Urteil des VG Gelsenkirchen vom 20.02.2003

VG Gelsenkirchen: psychologisches gutachten, ärztliches gutachten, wiedererteilung, blutalkoholkonzentration, bak, entziehung, verzicht, verordnung, einverständnis, strafakte

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 K 4198/02
Datum:
20.02.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 4198/02
Schlagworte:
Fahrerlaubnis, Wiedererteilung, Trunkenheitsfahrt, 1,6 ‰-Grenze,
Alkoholproblematik, Restalkohol, Erforderlichkeit eines neuen
Gutachtens
Normen:
FeV § 13
Leitsätze:
Bei einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von
weniger als 1,6 ‰ ist die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches
Gutachten beizubringen, gerechtfertigt, wenn die
Blutalkoholkonzentration auf Restalkohol beruht und bei Trinkende mehr
als 1,6 ‰ betragen haben muss.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der 1945 geborene Kläger war Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen 1, 2 und 3.
Wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt am 23. September 2000 wurde er durch
Strafbefehl des Amtsgerichts vom 24. November 2000 (58 Js 1282/00) mit einer
Geldstrafe bestraft, gleichzeitig wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Im Strafverfahren
gab der Kläger an, dass die festgestellte Blutalkoholkonzentration - BAK - von 1,5 ‰ auf
Restalkohol und geringfügigen Nachtrunk zurückzuführen sei.
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Nach Ablauf der Sperrfrist beantragte er beim Beklagten die Wiedererteilung der
Fahrerlaubnis und gab auch hier bei einer persönlichen Vorsprache an, dass er am
Vorabend des Vorfallstages bis ca. 4.00 Uhr morgens auf einer Feier getrunken habe.
Am Mittag des nächsten Tages habe er noch drei Gläser Bier (0,2 Liter) nachgetrunken.
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Daraufhin ordnete der Beklagte unter dem 17. April 2001 die Vorlage eines medizinisch-
psychologischen Gutachtens zur Entkräftung der bestehenden Eignungsbedenken an.
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Der Kläger nahm an der angeordneten Eignungsuntersuchung beim RW TÜV teil, legte
aber das in der zweiten Jahreshälfte 2001 erstellte Gutachten nicht vor. Vielmehr
wandte er sich mit mehreren Schreiben an den Beklagten, in denen er im Wesentlichen
ausführte, dass er seit einem Jahr gänzlich alkoholabstinent lebe, über eine sehr hohe
Fahrpraxis verfüge und der ermittelte Wert der Blutalkoholkonzentration von 1,5 ‰
lediglich ein rechnerischer Maximalwert sei, bei dessen Vorliegen noch kein MPU-
Gutachten gefordert werden könne. Er sei auf den Besitz der Fahrerlaubnis wegen
seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für das Friedensdorf in angewiesen.
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Mit Ordnungsverfügung vom 14. März 2002 lehnte der Beklagte den Antrag auf
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis unter Hinweis auf die Weigerung, dass Gutachten
vorzulegen, ab.
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Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung mit
Bescheid vom 27. August 2002 zurück. Die Nichteignung des Klägers zum Führen von
Kraftfahrzeugen sei erwiesen, weil er sich weigere, das zu Recht angeforderte
Gutachten vorzulegen. - Der Widerspruchsbescheid ist am 29. August 2002 zugestellt
worden.
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Am 4. September 2002 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er
ergänzend vor:
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Die übliche 1,6 ‰-Grenze, bei der ein MPU-Gutachten angefordert werde, werde bei
ihm unterschritten. Dafür gebe es keinen vernünftigen Grund. Ihm könne auch nicht
angelastet werden, dass er am Abend des 22. September 2000 im Rahmen einer
Familienfeier aus Anlass der bestandenen Meisterprüfung seines Sohnes Alkohol zu
sich genommen habe. Rückrechnungen, die der Sachbearbeiter des Beklagten
aufgrund dessen vornehme, zeugten von Voreingenommenheit. Darauf weise auch die
zögerliche Bearbeitung des Beklagten hin. Seine Alkoholabstinenz könne er durch ein
ärztliches Gutachten belegen. Er sei bisher seit 1964 unfallfrei und ohne
verkehrsrechtlich in Erscheinung zu treten gefahren. Er sei aus beruflichen und privaten
Gründen auf seine Fahrerlaubnis angewiesen, so fahre er täglich seine dreijährige
Enkelin zum Kindergarten und bewerkstellige ehrenamtlich den Fahrdienst für das
Friedensdorf in . Das Gutachten, das er habe im August 2001 erstellen lassen, weise
einen beleidigenden Inhalt auf, weshalb er es nicht vorlegen wolle.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 14. März 2002 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 27. August 2002 zu verpflichten,
ihm die Fahrerlaubnis der Klassen A1, M, B, BE, C1, C1E und L gemäß seinem Antrag
vom 22. Februar 2002 zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten,
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einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der
Bezirksregierung sowie der beigezogenen Strafakte 58 VRs 960/00 des Amtsgerichts .
Am 22. Januar 2003 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Wegen des Ergebnisses
wird auf die Sitzungsniederschrift vom gleichen Tag verwiesen (Gerichtsakte Bl. 52 f.).
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage, über die im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), ist
zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiedererteilung der
Fahrerlaubnis der im Klageantrag genannten Klassen, weil er zum Führen von
Kraftfahrzeugen derzeit ungeeignet ist. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom
14. März 2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung vom 27. August
2002 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5
VwGO).
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Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - ist die Fahrerlaubnis für
die jeweilige Klasse u. a. dann zu erteilen, wenn der Bewerber zum Führen von
Kraftfahrzeugen geeignet ist. Gemäß Abs. 4 dieser Vorschrift ist geeignet, wer die
notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder
nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze
verstoßen hat. Das Nähere über das Führen von Kraftfahrzeugen, insbesondere die
Voraussetzungen für die Erteilung bzw. Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, regelt die
Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -. Gemäß § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung
einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem
Verzicht die Vorschriften über die Ersterteilung. Gemäß § 11 Abs. 1 FeV müssen
Bewerber um eine Fahrerlaubnis die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen
Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind danach insbesondere nicht erfüllt,
wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die
Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen
wird, wozu namentlich auch Missbrauch und Abhängigkeit von Alkohol gehört (Ziffer 8
der Anlage 4 zu § 11, 13 und 14 FeV).
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Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Beurteilung der
Kraftfahreignung des Klägers vor der Entscheidung über die Wiedererteilung der
Fahrerlaubnis anzuordnen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 13 Nr. 2 a, letzte Alternative
FeV. Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde u. a. zur Vorbereitung von
Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-
psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von
Alkoholmissbrauch begründen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Kläger
hat mit einem BAK-Gehalt von 1,5 ‰ am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen.
Er hat dabei trotz der relativ hohen BAK ausweislich des Protokolls des die
Blutabnahme durchführenden Arztes keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen
gezeigt und stand nach dessen Eindruck nur „mäßig" unter Alkoholeinfluss. Der Kläger
selbst hat die festgestellte BAK auf Restalkohol vom Vorabend rückgeführt und auf
geringfügigen Alkoholgenuss am Vormittag des nächsten Tages. Danach steht fest,
dass der Kläger am Vorabend ganz erhebliche Alkoholmengen zu sich genommen hat,
die zu einer Blutalkoholkonzentration von weit über 1,5 ‰ geführt haben muss. Dies
sowie der Umstand, dass der Kläger dennoch am nächsten Morgen erneut, wenn auch
in geringeren Mengen, Alkohol konsumiert hat, weist eindeutig darauf hin, dass bei ihm
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eine Alkoholproblematik vorliegt, weil es belegt, dass der Kläger eine weit
überdurchschnittliche Alkoholtoleranz hat. Hinzu kommt, dass der Kläger am
Vorfallstage nach eigenen Angaben offenbar wegen einer Infektion zwei Tabletten eines
Antibiotikums eingenommen hatte, was ihn nicht am Alkoholkonsum gehindert hat.
Dementsprechend war der Beklagte berechtigt, das medizinisch-psychologische
Gutachten vor einer Entscheidung über die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis
anzufordern. Die Weigerung des Klägers, das hiernach zu Recht angeforderten
Gutachten vorzulegen, rechtfertigt den Schluss, dass er zum Führen von
Kraftfahrzeugen derzeit ungeeignet ist (vgl. § 11 Abs. 8 FeV). Darauf hat die
Widerspruchsbehörde im Bescheid vom 27. August 2002 zutreffend abgestellt. Auf die
diesbezüglichen Ausführungen (Widerspruchsbescheid Seite 4) wird zur Vermeidung
von Wiederholungen verwiesen (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).
Die Kammer hat auch keinen Anlass, wegen des Zeitablaufs seit der Begutachtung im
August 2001 nunmehr ein weiteres Gutachten einzuholen, ohne dass der Kläger
verpflichtet wäre, dieses erste Gutachten vorzulegen. Zur Vorlage ist der Kläger,
obgleich ihm im Erörterungstermin und nach dem Erörterungstermin hierzu nochmals
Gelegenheit gegeben wurde, nicht bereit. Der Zeitablauf seit der letzten Untersuchung
im August 2001 ist auch mit Rücksicht darauf, dass der Kläger bisher nicht ansatzweise
erkennt und einsieht, dass seine Trinkgewohnheiten erheblich von denen der
Durchschnittsbürger abweichen und auf eine verfestigte Alkoholproblematik hindeuten,
zu kurz, um als überholt und deshalb möglicherweise nicht mehr verwertbar angesehen
werden zu können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung - ZPO -.
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