Urteil des VG Gelsenkirchen vom 26.04.2005

VG Gelsenkirchen: ausnahmebewilligung, konkretes rechtsverhältnis, handwerk, gewerbe, klempner, durchsuchung, unterliegen, meisterprüfung, holz, erlass

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 9 K 2905/03
26.04.2005
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
9. Kammer
Urteil
9 K 2905/03
Feststellungsinteresse; Handwerksrolleneintragung; Staats-Bürger-
Verhältnis; Rechtsschutzbedürfnis; Ausnahmebewilligung; Meisterbrief;
Handwerksrolle
VwGO § 43; HwO § 1 Abs 2
Für eine Feststellungsinteresse reicht das allgemeine Staats-Bürger-
Verhältnis nicht aus. Voraussetzung ist vielmehr, dass eine bestimmte
Verhaltensweise durch die Beteiligten unterschiedlich beurteilt wird. Ein
Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung, dass eine Tätigkeit ohne
Meisterbrief, ohne Ausnahmebewilligung und ohne Eintragung in die
Handwerksrolle selbständig ausgeübt werden darf, fehlt, wenn die
Behörde die Tätigkeit für erlaubnisfrei hält.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden,
wenn nicht die jeweilige Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit
leisten.
T a t b e s t a n d :
Der am 9. Februar 1969 geborene Kläger schloss seinen Angaben zufolge im Jahre 1989
die Berufsausbildung zum Dachdecker bei der Firma DDM H. E. in I. mit der
Gesellenprüfung ab. In der Zeit danach war er weiterhin in dem Betrieb beschäftigt.
Nachdem die Geschäfte in seinem Lehrbetrieb rückläufig waren und ihm gekündigt worden
war, entschloss sich der Kläger, sich selbständig zu machen. Im August 2000 besuchte er
bei der Handwerkskammer E1. ein Existenzgründungsseminar, im September 2000
absolvierte er einen Buchführungsgrundkurs bei der Handwerkskammer N. . Ende
September 2000 meldete er ein Gewerbe bezogen auf
- Holz- und Bautenschutz
- Einbau von genormten Baufertigteilen
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- Fuger
- Bodenleger
- Kabelverleger im Hochbau
an.
Auf Mitteilung der Kreishandwerkerschaft I. vom 24. April 2001 wegen Verdachts auf
unberechtigte Handwerksausübung durch die Fa. "Haus- und Dachabdichtung, J.W. ", der
sich auf Grund eines Angebots dieser Firma vom 3. April 2001 ergebe, veranlasste die
Beklagte zu 2. die Durchsuchung des Betriebs des Klägers. Am 19. März 2003 ordnete das
Amtsgericht I. - 11 Gs 162/03 - eine Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des
Klägers wegen Verdachts des Verstoßes gegen die Handwerksordnung an. Die
Durchsuchung fand am 25. April 2003 statt. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde
durch Beschluss des Landgerichts Bochum - 1 Qs 62/03 - vom 28. Juli 2003 verworfen. In
Bezug auf diese Durchsuchung hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben. Das
Ergebnis ist der Kammer noch nicht bekannt.
Am 10. Juni 2003 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben und einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Mit Beschluss vom 21. November 2003 - 9 L 1395/03 - hat das Gericht den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Mit Beschluss vom 17. Februar 2004 - 4 B
2607/03 - hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die
Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21.
November 2003 zurückgewiesen.
Zur Begründung der Klage führt der Kläger aus, das Feststellungsinteresse ergebe sich
daraus, dass wegen der von ihm ausgeübten Tätigkeiten gegen ihn ermittelt werde und die
Handwerkskammer und die Beklagte zu 2. die Ansicht verträten, er verstoße gegen den
Meisterzwang.
Die Beklagte zu 1. sei auch richtige Beklagte in dieser Angelegenheit, da sie entscheide,
wer eine Ausnahmebewilligung erhalte und wer nicht, also auch die
Entscheidungskompetenz darüber habe, welche Tätigkeiten im Handwerk meisterpflichtig
seien und welche nicht. Die Beklagte zu 2. sei ebenfalls richtige Adressatin, da sie
Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Kläger angedroht habe und berechtigt sei, Bußgelder
zu verhängen und Gewerbe zu schließen. Er müsse wegen der von ihm bereits ausgeübten
Tätigkeiten mit einem Bußgeld rechnen, obwohl diese zulässi- gerweise ohne Meisterbrief
ausgeübt werden dürften. Zu den bereits angemeldeten Tätigkeiten wolle er aber noch
zusätzliche Tätigkeiten ausüben. "Diese Tätigkeiten seien entweder dem Minderhandwerk,
dem Trockenbau, der Bauwerkdichtung oder dem Klebeabdichter zuzuordnen". Sollten
diese Tätigkeiten dem Dachdeckerhandwerk zuzuordnen sein, sei davon auszugehen,
dass er diese Tätigkeiten auch ohne Meisterbrief ausüben dürfe.
Zur weiteren Klagebegründung führt der Kläger aus, die von ihm ausgeübten Tätigkeiten
gehörten dem Minderhandwerk an. Die Tätigkeiten, die er ausüben wolle, bzw. ausübe,
seien sog. "freie Tätigkeiten", die von jedermann selbständig ausgeübt werden könnten. Es
handle sich im wesentlichen um Tätigkeiten, die zu selbständigen Ausbildungsberufen
gem. § 25 Berufbildungsgesetz (BBiG) oder auch anderen nicht dem Meisterzwang der
Handwerksordnung unterliegenden Tätigkeiten gehörten.
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Die weiteren Ausführungen des Klägers zu den im Klageantrag aufgeführten Tätigkeiten im
Einzelnen gehen dahin, dass diese sich auch im Berufsbild anderer Berufe befinden.
Der Kläger beantragt wörtlich,
festzustellen, dass er berechtigt ist, ohne Meisterbrief (großer Befähigungsnachweis) im
Sinne der Handwerksordnung, ohne Ausnahmebewilligung und ohne Eintragung in die
Handwerksrolle folgende Tätigkeiten selbständig im stehenden Gewerbebetrieb
auszuüben:
- Abriss jeglicher Steil- und Flachteile, sowie Fassadenteile
- Unterkonstruktionen aus Holz oder Metall für vorgehängte Fassaden erstellen
- Wärmedämmmaterialien jeglicher Art im Dach- und Fassadenbereich einbringen
- Holzschalungen montieren
- Verkleidungsplatten aus Schiefer, Faserzement oder ähnlichem Material montieren
- Dachbahnen aus Kunststoff oder Bitumen im erdgebundenem- oder im Dachbereich
verlegen
- Zubehörteile wie z.B. Lichtkuppeln im Dach montieren
- Lattungs- oder Schalungskonstruktionen für die Aufnahme von Dacheindeckungen
erstellen
- Dachsteine und Dachziegel verlegen
- Zubehörteile wie z.B. Dunstrohre im Steildachbereich montieren
- Anschluss- und Entwässerungskonstruktionen aus vorgefertigten oder individuell
gefertigten Metallteilen erstellen, wie z.B. Blei, Zink, Kupfer etc.
- Ausgleichen aufgehender Bauteile mit zementhaltigen Baumaterialien
- Reinigen von Dächern, Fassaden und Dachrinnen
- Aufbringen von Beschichtungssystemen an Kunststoff-, Acryl- und Bitumenbasis,
hilfsweise,
festzustellen, dass er berechtigt ist, ohne Meisterbrief (großer Befähigungsnachweis) im
Sinne der Handwerksordnung die Berufe des Dachdeckers selbständig im stehenden
Gewerbe auszuüben, ohne im Besitz des Meisterbriefs, einer Ausnahmebewilligung nach
§§ 8, 9 HwO zu sein und ohne Eintragung in die Handwerksrolle.
Die Beklagte zu 1. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die gegen sie gerichtete Klage sei unzulässig. Zunächst bestehe
kein Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und ihr, in dem die aufgeworfene Frage
klärungsbedürftig sei.
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Was die einzelnen vom Kläger aufgeführten Tätigkeiten anbelange, so gehörten lediglich
das Ausgleichen aufgehender Bauteile mit zementhaltigen Baumaterialien und das
Reinigen von Dächern, Fassaden und Dachrinnen nicht zum ausschließlichen Kernbereich
des Dachdeckerhandwerks. Bis auf diese Ausnahmen seien alle vom Kläger in der
Klageschrift aufgeführten Tätigkeiten dem Kernbereich des Dachdecker-, Klempner- oder
Zimmererhandwerk zuzurechnen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger mit
veschiedenen handwerksähnlichen Gewerben, hier insbesondere dem Holz- und
Bautenschutz - in der sog. Anlage B eingetragen sei.
Die Beklagte zu 2. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat den Baugewerbeverband als Sachverständigeninstitution mit der Bitte um
gutachterliche Stellungnahme eingeschaltet.
Der Innungsverband des Dachdeckerhandwerks Westfalen hat unter dem 17. Oktober 2003
eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben (Beiakte Heft 4 zu 9 L 1395/03), die sich
sowohl zu dem Angebot des Klägers vom 3. April 2001, als auch zu den in der Klageschrift
vom 3. Juni 2003 aufgeführten Tätigkeiten verhält. Was die beschlagnahmten
Geschäftsunterlagen angeht, so haben sie dem Innungsverband nur auszugsweise
vorgelegen, wobei nicht näher bezeichnet ist, um welche Unterlagen es sich dabei
gehandelt hat. Hinsichtlich des Inhalts des "Gutachtens" wird auf die Beiakte Heft 4 Bezug
genommen. Des weiteren macht sich die Beklagte eine Stellungnahme der
Handwerkskammer E1. vom 25. August 2004 zu eigen, die sie zu den Akten gereicht hat
und auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Beiakte Heft 25).
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Verfahrensakte 9 L 1395/03 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
der Beklagten zu 2. (Beiakte Heft 1) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann das Gericht ohne
mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten damit einverstanden sind.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Soweit sie sich gegen die Beklagte zu 1. richtet, ist die Klage unzulässig.
Nach § 43 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens
eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.
Zulässigkeitsvoraussetzung ist danach u.a., dass die Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt wird, wobei dieses konkret sein muss.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992 - 3 C 50.89 -, BVerwGE 89, 327; OVG NRW,
Urteil vom 6. Januar 1988 - 1 GA 21/87 -, NVwZ RR 89, 82;
Bereits in seinem Beschluss vom 21. November 2003 - 9 L 1395/03 - hat das Gericht dazu
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ausgeführt, dass insoweit das allgemeine Staat-Bürger-Verhältnis nicht ausreicht,
Voraussetzung vielmehr ist, dass eine bestimmte Verhaltensweise durch die Beteiligten
rechtlich unterschiedlich beurteilt wird. Ein konkretes Rechtsverhältnis ist z.B.
anzunehmen, wenn Streit besteht über die Frage, ob eine ausgeübte gewerbliche Tätigkeit
mit oder ohne Erlaubnis ausgeübt werden darf und die Behörde für den Fall der
Nichtbefolgung ihrer Auffassung Maßnahmen androht.
Vgl. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., § 43 Rdn. 12.
Gegenüber der Beklagten zu 1. fehlt es bereits an einem solchen konkreten
Rechtsverhältnis, denn der Kläger und die Beklagte zu 1. haben im Vorfeld dieses
Verfahrens in keinerlei Kontakt gestanden; auch hat die Beklagte zu 1. keine Maßnahmen
ergriffen bzw. angekündigt, durch die ein geltend gemachtes Recht des Klägers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus,
dass die Beklagte zu 1. für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gem. § 8 Abs. 1
Handwerksordnung (HwO) zur Eintragung in die Handwerksrolle zuständig ist, denn der
Kläger begehrt gerade keine Ausnahmebewilligung für ein bestimmtes Handwerk, ist
vielmehr der Ansicht, die in seinem Antrag genannten Tätigkeiten seien eintragungsfrei. Im
Übrigen überprüft die Beklagte zu 1. im Falle eines Antrags auf Erteilung einer
Ausnahmebewilligung nur, ob die Voraussetzungen nach § 8 HwO für eine Erteilung
vorliegen, nicht jedoch, ob die ausgeübte oder auszuübende Tätigkeit ein
eintragungspflichtiges Handwerk darstellt. Soweit der Kläger auf die Stellung der Beklagten
zu 1. als Aufsichtsbehörde abhebt, so ändert dies nichts, denn eine gleichzeitige Klage
bzw. Antrag gegen Ausgangsbehörde und Aufsichtsbehörde ist der
Verwaltungsgerichtsordnung fremd.
Auch die gegen die Beklagte zu 2. gerichtete Klage hat keinen Erfolg.
Sie ist als Feststellungsklage zum überwiegenden Teil zulässig, denn insbesondere
besteht zunächst das nach § 43 VwGO erforderliche Rechtsverhältnis. Im vorliegenden Fall
ist eine Konkretisierung des Rechtsverhältnisses dadurch erfolgt, dass die Beklagte zu 2.
zum Ausdruck gebracht hat, dass es sich bei fast allen Tätigkeiten, die der Kläger ohne
Meisterbrief, ohne Ausnahmebewilligung und ohne Eintragung in die Handwerksrolle
ausüben will, um solche handelt, die eben dieser Voraussetzung bedürfen.
Allerdings ist die Klage insoweit unzulässig, als der Kläger mit dieser die Feststellung
begehrt, dass er berechtigt ist, "das Ausgleichen aufgehender Bauteile mit zementhaltigen
Baumaterialien" und "das Reinigen von Dächern, Fassaden und Dachrinnen" ohne
Meisterbrief, ohne Ausnahmebewilligung und ohne Eintragung in die Handwerksrolle
selbständig auszuüben, da die Beklagte die sich insoweit die Stellungnahme der
Handwerkskammer zu eigen macht diese Tätigkeiten für erlaubnisfrei hält und dem Kläger
deshalb insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Feststellung fehlt.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte
Feststellung, denn die von ihm in seinem Klageantrag genannten Tätigkeiten, die er als
eintragungsfrei festgestellt wissen will, sind wesentliche Tätigkeiten eines Handwerks
(Dachdecker- bzw. Klempner- oder Zimmererhandwerk). Nach § 1 Abs. 2 der HwO ist ein
Gewerbebetrieb ein Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks, wenn er
handwerksmäßig betrieben wird und vollständig oder in wesentlichen Tätigkeiten ein
Gewerbe umfasst, das in der Anlage A zu diesem Gesetz aufgeführt ist. Das ist sowohl für
Dachdecker (Nr. 6), als auch für Klempner (Nr. 31) und Zimmerer (Nr. 5) der Fall, woran
sich durch die Gesetze vom 24. Dezember 2003 nichts geändert hat.
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Zunächst bestehen gegen diese Regelungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Bereits in seinem Beschluss aus dem Jahre 1961 hat das Bundesverfassungsgericht die
Verfassungsmäßigkeit der Ausweisung dieser Handwerke in der Anlage A zur
Handwerksordnung, die zur Folge hat, dass diese durch das Erfordernis des
Befähigungsnachweises einer Berufszulassung unterliegen - die Handwerke des
Dachdeckers, Klempner und Zimmerers gab es bereits zum damaligen Zeitpunkt als
gemäß der Anlage A zulassungspflichtiger Handwerke (HwO 17.09.1953 - BGBl I 1411, § 1
Abs. 2 Anlage A Nr. 3) - festgestellt.
Die vom Kläger aufgeworfene Problematik des sogenannten Meisterzwangs ist in der
Rechtsprechung des BVerwG und des BVerfG hinreichend geklärt. So führt das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 01. April 2004 - 6 B 5.04 (6 PKH 1.04)
- folgendes aus:
"Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das
grundsätzliche Erfordernis des großen Befähigungsnachweises in Form der Meisterprüfung
mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist (Beschluss vom 22.12.1998 - BVerwG - 1 B 81.98 -,
Buchholz 451.45 § 13 HwO Nr. 4 = GewArch 1999, 108). In seinem die Voraussetzungen
für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung betreffenden Urteil vom 29.08.2001 - BVerwG
6 C 4.01 - (BVerwGE 115, 70 = Buchholz 451.45 § 8 HwO Nr. 20 = GewArch. 2001, 479) ist
der 6. Revisionssenat von seiner gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG fortbestehenden Bindung an
den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.1961 - 1 BvL 44/55 - (BVerfGE
13,97) ausgegangen und hat das darin dargelegte Verfassungsverständnis weiterhin für
maßgeblich erachtet. In seinem Beschluss vom 31.3.2000 - 1 BvR 608/99 - (GewArch
2000, 240) hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen zum Befähigungsnachweis für das Handwerk in seinem
Beschluss vom 17.07.1961 bereits entschieden worden sind. Soweit hier von Bedeutung,
hat sich durch Gesetze vom 24. Dezember 2003 eine Änderung nicht ergeben."
Auch nach der mit Gesetz vom 24. Dezember 2003 erfolgten Änderung zu § 1 HwO
unterliegen die vom Kläger benannten Tätigkeiten noch den genannten Voraussetzungen
für eine handwerksmäßige Betätigung, und dürfen deshalb nur mit großem
Befähigungsnachweis oder vergleichbarer Qualifikation ausgeübt werden dürfen.
Der Betrieb des Klägers wird handwerksmäßig betrieben. Bei der Beurteilung der
handwerksmäßigen Ausübung eines Gewerbes ist die Abgrenzung zur industriellen
Fertigung von Bedeutung. Angesichts der Art und Größe des klägerischen Betriebes ist
eine industrielle Fertigung zu verneinen. Bei den vom Kläger aufgeführten Tätigkeiten
handelt es sich auch um solche, die für ein Handwerk wesentlich sind.
Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil
vom 23. März 1992 - 23 A 3276/91 - folgendes ausgeführt:
"Wesentliche Tätigkeiten eines handwerksfähigen Gewerbes liegen vor, wenn es sich bei
den Tätigkeiten, Verrichtungen und Arbeitsweisen um solche handelt, die den Kernbereich
gerade dieses Handwerks ausmachen und ihm sein essentielles Gepräge geben. Bei der
fachlichen Zuordnung einzelner Verrichtungen zu einem handwerksfähigen Gewerbe
können die in Verordnungen über Berufsbilder und Prüfungsanforderungen in der
Meisterprüfung veröffentlichten Berufsbilder mit herangezogen werden, weil sie erläuternde
Einzelheiten über das Arbeitsgebiet und die zu dessen Bewältigung benötigten
Fertigkeiten und Kenntnisse enthalten.andwerks H
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 1990 - 1 C 41.88 -, GewArch 1991, 231 und vom
03. September 1991 - 1 C 55.88 -, Bl. 12 des Entscheidungsabdrucks; OVG NW, Urteil vom
21. Februar 1992 - 23 A 2316/89 -, Bl. 9 des Entscheidungsabdrucks."
Danach kommt es darauf an, ob es sich um Arbeiten handelt, zu deren sach- und
fachgerechter Erledigung umfassende und qualifizierte Kenntnisse sowie Fertigkeiten
benötigt werden, die nach dem 1. Abschnitt der Verordnung vom 9. September 1994 dem
Dachdeckerhandwerk zuzuordnen sind und die auch die Anforderungskataloge für die
praktischen Teile und den fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung in diesem Handwerk
(Verordnung vom 9. September 1994, 2. Abschnitt) wesentlich ausmachen. Des weiteren
sind die Abgrenzungen zu beachten, die sich im Hinblick darauf ergeben, ob in einem
Betrieb bereits das Niveau des Handwerks erreicht wird, oder ob lediglich unwesentliche
Verrichtungen vorgenommen werden, die unterhalb der Grenze des handwerklichen
Bereichs bleiben. Aus dem Begriff "Handwerk", wie er aufgrund des
Befähigungsgedankens der Handwerksordnung und der in den einzelnen Handwerken
geltenden Berufsbilder verstanden werden muss, ist abzuleiten, dass eine handwerkliche
Leistung im Regelfall technisch nicht einfache Verrichtungen zum Inhalt hat, zu deren
fachlicher Ausführung besondere Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich sind.
Vgl. Musielak/Deterbeck, das Recht des Handwerks, 3. Auflage, § 1 Rdnr. 53.
Danach sind die einzelnen in der Klageschrift aufgeführten Tätigkeiten bis auf "das
Ausgleichen aufgehender Bauteile mit zementhaltigen Baumaterialien" und "das Reinigen
von Dächern, Fassaden und Dachrinnen" dem Kernbereich des Dachdecker-, Klempner-,
oder Zimmererhandwerks zuzurechnen und dürfen somit nicht eintragungsfrei ausgeübt
werden.
Dies hat auch der Innungsverband des Dachdeckerhandwerks in seiner Stellungnahme
vom 17. Oktober 2003 bestätigt.
Die seitens der Beklagten zu 2. eingeholte Stellungnahme der Handwerkskammer E1. vom
25. August 2004 hält daran fest, dass Dachabriss-(Abbruch-)und Dachreinigungsarbeiten
keine wesentlichen Tätigkeiten des Dachdeckerhandwerks darstellen. Bezüglich der
übrigen Tätigkeiten teilt die Handwerkskammer E1. weiterhin die Bewertung des
Innungsverbandes des Dachdeckerhandwerks Westfalen vom 17.10.2003.
Soweit der Kläger geltend macht, die Handwerkskammern seien nicht geeignet,
unabhängige Stellungnahmen neutraler Art zu erstellen, und insoweit auf den Beschluss
des Oberlandesgerichts Celle vom 22. November 2002 - 222Ss 64/02 (Owi) hinweist, hat
das OVGNRW in seinem Beschluss vom 17. Februar 2004 bereits ausgeführt, dass diesem
Beschluss alleine die Empfehlung zu entnehmen sei, "einen von den Handwerkskammern
unabhängigen Architekten mit der Gutachtenerstattung zu beauftragen", die Unzulässigkeit
der Verwertung sei damit jedoch nicht dargetan und auch nicht ersichtlich.
Anhaltspunkte, die die Annahme stützen könnten, dass die Stellungnahme der
Handwerkskammer nicht unparteiisch erfolgt ist, hat der Kläger nicht vorgetragen; sie sind
auch nicht zu erkennen.
Auch § 25 Berufsbildungsgesetz - BBiG - lässt nicht den Schluss zu, dass es sich bei den
vom Kläger auszuübenden Tätigkeiten nicht um wesentliche Tätigkeiten des § 1 HwO
handelt, die dem Meisterzwang unterliegen. Die Annahme des Klägers, dass sich aus
Ausbildungsinhalten von Ausbildungsberufen nach § 25 BBiG "wesensmäßig die
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Berechtigung ableite, den Ausbildungsberuf selbständig auszuüben, geht fehl, denn viele
nicht handwerkliche (z.B. industrielle) und handwerkliche Ausbildungsberufe haben
teilweise gleiche Ausbildungsinhalte. Es ist nicht Gegenstand der Ausbildungsordnungen
zu regeln, ob gewerbe- und/oder handwerksrechtlich eine Berechtigung zur selbständigen
Ausübung einer (erlernten) Tätigkeit besteht. Weder die (handwerkliche) Gesellenprüfung
noch eine vergleichbare Facharbeiterprüfung allein berechtigen zur selbständigen
Handwerksausübung. Im Übrigen ist in § 73 BBiG gerade geregelt, dass für die
Berufsbildung in Gewerben der Anlage A der Handwerksordnung, die als
HandwerkandHHHH betrieben werden, u.a. § 25 BBiG gerade nicht gilt, sondern die
Handwerksordnung.
Aus eben diesen Gründen hat auch der schriftsätzlich gestellte Hilfsantrag, der über den
Hauptantrag hinausgeht und mit dem die Feststellung begehrt wird, dass der Beruf des
Dachdeckers insgesamt ohne Meisterbrief, Ausnahmebewilligung und ohne Eintragung in
die Handwerksrolle ausgeübt werden darf, keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.