Urteil des VG Gelsenkirchen vom 15.06.2009

VG Gelsenkirchen: psychologisches gutachten, überwiegendes öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, psychologische begutachtung, cannabis, verwirkung, ermittlungsverfahren, konsum, gutachter

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 491/09
Datum:
15.06.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 491/09
Schlagworte:
gefälschte Drogenscreenings, Cannabis, Entziehung, Fahrerlaubnis,
Verwirkung
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe:
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 2059/09 gegen die in der
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6. Mai 2009 enthaltene Entziehung der
Fahrerlaubnis wiederherzustellen,
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ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des
vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu
Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller
die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, weil er der Aufforderung des Antragsgegners,
ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Kraftfahreignung beizubringen,
nicht gefolgt ist, bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist.
Zur Begründung verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst
auf die Ausführungen in der angegriffenen Ordnungsverfügung, denen sie im Grundsatz
folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Im Hinblick auf die Klage- und Antragsbegründung ist Folgendes zu ergänzen:
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Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner den Antragsteller zu Recht
aufgefordert hat, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, und dass er,
da der Antragsteller sich der Begutachtung nicht unterzogen hat, von seiner
mangelnden Kraftfahreignung ausgehen durfte (vgl. §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 der
Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -). Bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung
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am 11. März 2004 (Gutachten vom 13. April 2004) hat der Gutachter festgestellt, dass
der Antragsteller von 1994 bis Januar 2001 regelmäßig Cannabis konsumiert hat. Einen
jahrelangen regelmäßigen Konsum von Cannabis hat der Antragsteller im Rahmen
dieser Begutachtung auch selbst eingeräumt. Weiter hat der Gutachter der N. GmbH
ausgeführt, der Antragsteller habe jedoch deutlich machen können, dass er sich
nunmehr mit seiner Drogenproblematik auseinander gesetzt habe und sich im Februar
2001 entschieden habe, abstinent zu leben und somit den richtigen Weg für eine
günstige Prognose hinsichtlich seiner Kraftfahreignung eingeschlagen habe. Diese
Einschätzung werde unter anderem unterstützt durch die vom Antragsteller beigebrachte
Bescheinigung des Dr. med. H. aus N1. vom 9. März 2004. Ausweislich dieser habe
sich der Antragsteller in der Zeit vom 21. August 2003 bis zum 10. Februar 2004
insgesamt vier Drogenscreenings unterzogen. Diese hätten keine Anhaltspunkte für den
Konsum von Betäubungsmitteln ergeben. Mit Blick auf die positive Schlussfolgerung
des Gutachtens ist dem Antragsteller die Fahrerlaubnis daraufhin im Mai 2004
wiedererteilt worden.
Es spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass das Gutachten vom 13. April 2004 nicht
aussagekräftig und somit nicht verwertbar ist, da der Antragsteller es durch eine
Täuschung erlangt hat. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit lagen der vom
Antragsteller vorgelegten Bescheinigung des Herrn Dr. H. über die Durchführung von
Drogenscreenings keine oder jedenfalls keine ordnungsgemäßen Untersuchungen
zugrunde. Dies ergibt sich aus Folgendem: Herr Dr. H. hat im gegen ihn geführten
staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren eingeräumt, in rund 46 Fällen Bescheinigungen
über die Durchführung von Drogenscreenings ausgestellt zu haben, ohne zuvor die
erforderlichen Untersuchungen vorgenommen zu haben (Bl. 12 ff. der beigezogenen
Strafakte der Staatsanwaltschaft Bochum, Az.: 45 Js 1177/06). Dass auch im Fall des
Antragstellers so verfahren wurde, ergibt sich zunächst aus den polizeilichen
Aktenvermerken vom 15. Dezember 2005 und vom 7. April 2006 (Bl. 16 f. a.a.O.).
Danach wurde Herr Dr. H. unter Aushändigung verschiedener von ihm ausgestellter
Bescheinigungen über die Durchführung von Drogenscreenings aufgefordert zu
erklären, welche dieser Bescheinigungen er ohne die Durchführung ordnungsgemäßer
Untersuchungen ausgestellt hat. Aus der dem Vermerk vom 15. Dezember 2005
anliegenden Namensliste (Bl. 18 a.a.O.) ist ersichtlich, dass ihm auch die dem
Antragsteller ausgestellte Bescheinigung zur Überprüfung überreicht wurde. Bereits
nach einer ersten Durchsicht der überreichten Bescheinigungen hat Herr Dr. H.
ausweislich des Vermerks vom 15. Dezember 2005 erklärt, diese seien falsch, da die
betroffenen Personen nicht so oft bei ihm gewesen seien, wie er es in den
Bescheinigungen niedergelegt habe. Dies sei auch bei allen anderen Personen, die von
ihm ein Drogenscreening erhalten hätten, der Fall. Das Ergebnis einer abschließenden
Prüfung der Bescheinigungen werde er der Polizei noch zufaxen. Dies erfolgte mit
Telefax vom 15. Dezember 2005 (Bl. 19 a.a.O.). In diesem Schreiben hat Herr Dr. H.
durch seinen Rechtsanwalt ausdrücklich einzelne der in der vorgenannten Namensliste
aufgeführte Personen benannt, denen er die Bescheinigung ordnungsgemäß
ausgestellt habe. Hinsichtlich der weiteren aufgelisteten Namen hat er hingegen
ausgeführt, bezüglich dieser habe er nach dem üblichen Verhaltensmuster gehandelt.
Diese Äußerung kann im dargestellten Gesamtzusammenhang nur so verstanden
werden, dass den übrigen Bescheinigungen - und somit auch der dem Antragsteller
ausgestellten - keine ordnungsgemäß durchgeführten Drogenscreenings zugrunde
liegen.
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Das auf einer falschen Tatsachengrundlage erstellte Gutachten ist nicht geeignet, die
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Kraftfahreignung des Antragstellers zu belegen. Es beruhte maßgeblich auf der
unzutreffenden Annahme, der Antragsteller habe seine Drogenabstinenz
nachgewiesen. Dies wird durch die Stellungnahme der N. GmbH vom 15. August 2007
bestätigt (Bl. 182 des Verwaltungsvorgangs). Auch legt die Tatsache, dass der
Antragsteller zum Nachweis seiner Drogenfreiheit eine falsche ärztliche Bescheinigung
vorgelegt hat, nahe, dass er hinsichtlich seiner Konsumgewohnheiten etwas zu
verbergen hatte. Die danach berechtigt bestehenden Zweifel an der Kraftfahreignung
wegen Drogenkonsums (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV) kann der Antragsteller nur durch die
Vorlage eines weiteren medizinisch-psychologischen Gutachtens ausräumen, durch die
zu klären seien wird, ob er weiterhin Betäubungsmittel einnimmt und ob ein stabiler
Einstellungswandel stattgefunden hat. Die Aufforderung, ein weiteres medizinisch-
psychologisches Gutachten vorzulegen, ist nicht aufgrund der seit der ersten
Begutachtung vergangenen Zeit rechtswidrig. Entgegen der Auffassung des
Antragstellers ist die Aufforderung, ein Gutachten beizubringen, nicht fristgebunden.
Auch Verwirkung ist nicht eingetreten. Unabhängig davon, ob das Recht eine
medizinisch-psychologische Begutachtung anzuordnen überhaupt verwirkt werden
kann, setzt Verwirkung voraus, dass der Betroffene aufgrund eines positiven Tuns der
Behörde schutzwürdig darauf vertrauen darf, gegen ihn würden keine Maßnahmen mehr
ergriffen (sog. Umstandsmoment). Ein Verhalten des Antragsgegners, dass beim
Antragsteller ein solches Vertrauen begründet haben könnte, ist nicht erkennbar.
Der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner getroffenen Maßnahmen steht schließlich
nicht entgegen, dass das gegen den Antragsteller von der Staatsanwaltschaft C. unter
anderem wegen mittelbarer Falschbeurkundung durch die Vorlage eines gefälschten
Gesundheitszeugnisses eingeleitete Ermittlungsverfahren gemäß § 154 Abs. 1 der
Strafprozessordnung - StPO - eingestellt wurde. Eine Einstellung nach § 154 Abs. 1
StPO lässt nicht den Schluss darauf zu, dass im Strafverfahren den Antragsteller
entlastende Feststellungen getroffen wurden. Vielmehr erfolgt eine Einstellung nach
dieser Vorschrift allein aus Gründen der Verfahrensökonomie.
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Dass eine Einstellung nach § 154 StPO die Fahrerlaubnisbehörde nicht bindet, vgl.:
Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Auflage, Erläuterung 27 zu § 3 StVG.
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Angesichts dieser Rechtslage bestehen keine Bedenken gegen die Anordnung der
sofortigen Vollziehung. Die von dem Antragsteller ausgehende Gefahr für die
Allgemeinheit erscheint zu groß, als dass sie bis zur Entscheidung der Hauptsache
hingenommen werden könnte. Vielmehr besteht ein das Suspensivinteresse des
Antragstellers überwiegendes öffentliches Interesse daran, ihn durch eine sofort
wirksame Maßnahme vorläufig von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr
auszuschließen. Die geltend gemachten beruflichen Nachteile muss der Antragsteller
hinnehmen.
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Ebenso ist die Tatsache, dass der Antragsteller offenbar seit Wiedererteilung der
Fahrerlaubnis im Mai 2004 ohne festgestellten Verstoß am Straßenverkehr teilnimmt,
angesichts der hohen Dunkelziffer bei Verkehrsdelikten rechtlich ohne Bedeutung.
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Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, durch Vorlage einer medizinisch-
psychologischen Begutachtung im Wiedererteilungsverfahren zu beweisen, dass
Eignungsmängel nicht mehr vorliegen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
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beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und
entspricht der neuen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen
Rechtsschutzverfahren, vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 -.
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