Kosten mit dem Altenheim sowie dem Beklagten
„wie telefonisch besprochen" abrechnen wird. Zum einen liegt darin aber keine
formwirksame Zusicherung der Bewilligung einer Kostenübernahme durch den
Beklagten, weil der Vermerk von Mitarbeitern der Stadt Hattingen stammt und Bezug auf
das o.g. Telefonat nimmt. Zum anderen ist der Kläger ausweislich eines Aktenvermerks
vom 6. Dezember 2000 darüber informiert worden, dass die Restkosten der Bestattung
auf ihn zurückfielen, wenn er das Erbe nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen
ausschlüge. Dass der Kläger die Möglichkeit der Ausschlagung kannte und darauf vom
Beklagten bzw. der Stadt Hattingen hingewiesen worden ist, hat er in der mündlichen
Verhandlung bestätigt. Gründe dafür, warum er entgegen seiner Absichtserklärung
gegenüber dem Beklagten, nachträglich das Erbe auszuschlagen, und der Mitteilung
vom 11. Dezember 2000, er habe nunmehr beim Amtsgericht Hattingen das Erbe
ausgeschlagen, dennoch Erbe und damit Verpflichteter i.S.d. § 15 BSHG geblieben ist,
hat der Kläger nicht vorgetragen. Im Übrigen waren ihm die finanziellen Folgen bei
fortbestehender Annahme der Erbschaft bewusst, so dass aus dem Hergang der
Bestattungsangelegenheit, auch unter Berücksichtigung des Verhaltens des Beklagten
jedenfalls aus sozialhilferechtlicher Sicht nicht resultiert, die wirtschaftlichen
Verhältnisse des Klägers im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung unberücksichtigt zu
lassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711
der Zivilprozessordnung (ZPO).
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