Urteil des VG Gelsenkirchen vom 21.02.2000

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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 3 L 151/00
Datum:
21.02.2000
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 151/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe:
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Der Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragssteller für den Monat Januar 2000 Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren,
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wird vom Gericht dahin verstanden, dass es dem Antragsteller darum geht, ab dem 1.
Januar 2000 Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß den Bestimmungen des
Bundessozialhilfegesetzes - insbesondere in voller Höhe der Regelsätze - zu erhalten.
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Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg.
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Gemäß § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - sind einstweilige
Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden
Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu
verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Danach setzt der Erlass einer
einstweiligen Anordnung voraus, dass der geltend gemachte Hilfeanspruch
(Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen
Antragsteller glaubhaft gemacht werden (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2,
294 ZPO).
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Vorliegend fehlt es teilweise bereits an einem Anordnungsgrund. Soweit es um die
Bewilligung von Leistungen vor Eingang des Antrags bei Gericht am 24. Januar 2000
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geht, kommt eine positive Entscheidung nicht in Betracht, weil rückwirkend eine
Behebung einer aktuellen Notlage ausgeschlossen ist.
Soweit es im vorliegenden Verfahren um die Bewilligung von Sozialhilfeleistungen über
das Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung hinaus geht, sind derzeit keine
hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben, dass es gegenwärtig, und zwar im Wege
der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache, einer Verpflichtung des Antragsgegners
zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an den Antragsteller durch eine
einstweilige Anordnung bedarf.
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Sozialhilfe ist keine rentengleiche Dauerleistung. Sie dient lediglich zur Behebung einer
gegenwärtigen Notlage und wird daher von der Sozialhilfebehörde jeweils nur für einen
bestimmten Zeitraum - in der Regel für einen Monat - bewilligt, weil sich die
Anspruchsvoraussetzungen z. B. hinsichtlich der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Hilfesuchenden ändern können. Dies muss von der
Sozialhilfebehörde, soweit es darauf ankommt, bei der Entscheidung über die
Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt berücksichtigt werden. Zudem ist
die Sozialhilfebehörde verpflichtet, den jeweiligen Sozialhilfefall von Amts wegen in der
Zukunft unter Kontrolle zu halten. Deshalb kann grundsätzlich davon ausgegangen
werden, dass der Träger der Sozialhilfe den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die
sich nicht über den Monat der gerichtlichen Entscheidung hinaus in die Zukunft
erstreckt, zum Anlass nimmt, den Sozialhilfefall für die weitere Zeit unter
Zugrundelegung dieser gerichtlichen Entscheidung zu regeln.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 10. Mai 1982 - 8 B 564/82 - und vom 23. Mai 1982 - 8 B
749/82 -.
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Dafür, dass der Antragsgegner sich vorliegend anders verhalten wird, ergeben sich
keine Anhaltspunkte.
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Soweit der Zeitraum ab Antragseingang bei Gericht am 24. Januar 2000 bis zum Ende
des Monats der gerichtlichen Entscheidung streitbefangen ist, fehlt es im übrigen
teilweise an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
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Ein Anordnungsgrund bezüglich der Gewährung voller regelsatzmäßiger Leistungen im
Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt ist bei Erwachsenen schon deshalb zu
verneinen, weil das zum Lebensunterhalt Unerlässliche - so die Auffassung des OVG
NW,
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vgl. z. B. Beschlüsse vom 30. April 1984 - 8 B 556/84 -, 21. Januar 1985 - 8 B 12/85 -
und 21. Juni 1985 - 8 B 1194/85 -,
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nach summarischer Prüfung für Erwachsene sogar bei Kürzung des Regelsatzes um 20
% gewährleistet ist und daher schlechthin unzumutbare Folgen durch das Warten auf
eine Hauptsachenentscheidung nicht zu erwarten sind. Der Antragsteller kann daher im
Rahmen der vorliegenden Entscheidung nur 80 v. H. seines Regelsatzes geltend
machen.
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Im übrigen hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
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Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem zu gewähren, der
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seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann, denn
das Nichtvorhandensein eigener Mittel ist (negatives) Tatbestandsmerkmal für den
Anspruch auf Bewilligung von Sozialhilfeleistungen. Die Nichtaufklärbarkeit dieses
anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals geht zu Lasten desjenigen, der das
Bestehen des Anspruchs behauptet. Dies ist der Hilfebedürftige.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist es dem Antragsteller nicht gelungen, mit
der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendigen hinreichenden
Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen, dass er hilfebedürftig ist und seinen
Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sicherstellen kann.
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Die tatsächlichen Lebensverhältnisse des Antragstellers sind völlig ungeklärt.
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Der Berichterstatter hat zum einen mit Verfügung vom 8. Februar 2000 - unter
Fristsetzung bis zum 16. Februar 2000 - den Antragsteller vergeblich aufgefordert, zu
den persönlichen und wirtschaftlichen Umständen Stellung zu nehmen, die zu seiner
Eheschließung und zum Wohnungswechsel nach Ludwigshafen im Herbst 1998 geführt
haben. Zum anderen ist festzuhalten, dass der Antragsgegner zutreffend die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers auch nach der Rückkehr aus M. Ende
des Jahres 1998 für ungeklärt ansieht. Insoweit wird zunächst, um Wiederholungen zu
vermeiden, auf die Bescheide vom 27. August 1999 und 8. Dezember 1999 verwiesen,
die Gegenstand des Klageverfahrens 3 K 6627/99 sind. Auch für die Kammer ist die
Angabe des Antragstellers, dort letztlich durch Leistungen der Familie H. unterhalten
worden zu sein, so nicht erklärlich. Es fehlt schon an jeder nach vollziehbaren
tatsächlichen Grundlage, die es erklären könnte, was die Familie veranlasst haben soll,
über fast ein Jahr die geltend gemachten Hilfeleistungen zu erbringen. Es tritt hinzu,
dass die der Familie H. zur Verfügung stehenden offen gelegen Mittel, wie der
Antragsgegner richtig ausgeführt hat, ersichtlich nicht ausreichen, auf Dauer die Kosten
des Unterhalts einer erwachsenen Person zu finanzieren. Erst recht bleibt ohne jede
Erklärung, warum sich der Antragsteller trotz angeblicher Mittellosigkeit erst im Mai 1999
an den Antragsgegner mit der Bitte um Sozialhilfe gewandt hat. Dafür gibt es schon
deshalb keine Erklärung, weil sowohl der Antragsteller auch zuvor seit Jahren von
Sozialhilfemitteln gelebt hat - ihm also die Möglichkeit, Sozialhilfe zu erhalten, und die
notwendigen praktischen Kenntnisse bewusst und bekannt waren -, als auch die
Gastfamilie durchaus Umgang mit dem Sozialamt hatte, also auch von daher nichts
erkennbar ist, was eine Scheu des Antragstellers, Sozialhilfeleistungen zu
beanspruchen, erklären könnte. Im Übrigen ist auch die vorgelegte eidesstattliche
Versicherung des Antragstellers nicht tragfähig. Die Angabe, er sei mittellos und lebe
von E. Suppenküchen, steht in unauflöslichem Widerspruch dazu, dass der Antragsteller
zum 1. Dezember 1999 eine Wohnung in der C.-----------straße angemietet und
angegeben hat, er habe die Miete für Dezember 1999 und die 1. Rate der Kaution
bezahlt. Hinzu tritt die Angabe des Antragstellers, er habe nunmehr diese Wohnung
bezogen. Angesichts dieser Angaben bleibt nicht nur unabdingbar, dass der
Antragsteller den Mietvertrag und den Nachweis über hierdurch veranlasste Zahlungen
vorlegt. Wichtiger ist vielmehr, dass der Antragsteller angegeben hat, die Zahlungen
seien ihm möglich gewesen, da er „zwischenzeitlich wohl gearbeitet" habe. Es versteht
sich wohl ohne weitere Erläuterung, dass dann zunächst im Einzelnen klarzustellen ist,
welcher Art und Dauer das oder die Arbeitsverhältnisse war(en) und welches
Einkommen hieraus erzielt wurde. Dass der Antragsteller vor einer nachvollziehbaren
Klärung der hiermit aufgeworfenen Fragen keine Notlage glaubhaft machen kann, die
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einen Bedarf im Sinne des Sozialhilferechts erkennen lässt, versteht sich dann ohne
weiteres.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
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